Das Zusammenspiel von Auge, Gehirn und Bewusstsein: Eine umfassende Betrachtung

Die Frage nach dem Wesen des Menschen beschäftigt die Philosophie seit ihren Anfängen. Im Zeitalter der Neurowissenschaften stellt sich diese Frage neu, insbesondere im Hinblick auf die Beziehung zwischen Gehirn, Bewusstsein und freiem Willen. Gert Scobel beleuchtet in seinen Sendungen regelmäßig diese Thematik und diskutiert mit Experten über die neuesten Erkenntnisse und Kontroversen. Dieser Artikel fasst die komplexen Zusammenhänge zwischen Auge, Gehirn und Bewusstsein zusammen und wirft einen kritischen Blick auf die Frage der Willensfreiheit.

Die Konstruktion der Realität durch das Gehirn

Was wir sehen, ist nicht die reine Wahrheit, sondern eine von unserem Gehirn konstruierte Realität. Das Gehirn interpretiert die Informationen, die das Auge aufnimmt. Rund 80 Prozent aller Informationen über unsere Umgebung erhalten wir über das Auge. Millionen lichtempfindlicher Zellen leiten Signale an ein Netzwerk von Nervenzellen weiter, die im Gehirn Bilder entstehen lassen. Dabei vergleicht unser Gehirn in Sekundenbruchteilen alle Bilder mit bereits in der Vergangenheit gespeicherten Informationen, Objekten und Gefühlseindrücken.

Das Gehirn lässt sich austricksen, wie bereits die Künstler der Antike wussten. Auch im Stand-by-Modus, wenn wir nichts tun oder Tagträumen, kreiert unser Gehirn eine Form von Bewusstsein und Fiktionen. Moderne Technik macht sich dieses Wissen über die visuelle Wahrnehmung zunutze und ermöglicht es, uns gezielt Fiktionen als Realität wahrnehmen zu lassen.

Die Rolle des Bewusstseins und die Frage der Willensfreiheit

Die genauen Vorgänge im Gehirn sind wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärt. Dennoch steht fest, dass das Gehirn aus allen Daten in Echtzeit Eindrücke konstruiert und selektiert, die wir als subjektive Realität wahrnehmen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach dem freien Willen. Sind unsere Handlungen tatsächlich frei, oder sind sie lediglich das Ergebnis neuronaler Prozesse in unserem Gehirn?

Diese Frage ist nicht neu. Bereits im 19. Jahrhundert beschäftigte sich der Naturforscher Carl Vogt mit dem Verhältnis von Gehirn und Geist. Er vertrat eine materialistische Position und argumentierte, dass der freie Wille eine Illusion sei. Vogts Vergleich von Gehirn und Leber, wonach die Annahme einer Seele, die sich des Gehirns wie eines Instruments bedient, Unsinn sei, ist bis heute bekannt. Er argumentierte, dass der Organismus sich nicht selbst beherrschen könne, sondern vom Gesetz seiner materiellen Zusammensetzung beherrscht werde.

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Vogts Thesen sind jedoch nicht unproblematisch. Seine Vergleiche hinken, und seine Argumentation setzt voraus, dass Gedanken materielle Vorgänge sind, was erst bewiesen werden muss. Zudem verwechselt er die Ablehnung einer metaphysischen Seele mit der Leugnung jeglicher Form von Selbstkontrolle.

Verantwortung und soziale Praxis

Auch wenn der freie Wille im philosophischen Sinne umstritten ist, so ist die soziale Praxis, Menschen für ihr Verhalten verantwortlich zu machen, dennoch von Bedeutung. Das Rechtssystem basiert auf der Annahme, dass Menschen für ihr Handeln verantwortlich sind, sofern es ihrer Kontrolle unterliegt. Diese soziale Praxis hat sich bewährt und ermöglicht ein geordnetes Zusammenleben.

Ein grundlegender Bestandteil unserer Sozialisation ist das Erlernen der Kontrolle unserer Blasen- und Darmfunktion. Im Kindergarten und auf dem Schulhof lernen wir, was passiert, wenn wir anderen das Spielzeug wegnehmen. Auf diese Weise entwickeln wir ein Verständnis für richtig und falsch und lernen, unser Verhalten entsprechend anzupassen.

