Jährlich erleiden in Deutschland etwa 260.000 Menschen einen Schlaganfall. Dieser kann erhebliche Auswirkungen haben, da häufig wichtige Hirnregionen verletzt werden, die für essenzielle geistige Fähigkeiten wie die Sprachverarbeitung zuständig sind. Erstaunlicherweise ist das Gehirn jedoch oft in der Lage, diese Störungen auszugleichen und verloren gegangene Fähigkeiten wiederzuerlangen. Die Mechanismen, die dem Gehirn dabei helfen, insbesondere in schweren Fällen mit nahezu vollständigem Ausfall des ursprünglichen Netzwerks, sind jedoch noch nicht vollständig verstanden.
Die erstaunliche Plastizität des Gehirns
Die Erkenntnis, dass unser Gehirn weitaus anpassungsfähiger ist als lange Zeit angenommen, hat sich inzwischen weitgehend durchgesetzt. Selbst nach einem Schlaganfall oder anderen Hirnverletzungen kann das Gehirn die ausgefallenen Areale und die dort verarbeiteten kognitiven Fähigkeiten teilweise kompensieren. In manchen Fällen gelingt dies sogar bei gravierenden Schädigungen, die ganze Netzwerke betreffen.
Bei kleineren Störungen kann der ausgefallene Bereich oft innerhalb desselben Netzwerks kompensiert werden, beispielsweise durch Hochregulierung des noch intakten Rests. Eine Studie von Hartwigsen und ihrem Team hat jedoch einen neuen Kompensationsweg aufgezeigt: Nach einer Störung des Netzwerks, das für die Sprachbedeutung zuständig ist, aktivierte das Gehirn benachbarte Regionen, die eigentlich für andere Funktionen zuständig sind. Dieses zusätzlich aktivierte Netzwerk war vor allem für allgemeine kognitive Prozesse wie Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis und kognitive Kontrolle zuständig, also für die Fähigkeit, Prozesse zu überwachen und kontrolliert auszuwählen. Durch diese zusätzlichen Kontrollprozesse konnte die Sprachverarbeitung weitgehend unbeeinträchtigt ablaufen. Die Wissenschaftler vermuten daher, dass eine spezifische Störung ausgeglichen werden kann, indem das Gehirn vermehrt allgemeine geistige Ressourcen bereitstellt.
Hartwigsen beschreibt diese und andere bekannte Kompensationsmechanismen des Gehirns in einem Modell, das kürzlich im Fachmagazin "Trends in Cognitive Sciences" veröffentlicht wurde. Das Modell basiert im Wesentlichen auf Studien, in denen bei Probanden mithilfe der transkraniellen Hirnstimulation bestimmte Hirnareale durch elektrische Reize gezielt kurzzeitig gestört wurden.
Wege der Kompensation
Basierend auf diesen Studien geht die Neurowissenschaftlerin davon aus, dass die Kompensation spezifischer geistiger Fähigkeiten wie der Sprache generell auf zwei Wegen funktionieren kann:
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- Intranetwork-Kompensation: Andere, noch intakte Hirnareale im selben Netzwerk springen ein, da sie auf die gleiche Funktion spezialisiert sind.
- Internetwork-Kompensation: Areale eines benachbarten Netzwerks werden aktiviert.
Hartwigsen weist jedoch darauf hin, dass die zusätzlich mobilisierten Kapazitäten wahrscheinlich nicht die ursprüngliche Fähigkeit vollständig abdecken können, sodass im Falle der Sprache beispielsweise bestimmte Defizite zurückbleiben können.
Bedeutung für die Rehabilitation
Die bisherigen Beobachtungen beruhen im Wesentlichen auf Studien mit transkranieller Hirnstimulation an gesunden Probanden. Ziel der Forschung ist es, zunächst das gesunde Netzwerk für verschiedene kognitive Funktionen zu verstehen, um so besser nachvollziehen zu können, welche Prozesse etwa nach einem Schlaganfall einsetzen - und wie sich diese gezielt fördern lassen.
Sollten sich die Vermutungen bestätigen, könnte dies für die Rehabilitation nach einem Schlaganfall bedeuten, dass nicht nur an der spezifischen Funktion wie der Sprache gearbeitet wird, sondern auch an allgemeinen Prozessen, vor allem wenn die spezifischen Fähigkeiten besonders beeinträchtigt sind.
