Lange Zeit wurde das Herz lediglich als eine Pumpe betrachtet, die den Körper mechanisch mit Sauerstoff versorgt. Doch die moderne Forschung hat gezeigt, dass das Herz weit mehr ist als nur eine einfache Pumpe. Es agiert als ein komplexes Organ mit einem eigenen Nervensystem, das in ständiger Kommunikation mit dem Gehirn steht. Diese Kommunikation beeinflusst nicht nur physiologische Prozesse, sondern auch unsere Wahrnehmung, Emotionen und sogar unsere Anfälligkeit für Vorurteile.
Das Gehirn: Die zentrale Steuereinheit des Körpers
Das Gehirn, vergleichbar mit einem leistungsstarken Computer, verarbeitet kontinuierlich Sinneseindrücke und Informationen aus dem gesamten Körper. Es sendet daraufhin Anweisungen zurück, um Körperfunktionen zu steuern und anzupassen. Mit einem Gewicht von etwa 1,5 Kilogramm und der Größe von zwei geballten Fäusten ähnelt das Gehirn äußerlich einer überdimensionalen Walnuss, geprägt von Windungen und Spalten.
Die Struktur des Gehirns
Das Großhirn, der größte Teil des Gehirns, ist in zwei Hälften unterteilt, die durch den Balken, ein dickes Bündel von Nervenfasern, miteinander verbunden sind. Jede dieser Hälften ist weiter in sechs Lappen unterteilt, die jeweils spezifische Funktionen erfüllen. Das Großhirn steuert willkürliche Bewegungen, verarbeitet Sinneseindrücke und ist verantwortlich für bewusste und unbewusste Handlungen sowie Gefühle. Es spielt auch eine entscheidende Rolle bei Sprache, Hören, Intelligenz und Gedächtnis.
Die beiden Gehirnhälften sind nicht identisch in ihren Funktionen. Bei den meisten Menschen ist die linke Hälfte auf Sprache und abstraktes Denken spezialisiert, während die rechte Hälfte für räumliches Denken und bildhafte Zusammenhänge zuständig ist. Interessanterweise steuert die rechte Gehirnhälfte die linke Körperseite und umgekehrt.
Weitere wichtige Strukturen im Gehirn sind der Thalamus, der Sinneseindrücke an das Großhirn weiterleitet, und der Hypothalamus, der grundlegende Körperfunktionen wie Hunger, Durst, Schlaf und den Hormonhaushalt reguliert. Der Hirnstamm fungiert als Schaltzentrale zwischen Gehirn, Kleinhirn und Rückenmark und kontrolliert Augenbewegungen und Mimik.
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Die Blutversorgung des Gehirns
Eine konstante Versorgung mit Sauerstoff, Glukose und anderen Nährstoffen ist für die Funktion des Gehirns unerlässlich. Dies wird durch ein komplexes Netzwerk von Hirnarterien gewährleistet:
- Vordere Hirnarterie (Arteria cerebri anterior): Versorgt das Gewebe hinter der Stirn und im Scheitelbereich.
- Mittlere Hirnarterie (Arteria cerebri media): Versorgt die seitlichen und tiefer liegenden Gehirnbereiche.
- Hintere Hirnarterie (Arteria cerebri posterior): Versorgt den Hinterkopf, den unteren Bereich des Gehirns und das Kleinhirn.
Diese Arterien sind durch kleinere Blutgefäße miteinander verbunden, was eine gewisse Kompensation bei Durchblutungsstörungen ermöglicht. Die feinsten Verzweigungen der Hirnarterien, die Kapillaren, bilden die Blut-Hirn-Schranke, die das Gehirn vor schädlichen Substanzen im Blut schützt.
Das Herz: Mehr als nur eine Pumpe
Das Herz, das Zentrum des Blutkreislaufs, transportiert ununterbrochen Blut und versorgt Organe und Gewebe mit Sauerstoff und Nährstoffen. Es pumpt in jeder Minute die gesamte Blutmenge (fünf bis sechs Liter bei Erwachsenen) durch den Körper.
Die Funktionsweise des Herzens
Das Herz besteht hauptsächlich aus Muskelzellen, die sich bei einem elektrischen Impuls zusammenziehen und sich danach wieder entspannen. Diese Impulse werden von spezialisierten Herzmuskelzellen erzeugt, die den Takt für den Herzschlag vorgeben.
Der Sinusknoten im rechten Vorhof fungiert als Haupttaktgeber und gibt in regelmäßigen Abständen elektrische Impulse ab, normalerweise etwa 60 bis 80 pro Minute. Der AV-Knoten (Atrio-Ventrikular-Knoten) leitet die Impulse vom Sinusknoten in die Herzkammern weiter. Das His-Bündel und die Kammerschenkel verteilen die Impulse schnell über die Herzkammern, sodass sich die Muskelzellen gleichzeitig zusammenziehen und das Blut in den Körper und die Lunge pumpen.
