Ein Schlaganfall ist eine der häufigsten Ursachen für dauerhafte Behinderungen und stellt eine erhebliche gesundheitspolitische Herausforderung dar. Umso wichtiger ist die Sekundärprophylaxe, also Maßnahmen zur Verhinderung von erneuten Schlaganfällen. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) haben im Juli eine neue S2k-Leitlinie zur "Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke" veröffentlicht. Diese Leitlinie bietet Ärzten und Betroffenen aktuelle Empfehlungen zur Vorbeugung von Rezidivschlaganfällen.
Bedeutung der Sekundärprophylaxe
Wiederholte Schlaganfälle (Rezidive) sind relativ häufig und gehen oft mit längeren Krankenhausaufenthalten, schwereren Behinderungen und höheren Kosten einher. Laut einer Analyse von 2019 erlitten fast 20 % der Schlaganfallpatienten innerhalb von fünf Jahren einen weiteren Schlaganfall. Auch nach einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA), bei der sich die Symptome schnell zurückbilden, ist das Schlaganfallrisiko kurzfristig deutlich erhöht. Daher spielt die Sekundärprophylaxe eine entscheidende Rolle.
Inhalte der neuen Leitlinie
Die neue Leitlinie ist in zwei Teile gegliedert:
- Teil 1: Medikamentöse Behandlung zur Vermeidung von Folgeschlaganfällen. Hierbei geht es um die Plättchenhemmung und Antikoagulation sowie die Therapie von Hypercholesterinämie und Hypertonie.
- Teil 2: Weitere Risikofaktoren und Lebensstilmodifikationen. Dieser Teil fokussiert auf den Lebensstil, Diabetes mellitus, Hormonersatztherapie und Schlafapnoe.
Medikamentöse Therapie
Blutdruckeinstellung
Ein wichtiger Aspekt der Sekundärprophylaxe ist die langfristige Senkung des Blutdrucks unter 140/90 mmHg. Je nach Alter, Verträglichkeit und Vorerkrankungen kann sogar eine Senkung auf systolisch 120 bis 130 mmHg in Betracht gezogen werden. Dabei ist das Erreichen der Zielblutdruckwerte wichtiger als die Wahl des Medikaments.
Cholesterinsenkung
Ein weiterer Zielwert ist die Senkung des LDL-Cholesterins (LDL-C) auf unter 70 mg/dl oder eine Reduktion um mehr als 50 % des Ausgangswerts.
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Thrombozytenaggregationshemmer
Zur Thrombozytenaggregationshemmung (Verhinderung der Verklumpung von Blutplättchen) werden in der Leitlinie ausschließlich Acetylsalicylsäure (ASS), Clopidogrel und Ticagrelor empfohlen. Andere Präparate haben entweder mehr Nebenwirkungen oder keinen nachgewiesenen Zusatznutzen.
Empfehlungen der aktualisierten S2k-Leitlinie zur Plättchenhemmung:
- Patienten mit ischämischem Schlaganfall oder TIA sollen mit ASS 100 mg täglich behandelt werden, sofern keine Indikation zur Nutzung eines anderen Thrombozytenaggregationshemmers (TFH) oder zur Antikoagulation vorliegt.
- Eine TFH soll erst nach sicherem Ausschluss einer intrakraniellen Blutung erfolgen.
- Eine TFH sollte zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach ischämischem Schlaganfall oder TIA begonnen werden, auch wenn die Schlaganfallursachenabklärung noch nicht abgeschlossen ist.
- Eine generelle Umstellung auf einen anderen TFH als Monotherapie kann aufgrund fehlender Studiendaten nicht empfohlen werden. Die Adhärenz sollte überprüft und die Schlaganfallätiologie erneut abgeklärt werden.
- Bei Komedikation von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) sollte die reduzierte Wirksamkeit der ASS berücksichtigt werden. Es wird eine zeitlich versetzte Gabe der NSAR (i. d. R. mindestens 30 Minuten) nach Einnahme von ASS empfohlen.