Herausforderungen und Unterstützung nach dem Schlaganfall
Menschen, die einen Schlaganfall erleiden, werden zunächst in der Akutklinik versorgt, bevor sie eine mindestens dreiwöchige Reha beginnen. Nach der Rückkehr nach Hause stehen sie vor der großen Herausforderung, ihr Leben neu zu organisieren.
Nachsorge und medizinische Betreuung
In der Regel übernimmt die Hausarztpraxis die weitere Versorgung nach einem Schlaganfall. Bei ungeklärter Schlaganfallursache oder weiterhin bestehenden neurologischen Defiziten sollten Kardiologen oder Neurologen hinzugezogen werden.
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Wird nach dem Schlaganfall Vorhofflimmern im Herzen festgestellt, ist in der Regel eine Dauermedikation zur Verhinderung eines weiteren Schlaganfalls erforderlich. Es gibt jedoch auch weitere Behandlungsmöglichkeiten wie die Katheterablation oder eine Operation, deren Eignung in einer Facharztpraxis für Kardiologie geklärt werden muss.
Auswahl der richtigen Therapeuten
Bei der Auswahl von Therapeuten nach der Reha sollte darauf geachtet werden, dass die Praxis Erfahrung in der Behandlung neurologischer Patienten hat. Für die Rehabilitation des Ganges sollte sie über ein Laufband verfügen. Gerätegestützte Therapie ist kein Muss, kann aber auch in der Armrehabilitation hilfreich sein. Wichtig ist auch, dass die Chemie zwischen Patient und Therapeut stimmt.
Intensivtherapien können sinnvoll sein, da Studien gezeigt haben, dass eine hohe Therapiedichte auch längere Zeit nach dem Schlaganfall noch Fortschritte ermöglichen kann. Die Kosten für diese Therapien werden jedoch in der Regel nicht von den Krankenkassen übernommen.
Umgang mit Spastik
Bei zunehmenden Verkrampfungen des Armes trotz regelmäßiger Physiotherapie kann eine erneute Rehabilitation in Frage kommen. Zusätzlich kann eine Versorgung mit Hilfsmitteln wie einer Orthese erfolgen. Auch eine medikamentöse Behandlung, zum Beispiel die lokale Anwendung von Botulinumtoxin, sollte geprüft werden. Oft lassen sich durch ein multimodales Therapiekonzept noch signifikante Erfolge erzielen.
Die Therapie mit Cannabinoiden ist ein spannender Ansatz zur Behandlung von Spastik, die Studienlage ist jedoch noch nicht ausreichend für eine pauschale Empfehlung.
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Bewegung und Sport
Unabhängig von speziellen Angeboten sollten Schlaganfallpatienten auf ausreichend Bewegung achten. Tägliche Spaziergänge können bereits ein guter Anfang sein. Zusätzlich gibt es in vielen Regionen spezielle Rehasport-Gruppen für Schlaganfallpatienten, die vom Arzt verordnet werden und deren Kosten nach vorheriger Genehmigung von den Krankenkassen übernommen werden. Informationen zu Angeboten erhalten Sie beim Deutschen Behindertensportverband e.V. oder bei den jeweiligen Landessportverbänden der Bundesländer.
Cholesterinwerte
Ein gesunder Lebensstil ist immer die Basis der Behandlung von erhöhtem Cholesterin. Patienten sollten auf eine gefäßgesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung achten. Bei genetisch bedingtem erhöhtem LDL-Wert kann es notwendig sein, zusätzlich Cholesterinsenker einzunehmen, weil der Lebensstil allein nicht zu einer ausreichenden Senkung des Cholesterinspiegels führt.
Organisation vor der Rückkehr nach Hause
Vor der Rückkehr des Patienten aus der Reha sollte zeitnah ein Termin beim Hausarzt vereinbart werden. Sind weitere Therapien oder Hilfsmittel notwendig, sollte schon jetzt Kontakt zu einer Praxis oder einem Sanitätshaus aufgenommen werden. Bei Wohnraumanpassungen helfen die kostenlosen Wohnberatungsstellen der Kommunen oder Kreise. All diese Fragen sollten mit dem Sozialdienst in der Klinik besprochen werden.
