Sterbefasten nach Schlaganfall: Informationen und Perspektiven

Der freiwillige Verzicht auf Essen und Trinken (FVET), auch bekannt als Sterbefasten oder freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF), hat in der medizinethischen Diskussion zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die Frage, ob es sich dabei um eine suizidale Handlung handelt oder nicht, hat zu kontroversen Positionen geführt. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) hat sich in einem Positionspapier erstmals zu diesem Thema geäußert.

Ethische und medizinische Aspekte des Sterbefastens

Die DGP betont, dass der Entschluss zum FVET nicht als Suizid zu bewerten ist, aber auch nicht als reiner Therapieverzicht eingeordnet werden kann. Der Fokus des Positionspapiers liegt auf Patienten mit lebensbedrohlichen oder lebenslimitierenden Erkrankungen. Es wird hervorgehoben, dass ein schwerkranker Mensch, der durch FVET seinen Tod herbeiführen möchte, nicht gegen seinen Willen ernährt werden darf, da dies den Straftatbestand der Körperverletzung erfüllen würde. Entscheidend ist, dass die betroffene Person aus freiem Willen handelt und nicht durch eine krankhafte Essstörung oder eine andere psychiatrische Grunderkrankung in ihrer Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt ist. Die medizinische Begleitung des FVET bei Palliativpatienten ist demnach keine strafbare Handlung.

Unterscheidung zum Suizid

Der FVET unterscheidet sich in mehreren Merkmalen deutlich von einem Suizid. Das Leben wird nicht durch einen äußeren Eingriff beendet, die körperliche Integrität bleibt gewahrt und die Selbstbestimmung erhalten. Das Sterben erfolgt nicht abrupt, sondern zieht sich über einen nicht frei bestimmbaren Zeitraum hin. Es besteht die Möglichkeit, den Verzicht abzubrechen. Essen und Trinken werden nicht als medizinische Behandlungen betrachtet, daher ist der FVET auch kein Behandlungsabbruch.

Entscheidungsfindung und Rolle des Behandlungsteams

Die Entscheidung über FVET liegt allein bei den Patienten. Eine Aufklärung oder partizipative Entscheidungsfindung ist nicht zwingend erforderlich. Das Behandlungsteam sollte jedoch prüfen, ob der Entschluss zum FVET aufgrund unerträglichen anhaltenden Leidens gefasst wurde oder ob er in Appetitmangel oder anderen gastrointestinalen Symptomen als Folge der Grunderkrankung begründet ist. Es sollte überprüft werden, ob Maßnahmen der Palliativversorgung ausreichend angeboten wurden und wie effektiv diese waren. Der Entschluss der entscheidungsfähigen Patienten zum FVET sollte vom Behandlungsteam akzeptiert und respektiert werden. Es sollte festgelegt werden, welche medikamentösen und nichtmedikamentösen Behandlungsmaßnahmen weiterhin indiziert sind. Fallkonferenzen oder ethische Fallbesprechungen können hierbei hilfreich sein. Wenn der FVET außerhalb der spezialisierten Palliativversorgung erfolgt, sollten Palliativexperten hinzugezogen werden. Die Fähigkeit der Patienten zur Entscheidungsfindung muss eingeschätzt werden, gegebenenfalls unter Hinzuziehung psychotherapeutischer oder psychiatrischer Expertise. Es sollte akzeptiert werden, wenn einzelne Teammitglieder sich aus ethischen oder moralischen Gründen nicht an der Begleitung des FVET beteiligen wollen, wobei eine kontinuierliche Betreuung der Patienten sichergestellt sein muss.

Information und Aufklärung

Patienten und Angehörigen sollten umfassende Informationen zum FVET zur Verfügung gestellt werden, einschließlich möglicher Symptome wie Mundtrockenheit, Durst oder Verwirrtheit und deren Behandlungsmöglichkeiten. Jede Form von Beeinflussung sollte vermieden werden. Der Entscheidungsprozess sollte mit den Angehörigen der Patienten erörtert werden, wobei deren Sorgen und Bedürfnisse berücksichtigt werden müssen. Das Behandlungsteam hat die Aufgabe, die Angehörigen umfassend zu unterstützen und auf das Einsetzen des Sterbeprozesses hinzuweisen.

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Umgang mit Symptomen und Beschwerden

Patienten können sich für den Verzicht auf Essen allein oder auf Essen und Trinken entscheiden. Die Entscheidung über Art und Umfang des FVET trifft der Patient und sollte nicht vom Behandlungsteam beeinflusst werden. Informationen über den zu erwartenden zeitlichen Verlauf und über mögliche Symptome und Komplikationen sollten angeboten, aber nicht aufgedrängt werden. Beim vollständigen Verzicht auf Essen und Trinken beträgt die Lebenserwartung in der Regel nur wenige Tage. Beim alleinigen Verzicht auf Essen, nicht aber auf Trinken, ist von einer längeren Lebenserwartung auszugehen.

Mundtrockenheit

Mundtrockenheit ist ein häufiges Problem beim FVET. Gute und regelmäßige Mundpflege kann das Durstgefühl deutlich lindern oder sogar verhindern. Das Behandlungsteam sollte Maßnahmen zur Mundpflege anbieten und Patienten und Angehörige in diesen Maßnahmen schulen.

Hungergefühl

Eine Behandlung des Hungergefühls ist bei der Mehrzahl der Patienten nicht erforderlich, da der Appetit beim Fasten oft innerhalb von wenigen Tagen verschwindet.

Verwirrtheit

Im Verlauf des FVET kann es zu einer zunehmenden Reduktion des Bewusstseinsniveaus und zu Verwirrtheit kommen. Zur Erfassung und Behandlung von Verwirrtheit gelten die Empfehlungen der S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung.

