Die Frontotemporale Demenz (FTD), früher bekannt als Morbus Pick, ist eine Form der Demenz, die häufig Menschen unter 65 Jahren betrifft und somit zu den Demenzen im jüngeren Lebensalter zählt. Sie ist durch den fortschreitenden Abbau von Nervenzellen in den Frontal- und Temporallappen des Gehirns gekennzeichnet. Diese Hirnregionen steuern wichtige Funktionen wie Verhalten, Persönlichkeit, Sprache und in selteneren Fällen auch die Bewegung. Im Vergleich zur Alzheimer-Demenz treten die Symptome bei einer FTD im Regelfall früher auf, meist zwischen 50 und 60 Jahren, wobei die Spanne sehr groß ist (20-85 Jahre).
Was ist Frontotemporale Demenz?
Die Frontotemporale Demenz (FTD) zeichnet sich durch eine Störung und letztendlichen Zelluntergang des Stirn- und Schläfenlappens des Gehirns aus. In diesen Bereichen werden wichtige Funktionen gesteuert, die vor allem die Persönlichkeit, das Verhalten und die Sprache betreffen. Im Laufe der Erkrankung werden die Hirnregionen zunehmend beschädigt und schrumpfen, was zu den Symptomen der FTD führt.
Ursprünglich wurde die Frontotemporale Demenz als Pick-Krankheit beziehungsweise dessen Fachbegriff Morbus Pick bezeichnet. Beide „Pickschen Ausdrücke“ gelten inzwischen als veraltet und werden daher kaum noch verwendet. Es ist wichtig zu beachten, dass die Pick-Krankheit, also die Frontotemporale Demenz, nicht mit der Niemann-Pick-Krankheit zu verwechseln ist. Die Niemann-Pick-Krankheit ist eine seltene Erbkrankheit, bei der sich übermäßig Fette in den Körperzellen ansammeln, weil der Körper sie nicht richtig abbauen kann.
In Bezug auf die Häufigkeit handelt es sich bei drei bis neun Prozent aller Demenzerkrankungen um eine FTD, während die Alzheimer-Krankheit vergleichsweise 70 Prozent aller demenziellen Erkrankungen ausmacht.
Symptome der Frontotemporalen Demenz
Je nachdem, welche Hirnregionen in welchem Ausmaß betroffen sind, treten bei einer Frontotemporalen Demenz (veraltet: Morbus Pick) unterschiedliche Symptome und Anzeichen auf. Diese Symptome können für Betroffene und ihre Familien sehr belastend sein, da sich die Person, die an einer Frontotemporaler Demenz erkrankt ist, immer mehr von ihrem früheren Ich unterscheidet. Die Medizin unterscheidet zwischen zwei Hauptformen beziehungsweise Varianten der Frontotemporalen Demenz. Bei der Verhaltensvariante der FTD verändern sich vor allem das Verhalten und die Persönlichkeit des Patienten. Bei der Sprachvariante der FTD ist in erster Linie die Kommunikationsfähigkeit vom Patienten beeinträchtigt. Im Krankheitsverlauf einer FTD sind die Patienten zunehmend beeinträchtigt. Wie schnell sich der Zustand verschlechtert, ist immer individuell. Die Frontotemporale Demenz kann jedoch in drei Stadien eingeteilt werden.
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Verhaltensvariante (bvFTD)
Charakteristisch für die bvFTD sind zunehmende Wesens- und Verhaltensänderungen, die sich im Sinne einer Enthemmung, aber auch in Form einer zunehmenden Antriebsarmut bis hin zur Einstellung jeglicher Aktivitäten einschließlich des Sprechens darstellen können. Im sozialen Kontakt zeigt sich meist schon früh ein Verlust von Umgangsformen mit Distanzlosigkeit, gesteigerter Impulsivität und Reizbarkeit bis hin zu offener Aggressivität, es kann aber zu sozialem Rückzug mit Verlust von Mitgefühl und Einfühlungsvermögen sowie affektiver Verflachung kommen. Typisch ist auch die Entwicklung von repetitiven, formstarr und zwanghaft anmutenden Bewegungsmustern und Aktivitäten, die sich auch sprachlich in Form von Stereotypien und Manierismen niederschlagen können. Häufig zu beobachten sind Änderungen der Essgewohnheiten mit übermäßiger Nahrungsaufnahme und der Entwicklung einer Vorliebe für Süßigkeiten und Kohlenhydrate, aber auch Verzehr von (ungenießbaren) Gegenständen.