Beratung und Unterstützung nach der Reha
Medizinische oder therapeutische Fragen sollten mit den behandelnden Ärzten und Therapeuten besprochen werden. Bei rechtlichen oder organisatorischen Fragen können sich Betroffene an ihre Kranken-/Pflegeversicherung oder einen der Pflegestützpunkte oder Pflegeberatungsstellen ihres Wohnortes wenden. Auch die Deutsche Schlaganfall-Hilfe unterstützt Betroffene und ihre Angehörigen. Der Besuch einer Selbsthilfegruppe kann ebenfalls hilfreich sein, da man dort wichtige Tipps erhält.
Schlaganfall-Lotsen
Schlaganfall-Lotsen beraten und begleiten Betroffene und ihre Angehörigen durch das erste Jahr nach dem Schlaganfall, bis sie in der Lage sind, ihre weitere Versorgung selbst zu organisieren. Sie achten darauf, dass Patienten in allen Lebensbereichen gut versorgt sind, vermitteln notwendige Hilfen und unterstützen bei der Prävention eines wiederholten Schlaganfalls. Da es Schlaganfall-Lotsen noch nicht flächendeckend gibt, können sich Patienten alternativ an den Pflegestützpunkt bzw. die Pflegeberatungsstelle ihres Wohnortes wenden. Auch ehrenamtliche Schlaganfall-Helfer oder Selbsthilfegruppen geben wertvolle Tipps. Allgemeine Beratung erhält man in den Partnerbüros der Schlaganfall-Hilfe. Für sozialrechtliche Beratung können der VdK, SoVD oder BDH empfohlen werden.
Häufigkeit der Ergotherapie
Die Häufigkeit der Ergotherapie erfolgt abhängig vom jeweiligen Einzelfall auf ärztliche Verordnung, also immer nach dem individuellen Krankheitsbild und soweit der konkrete Bedarf nach Therapieform, Frequenz und Menge aus medizinischer Sicht sinnvoll und notwendig ist. Der Heilmittelkatalog gibt pro jeweiliger Ergotherapieform die orientierende Behandlungsmenge, Frequenz und Höchstverordnungsmenge pro Verordnungsfall vor.
Weitere stationäre Reha
Eine stationäre Reha wird auf Antrag beim Sozialleistungsträger bewilligt, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen. Diese sind:
- Rehafähigkeit: Der Patient kann die Rehamaßnahme durchführen.
- Rehaprognose: Das beabsichtigte Rehaziel wird in einem bestimmten Zeitraum erwartet. Dabei reicht die Erwartung, das Ziel muss nicht zwingend erreicht werden.
- Medizinische Notwendigkeit: Ambulante Maßnahmen reichen nicht aus, um das mit stationärer Reha verfolgte Ziel zu erreichen.
Sehstörungen nach Schlaganfall
Im Zusammenhang mit einem Schlaganfall können verschiedene Arten von Sehstörungen auftreten. Diese können durch eine direkte Schädigung des Auges oder der Sehbahn aufgrund mangelnder Blutversorgung entstehen, was zu Erblindung auf einem Auge führen kann. Häufiger ist jedoch eine Schädigung der Hirnregion, in der die Informationen des Auges verarbeitet werden. In diesem Fall ist das Auge selbst intakt, aber die Informationsverarbeitung im Gehirn funktioniert nicht mehr richtig, was zu Wahrnehmungsstörungen führt.
Arten von Sehstörungen
- Gesichtsfeldeinschränkungen: Dies ist die häufigste Sehstörung nach einer Hirnschädigung. Die Einschränkung kann von kleinen "blinden Flecken" (Skotome) über einen "Tunnelblick" bis hin zum Ausfall einer kompletten Gesichtshälfte reichen. Dies führt im Alltag dazu, dass Hindernisse übersehen werden und sich Betroffene zum Beispiel oft stoßen. Da es mit einem eingeschränkten Blickfeld schwieriger ist, sich schnell zu orientieren und einen Überblick zu verschaffen, kann es zu entsprechenden Unsicherheiten kommen - vor allem im öffentlichen Raum und im Straßenverkehr. Auch die Lesegeschwindigkeit ist oft verringert, da Satzanfänge oder -enden übersehen werden.
- Doppelbilder: Doppelbilder oder ein "verschwommenes" Sehen können Folgen eines Schlaganfalls sein und zu Schwindel führen.
- Herdblick: Der Herdblick kann ein erstes Anzeichen für einen Schlaganfall sein, das häufig nicht als solches wahrgenommen wird. Der Blick "kippt" zur linken oder zur rechten Seite, der Betroffene kann seine Blickrichtung nicht mehr kontrollieren. In manchen Fällen drehen sich nicht die Augen, sondern der ganze Kopf in eine Richtung.
