Die Anwendung der Stimmgabel in der Neurologie

Die Stimmgabel ist ein vielseitiges diagnostisches Instrument, das in verschiedenen medizinischen Bereichen eingesetzt wird, insbesondere in der Neurologie und Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (HNO). In der Neurologie dient die Stimmgabel primär zur Beurteilung des Vibrationsempfindens, auch bekannt als Pallästhesie, welches eine Form der Feinwahrnehmung darstellt. Durch die Untersuchung der Sensibilität können neurologische Beeinträchtigungen, wie beispielsweise Erkrankungen des peripheren Nervensystems, frühzeitig erkannt und behandelt werden.

Grundlagen der Stimmgabelprüfung

Die neurologische Stimmgabel, oft eine Rydel-Seiffer-Stimmgabel, ist ein Metallinstrument mit zwei Zinken, die in Schwingung versetzt werden können. Diese Schwingungen werden auf bestimmte Knochenvorsprünge des Körpers aufgesetzt, um das Vibrationsempfinden des Patienten zu prüfen.

Durchführung des Stimmgabeltests

  1. Vorbereitung: Der Patient kann während des Tests sitzen oder liegen. Es werden keine Medikamente oder Chemikalien verabreicht, wodurch Risiken und Nebenwirkungen minimiert werden.
  2. Anschlagen der Stimmgabel: Eine 64-Hertz-Stimmgabel wird durch Zupfen der Zinken zwischen Daumen und Zeigefinger in Schwingung versetzt.
  3. Aufsetzen der Stimmgabel: Die vibrierende Stimmgabel wird auf einen Knochenvorsprung des Patienten aufgesetzt. Typische Stellen sind das Großzehengelenk, der Innenknöchel (untere Extremität), der Ellenbogen oder das Handgelenk (obere Extremität). Weitere zu prüfende Stellen sind Malleolus, Patella, Spina iliaca anterior superior, Finger und Handgelenk.
  4. Bewertung: Der Patient gibt an, wann er die Vibration nicht mehr spürt. Der Arzt kann den Wert auf einer Skala von 0-8 (oder 1/8 bis 8/8) ablesen, die sich an der Stimmgabel befindet. Die Rydel-Seiffer-Stimmgabel verfügt über Dämpfer mit schwarz-weißen Dreiecken, die eine visuelle Bewertung der Vibration ermöglichen. Je langsamer die Dreiecke vibrieren, desto höher ist der abgelesene Wert auf der Skala.

Normwerte und Interpretation

Der Normalwert für das Vibrationsempfinden liegt bei unter 60-jährigen Patienten zwischen 6/8 und 8/8. Eine verminderte Vibrationsempfindung wird als Pallhypästhesie bezeichnet.

  • Pallhypästhesie an der gesamten Extremität: Kann auf eine spinale Läsion hinweisen.
  • Gradient der Pallästhesie: Kann ein Zeichen für eine periphere Nervenläsion sein.

Zusätzliche Untersuchungsmethoden

Ergänzend zur Stimmgabelprüfung können weitere Sensibilitätsprüfungen durchgeführt werden, um die Diagnose zu untermauern und das Ausmaß der neurologischen Beeinträchtigung besser zu beurteilen.

  • Prüfung mit Fingern, Wattestäbchen oder Frey-Filamenten: Zur Beurteilung der Oberflächensensibilität.
  • Schmerzprüfung: Bei Verdacht auf Radikulopathien, wobei die Dermatome berücksichtigt werden.
  • Temperaturprüfung: Mit warmem und kaltem Wasser gefüllten Reagenzgläsern oder dem Stiel eines metallischen Reflexhammers oder einer Stimmgabel.
  • Lageprüfung: Zur Beurteilung der Tiefensensibilität.
  • Prüfung der Hidrosis: Durch Fühlen der Handinnenflächen und Fußsohlen.

Anwendung der Stimmgabel bei spezifischen Erkrankungen

Die Stimmgabelprüfung ist besonders relevant bei der Diagnose und Überwachung von Erkrankungen, die mit Nervenschädigungen einhergehen.

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Polyneuropathie

Polyneuropathien, die durch verschiedene Ursachen wie Diabetes, bakterielle Entzündungen oder toxische Nervenschädigungen entstehen können, führen häufig zu einer verminderten Vibrationsempfindung. Die Stimmgabel hilft, diese Nervenstörungen frühzeitig zu erkennen.

Diabetes

Diabetiker sind besonders anfällig für Nervenschäden (diabetische Neuropathie). Regelmäßige Stimmgabeltests, idealerweise einmal jährlich, können helfen, diese Schäden frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.

Andere neurologische Erkrankungen

Die Stimmgabel kann auch bei der Diagnose anderer neurologischer Erkrankungen hilfreich sein, die das Vibrationsempfinden beeinträchtigen, wie z.B. spinale Läsionen oder periphere Nervenläsionen.

Die Rydel-Seiffer-Stimmgabel im Detail

Die Rydel-Seiffer-Stimmgabel ist ein spezialisiertes Instrument zur quantitativen Bestimmung der Vibrationsempfindung. Sie schwingt mit einer Frequenz von 64 Hz und verfügt über gewichtete Enden sowie eine Skala zur objektiven Messung der Vibrationsempfindlichkeit.

Vorteile der Rydel-Seiffer-Stimmgabel

  • Hohe Präzision: Die genaue Frequenz und die gewichteten Enden sorgen für zuverlässige und reproduzierbare Ergebnisse.
  • Robuste Bauweise: Gefertigt aus hochwertigen Materialien, ist die Stimmgabel langlebig und widerstandsfähig.
  • Einfache Handhabung: Das Design ermöglicht eine einfache Anwendung und klare Ergebnisse.

Material und Bauweise

Die Stimmgabel besteht aus robustem Metall, oft Edelstahl, und verfügt über präzise abgestimmte, gewichtete Enden, die eine konsistente Vibration bei 64 Hz gewährleisten.

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Weitere medizinische Stimmgabeln

Neben der Rydel-Seiffer-Stimmgabel gibt es weitere spezialisierte Stimmgabeln für unterschiedliche Anwendungen.

Hartmann-Stimmgabeln

Hartmann-Stimmgabeln werden in der Audiometrie und neurologischen Diagnostik eingesetzt.

Weber-, Rinne- und Gellé-Stimmgabeln

Diese Stimmgabeln werden in der audiologischen Diagnostik verwendet, um das Hörvermögen zu prüfen und zwischen verschiedenen Arten von Hörverlust zu unterscheiden.

Die Stimmgabel in der HNO-Heilkunde

In der HNO-Heilkunde wird die Stimmgabel zur Untersuchung des Gehörs eingesetzt. Dabei werden physikalische Verfahren genutzt, um die Schallleitung über Luft- und Knochenleitung zu prüfen.

Durchführung der Hörprüfung

  1. Aufsetzen der Stimmgabel: Die Stimmgabel wird mittig auf dem Schädel des Patienten aufgesetzt.
  2. Erzeugung eines Tons: Durch Anschlagen der Stimmgabel wird ein Ton erzeugt (meist 440 Hz).
  3. Bewertung: Der Arzt beurteilt die Weiterleitung des Tons über Luft- und Knochenleitung, um Rückschlüsse auf mögliche Erkrankungen zu ziehen.

Tests und Diagnose

Durch unterschiedliche Frequenzen und Methoden können zahlreiche Tests vorgenommen werden, um die Diagnose weiter einzugrenzen. Diese Art der Untersuchung ist schmerzfrei und risikoarm.

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