Typische Symptome der verhaltensbetonten FTD sind unter anderem:
- Persönlichkeitsveränderungen
- Sozialer Rückzug
- Apathie (Teilnahmelosigkeit)
- Verlust von sozialem Bewusstsein
- Fehlende Einsicht
- Schlechte Impulskontrolle
- (sexuelle) Enthemmung
Sprachvarianten (Primär Progressive Aphasien, PPA)
Bei der Sprachvariante der Frontotemporalen Demenz entwickeln Patienten verschiedene Sprachstörungen, die stetig fortschreiten. In der Medizin wird die Sprachvariante der FTD unter dem Fachbegriff primär progressive Aphasien zusammengefasst. Kennzeichnend für die drei Unterformen der primär progredienten Aphasie sind sprachsystematische Beeinträchtigungen.
- Semantische Unterform: Person hat Schwierigkeiten, Bezeichnungen und Gegenstände in Einklang miteinander zu bringen. Die semantische Variante der PPA ist gekennzeichnet durch Benennstörungen und ein gestörtes Einzelwortverständnis, beim Schreiben und Lesen kommt es oft zu lautsprachlichen Fehlern (z. B. Tahl statt Tal). Die Betroffenen sprechen mit unauffälliger Sprechmelodie flüssig und grammatikalisch korrekt, die Äußerungen sind aber zunehmend inhaltsarm und durchsetzt von Floskeln, das Objektwissen ist meist schon früh beeinträchtigt.
- Progrediente nicht-flüssige/agrammatische Unterform: Person hat Schwierigkeiten, flüssig zu sprechen, weil es ihr schwerfällt, Sätze zu bilden. Sie lässt häufig einzelne kurze Wörter wie „ist“, „und“, „der“ oder „die“ weg und macht Fehler bei der Zeitform oder Endungen von Wörtern. Im Vordergrund der nicht-flüssigen Variante der PPA stehen dabei grammatikalische Fehler in Wort und Schrift, angestrengt stockendes, wenig moduliertes Sprechen mit inkonsistenten Lautfehlern (Sprechapraxie) sowie ein beeinträchtigtes Verständnis syntaktisch komplexer Sätze. Das Einzelwortverständnis ist dagegen wie auch das Objekt- bzw. Bedeutungswissen zunächst erhalten.
- Logopenische Unterform: Person hat vor allem Probleme beim Finden der richtigen Wörter. Ebenfalls können die Betroffenen gänzlich verstummen. Bei der logopenischen Variante der PPA kommt es zu Wortfindungsstörungen, häufigen Sprachpausen bei der Wortsuche und Problemen beim Wiederholen von Sätzen oder Satzteilen., auch zu Lautersetzungen beim Sprechen (z. B. Taum statt Baum) Verletzungen grammatikalischer Regeln treten, wenn überhaupt, zunächst nur in sehr milder Form auf, Suchbewegungen bei Aussprache im Sinne einer Sprechapraxie, wie sie bei der nfPPA zu beobachten sind, finden sich nicht.
Ebenfalls können die Betroffenen gänzlich verstummen. In manchen Fällen entwickeln Patienten auch eine Sprechstörung. Bei der sogenannten Sprechapraxie ist die Fähigkeit einer Person beeinträchtigt, die Bewegungen ihrer Lippen, Zunge und ihres Kiefers zu koordinieren, die für das Sprechen notwendig sind. Sprechapraxien sind auf Störungen im Gehirn zurückzuführen, die die Planung und Koordination der Sprachbewegungen betreffen.
Weitere Symptome
Bei manchen Patienten zeigen sich auch neurologische, körperliche Symptome, die man eher von Parkinson kennt: Die Körperhaltung ist verändert, eine Gangstörung liegt vor oder Patienten gehen nach vorne gebeugt. Menschen mit Bewegungsstörungen, wie einer veränderten Körperhaltung oder Gangstörung, haben ein erhöhtes Sturzrisiko. Um die Mobilität, Selbstständigkeit und Sicherheit der Betroffenen möglichst lange zu erhalten, können Sie spezielle Hilfsmittel, beispielsweise in Form von Gehhilfen, anschaffen. Auch Schlafstörungen und Müdigkeit können bei der Frontotemporalen Demenz auftreten. Im Gegensatz zu anderen Demenzformen, ist Müdigkeit bei der Frontotemporalen Demenz an sich kein typisches Symptom.
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Ursachen und Risikofaktoren
Die Ursachen für frontotemporale Demenz sind weitgehend unbekannt. In etwa der Hälfte der Fälle scheint es jedoch eine familiäre Häufung der Demenzerkrankung zu geben. In einigen Fällen, etwa zehn Prozent, wird das gehäufte Auftreten von FTD innerhalb einer Familie mit bestimmten Genen in Verbindung gebracht.