- Visuell-Räumliche Störungen: Eine Hirnschädigung kann dazu führen, dass die Raumachsen nicht mehr richtig wahrgenommen werden können. Das führt dazu, dass Betroffene zum Beispiel Schwierigkeiten haben, geradeaus zu gehen oder ein Fahrrad oder Rollstuhl zu steuern.
- Neglect: Neglect bedeutet, dass eine Raum- und/oder Körperhälfte nicht mehr wahrgenommen wird. Das heißt, dass der Betroffene seine Aufmerksamkeit einer Raum- oder Körperseite nicht mehr zuwenden kann. Es gibt verschiedene Arten des Neglects, der visuelle Neglect tritt am häufigsten auf. Der Unterschied zwischen einen Gesichtsfeldausfall und einem visuellen Neglect ist manchmal schwierig auszumachen, teilweise tritt auch beides zusammen auf. Grundsätzlich ist ein Neglect eine Störung der Aufmerksamkeit auf eine Raumseite, Ein Gesichtsfeldausfall ist eine Störung des Sehens. Bei einem Gesichtsfeldausfall ist dem Betroffenen in der Regel bewusst, dass die Raumhälfte existiert - er sie selbst allerdings nicht wahrnehmen kann. Bei einem visuellen Neglect lenkt der Betroffene seine Aufmerksamkeit nicht spontan auf die betroffene Seite. So bemerken die Betroffene oft selbst nicht, dass etwas „fehlt“.
Rückbildung von Sehstörungen
Ob sich Sehstörungen nach einem Schlaganfall zurückbilden, ist sehr individuell. Eine Erblindung bildet sich in der Regel nicht zurück, während sich eine Wahrnehmungsstörung teilweise oder vollständig zurückbilden kann, entweder spontan oder durch spezielle Therapien. Je mehr Zeit nach dem Schlaganfall vergangen ist, desto unwahrscheinlicher wird eine spontane Rückbildung der Symptome.
Neuroprothesen und intelligente Technologien
Eine besondere Alltagseinschränkung tritt auf, wenn eine Hand gelähmt ist. Um für die Betroffenen effektivere Therapien zur Neurorehabilitation auszuarbeiten, die die Beweglichkeit der gelähmten Hand verbessern, untersucht das Tübinger Institut für Neuromodulation und Neurotechnologie in einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Studie den Einsatz intelligenter Neuroprothesen: Dabei werden Hirnimpulse, die bei der versuchten oder vorgestellten Bewegung entstehen, in kürzester Zeit an technologische Hilfsmittel wie Roboterorthesen übertragen, die ein Öffnen der gelähmten Hand ermöglichen. Auf diese Weise spüren die Probanden trotz ihrer Lähmung, wie sich ihre Finger tatsächlich bewegen, und nehmen dies nicht nur visuell wahr. Durch diese haptischen Eindrücke entsteht eine Feedbackschleife zwischen Gehirn und gelähmtem Muskel.
Bereits in einer kurz zuvor publizierten Studie konnten die Forschenden sowie Kliniker aus Tübingen nachweisen, dass ausgedehnte Regionen in beiden Hirnhälften nach einem schweren Schlaganfall in Verbindung mit der gelähmten Hand stehen - diese Hirnareale sind umso größer, je schwerer die Patienten betroffen sind. Offenbar versucht das Gehirn nach einem Schlaganfall bereits von sich aus, alle geeigneten neuronalen Ressourcen zu aktivieren, um die Lähmung zu überwinden.
In ihrer aktuellen Studie konnten Prof. Gharabaghi und sein Team zeigen, dass diese neuroplastische Reorganisation durch das Training mit einer intelligenten Neuroprothese unterstützt werden kann - also wo und wie neue Verknüpfungen zwischen dem Gehirn und dem gelähmten Muskel verstärkt werden. Dabei synchronisieren sich die Gehirnneuronen dieser zusätzlichen Hirnareale mit den Rückenmarksneuronen, die für die Handöffnung zuständig sind. Je stärker diese Synchronisation im Frequenzband um 20 Hz stattfindet, desto bessere klinische Erfolge konnten anschließend beobachtet werden.
