Susac-Syndrom: Eine interdisziplinäre Herausforderung in der Neurologie

Das Susac-Syndrom (SuS), benannt nach dem US-amerikanischen Neurologen John O. Susac, ist eine äußerst seltene neurologische Erkrankung, die durch eine Trias aus Enzephalopathie, Sehstörungen und Hörstörungen gekennzeichnet ist. Es wurde erstmals 1979 als "Mikroangiopathie des Gehirns und der Netzhaut" beschrieben. Obwohl weltweit nur etwa 500 Fälle bekannt sind, deutet die hohe Dunkelziffer darauf hin, dass das Susac-Syndrom im klinischen Alltag oft unterdiagnostiziert und fehldiagnostiziert wird. Dies liegt vor allem an der Seltenheit der Erkrankung und der oft unvollständigen oder zeitlich versetzten Manifestation der Symptome.

Klinische Präsentation und Symptome

Das Susac-Syndrom betrifft vorwiegend junge Frauen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren, obwohl auch Männer und andere Altersgruppen betroffen sein können. Die Symptome treten meist akut innerhalb weniger Tage auf, können aber auch schleichend beginnen. Häufige initiale Symptome sind:

  • Kopfschmerzen: Sie sind oft das erste Anzeichen und können migräneartigen Charakter haben. In Kombination mit Sehstörungen kann dies zu Fehldiagnosen wie Migräne oderPosterior reversible Enzephalopathie-Syndrom (PRES) führen.
  • Psychische Veränderungen: Psychomotorische Verlangsamung, Apathie, Konzentrationsstörungen, Desorientiertheit, Agitation und sogar paranoid-halluzinatorische Symptomatik können auftreten. Verwirrtheitszustände sind ein wichtiges Warnsignal.
  • Fokal neurologische Defizite: Sensibilitätsstörungen, Paresen, Gangunsicherheit, Ataxien und feinmotorische Störungen können auftreten.
  • Sehstörungen: Sie manifestieren sich als Visusminderungen, Skotome, verschwommenes Sehen, Photopsien oder Doppelbilder. Diese Symptome sind auf retinale Arterienastverschlüsse (BRAOs) zurückzuführen. Unbehandelt drohen bleibende Gesichtsfeldausfälle bis hin zur Erblindung.
  • Hörstörungen: Typischerweise tritt eine Schallempfindungsschwerhörigkeit auf, die rasch fortschreitet und meist beidseitig auftritt. Tinnitus und Schwindel können ebenfalls vorhanden sein. Im Audiogramm zeigt sich oft eine Tieftonschwerhörigkeit.

Diagnostische Kriterien

Die Diagnose des Susac-Syndroms kann eine Herausforderung darstellen, da die Symptome variabel und nicht immer gleichzeitig auftreten. Die Diagnosekriterien umfassen:

I. Definitives Susac-Syndrom:

  1. Hirnbeteiligung:
    • Symptome und klinische Befunde: Neue kognitive Beeinträchtigung und/oder Verhaltensänderungen und/oder neue fokale neurologische Symptome und/oder neu aufgetretene Kopfschmerzen.
    • Bildgebung: Typische Befunde im kranialen MRT - hyperintense, multifokale, runde kleine Läsionen, mindestens eine davon im Corpus callosum ("Schneeball") in T2 (oder FLAIR) gewichteten Sequenzen.Um 1. zu erfüllen, müssen mindestens einer der klinischen Befunde und die typischen MRT-Befunde dokumentiert sein.
  2. Netzhautbeteiligung:
    • Klinische Befunde und Symptome: Nicht erforderlich.
    • Ophthalmologische Untersuchung: BRAOs oder AWH in der Fluoreszenz-Angiographie oder charakteristische Zeichen einer Netzhautast-Ischämie in der Funduskopie oder OCT.Für Punkt 2 muss mindestens eine BRAO oder AWH in der Fluoreszenz -Angiographie oder eine Netzhautast-Ischämie in der Funduskopie oder ein entsprechender Schaden in der OCT muss dokumentiert sein.
  3. Vestibulokochleäre Beteiligung:
    • Symptome und klinische Befunde: Neuer Tinnitus und/oder Hörverlust und/oder peripherer Schwindel.
    • Untersuchung der Innenohrfunktion: Der Hörverlust muss durch ein Audiogramm belegt werden. Der vestibuläre Schwindel muss durch eine speifizifizierte Diagnostik nachgewisen werden.Um Punkt 3 zu erfüllen, muss mindestens einer der klinischen Befunde vorliegen und die Schwerhörigkeit oder der Schwindel muss durch spezifische Untersuchungen der Innenohrfunktion unterstützt werden.

II. Wahrscheinliches Susac-Syndrom:

Unvollständige Trias, nur zwei der drei vorgenannten Kriterien 1-3 sind erfüllt.

III. Mögliches Susac-Syndrom:

Bei allen anderen Patienten, die einige klinische und/oder paraklinische Anzeichen der obigen Trias aufweisen, aber weder I noch II erfüllen, muss das Susac-Syndrom in die Differenzialdiagnosen einbezogen werden, sollte aber nicht als wahrscheinlichste Diagnose angesehen werden.

