Alle drei Sekunden erkrankt ein Mensch irgendwo auf der Welt an Demenz. Alzheimer ist mit über weltweit 30 Millionen Betroffenen die Hauptursache für Demenz. Der Anteil Erkrankter steigt mit zunehmendem Alter. Bei den über 85-Jährigen beträgt er bereits 50 Prozent. Alzheimer entwickelt sich zur Volkskrankheit des 21. Jahrhunderts. Noch immer gibt die Krankheit Forschern zahlreiche Rätsel auf, aber neue Erkenntnisse machen Hoffnung.
Der Stand der Alzheimer-Forschung
Fast vier Jahre lang haben Wissenschaftler und Mediziner auf der ganzen Welt den Wirkstoff "Aducanumab" an insgesamt rund 3.500 Patienten getestet. Im Frühjahr 2019 dann die erschreckende Nachricht: Die ersten Testergebnisse sind nicht gut genug, die Studie wird abgebrochen. Es ist zwar nur eine von vielen gescheiterten Studien - aber vielleicht die vielversprechendste. Und jetzt? Sind die Forscher jahrelang einer falschen Spur gefolgt? Sind vielleicht gar nicht die Eiweiß-Ablagerungen im Gehirn das Problem - sondern ein ganz anderer Faktor? 30 Jahre Forschung stehen auf dem Prüfstand. Die Filmemacherinnen erleben die Alzheimer-Forschung im Aufbruch - und Wissenschaftler, die unvermindert hartnäckig an der Lösung dieses Menschheitsproblems arbeiten. Seite an Seite mit denen, die betroffen sind. Mit Alzheimer-Patienten und deren Angehörigen, die sich im Dienst der Wissenschaft zur Verfügung stellen.
Das Gedächtnis: Erinnern und Vergessen
Wozu braucht der Mensch Erinnerungen, und warum gibt es kein Gedächtnis ohne Vergessen? Neurowissenschaftlern gelingt es neuerdings, Gedächtnisinhalte mit Medikamenten und Substanzen zu manipulieren: Sie können traumatische Erinnerungen pharmakologisch abmildern oder Gedächtnisinhalte gar verändern und löschen. Dass Erinnerungen häufig unzuverlässig und manipulierbar sind, haben amerikanische Psychologen bereits in den 1980er-Jahren entdeckt. In Experimenten konnten Probanden dazu gebracht werden, sich Erinnerungen zu eigen zu machen, die es nie gab. Diese Erkenntnis spielt zum Beispiel eine zentrale Rolle in der Bewertung von Zeugenaussagen bei Gerichtsprozessen. Das Gedächtnis lebt vom Erinnern und Vergessen. Und es ist das Fundament unserer Persönlichkeit und Identität. Der Prozess des Vergessens gibt der Forschung immer noch Rätsel auf. Oft wird Vergessen als Fehlfunktion wahrgenommen, aber Neurobiologen verstehen das Vergessen als Prozess, ohne den abstraktes Denken nicht möglich wäre.
Neue Forschungsansätze und Therapieformen
Trotzdem die Wissenschaft inzwischen vieles über Alzheimer, Parkinson und andere neurodegenerative Erkrankungen weiß, gibt es noch keine wirksamen Therapien und damit keine Heilung. In Deutschland ist eine demenzielle Erkrankung wie zum Beispiel Alzheimer bereits die zweithäufigste Todesursache. Umso wichtiger ist es, mehr über die tatsächlichen Ursachen zu erfahren. Nur so können wirkungsvolle Therapieformen entwickelt werden. Bluttests sollen jetzt die Krankheit frühzeitig erkennen. Besonders interessant ist aber ein ganz neuer Forschungsansatz: Während man lange glaubte, dass bestimmte Eiweißablagerungen im Gehirn die alleinige Ursache von Alzheimer sind, ist man davon heute nicht mehr überzeugt. Ins Zentrum wissenschaftlicher Forschung rücken nun das Immunsystem und die Blut-Hirn-Schranke, jene Barriere, die unser Gehirn vor Schädigungen schützt.
Experten im Gespräch
- Michael Heneka: Neurologe, der seit 25 Jahren zu neurodegenerativen Erkrankungen und Immunsystem forscht, mit Schwerpunkt auf Demenz, insbesondere Alzheimer und Parkinson. Er war fünf Jahre lang Direktor der Abteilung für Neurodegenerative Erkrankungen und Gerontopsychiatrie am DZNE und Professor für Klinische Neurologie an der Universität Bonn. Seit Januar ist er Direktor des Zentrums für System-Biomedizin an der Universität Luxemburg.
- Claus Pietrzik: Professor für Biochemie und Leiter der Arbeitsgruppe "Molekulare Neurodegeneration“ an der Universitätsmedizin Mainz. Sein Forschungsschwerpunkt sind die molekularen und biochemischen Grundlagen der Neurodegeneration, insbesondere in Bezug auf Alzheimer.
- Stephan Schilling: Biochemiker mit Schwerpunkt Wirkstoffforschung. Er leitet die Außenstelle Molekulare Wirkstoffbiochemie und Therapieentwicklung am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie in Halle. Er befasst sich schwerpunktmäßig mit der präklinischen Entwicklung von Wirkstoffen mit besonderem Fokus auf neurodegenerative und entzündliche Erkrankungen. Seit 2021 hat er zudem eine Professur für Angewandte Biowissenschaften und Prozesstechnik an der Hochschule Anhalt.
Parkinson-Krankheit und Stammzelltherapien
Die Parkinson-Krankheit betrifft Millionen Menschen weltweit. Einige Symptome lassen sich mit Medikamenten lindern, doch eine Heilung ist bislang nicht möglich. Hoffnung bringen nun die Stammzelltherapien. Parkinson ist die zweithäufigste Erkrankung des Gehirns. Treten untrügliche Symptome auf - stockende Bewegungen, Tremor, schleppender Gang -, ist bereits die Hälfte der Zellen zerstört. Parkinson betrifft vor allem die Hirnregion, die den flüssigen Ablauf von autonomen Bewegungen steuert. Die neurodegenerative Erkrankung geht mit einem Dopaminmangel im Gehirn einher, zu dem es kommt, weil die dopaminproduzierenden Nervenzellen absterben. Warum genau dies geschieht, ist noch nicht ganz klar. Studien hatten einen Zusammenhang zwischen Pestiziden und Parkinson erkannt. In Frankreich ist Parkinson deshalb als Berufskrankheit von Landwirten, Winzern und Gärtnern anerkannt. Prof. Daniela Berg vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein und ihr Team haben nun einen Durchbruch bei der Früherkennung von Parkinson geschafft: Sie sind die weltweit Ersten, die über einen Bluttest das für die Krankheit verantwortliche fehlgefaltete Protein "Alpha-Synuklein" aus Nervenzellen nachweisen können. Mit fokussiertem Ultraschall veröden die Neurologinnen und Neurologen an der Uniklinik in Kiel den Bereich im Hirn, der den starken Tremor in der Hand verursacht. Nur Heilung gibt es bislang nicht.
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