Auch wenn es Ausnahmen und Grenzfälle gibt, so hat sich diese soziale Praxis doch bisher bewährt. Selbst Wissenschaftler wie Carl Vogt oder Gerhard Roth, die ähnliche Thesen wie Vogt vertreten, haben diese Regeln verinnerlicht und halten sich daran.

Die Bedeutung des Bewusstseins für die Freiheit

Das Bewusstsein spielt eine wichtige Rolle für unsere Freiheit. Es ermöglicht uns, über unsere Handlungen nachzudenken, alternative Handlungsoptionen abzuwägen und Entscheidungen zu treffen. Auch wenn diese Entscheidungen letztlich auf neuronalen Prozessen basieren, so sind sie dennoch das Ergebnis eines bewussten Abwägungsprozesses.

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In seinem Buch über Willensfreiheit hat Stefan Schleim ein praktisches Modell von Freiheit ausgearbeitet, in dem das Bewusstsein eine zentrale Rolle spielt. Dieses Modell berücksichtigt sowohl die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse als auch die soziale und kulturelle Dimension von Freiheit.

Selbstoptimierung und die Suche nach Sinn

In der heutigen Gesellschaft beobachten wir einen zunehmenden Trend zur Selbstoptimierung. Wir optimieren unsere Körper, unsere Karrieren und unser Privatleben. Doch ist die Selbstoptimierungswelle die neue Sinnstiftung? Überholt das Ich-Prinzip das Wir-Prinzip?

Nie war es leichter, sich selbst zu verwirklichen. Doch immer mehr wandelt sich die Freiheit der unendlichen Möglichkeiten zur Qual für den Einzelnen. Viele dieser Vorsätze sind nach einigen Wochen schon Makulatur. Werden - sich wandelnde - Schönheitsideale verwechselt mit dem Sinn des Lebens?

Die Selbstoptimierung ist ein Luxusproblem der Eliten, darin manifestiert sich die Zwei-Klassen-Gesellschaft. Wir quantifizieren uns selbst in jeder Hinsicht - im Sport, bei der Ernährung, sogar im Schlaf oder gar in der Partnerwahl. Doch wir wissen nicht, ob wir dann wirklich mehr über uns selbst wissen. Oder was wir damit anfangen sollen.

Auch im Arbeitsleben wird gecoacht und optimiert, was das Zeug hält. Wozu ist das gut? Andererseits: Ist es wirklich so schlecht? Schließlich ist es ja ein löbliches Vorhaben, an den eigenen Fehlern zu arbeiten. Möglicherweise heiligt der Zweck die Mittel?

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Die Zukunft der Liebe und des Miteinanders

Moderne Lebensweisen und Technologien zwingen Männern, Frauen, Paaren und Familien neue Modelle für Lebens- und Liebeskonzepte auf. Oder schaffen sie vielmehr neue Freiheiten? Nachwuchs kommt aus dem Reagenzglas. Konventionelle Geschlechterrollen sind - scheinbar - passé, althergebrachte Vorstellungen von Mutter- und Vaterschaft verlieren ihre Notwendigkeit.

Gleichzeitig wächst die Akzeptanz alternativer Formen und Lebensweisen menschlicher Sexualität. Wie man sich verliebt, mit wem man Partnerschaften eingeht, wie Trennungen verlaufen, wie man miteinander Sex hat: Die Zukunft der Familien- und Paarbeziehungen hat längst begonnen. Doch wie ist diese Zukunft zu bewerten? Liegt in diesen Veränderungen eine größere Freiheit? Oder erhöhen diese Entwicklungen gegebenenfalls sogar die Ungleichheit der Geschlechter auf dem Heiratsmarkt?

