Depressionen sind im Alter keine Seltenheit und können sich auf vielfältige Weise äußern. Manchmal täuschen sie eine Demenz vor, was als depressive Pseudodemenz bezeichnet wird. Umgekehrt können Depressionen aber auch ein Frühsymptom einer Demenz sein oder sich als Reaktion auf die Diagnose einer Demenz entwickeln. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Diagnose und Behandlung der sekundären Demenz, die durch Depressionen ausgelöst werden kann.
Depression und Demenz: Eine komplexe Beziehung
Die Beziehung zwischen Depression und Demenz ist komplex und vielschichtig. Einerseits können Depressionen das Risiko für die Entwicklung einer Demenz erhöhen, andererseits können sie auch ein Symptom einer bereits bestehenden Demenz sein. Zudem können beide Erkrankungen unabhängig voneinander bei einem Patienten auftreten.
Dr. Silke Wunderlich, Klinik für Neurologie des Klinikums rechts der Isar, München, erklärte, dass eine Depression das Risiko für eine Alzheimer-Demenz verdoppeln kann, aber auch ein Frühsymptom sein oder sich als Reaktion auf die Diagnose einstellen kann. Depressive Störungen beeinträchtigen die Kognition, Alltagsfunktionen und soziale Kompetenz von Demenzkranken und lassen diese stärker dement erscheinen.
Depressive Pseudodemenz
Wenn ausgeprägte kognitive Defizite bei einem depressiven Patienten vorliegen, sprechen Ärzte von einer »depressiven Pseudodemenz«. Die Neurologin nannte Merkmale, die deren Abgrenzung von einer Alzheimer-Demenz ermöglichen. Dazu gehören ein rascher Beginn der Symptome, eine Dauer unter sechs Monaten und das Auftreten der Depression vor kognitiven Defiziten. Deutliche Veränderungen der geistigen Leistungsfähigkeit über den Tag mit einem Morgentief sowie Leistungsschwankungen bei kognitiven Tests gleichen Schwierigkeitsgrades sprechen ebenfalls für eine Depression. Anders als bei Demenz könnten depressive Patienten ihren Alltag jedoch bewältigen, betonte die Neurologin.
Ursachen der sekundären Demenz durch Depression
Sekundäre Demenzen entstehen als Folge einer anderen Grunderkrankung. Im Falle einer Depression können verschiedene Faktoren zur Entwicklung einer sekundären Demenz beitragen:
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- Neurochemische Veränderungen: Depressionen können zu Veränderungen im Gehirnstoffwechsel führen, insbesondere im Serotoninstoffwechsel. Dies kann die kognitiven Funktionen beeinträchtigen und langfristig zu Demenz führen.
- Erhöhter Cortisolspiegel: Ein dauerhaft erhöhter Spiegel des Stresshormons Cortisol, der häufig bei Depressionen auftritt, steht im Verdacht, Entzündungsprozesse im Gehirn zu fördern und Nervenzellen zu schädigen.
- Sozialer Rückzug und Vernachlässigung der Gesundheit: Menschen mit Depressionen ziehen sich oft sozial zurück, bewegen sich weniger und vernachlässigen ihre Gesundheit. Dies kann das Risiko für Demenz erhöhen.
- Gefäßerkrankungen: Depressionen können das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen, die wiederum die Durchblutung des Gehirns beeinträchtigen und zu einer vaskulären Demenz führen können.
Diagnose: Depression vs. Demenz
Die Diagnose, ob primär eine Depression oder eine Demenz vorliegt oder beides, ist nicht immer einfach, da sich die Symptome im höheren Lebensalter ähneln können. Vergesslichkeit, Konzentrationsprobleme und Antriebslosigkeit können bei beiden Erkrankungen auftreten.
Merkmale, die für eine Demenz sprechen:
- Desorientiertheit - Patientinnen und Patienten finden sich in ihrer Umgebung nicht mehr zurecht
- Konfabulationen - Betroffene versuchen, Informationen aus ihrem Gedächtnis abzurufen, die nicht mehr gespeichert werden konnten
- Ein zeitlich unscharfer Beginn der Erkrankung
- Hirnwerkzeugstörungen (Störungen von Hirnfunktionen), die sich in Form von Sprach- und Bewegungsstörungen wie Aphasie und Apraxie bemerkbar machen
Merkmale, die für eine zusätzliche schwerere Depression bei Demenz sprechen:
- Schuldgefühle
- Lebensüberdrussgedanken oder Lebensmüdigkeit bis hin zum Wunsch, sich selbst zu töten (Suizidalität)
- Schlaflosigkeit
- Gewichtsverlust
- Interessensverlust
- Psychomotorische Hemmung oder auch Agitation - Erkrankten fällt es sehr schwer, sich zu bewegen, oder sie sind extrem unruhig
- Ausgeprägte Konzentrationsstörungen
Ein zentraler Unterschied besteht darin, dass Menschen mit einer Depression ihre kognitiven Einschränkungen meist sehr bewusst wahrnehmen und diese auch ansprechen, während Menschen, die an einer Demenz erkrankt sind, ihre Ausfälle oft nicht erkennen oder sie herunterspielen. Auch beim Gedächtnis zeigen sich Unterschiede: Bei einer Depression treten Gedächtnisprobleme oft nur phasenweise auf und können durch Stress verstärkt werden.
