Plötzliche Bewusstlosigkeit mit zuckenden Extremitäten - ist das ein epileptischer Anfall oder eine Synkope? Die Unterscheidung ist entscheidend für die richtige Diagnose und Behandlung. Oftmals werden Synkope und epileptischer Anfall verwechselt, da auch bei Synkopen initial "Zuckungen" der Extremitäten auftreten können (sog. konvulsive Synkope). Dieser Artikel beleuchtet die Unterschiede zwischen Synkopen und epileptischen Anfällen und zeigt, wie man sie anhand gezielter Fragen und Untersuchungen differenzieren kann.
Einführung
Bei plötzlicher Bewusstlosigkeit ohne vorangegangenes Schädel-Hirn-Trauma muss vor allem zwischen Synkope, epileptischem und psychogenem Anfall unterschieden werden. Etwa die Hälfte der Patienten mit fälschlich vermuteter Epilepsie leiden in Wahrheit an rezidivierenden Synkopen, während etwa ein Drittel psychogene nicht-epileptische Anfälle hat.
Anamnese: Der Schlüssel zur Differenzierung
Eine sorgfältige Anamnese ist entscheidend, um die Ursache der Bewusstlosigkeit zu ermitteln. Neben dem Patienten selbst sollten auch Zeugen des Anfalls, wie Familienmitglieder, befragt werden. Wichtig ist zu klären, ob die Bewusstlosigkeit zum ersten Mal aufgetreten ist oder ob es zuvor schon ähnliche Ereignisse gegeben hat. Vorboten der Episode, die Kenntnis der unmittelbaren Auslöser, die Dauer der Episode und das Geschehen unmittelbar danach können bei der Abgrenzung der Ursachen weiterhelfen. Rettungsdienst/Anwesende befragen!
Ursachen von Synkopen
Synkopen sind meist durch eine Minderdurchblutung des Gehirns bedingt. Unter den Begriff der vasovagalen Synkopen fallen neurokardiogene, emotional induzierte und Karotissinussynkopen. Mitunter fehlt ein erkennbarer Trigger. Kardiale Synkopen treten vor allem bei Herzrhythmusstörungen auf. Zu orthostatischen Synkopen kommt es bei einem schnellen Blutdruckabfall ohne adäquate Gegenregulation, etwa bei Volumenmangel oder als Nebenwirkung von Medikamenten.
Formen von Synkopen
- Reflexsynkope ("neurokardiogene Synkope" - meist Niedrigrisiko): Typische Prodromi: Schwitzen, Hitzegefühl, Übelkeit, Blässe.
- Vasovagale Synkope: u.a. bei Angst, Schmerz, langem Stehen, Valsalva-Manöver (Krafttraining).
- Situative Synkope: u.a. nach Husten, Lachen, Miktion, Defäkation, Erbrechen, Niesen, Schlucken (= jeweils durch verminderten venöser Rückstrom).
- Karotissinussynkope: Karotis-Sinus-Hypersensitivität → typisch: bei Kopfdrehung/Reklination, enger Krawatte, Rasieren, Z.n. Carotisintervention, ältere Patient:innen.
- Orthostatische Synkope: Typisch: Synkope bei raschem Aufstehen, ggf. sogar bei raschem Aufsetzen.
- Orthostatische Dysregulation
- Volumenmangel: absoluter Volumenmangel (z.B. bei Erbrechen, Dehydratation, Diarrhö aber auch bei Hämorrhagie (z.B. Gi-Blutung), sowie „relativer“ (distributiver) Volumenmangel bei Sepsis, Anaphylaxie).
- (Neue?) Medikamente: z.B. Antihypertensiva, Betablocker, Psychopharmaka…
- Kardiale Synkope (Hochrisiko-Synkope): Mögliche Prodromi: Palpitationen, Thoraxschmerz, Dyspnoe
- Arrhythmien: z.B. tachykarde Rhythmusstörungen wie (intermittierende) ventrikuläre Tachykardie oder Bradykardie (z.B. höhergradiger AV-Block).
- Strukturelle Herzkrankheit: nicht adäquate Reaktion auf Bedarf z.B. bei Aortenklappenstenose, kardiale Dysfunktion bei Myokardinfarkt.