Die Ursache für Frontotemporale Demenz ist bei bis zu 40% der Fälle genetisch: Wer die entsprechende genetische Veränderung in sich trägt, erkrankt unausweichlich. Mindestens 20% der Fälle sind genetisch-bedingt, wobei ursächliche Veränderungen in mehr als 20 verschiedenen Genen beschrieben wurden. Die in Patienten mit europäischer Herkunft am häufigsten veränderten Gene sind C9orf72, GRN (Progranulin), MAPT (tau) und TBK1. Bei der Mehrheit der Fälle bleibt die Ursache jedoch genetisch unklar. Neuropathologisch zeigen Nervenzellen von Erkrankten Einschlüsse bestimmter Proteine (TDP-43, FUS, tau, Beta-Amyloid). Man geht davon aus, dass diese Protein-Pathologien die normale Funktion der Nervenzellen beeinträchtigen und zu deren Absterben führen.
Da Alkohol ein Nervengift ist, kann er bei übermäßigem Konsum dazu führen, dass Nervenzellen im Gehirn absterben. Vor allem bei Personen unter 65 Jahren kann längerer, zu hoher Alkoholkonsum die Entstehung einer frühen Demenz begünstigen.
Diagnose der Frontotemporalen Demenz
Der Weg zur Diagnose einer FTD ist in der Regel komplex und erfordert mehrere Untersuchungen. Zunächst sammelt der Arzt wichtige Informationen über die Symptome, die Krankheitsgeschichte des Patienten und mögliche familiäre Vorbelastungen. Besonderes Augenmerk wird auf Veränderungen im Verhalten, in der Persönlichkeit, in der Sprache und in den kognitiven Fähigkeiten gelegt. Neuropsychologische Tests helfen dabei, das Ausmaß und die Art der kognitiven Beeinträchtigung zu bewerten.
Besteht der Verdacht auf eine Frontotemporale Demenz, wird der Arzt einen Demenz-Test, zum Beispiel das Frontal Behavioral Inventory, durchführen. Dieser Test alleine reicht allerdings nicht zur Diagnosestellung einer FTD aus.
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Die folgenden Diagnoseformen kommen bei Verdacht auf FTD zum Einsatz:
- Psychologische Tests (Sprache, Gedächtnis, Denkvermögen)
- Gespräche mit den Angehörigen zu Verhaltensauffälligkeiten
- Untersuchung der Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit (Liquorpunktion)
Spezifische Labortests zum Nachweis einer frontotemporalen Demenz existieren bislang nicht, dafür nehmen bildgebende Verfahren bei der Diagnostik eine zentrale Funktion ein. Bildaufnahmen des Gehirns im Rahmen einer Magnetresonanztomographie (MRT) und Computertomographie (CT) können strukturelle Veränderungen im Frontal- und Temporallappen aufzeigen, die für eine FTD charakteristisch sind. Weil Nervenzellen absterben, nimmt die Masse des Hirngewebes bei einer FTD ab. Mittels Positronen-Emissions-Tomografie (PET) kann indes die Stoffwechselaktivität des Gehirns sichtbar gemacht werden. Hier ist häufig bereits im Frühstadium ein reduzierter Zuckerverbrauch der Nervenzellen im Stirn- und Schläfenlappen auffällig.
Im Rahmen der Diagnostik ist es wichtig, auch andere mögliche Ursachen für die Symptome auszuschließen. Zum Ausschluss anderer Erkrankungen kann das Liquor untersucht werden.
Therapie der Frontotemporalen Demenz
Es gibt noch keine gezielte Therapie zur Behandlung einer Frontotemporalen Demenz, weil die Ursachen dieses Demenztyps nicht bekannt beziehungsweise nicht beeinflussbar sind. Da die Frontotemporale Demenz bislang nicht heilbar ist, sollten sich Betroffene gut überlegen, ob sie einen Gentest machen lassen. Gegebenenfalls ist das frühe Wissen hilfreich, um gewisse Angelegenheiten weiter im Voraus planen zu können. So können sich Betroffene und Angehörige beispielsweise frühzeitig über die FTD informieren, Gespräche über mögliche Szenarien führen, ein unterstützendes Netzwerk aufbauen und wichtige Vorsorgedokumente, wie eine Patientenverfügung, erstellen.