Weitere Komplikationen

Durch die zunehmende Dehydration kann es zu erhöhter Sturzgefahr, Obstipation, Kachexie und Schwäche kommen. Entsprechende präventive Maßnahmen sollten angeboten werden.

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Umgang mit Unsicherheiten und Therapieanpassung

Äußerungen der Patienten, die auf Unsicherheiten im Fortsetzen von FVET hinweisen, sollten vom Behandlungsteam wahrgenommen und respektiert werden. Im weiteren Verlauf sollten Medikamente und andere Maßnahmen, die nicht dem Therapieziel der bestmöglichen Lebensqualität dienen, in Abwägung von Indikation, Nutzen und Belastung nicht verordnet oder abgesetzt werden. Bei Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes kann eine individuelle Anpassung der Insulindosis notwendig sein, um Hypoglykämien zu vermeiden. Eine ausreichend wirksame Schmerztherapie kann auch in der Sterbephase weitergeführt werden.

Überwachung und Dokumentation

In der Begleitung von Patienten mit FVET sollte festgelegt werden, wie und welche Parameter zur Überwachung des Behandlungserfolges gemessen und dokumentiert werden sollen. Sinnvoll ist die Erfassung der Symptomlast, des Bewusstseinsniveaus und der subjektiven Selbsterfassung durch die Patienten.

Ethisch sensible Abstimmung

Insgesamt erfordert FVET ein sensibles und selbstkritisches Vorgehen im Behandlungsteam. Eine ethisch sensible und reflektierte Abstimmung unter allen Beteiligten ist auf jeden Fall zu Beginn der Begleitung erforderlich. Bei vielen Patienten muss diese Abstimmung im Verlauf wiederholt werden und ist deshalb als kontinuierlicher Prozess zu betrachten.

Die Perspektive der Angehörigen

Angehörige sind oft sehr besorgt, wenn Patienten am Lebensende weder Nahrung noch Flüssigkeit zu sich nehmen. Es ist wichtig, den Willen der Sterbenden zu akzeptieren. Eine verminderte Flüssigkeitszufuhr von 500 ml täglich reicht am Lebensende meist völlig aus und hat einige Vorteile, wie weniger Erbrechen, Husten, Verschleimung, Ödeme, Schmerzen, eine erhöhte Endorphinkonzentration, einen verbesserten Hautturgor und die Verhinderung von Dekubitus. Allerdings sollte immer abgeklärt werden, ob die Appetitlosigkeit und die reduzierte Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeiten allein mit dem Sterbeprozess zusammenhängen.

Fallbeispiele und persönliche Erfahrungen

Der Fall von Klaus Grosch

Klaus Grosch, ein an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) erkrankter Mann, beantragte beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ein tödliches Medikament, das jedoch abgelehnt wurde. Er entschied sich für das palliativ begleitete Sterbefasten und starb im Alter von 78 Jahren. Sein Fall steht beispielhaft für einen ungelösten Rechtsstreit über das Recht auf selbstbestimmtes Sterben.

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Die Geschichte von Gisela Kujawa

Gisela Kujawa, eine 79-jährige Rentnerin, die an ALS erkrankt war, entschied sich für Sterbefasten, um einem aussichtslosen Leiden zu entgehen. Ihre Tochter Maren Kujawa dokumentierte den Weg der Mutter und berichtete über die intensive Zeit, die sie gemeinsam verbrachten. Gisela Kujawa fand in dem Buch "Umgang mit Sterbefasten" von Christiane zur Nieden Inspiration und Bestätigung für ihren Entschluss.

Praktische Tipps für die Begleitung beim Sterbefasten

Mundpflege

Die Mundpflege ist ein wichtiger Aspekt bei der Begleitung Sterbender. Regelmäßige Mundbefeuchtung und Lippenpflege können die Lebensqualität der Patienten deutlich steigern. Es ist wichtig, die Mundpflege niemals gegen den Widerstand des Patienten durchzuführen.

Wahrnehmungsfördernde Mundpflege

Bei Menschen mit Beeinträchtigungen der Wahrnehmung ist es wichtig, Vertrauen aufzubauen, dem Patienten Zeit zu geben, die Person und die Maßnahme zu realisieren, Kontakt zu halten und Gewohnheiten des Patienten zu berücksichtigen.

Ernährung und Flüssigkeitszufuhr

Es soll NUR den Wünschen des Schwerkranken entsprochen werden. Dazu gehört auch, dass bestimmte Diäten nicht mehr eingehalten werden müssen. Es ist erlaubt, was schmeckt. Künstliche Ernährung in den letzten Lebenstagen kann den Körper stark belasten.

Ergänzung zur Patientenverfügung

Um sicherzustellen, dass Ärzte, Pflegepersonal und Angehörige sich nach den Wünschen des Patienten richten können, sollte eine zusätzliche Ergänzung zur Patientenverfügung gemacht werden.

Rechtliche Aspekte

Das Bundesverfassungsgericht hat 2020 entschieden, dass es ein "Recht auf selbstbestimmtes Sterben" gibt, das sich aus der Menschenwürde und dem Persönlichkeitsrecht ableitet. Jeder könne "entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit" entscheiden, seinem Leben ein Ende zu setzen. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und diese in Anspruch zu nehmen. Unstrittig war stets, dass die aktive Sterbehilfe, bei der ein tödliches Medikament verabreicht wird, unter Strafe steht. Auch die passive Sterbehilfe, bei der lebensverlängernde Maßnahmen verringert oder eingestellt werden, stand nicht zur Verhandlung. Sie war und bleibt straffrei. Die Karlsruher Richter*innen entschieden über den assistierten Suizid.

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