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Das "Herzgehirn"
Die Forschung hat gezeigt, dass das Herz ein eigenständiges neuronales System mit etwa 40.000 Nervenzellen besitzt, das als "Herzgehirn" bezeichnet wird. Dieses Nervensystem steht in Verbindung mit dem Gehirn und ermöglicht eine komplexe Kommunikation zwischen den beiden Organen.
Die Kommunikation zwischen Herz und Gehirn
Herz und Gehirn kommunizieren auf verschiedene Weisen miteinander. Die bekannteste Form der Kommunikation erfolgt über das Nervensystem, insbesondere über sympathische und parasympathische Nervenfasern. Die sympathischen Nervenfasern, auch Herznerven genannt, beschleunigen die Herzfrequenz, während die parasympathischen Fasern, die vom Nervus vagus ausgehen, den Herzschlag verlangsamen.
Das Herz verfügt auch über Sensoren, wie die Barorezeptoren, die die Dehnung des Herzvorhofs messen und Signale an die Nieren senden, um die Wasserausscheidung zu regulieren.
Der Vagusnerv: Eine wichtige Verbindung
Der Vagusnerv, der im Hirnstamm entspringt und sich über Hals und Brustkorb zum Darm erstreckt, spielt eine zentrale Rolle in der Kommunikation zwischen Gehirn und Körper. Er steuert lebenswichtige Vorgänge wie Atmung, Herzschlag und Verdauung und kann auch Stress abbauen und Krankheiten lindern. Gezielte Übungen wie tiefe Bauchatmung oder elektrische Reizung können den Vagusnerv aktivieren.
Das Herzschlag-evozierte Potential (HEP)
Im Gehirn existiert ein Abbild des Herzens, das als Herzschlag-evoziertes Potential (HEP) bezeichnet wird. Der Herzschlag beeinflusst die Durchblutung des Gehirns und damit die Verarbeitung von Wahrnehmungen. Menschen mit Herzschwäche leiden daher oft auch unter kognitiven Beeinträchtigungen.
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Der Einfluss des Herzschlags auf Wahrnehmung und Emotionen
Studien haben gezeigt, dass der Herzschlag unsere Wahrnehmung von Berührungsreizen und sogar unsere Neigung zu Vorurteilen beeinflussen kann. In der systolischen Phase des Herzschlags, wenn das Herz sich zusammenzieht und Blut in den Körper pumpt, nehmen wir äußere Reize weniger intensiv wahr. Dies könnte daran liegen, dass in diesem Moment Rezeptoren in den großen Blutgefäßen Informationen über den Blutdruck an das Gehirn übermitteln und die Verarbeitung anderer Eindrücke beeinträchtigen.
Ein Experiment von Psychologen um Ruben Azevedo zeigte, dass Probanden in der systolischen Phase des Herzschlags häufiger ihrem Vorurteil folgten und einem schwarzen Mann eine Waffe zuwiesen.
Psychokardiologie: Die Verbindung von Herz und Seele
Die junge Disziplin der Psychokardiologie erforscht die Wechselwirkungen zwischen psychischen Faktoren und Herzerkrankungen. Es ist bekannt, dass neurologische Erkrankungen und seelisches Leid das Herz beeinträchtigen können. So haben Menschen mit Depressionen ein doppelt so hohes Risiko für einen Herzinfarkt oder plötzlichen Herztod. Auch Stress kann zu einer Herzmuskelschwäche führen, dem sogenannten Takotsubo-Syndrom.
Studien haben gezeigt, dass bei Patienten mit Takotsubo-Syndrom die Verarbeitung emotionaler Eindrücke in bestimmten Gehirnarealen weniger ausgeprägt ist. Eine Schlüsselrolle bei der Entstehung dieser stressbedingten Herzschwäche spielt vermutlich das Stresshormon Adrenalin.
Die Plastizität des Gehirns und die Auswirkungen von Stress
Das Gehirn ist ein dynamisches Organ, das sich ständig an neue Erfahrungen anpasst. Diese Anpassungsfähigkeit, die als Plastizität bezeichnet wird, ermöglicht es uns, zu lernen, uns zu erinnern und Schäden im Gehirn teilweise zu kompensieren.
Chronischer Stress kann jedoch die Struktur und Funktion des Gehirns beeinträchtigen. Er kann die Zellfortsätze im Hippocampus schädigen, was sich negativ auf das Gedächtnis auswirken kann, und den präfrontalen Cortex verändern, was es schwieriger macht, sinnvolle Entscheidungen zu treffen.
Frühe traumatische Erfahrungen können die Stressreaktion lebenslang beeinflussen, sodass Stresshormone schneller und intensiver ausgeschüttet werden.