- Patienten mit ischämischem Schlaganfall oder TIA können alternativ zu ASS mit Clopidogrel behandelt werden. Keine der beiden Substanzen ist der jeweils anderen sicher überlegen. Am ersten Behandlungstag sollten 300 bis 600 mg Clopidogrel, jeweils als Einmaldosis, verabreicht werden.
- Eine Monotherapie mit Ticagrelor kann - zum Beispiel bei Unverträglichkeit - als Alternative zu einer Monotherapie mit ASS oder Clopidogrel erwogen werden.
- Ausgewählte Patienten mit einem leichten, nicht kardioembolischen, ischämischen Schlaganfall oder einer TIA mit hohem Rezidivrisiko, die nicht mit intravenöser Thrombolyse oder endovaskulärer Schlaganfalltherapie behandelt wurden, können innerhalb von 24 Stunden nach Symptombeginn mit einer dualen Plättchenhemmung behandelt werden. Hierfür stehen die Kombination von ASS und Ticagrelor und die von ASS und Clopidogrel zur Verfügung. Die Kombination von ASS und Ticagrelor sollte für 30 Tage, die von ASS und Clopidogrel für etwa 21 Tage fortgesetzt werden
- Bei Patienten mit stabiler KHK und/oder stabiler pAVK (inklusive asymptomatischer ≥ 50%iger Karotisstenose oder nach operativ oder interventionell revaskularisierter Karotisstenose) und ohne vorangegangenen, lakunären oder hämorrhagischen Schlaganfall kann eine Kombinationstherapie aus niedrig dosiertem Rivaroxaban 2,5 mg 2×/Tag und ASS 100 mg erwogen werden.
Die Leitlinie betont, dass die Thrombozytenaggregationshemmung und der Einsatz der oralen Antikoagulation individuell je nach Blutungsneigung, Komorbiditäten und Risikofaktoren aufeinander abgestimmt werden sollten.
Orale Antikoagulation
Bei Patienten mit Vorhofflimmern sollte immer eine orale Antikoagulation erfolgen, entweder mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) oder Vitamin-K-Antagonisten.
Duale Plättchenhemmung
Ausgewählte Patienten mit einem leichten nicht-kardioembolischen ischämischen Schlaganfall oder einer TIA mit hohem Rezidivrisiko, die nicht mit i.v. Thrombolyse oder endovaskulärer Schlaganfalltherapie behandelt wurden, können innerhalb von 24 Stunden nach Symptombeginn mit einer dualen Plättchenhemmung behandelt werden. Hierfür stehen die Kombinationen von ASS und Ticagrelor und die von ASS und Clopidogrel zur Verfügung. Die Kombination von ASS und Ticagrelor sollte für 30 Tage, die von ASS und Clopidogrel für etwa 21 Tage fortgesetzt werden.
ASS Dosierung
Die optimale ASS-Dosierung zur effektiven Vermeidung ischämischer Ereignisse und möglichst geringem Blutungsrisiko ist bei Patienten mit arteriosklerotischen Vorerkrankungen nicht gut untersucht. Während in Europa die meisten Patienten eine Dosis von 100 mg ASS erhalten, wird in Nordamerika die Gabe von 325 mg favorisiert.
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Die multizentrische ADAPTABLE(Aspirin dosing: a patient-centric trial assessing benefits and long-term effectiveness)-Studie randomisierte 15 076 Patienten mit arteriosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung für die Therapie mit 81 mg oder 325 mg ASS pro Tag. Primärer Effektivitätsendpunkt war die Kombination aus Myokardinfarkt, Schlaganfall oder Tod jeglicher Ursache. Der primäre Sicherheitsendpunkt war das Auftreten einer schweren Blutung.
Es ist allerdings möglich, dass die Wirksamkeit von ASS auf kardiovaskuläre Ereignisse vom Körpergewicht beeinflusst wird. Rothwell et al. konnten in einer Metaanalyse von Studien zum Einsatz von ASS in der Primär- und Sekundärprävention zeigen, dass niedrige Dosen von ASS (75-100 mg) nur bei einem Körpergewicht unter 70 kg wirksam sind und von höheren ASS-Dosen nur Patienten mit einem Gewicht von 70 kg und mehr profitieren.