„Um solche innovativen Therapieansätze zu ermöglichen, ist nicht nur eine enge Verzahnung unterschiedlicher Disziplinen erforderlich, wir müssen auch im direkten Austausch mit den Betroffenen sein, damit etwas entsteht, was Ihnen wirklich hilft“, erläutert Prof. Gharabaghi. Hierzu haben das Universitätsklinikum und die Universität Tübingen im Jahr 2020 das Institut für Neuromodulation und Neurotechnologie eingerichtet, um Experten aus der Medizin, den Neurowissenschaften, der Medizintechnik und den Computerwissenschaften unter einem Dach zusammenzuführen. So können sie gemeinsam und integriert in die Krankenversorgung an intelligenten Technologien für bessere Therapien arbeiten. „Wir stehen noch am Anfang, verstehen nun aber besser, in welche Richtung wir schauen müssen, um das Licht am Ende des Tunnels zu sehen“, resümiert Prof.
Constraint-Induced Movement Therapy (CIMT)
Die Constraint-Induced Movement Therapy (CIMT), entwickelt von Psychologe Edward Taub, zielt darauf ab, das Gehirn von Patienten nach einem Schlaganfall zu verändern. Dabei wird die gesunde Seite des Körpers eingeschränkt, um die Nutzung der betroffenen Seite zu erzwingen.
Diese Therapieform beruht auf der Erkenntnis, dass das Gehirn nach einem Schlaganfall dazu neigt, die betroffene Seite zu vernachlässigen und die gesunde Seite zu bevorzugen. Durch die Einschränkung der gesunden Seite wird das Gehirn gezwungen, die betroffene Seite wieder zu aktivieren und neue neuronale Verbindungen zu bilden.
Die CIMT besteht aus intensivem Training der betroffenen Extremität über mehrere Stunden täglich, kombiniert mit der Einschränkung der gesunden Extremität durch einen Handschuh oder eine Schlinge. Dieses intensive Training führt zu einer Zunahme der grauen Substanz im Gehirn, was die erstaunliche Wandelbarkeit des Gehirns bis ins hohe Alter belegt.
Die CIMT hat sich als wirksam bei der Verbesserung der motorischen Funktion nach einem Schlaganfall erwiesen, unabhängig vom Alter des Patienten oder der Dauer des Verlusts der Motorik.
Weitere Therapieansätze
Neben der CIMT gibt es noch weitere Therapieansätze, die auf die Neuroplastizität des Gehirns abzielen:
- Computerprogramme zur Behandlung von Lesestörungen (Dyslexie): Der Neurowissenschaftler Michael Merzenich hat ein Computerprogramm entwickelt, mit dem Schüler ihre Lesestörung wegtrainieren sollen.
- Optische Täuschungen: Die Ärzte Farsin Hamzei und Cornelius Weiller von der Neurologischen Universitätsklinik Freiburg wollen das Gehirn von Schlaganfallpatienten mit einer optischen Täuschung verändern: Der Patient erledigt mit seiner gesunden Hand Aufgaben auf einem Tisch und betrachtet sein Tun in einem Spiegel, der vor seinem Oberkörper steht. So gewinnt er den Eindruck, er bewegte seine gelähmte Hand.
- Musiktherapie: Musik und Rhythmus beflügeln die Regeneration vieler Schlaganfallpatienten, wie verschiedene Studien nahelegen. Eine schwedische Erhebung zeigte etwa, dass Patienten, die im Takt der Musik Hände und Füße bewegt hatten, danach besser greifen und die Balance halten konnten. Und wenn die Betroffenen ihre Lieblingsmusik hören dürfen, verlängert das nachfolgend die Aufmerksamkeitsspanne und die Merkfähigkeit für Wörter, wie eine finnische Studie ergab. Andere Forscher wiederum demonstrierten, dass rhythmische Musik das Gangtraining von Schlaganfallpatienten unterstützt. Sie laufen dann schneller und schaffen längere Wegstrecken.
- Zelltherapie: Forscher arbeiten daran, die vorhandenen Hirnstammzellen mit Wirkstoffen dazu anzuregen, neue Nervenzellen zu bilden. Und sie verfolgen die Idee, neurale Stammzellen außerhalb des Körpers zu erzeugen und in die zerstörten Areale des Gehirns zu transplantieren.