Die Welt der Symbiosen ist existenziell und faszinierend. Tauschgeschäfte und Partnerschaften zwischen Lebewesen unterschiedlicher Arten zum gegenseitigen Nutzen sind keine Ausnahmen - sie sind die Regel. Der Mensch könnte beispielsweise ohne Abermillionen verschiedenster Bakterien nicht überleben. Bäume kommunizieren kilometerweit über Pilzstrukturen im Boden. Beide profitieren existenziell von ihrer Lebensgemeinschaft und sorgen füreinander.

Symbiosen sind die Voraussetzung für Biodiversität und ein bedeutender Faktor der Evolution. Dieses Wissen hat sich gegen starke Widerstände durchsetzen können und begründet ein neues Verständnis von uns selbst, das unsere Existenz bis zu den ersten Bakterien vor Milliarden von Jahren zurückführt und die Theorie Charles Darwins um einen entscheidenden Faktor ergänzt.

Trügerische Diagnosen und die Macht der Lobbyisten

Aus dem gigantischen Fundus für Laien-Mediziner im Internet ziehen nicht wenige Patienten ihre Meinungen und Behandlungsmethoden. Diagnosen sind nicht immer wissenschaftlich fundiert. Im Internet gibt es unendlich viele Informationen über medizinische Themen, Diagnosevorschläge und Empfehlungen für Therapien. Selbst Ärzte sind nicht frei von fehlerhaften Beurteilungen und überflüssigen Therapien.

So werden manche vorrübergehende Auffälligkeiten sehr schnell den weitverbreitenden Modekrankheiten zugeordnet, zum Beispiel ADHS oder Burnout. Häufig ist es nur eine Frage der Interpretation, ab wann ein auffälliges Verhalten auf eine zu behandelnde Krankheit hinweist. Manchmal ist es sogar umgekehrt: Zuerst gibt es die Pille, und anschließend wird die dazugehörige Krankheit kreiert.

Lobbyisten sind Agenten von Organisationen. Sie beeinflussen stark politische Entscheidungen. Mit ihren Kontakten und Netzwerken versuchen sie, politische Einflussnahme auszuüben. Mit einem Ziel: die Interessen der jeweiligen Unternehmen und Organisationen zu stärken und die Zahl ihrer Kunden zu steigern. Führt Lobbyismus in der Forschung immer wieder zu gefälschten Studien? Und wer trägt die Kosten für die Einflussnahme der Lobbyisten auf politische Entscheidungen? Die Auftraggeber oder die Bürger?

Psychische Gewalt und die Suche nach Weisheit

Psychische Gewalt ist grausam. Obwohl sie unsichtbar scheint und im Verborgenen wirkt, kann sie mehr verletzen als körperliche Gewalt. Gerade das macht sie so gefährlich. Seelische Grausamkeit ist Alltag: In Familien, Schulen, am Arbeitsplatz, im Altenheim, auf der Straße oder im Internet. Oft nimmt psychische Gewalt ihren Anfang in der Familie, im Beziehungsgeflecht zwischen Eltern und Kindern.

Im Gehirn sind emotionaler und körperlicher Schmerz eng verknüpft. Eine mögliche neurobiologische Folge von psychischer Gewalt sind Stressreaktionen, die sich dauerhaft im Emotionssystem und auch neuronal manifestieren können und zu Veränderungen im Gehirn und damit auch im Verhalten führen.

Weisheit ist ein Thema, das Menschen in allen Kulturen und Religionen seit jeher beschäftigt hat. Weisen wird zugeschrieben, dass sie sich selbst und andere auf einer tieferen Ebene verstehen, gelassen und besonnen sind und anderen Menschen mit Wohlwollen begegnen. In den buddhistischen Traditionen ist Weisheit ein zentrales Element. Die Buddhas gelten als Verkörperung der Weisheit.

Meditation als Methode, Weisheit zu entwickeln, wird neurowissenschaftlich erforscht. In Studien zur Achtsamkeitspraxis konnte nachgewiesen werden, wie sich Körper und Geist verändern, wenn Menschen ihre Aufmerksamkeit nach innen richten. Festgestellt wurde z. B. der Abbau von Stresshormonen, der Aufbau von grauer Substanz im Gehirn sowie subjektiv bei den Praktizierenden mehr Klarheit, Ruhe und Wohlbefinden.

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