- Lungenembolie
- Aortensyndrom
Ursachen von Epileptischen Anfällen
Bei epileptischen Anfällen liegt die Ursache im Gehirn, wenn sich Gruppen von Neuronen pathologisch synchronisiert immer wieder entladen. Fokale Anfälle beginnen dabei mit der Aktivierung eines eng begrenzten Areals, sie können sich im nächsten Schritt aber auf beide Hirnhemisphären ausbreiten. Demgegenüber findet sich bei generalisierten Anfällen von Anfang an kein Hinweis auf eine bestimmte Lokalisation der verantwortlichen Nervenzellen. Psychogene nicht-epileptische Anfälle schließlich treten oft als Begleitsymptom verschiedener psychiatrischer Diagnosen auf. Sie gehen nicht auf neuronale Überaktivierungen zurück.
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Ein Krampfanfall (epileptischer Anfall) entsteht durch eine überschießende Entladung von Neuronen im Gehirn. In Abhängigkeit vom Ort und der Ausprägung der Anfälle variiert die Phänomenologie erheblich. Sie reicht z. B. Es wird zwischen generalisierten und fokalen Krampfanfällen unterschieden. Generalisierte Krampfanfälle betreffen beide Gehirnhälften gleichermaßen, während fokale Krampfanfälle nur in einem begrenzten Bereich einer Hirnhälfte stattfinden.
- Generalisierte Anfälle:
- Der generalisierte tonisch-klonische Anfall (früher „Grand mal“), ist die eindrücklichste Form des Krampfanfalls. Er besteht aus einer tonischen Phase, in welcher sich die Muskeln versteifen und der Patient ohne jegliche Schutzreflexe plötzlich stürzt. Hierbei kann es zu einem Versteifen der Atemmuskulatur kommen, wodurch ein kurzzeitiger Atemstillstand entsteht. Im Anschluss folgt die klonische Phase mit Zuckungen der gesamten Körpermuskulatur, sichtbar vor allem an den Extremitäten. Im Anschluss folgt eine ausgiebige postiktale Phase mit neurologischen Symptomen.
- Im Rahmen eines myoklonischen Anfalls treten bei vollem Bewusstsein plötzlich unwillkürliche Muskelzuckungen auf. Diese Anfälle dauern nur wenige Sekunden an und betreffen vorwiegend die Arme, Schultern oder den Oberkörper.
- Absencen sind kurze und plötzlich einsetzende Abwesenheiten mit stark eingeschränktem oder völlig fehlendem Bewusstsein. Sie dauern wenige Sekunden an, beginnen und enden abrupt und haben anders als der generalisiert tonisch-klonische Anfall keine Aura.
- Fokale Anfälle:
- Der fokale Krampfanfall findet in einem begrenzten Bereich eine Hirnhälfte statt. Bei einem komplex-fokalen Anfall kommt es neben der lokal begrenzten Symptomatik zusätzlich zu Bewusstseinsstörungen. Patienten können Automatismen wie Schmatzen oder Lippenlecken zeigen. Wenn sich ein fokal beginnender Anfall über beide Hemisphären des Gehirns ausbreiten, kann es zu einem generalisiert tonisch-klonischen Anfall kommen.
Differenzierung: Anamnese, Klinik und Diagnostik
Die Differenzierung zwischen Synkope und epileptischem Anfall basiert auf einer Kombination aus Anamnese, klinischer Untersuchung und diagnostischen Maßnahmen.
Anamnese
- Vorboten: Synkopen haben oft Prodromi wie Schwitzen, Hitzegefühl, Übelkeit oder Schwarzwerden vor Augen. Epileptische Anfälle können eine Aura haben (z.B. sensorische, visuelle oder olfaktorische Wahrnehmungen).
- Auslöser: Synkopen können durch langes Stehen, Angst, Schmerz, Karotissinusmassage oder bestimmte Situationen (z.B. Miktion, Defäkation) ausgelöst werden. Epileptische Anfälle können durch Schlafentzug, Stress oder Lichtblitze provoziert werden.
- Verlauf: Synkopen sind typischerweise kurz (Sekunden bis wenige Minuten) und führen zu rascher Erholung. Epileptische Anfälle können länger dauern und eine postiktale Phase mit Verwirrtheit, Müdigkeit oder neurologischen Defiziten haben.
- Zungenbiss: Ein lateraler Zungenbiss spricht eher für einen Krampfanfall. Zungenbiss alleine ist für Differenzierung nicht hilfreich.