Die Rolle der Rehabilitation
Die Rehabilitation ist die unabkömmliche und wichtigste Therapie nach dem Schlaganfall. Sie bewirkt, dass man den einst gelähmten Arm wieder zu einem Glas Wasser führen kann, um es zu greifen. Oder dass man einige Schritte am Rollator schafft. Damit entscheidet der Erfolg der Rehabilitation darüber, ob nach einem Hirninfarkt wieder ein eigenständiges Leben gelingt - oder ob die Betroffenen Tag für Tag auf Hilfe angewiesen sind.
Eine Zusammenschau eines unabhängigen Expertenverbunds zufolge, der Cochrane Gruppe, belegen mehrere randomisierte Studien, dass ein Bündel von Reha-Maßnahmen die Sterblichkeit, das Ausmaß an körperlicher und geistiger Beeinträchtigung und den Pflegebedarf vermindert. In einer weiteren Datenanalyse von 2014 ermittelten die Experten schließlich im Speziellen, dass Bewegungstherapie hilft. Dafür bedurfte es der täglichen Übung an fünf Tagen die Woche. Die Balance, das Schritttempo und die allgemeine Beweglichkeit verbesserten sich sodann.
Mechanismen der Rehabilitation
Nach einem Schlaganfall können Nervenzellen aus den verbliebenen intakten Hirnarealen in die untergegangene Region einsprossen. Dabei wachsen neue Zellfortsätze, die schließlich mit gesunden Nervenzellen in Kontakt treten und sich mit ihnen verknüpfen. Ist das verletzte Areal klein, gelingt es den umliegenden Nervenzellen schneller und besser, die „Todeszone“ neu zu innervieren. Je größer die Entfernungen, desto mühsamer wird es jedoch und desto geringer ist die Chance, dass das Gehirn die ausgefallenen Funktionen zu kompensieren vermag. Dennoch ist auch die Neuverschaltung über weite Strecken möglich, wobei Funktionen, die vorher die linke Hirnhälfte übernahm, wie das Sprechen, teils von der rechten Hirnhälfte neu ausgeführt werden.
Gewöhnlich unterdrücken verschiedene Eiweiße im Gehirn, dass Nerven Zellfortsätze ausbilden und schließlich neue Verschaltungen eingehen. Nach einem Schlaganfall senken die Gliazellen den Spiegel dieser Moleküle, wodurch Nervenzellen Eigenschaften erhalten, die sie schon in der Embryonalphase hatten: Sie sprossen aus. Die Nervenzellen wiederum setzen Wachstumsfaktoren frei, die die Blutgefäße zur Regeneration anregen. In der Folge bildet sich das Blutversorgungsystem im Kopf neu.
Bedeutung von Bewegung und Übung
Die Aktivierung von Herz und Kreislauf durch Bewegungstherapien wie Wassergymnastik und Gerätetraining regt die Gefäßneubildung an und schafft erst einmal die Grundlage zur Reorganisation im Gehirn. Spezifische Physiotherapie etwa Lauftraining in einem Gangroboter bei einer Beinlähmung oder Hand-Koordinationstraining bei motorischen Problemen mit einer Hand ergänzen dies. Durch Üben werden die frisch gebildeten Nervenzellverknüpfungen verstärkt. Die ständige Wiederholung ist dabei zentral. Je häufiger eine wiedererlernte Bewegung oder Tätigkeit ausgeführt wird, desto besser gelingt sie.
Für ein Maximum an Wiederholungen nutzen Reha-Kliniken auch Roboter und Geräte, die Patienten gezielt anspornen, ihre Leistung immer weiter zu steigern.
Die Bedeutung von Kontinuität
Oft sind die Kuren nach dem Hirninfarkt auf drei oder sechs Wochen begrenzt. Dies wird dem Stand der Wissenschaft nicht gerecht, da es kein bestimmtes Zeitfenster für die Erholung gibt und das Potenzial auch danach noch da ist, mindestens zwölf Monate. Größter Feind der Regeneration ist das berüchtigte Reha-Loch - wenn Patienten nach kurzer Rehabilitation nicht mehr trainieren. Wer nicht regelmäßig übt, riskiert also Rückschritte. Generell länger und intensiver müsste das Training sein, mahnen immer mehr Ärzte.
Pharmakologische Unterstützung der Reha
Das Verständnis der Regeneration im Gehirn lässt die Forscher nunmehr auch an eine pharmakologisch unterstützte Reha denken. Medikamente könnten die Erholung des Gehirns fördern und so die Kur noch effektiver machen. So könnten beispielsweise die schädliche langanhaltende Entzündung gedämpft und die Wachstumsprozesse angeregt werden.
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