Die Small Fiber Neuropathie (SFN) ist eine Erkrankung, die die dünnen, sensiblen Nervenfasern betrifft. Diese Nervenfasern sind zuständig für die Wahrnehmung von Schmerz und Temperatur sowie für autonome Funktionen. Die Diagnose dieser Erkrankung kann herausfordernd sein, da etablierte Diagnosekriterien oft nicht greifen.
Was ist Small Fiber Neuropathie?
Die Small-Fiber-Neuropathie (SFN) beschreibt eine Erkrankung der dünnen sensiblen Aδ- und C‑Nervenfasern. Ihre strukturelle und funktionelle Schädigung resultiert in neuropathischen Schmerzen meist brennender Qualität, Par‑/Dysästhesien, veränderter Thermo‑/Nozizeption und vegetativen Beschwerden.
Im Gegensatz zu Large Fiber Neuropathien, bei denen motorische und sensible Funktionen großer Nervenfasern betroffen sind, beeinträchtigt die SFN hauptsächlich kleine sensible und autonome Nervenfasern.
Symptome der Small Fiber Neuropathie
Menschen mit einer SFN leiden oft unter brennenden Schmerzen, vorrangig in Zehen und Füßen, aber auch in Fingern und Händen. Betroffene empfinden Berührungen oft als unangenehm und nehmen Kälte sowie Wärme an Füßen und Händen anders wahr. Die Symptome können sich auch auf das autonome Nervensystem ausweiten, was zu Herz-Kreislauf-Problemen, Verstopfung oder einem Unvermögen zu schwitzen führen kann.
Häufige Symptome sind:
- Schmerzen: Brennende Schmerzen, Parästhesien (Kribbeln, Stechen) und Allodynie (Schmerzen bei Berührungen, die normalerweise nicht schmerzhaft sind).
- Sensibilitätsstörungen: Veränderte Wahrnehmung von Temperatur (Kälte oder Wärme) und Berührung.
- Autonome Symptome: Herz-Kreislauf-Probleme, Verdauungsstörungen, veränderte Schweißproduktion, Blasenentleerungsstörungen.
- Weitere Symptome: Müdigkeit, Erschöpfung, Wortfindungsstörungen, Vergesslichkeit.
Fallbeispiele und persönliche Erfahrungen
Michaela Bergholz
Michaela Bergholz, 42 Jahre alt, spürte vor acht Jahren ein Taubheitsgefühl in Arm, Fingern und der linken Gesichtshälfte. Nach monatelangen Untersuchungen wurde bei ihr Small Fiber Neuropathie diagnostiziert. Sie beschreibt die Schmerzen als ein "brennendes Stechen in den betroffenen Gliedmaßen", das sie fast verrückt werden lässt. Die Erkrankung zwang sie, ihre Arbeit als PTA aufzugeben und belastete auch Haushalt, Familie und Freundschaften.
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Anke Weihs
Anke Weihs, 59 Jahre alt, leidet seit sieben Jahren unter starken Gelenk- und Rückenschmerzen. Trotz Operationen lebt sie konstant mit Schmerzen. Sie kann ihre Arbeit in der Poststelle einer Versicherungsagentur nur noch beschwerlich ausüben.
Austausch in Online-Foren
Auch in Online-Foren tauschen sich Betroffene über ihre Erfahrungen aus. Viele berichten von brennenden Füßen, Verspannungen im Nacken und Problemen mit der Halswirbelsäule. Einige stellen fest, dass ihre Symptome in den Wechseljahren schlimmer werden oder durch Hormontherapien beeinflusst werden. Kälteanwendungen, wie kalte Duschen, scheinen bei manchen Linderung zu verschaffen.
Ursachen der Small Fiber Neuropathie
Die Ursachen für eine SFN sind vielfältig. Diabetes ist eine bekannte Ursache, aber auch andere Faktoren können eine Rolle spielen:
- Metabolische Ursachen: Diabetes mellitus, gestörte Glukosetoleranz, Hypothyreose
- Infektionen: HIV-Infektion, Hepatitis C, Chagas-Krankheit, SARS-CoV-2-Virus
- Medikamente und Substanzen: Metronidazol, Statine, Nitrofurantoin, Chemotherapeutika, Alkohol
- Autoimmunerkrankungen: Systemischer Lupus erythematodes (SLE), Sjögren-Syndrom, Zöliakie, Sarkoidose
- Hereditäre Ursachen: HSAN II, II, III, IV, Erythromelalgie, Natriumkanalmutationen, Amyloidose, Morbus Fabry
- Malnutrition: Vitamin B1- oder B12-Mangel, Vitamin B6-Überdosierung
- Paraneoplastische Ursachen: Multiples Myelom
- Weitere Ursachen: Chronisches Fatigue-Syndrom (CFS)
Bei etwa der Hälfte der Patienten findet sich keine erklärende Ursache für die Symptomatik. Diese Gruppe wird als "idiopathisch" zusammengefasst. In einigen Fällen kann eine genetische Testung Hinweise auf eine genetische Variante in einem schmerzassoziierten Gen liefern.
Diagnose der Small Fiber Neuropathie
Die Diagnose der SFN kann eine Herausforderung sein, da die Erkrankung elektroneurografisch nicht nachweisbar ist. Ärzte nutzen verschiedene Untersuchungen, um eine SFN festzustellen:
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- Klinische Untersuchung: Erfassung der Symptome und neurologische Untersuchung.