Weitere Aspekte der medikamentösen Therapie
Bei einer Unterbrechung der TFH-Behandlung ist von einem erhöhten Schlaganfallrisiko, aber auch anderen kardiovaskulären Ereignissen auszugehen. Daher sollte vor einer Operation oder einem invasiven Eingriff eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. Hierbei sollten das mit dem Eingriff verbundene Blutungsrisiko und das Risikoprofil des Patienten unter Berücksichtigung der Art der notwendigen TFH-Behandlung gegeneinander abgewogen werden. Ein großzügiger Einsatz von PPI bei Patienten unter TFH ohne gastrointestinale Probleme sollte vermieden und die Indikation kritisch gestellt werden. Bei Komedikation von NSAR sollte die reduzierte Wirksamkeit des ASS berücksichtigt werden. Es wird eine zeitlich versetzte Gabe der NSAR (i. d. R. Aktuelle RCT zeigten kein erhöhtes Blutungsrisiko durch Komedikation mit Fluoxetin. Angesichts früherer Hinweise auf eine Zunahme des Blutungsrisikos (insbesondere gastrointestinaler Blutungen) durch Komedikation von TFH und SSRI sollte bei einer Indikation für einen SSRI Fluoxetin anderen SSRI daher vorgezogen werden. Kritisch kranke Patienten mit hämodynamischer Instabilität stellen besondere Anforderungen an das Kreislaufmanagement. Während beim septischen Schock gezielte Vasopressor-Therapie im Vordergrund stehen, ist bei supraventrikulären Tachykardien ein kontrolliertes Frequenzmanagement entscheidend. Hämodynamische Instabilität ist häufig und prognostisch ungünstig. Kurzwirksame Betablocker ermöglichen eine kontrollierte Frequenzsenkung bei Tachykardien. Betablocker sind ein unverzichtbares Tool auf jeder Intensivstation. Die Therapie des Vorhofflimmerns verfolgt drei zentrale Ziele: Symptomkontrolle, Vermeidung von Folgekomplikationen und Verbesserung der Prognose.
Lebensstilmodifikation
Neben der medikamentösen Therapie spielen Lebensstiländerungen eine entscheidende Rolle bei der Sekundärprophylaxe. Die Leitlinie rät zu:
- Regelmäßiger körperlicher Aktivität: Sportliche Betätigung hilft, das Risiko eines erneuten Schlaganfalls zu senken.
- Gesunder Ernährung: Der regelmäßige Verzehr von Obst und Gemüse oder eine mediterrane Diät senken das Risiko eines Schlaganfallrezidivs und vaskulärer Folgeereignisse. Dabei sollte der Salzkonsum reduziert werden.
- Verzicht auf Rauchen und Reduktion des Alkoholkonsums: Diese Faktoren erhöhen das Schlaganfallrisiko.
- Gute Blutzuckereinstellung bei Diabetes: Diabetiker sollten nach einem Schlaganfall besonders auf ihre Blutzuckerwerte achten.
- Behandlung von Schlafapnoe: Nach einer Schlafapnoe als zusätzlichem Risikofaktor sollte gezielt gesucht werden. Die nächtliche Überdruckbeatmung (CPAP) ist bei mittelschwerer bis schwerer Schlafapnoe die Therapie der Wahl.
- Alternative Verhütungsmethoden für Schlaganfallpatientinnen: Schlaganfallpatientinnen, die Kontrazeptiva einnehmen, sollten andere Verhütungsmethoden erwägen.
Bedeutung der Zusammenarbeit
Die Leitlinie betont die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen Neurologinnen/Neurologen, Hausärztin/Hausarzt und Betroffenen, um eine maximale Prophylaxe zu gewährleisten. Die langfristige Umsetzung der Maßnahmen, insbesondere die Lebensstilumstellung, stellt für viele Patienten eine Herausforderung dar, bei der sie Unterstützung benötigen.
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