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Diagnostische Verfahren

Zur Diagnosesicherung sind verschiedene Untersuchungen erforderlich:

  • Magnetresonanztomographie (MRT) des Gehirns: Typische Befunde sind multifokale, hyperintense Läsionen in den T2-gewichteten Sequenzen, insbesondere im Corpus callosum ("Schneeball-Läsionen"). Kontrastmittelaufnehmende Parenchymläsionen können ebenfalls vorhanden sein.
  • Augenärztliche Untersuchung:
    • Funduskopie: Nachweis von Gefäßstenosen (langstreckig, perlschnurartig mit Kaliberschwankungen), Zentralarterienverschlüssen, Arterienastverschlüssen (BRAO), Cotton-Wool-Herden und retinalen Mikroaneurysmen.
    • Retinale Fluoreszenzangiographie: Wichtig zum Nachweis von Gefäßstenosen und -verschlüssen sowie Extravasaten der retinalen Gefäße (Kapillarleckage).
    • Optische Kohärenztomographie (OCT): Ausdünnung der retinalen Nervenfaserschicht, der inneren plexiformen, inneren nukleären, äußeren plexiformen Schicht und der Ganglienzellschicht. Die äußere nukleäre Schicht und die Photorezeptorenschicht sind typischerweise ausgespart.
    • Gesichtsfeldperimetrie: Gesichtsfelddefekte sind möglich, aber auch unauffällige Befunde.
  • Hals-Nasen-Ohren-ärztliche Untersuchung:
    • Audiogramm: Typischerweise Tieftonschwerhörigkeit.
    • Kalorikprüfung: Kalorische Untererregbarkeit des Vestibularorgans.

Pathophysiologie

Die genaue Ursache des Susac-Syndroms ist noch nicht vollständig geklärt. Es wird vermutet, dass es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt, bei der zytotoxische CD8+-T-Zellen eine Endotheliopathie verursachen. Diese Zellen greifen die Endothelzellen der kleinen Blutgefäße in Gehirn, Netzhaut und Innenohr an, was zu Entzündungen und Gefäßverschlüssen führt.

Neuere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass CD8 T-Zellen eine wesentliche Rolle in der Pathophysiologie spielen. SuS-Patienten zeigen einen erhöhten Anteil von enddifferenzierten CD8 Gedächtnis T-Zellen (TEMRA) und bona fide zytotoxischen T-Zellen (CTL) im Blut. CD8 T-Effektor Zellen von SuS Patienten sind resistent gegenüber der Suppression durch regulatorische T-Zellen, produzieren verstärkt Granzym B und Perforin und weisen eine erhöhte T-Zell Rezeptor (TZR) vermittelte Zytotoxizität auf. Im Vergleich zu sowohl gesunden Probanden als auch Multiple Sklerose (MS) Patienten ist das CD8 TZR Repertoire beim SuS stark verändert und SuS spezifische CD8 T-Zell Klone konnten identifiziert werden.

Differenzialdiagnosen

Aufgrund der vielfältigen Symptome und der Seltenheit des Susac-Syndroms müssen verschiedene Differenzialdiagnosen in Betracht gezogen werden, darunter:

  • Multiple Sklerose (MS)
  • Akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM)
  • Vaskulitiden
  • Migräne
  • Posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom (PRES)
  • Andere neurologische, psychiatrische, ophthalmologische und otorhinolaryngologische Erkrankungen

Therapie

Die Therapie des Susac-Syndroms zielt darauf ab, die Entzündung zu reduzieren und das Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung sind entscheidend, um irreversible Schäden zu minimieren. Die Behandlung umfasst in der Regel:

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  • Hochdosierte Kortikosteroide: Initial wird meist Methylprednisolon intravenös verabreicht, gefolgt von einer oralen Prednisolon-Therapie. Die Dosis sollte nur langsam reduziert werden, um Rückfälle zu vermeiden.
  • Immunsuppressiva: Kortikoidsparende Immunsuppressiva wie Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil, Cyclophosphamid oder Methotrexat werden häufig eingesetzt, um die langfristige Entzündungskontrolle zu gewährleisten.
  • Intravenöse Immunglobuline (IVIG): IVIG können bei unzureichendem Ansprechen auf Kortikosteroide und Immunsuppressiva eingesetzt werden.
  • Biologika: In einigen Fällen können Biologika wie Rituximab (ein monoklonaler Antikörper gegen B-Zellen) oder Infliximab (ein TNF-alpha-Inhibitor) in Betracht gezogen werden, insbesondere bei refraktären oder rezidivierenden Fällen.
  • Acetylsalicylsäure (ASS): ASS kann zur Verhinderung von Thromboembolien eingesetzt werden.

Prognose

Die Prognose des Susac-Syndroms ist günstig, wenn eine frühzeitige Diagnose und Therapie erfolgen. Mit einer adäquaten Behandlung können viele Symptome zurückgebildet und irreversible Schäden verhindert werden. Allerdings kann die Erkrankung einen schubweisen Verlauf nehmen, so dass eine langfristige Überwachung und Behandlung erforderlich sind.

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