Im Rahmen der Demenz-Therapie können auffällige Verhaltensweisen medikamentös gemildert werden. Bei einer Frontotemporalen Demenz werden häufig Beruhigungsmittel oder Antidepressiva verschrieben. Medikamente wie diese können aber auch Nebenwirkungen wie Muskelsteifheit oder Müdigkeit hervorrufen. Die nicht-medikamentöse Therapie bei Frontotemporaler Demenz setzt vor allem auf Maßnahmen, die den Lebensstil betreffen. Jeder Patient ist einzigartig. Was bei der einen Person mit FTD womöglich gut klappt, funktioniert bei einer anderen Person weniger gut. pflege.de empfiehlt Ihnen, verschiedene Methoden auszuprobieren. Halten Sie Ihre Erfahrungen hierbei stichpunktartig fest.
Aktuelle Forschungsansätze
Aktuelle Forschungen im Bereich Frontotemporale Demenz konzentrieren sich auch auf neue Therapieansätze, präzise Biomarker und innovative Diagnostikmethoden. Forschende der Medizinischen Fakultät der LMU und des Deutschen Zentrums für Neurodgenerative Erkrankungen (DZNE) haben in enger Zusammenarbeit mit Denali Therapeutics in San Francisco nun einen Therapieansatz entwickelt, der es ermöglicht, das fehlende Protein im Gehirn zu ersetzen und ihre Ergebnisse im Fachmagazin Science Translational Medicine veröffentlicht. „Hierzu haben wir Progranulin in das Erbgut eines Virus eingebaut“, erklärt Dr. Anja Capell, Leitende Wissenschaftlerin am Biomedizinischen Centrum der LMU und eine der Seniorautorinnen. Im Anschluss spritzte das Team die so modifizierten Viren in die Blutbahn von Mausmodellen. „Der Virus befiel gezielt Leberzellen, die dann Progranulin in großen Mengen produzieren und in das Blut abgeben.“ So umgeht dieser Ansatz die Injektion von Viren direkt in das Gehirn, was mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden sein könnte.
Mit ihrem Ansatz konnten die Forschenden zeigen, dass Formen der Frontotemporalen Demenz, die auf einem teilweisen Verlust von Progranulin beruhen, in vorklinischen Versuchen mithilfe einer Ersatztherapie behandelbar sind.
Das FRONTAL-Projekt entwickelt ein neuartiges Therapeutikum zur Behandlung von FTD mit fehlgefalteter Tau-Protein-Aggregation, wobei autophagie-modulierende Moleküle und spezifische Biomarker wie Protein- und S-Nitrosylierungs-Profile untersucht werden, um klinische Studien vorzubereiten. Parallel dazu arbeiten Wissenschaftler:innen an der Identifizierung proteomischer Biomarker, die den Beginn klinischer Symptome bei genetisch bedingter FTD vorhersagen können, indem sie hochspezifische Technologien wie die Massenspektrometrie nutzen. Eine weitere Innovation stammt vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), das KI-gestützte Sprachtests entwickelt, um minimale sprachliche Veränderungen als Frühindikatoren für FTD zu identifizieren. Diese Tests sollen eine schnelle und einfache Diagnostik ermöglichen, die perspektivisch auch per Telefon erfolgen könnte.
Leben mit Frontotemporaler Demenz
Frontotemporale Demenz ist eine Herausforderung sowohl für die Betroffenen als auch für ihre Angehörigen. Informieren Sie sich: Der Umgang mit Demenz muss gelernt sein. Verstehen Sie, was Frontotemporale Demenz ist, welche Symptome sie verursacht und wie sie sich im Laufe der Zeit entwickeln kann. Treffen Sie frühzeitig rechtliche Vorkehrungen: Erstellen Sie rechtzeitig Vollmachten und Verfügungen. Passen Sie die Kommunikation an: Die Kommunikation mit Demenzerkrankten ist häufig nicht so einfach. Formulieren Sie möglichst einfache Sätze. Schaffen Sie Routinen im Alltag: Ein geregelter Tagesablauf gibt Patienten mit FTD Sicherheit und kann dazu beitragen, Verwirrung zu reduzieren. Schaffen Sie ein demenzgerechtes Zuhause: Passen Sie das häusliche Umfeld Ihres betroffenen Angehörigen Stück für Stück an, um eine Wohlfühlatmosphäre zu erzeugen und die Sicherheit zu erhöhen. Bleiben Sie geduldig: Veränderungen im Verhalten und in der Persönlichkeit können sehr belastend sein - gerade für die Angehörigen. Achten Sie bei allem auch auf sich selbst: Vergessen Sie Ihre eigene Gesundheit und Ihr Wohlbefinden nicht. Schaffen Sie positive Momente: Versuchen Sie, trotz aller Herausforderungen auch schöne Momente miteinander zu erleben. Gemeinsame Aktivitäten wie Musik hören, Fotos anschauen oder Zeit an der frischen Luft verbringen tun meist gut und können die Bindung stärken.
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