Um eine eindeutige Diagnose stellen zu können, ist eine umfassende Untersuchung durch einen Arzt oder eine Gedächtnisambulanz erforderlich. Diese umfasst in der Regel:
- Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte und der aktuellen Beschwerden
- Körperliche Untersuchung: Überprüfung des allgemeinen Gesundheitszustands
- Neurologische Untersuchung: Überprüfung der neurologischen Funktionen
- Psychometrische Tests: Überprüfung der kognitiven Fähigkeiten wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Konzentration
- Bildgebende Verfahren: In einigen Fällen können bildgebende Verfahren wie MRT oder CT eingesetzt werden, um Veränderungen im Gehirn darzustellen
- Blutuntersuchungen: Zum Ausschluss anderer Ursachen für die Symptome, wie z.B. Schilddrüsenerkrankungen oder Vitaminmangel
Behandlung der sekundären Demenz durch Depression
Die Behandlung der sekundären Demenz durch Depression zielt darauf ab, sowohl die Depression als auch die kognitiven Beeinträchtigungen zu verbessern. Im Vordergrund stehen in der Regel nicht-medikamentöse Maßnahmen, wie:
- Psychotherapie: Psychotherapeutische Ansätze können helfen, die depressive Stimmung zu verbessern, soziale Kontakte zu fördern und Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Besonders geeignet sind kognitive Verhaltenstherapie und psychodynamische Therapie.
- Aktivierung und Beschäftigung: Strukturierende Tagesabläufe, Bewegung, Musik, Gespräche, kreative Angebote oder soziale Kontakte können sich positiv auf Stimmung, Schlaf und Antrieb auswirken.
- Soziale Unterstützung: Die Unterstützung durch Familie, Freunde und Selbsthilfegruppen ist wichtig, um Einsamkeit und Isolation zu vermeiden.
In bestimmten Fällen kann auch eine medikamentöse Behandlung sinnvoll sein:
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- Antidepressiva: Antidepressiva wie Sertralin oder Citalopram gelten als gut verträglich und beeinflussen die kognitive Leistungsfähigkeit nicht negativ. Trizyklika wie Amitriptylin, Imipramin oder Clomipramin sind bei Demenzkranken unbedingt zu vermeiden, da sie anticholinerg wirken und die geistige Leistungsfähigkeit weiter verschlechtern können.
- Weitere Medikamente: In einigen Fällen können auch andere Medikamente eingesetzt werden, um spezifische Symptome wie Schlafstörungen oder Unruhe zu behandeln. Melperon und Pipamperon in niedriger Dosierung bei Schlafstörungen einsetzen. Benzodiazepine sind als Schlafhilfen für Demenzpatienten ungeeignet, da sie die Kognition weiter verschlechtern und zudem paradoxe Reaktionen auslösen können.
Apothekerin Dr. Kirsten Dahse von der Johannes-Apotheke, Gröbenzell, empfahl: Antidepressiva in möglichst niedriger Dosis starten, dann auftitieren und wenn nötig ausschleichen, aber nicht abrupt absetzen.
Was tun als Angehörige?
Wenn Menschen mit Demenz zusätzlich an einer Depression erkranken, ist das für Angehörige oft besonders belastend. Angehörige übernehmen in dieser Situation eine wichtige Rolle:
- Aufmerksam beobachten und verständnisvoll begleiten: Achten Sie auf Veränderungen im Verhalten und Befinden des Betroffenen und versuchen Sie, seine Gefühle und Bedürfnisse zu verstehen.
- Professionelle Unterstützung in Anspruch nehmen: Ermutigen Sie zu ärztlicher Hilfe und erklären Sie, dass eine Depression keine Schwäche ist, sondern eine behandelbare Erkrankung.
- Auf mögliche Nebenwirkungen von Medikamenten achten: Einige Wirkstoffe können depressive Symptome verstärken - sprechen Sie dies offen im Arztgespräch an, gerade auch, wenn mehrere Medikamente gleichzeitig eingenommen werden.
- Soziale Kontakte fördern: Einsamkeit verstärkt Depressionen. Gespräche, Gruppentreffen oder Selbsthilfeangebote können insbesondere zu Beginn der Erkrankung entlasten.
- Bewegung fördern: Körperliche Aktivität hilft nachweislich bei depressiven Symptomen. Selbst kleine Bewegungseinheiten können die Stimmung und die mentale Gesundheit verbessern.
- Große Veränderungen vermeiden: Ein Umzug, der Verlust einer vertrauten Bezugsperson oder andere tiefgreifende Veränderungen können Ängste und depressive Phasen verschärfen.
- Sicherheit schaffen: Vermeiden Sie stressige Themen wie Geld, die Demenzerkrankung oder die damit verbundenen Einschränkungen. Auch Lärm oder Orte mit vielen Menschen können überfordern.
- Einfache, sinnvolle Beschäftigung anbieten: Kochen, musizieren oder gärtnern - das, was früher Freude gemacht hat, kann helfen. Wichtig ist: nicht überfordern.
- Den Alltag so ruhig und angenehm wie möglich gestalten.
Prävention
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Menschen, die im Laufe ihres Lebens an einer Depression erkranken, ein erhöhtes Risiko haben, im Alter eine Demenz zu entwickeln. Besonders auffällig ist dieser Zusammenhang bei Depressionen, die im mittleren Lebensalter auftreten.
Wer seine Depression frühzeitig behandeln lässt - ob mit Medikamenten, Psychotherapie oder einer Kombination - kann das Risiko senken.
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