- Quantitative sensorische Testung (QST): Messung der Wahrnehmungsschwellen für Wärme und Kälte.
- Hautbiopsie: Bestimmung der Dichte der Nervenfasern in der Haut (IENFD - intraepidermal nerve fiber density). Eine reduzierte Nervenfaserdichte deutet auf eine SFN hin. Die Biopsie wird meist am Unterschenkel durchgeführt.
- Corneale konfokale Mikroskopie: Automatisierte Auswertung von Messungen der Nervenfaserlänge und -dichte im Auge.
- Quantitative Sudomotor Axon Reflex Testing (QSART): Testung der Schweißproduktion.
- Laser-evozierte Potentiale: Reizung von A-Delta und C-Fasern.
- MRT: Darstellung der Nerven und Ausschluss anderer Ursachen wie Tumoren oder Entzündungen.
- Laboruntersuchungen: Nüchternblutzucker, HbA1c, Leberwerte, Schilddrüsenwerte, Vitaminspiegel, Hepatitis- und HIV-Tests, Immunelektrophorese, genetische Diagnostik.
Für die Diagnose der Small-Fiber-Neuropathie wurden verschiedene Kriterien vorgeschlagen. Für diese müssen zwei der folgenden drei Bedingungen erfüllt sein:
- klinische Symptome einer Beeinträchtigung der kleinen Fasern (vor allem distal betonte sensible Plus- oder Minussymptome)
- abnorme Wahrnehmungsschwellen für Wärme und/oder Kälte am Fuß, festgestellt mittels quantitativer sensorischer Testung
- reduzierte intraepidermale Nervenfaserdichte am Unterschenkel, ermittelt per Hautbiopsie
Zur Beurteilung der neuropathischen Schmerzen wird oft der painDETECT-Fragebogen verwendet. Autonome Symptome lassen sich z.B. mit der COMPASS-31-Skala erfassen.
Therapie der Small Fiber Neuropathie
Die Therapie der SFN konzentriert sich auf die Behandlung der Ursache, falls diese bekannt ist, und auf die Linderung der Symptome.
- Kausale Therapie: Behandlung der Grunderkrankung, z.B. Einstellung des Diabetes, Behandlung von Autoimmunerkrankungen. Bei autoimmunen Ursachen können Glucocorticoide oder andere Immunmodulatoren eingesetzt werden.
- Symptomatische Therapie:
- Schmerztherapie: Medikamente wie Pregabalin, Gabapentin, Amitriptylin, Duloxetin, Tramadol, Oxycodon, Morphin und L-Methadon können zur Schmerzlinderung eingesetzt werden.
- Nicht-medikamentöse Therapien: Physiotherapie, Ergotherapie, Psychotherapie, Entspannungsverfahren, Akupunktur, Kälteanwendungen.
- Multimodale Schmerztherapie: Ein interdisziplinäres Team aus Ärzten, Psychologen, Physiotherapeuten und Ergotherapeuten erarbeitet ein individuelles Therapiekonzept.
Weitere Maßnahmen:
- Orthostatische Symptome: Angepasste antihypertensive Medikation, ausreichende Flüssigkeits- und Salzzufuhr, Kompressionsstrümpfe, Stehtraining, Training der Bein- und Bauchmuskulatur.
- Genetische Ursachen: Derzeit gibt es kaum Optionen zur gezielten Therapie genetisch veränderter Proteine. Die Symptomkontrolle durch antineuropathisch wirksame Medikamente steht im Vordergrund.
Erfahrungen mit multimodaler Schmerztherapie
Michaela Bergholz und Anke Weihs berichten von positiven Erfahrungen mit der multimodalen Schmerztherapie an den Helios Kliniken Mittelweser. Sie fühlen sich ernstgenommen und profitieren vom Austausch mit anderen Patienten. Die Therapie hilft ihnen, trotz der chronischen Schmerzen ein lebenswertes Leben zu führen. Sie lernen Methoden und Techniken, um mit ihrem Schmerz umzugehen und diese auch zu Hause anzuwenden.
Genetische Aspekte der Small Fiber Neuropathie
Bei einem Teil der Patienten mit idiopathischer SFN können seltene Varianten in schmerzassoziierten Genen gefunden werden. Diese Varianten sind oft vom Typ "Variante unklarer Signifikanz" (VUS). Die häufigsten betroffenen Gene sind SCN9A, SCN10A und SCN11A (spannungsabhängige Natriumkanäle) sowie TRPA1, TRPV3 und TRPM3 (TRP-Kanäle).
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Patienten mit solchen genetischen Varianten scheinen eine höhere psychische Belastung und eine stärkere Einschränkung im Beruf zu haben. Die Behandlung dieser Patienten kann herausfordernder sein und erfordert möglicherweise eine höhere Anzahl an Wirkstoffen.
Forschung und Ausblick
Die Forschung an zielgerichteten Therapeutika zur Blockade fehlregulierter Proteine, zum Beispiel spannungsabhängiger Natriumkanäle, ist sehr wichtig und könnte die Behandlung betroffener PatientInnen maßgeblich verbessern. Eine Studie untersuchte den Effekt des Natriumkanalblockers Lacosamid bei SFN-PatientInnen mit Gain-of-function-Mutation im SCN9A-Gen und zeigte eine Verbesserung von Schmerzen und Schlafqualität.
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