- "10-20 Regel": Weniger als 10 beobachtete "Zuckungen" sprechen für Synkope, mehr als 20 Zuckungen hochwahrscheinlich für Krampfanfall. Hier sind die Auskünfte der Zeugen sehr hilfreich.
- Rasches Wachwerden nach Kollaps: spricht für Synkope und gegen epileptischen Anfall (hier fast immer postiktale Phase). Anwesend Gewesene befragen!
Klinische Untersuchung
- Vitalzeichen: Bei Synkopen kann ein niedriger Blutdruck oder eine Bradykardie auffallen.
- Neurologischer Status: Nach einem epileptischen Anfall können neurologische Defizite (z.B. Schwäche, Sprachstörung) bestehen.
- Herzuntersuchung: Bei Verdacht auf kardiale Synkope sollte eine Auskultation des Herzens erfolgen.
Diagnostik
- EKG: Ein 12-Kanal-EKG sollte bei jeder Synkope durchgeführt werden, um Herzrhythmusstörungen oder andere kardiale Ursachen auszuschließen. Strukturierte EKG-Befundung (“WOBBLERR”). EKG-Monitoring in Notaufnahme nutzen: Rhythmusstörungen? Bradykardie? Tachykardie?
- Blutuntersuchungen: Eine Blutgasanalyse (BGA) kann Elektrolytstörungen oder Hypoglykämie aufdecken. Bei Verdacht auf eine Synkope als Symptom einer kritischen Erkrankung sollten weitere Laboruntersuchungen (Blutbild, Niere, CRP) durchgeführt werden.
- EEG: Ein Elektroenzephalogramm (EEG) kann bei Verdacht auf einen epileptischen Anfall durchgeführt werden, um die Hirnströme zu untersuchen.
- Weitere Untersuchungen: Je nach Verdacht können weitere Untersuchungen wie ein Kipptischtest, eine Echokardiographie oder eine neurologische Bildgebung (CT, MRT) erforderlich sein.
Killer Red Flags
Hinweise auf Hochrisiko-Synkope:
- Synkope bei Belastung oder im Liegen
- Palpitationen, AP oder Dyspnoe, direkt vor oder nach Synkope
- Plötzlicher (Herz-)Tod in der Familie
- Bekannte KHK/Herzinsuffizienz
- EKG-Auffälligkeiten - s. Synkopen-EKG
- Auffällige Vitalwerte (insb. Hypotonie)
- Anhaltende Beschwerden (und anhaltend auffällige Vitalwerte!)
Strukturierte EKG-Befundung bei Synkope
Merkhilfe für Risiko-EKGs bei Synkope: „WOBBLERR“:
Der Algorithmus läuft von „links nach rechts“ im EKG - von P zu T. Zusätzlich nach Zeichen einer akuten Ischämie oder bedrohlichen Rhythmusstörung suchen.
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- WPW (Deltawelle oder PQ <120ms)
- Obstructed AV (AV-Block II° oder III°)
- Block (bi-/trifaszikulärer Block, neuer LSB/RSB)
- BLLeft ventricular hypertrophy (linksventrikuläre Hypertrophie)
- EEpsilon-Wave (bei arrhythmogener rechtsventrikulärer Kardiomyopathie ARVCM)
- RRepolarisation abnormality (inbesondere Long-QT-Syndrom)
- RRight heart strain (Zeichen der (akuten) Rechtsherzbelastung)
Konvulsive Synkope
Potenziell jede Synkopen-Form kann infolge temporärer zerebraler Hypoxie initial oft einige krampfartige Entäußerungen zeigen. So wird aus einer Synkope rasch ein "V.a. Krampfanfall“, mit potenziellen Konsequenzen, wie umfangreicher neurologischer Diagnostik bis hin zu Fahrverboten bei V.a. Epilepsie.
Therapie
Die Therapie richtet sich nach der Ursache der Bewusstlosigkeit. Bei Synkopen stehen Maßnahmen zur Kreislaufstabilisierung im Vordergrund, während bei epileptischen Anfällen eine antikonvulsive Therapie erforderlich sein kann.
Therapie eines Krampfanfalls
Die Therapie eines Krampfanfalls unterscheidet sich zwischen einem noch andauernden und einem bereits abgeschlossenen Anfall.
- Krampf medikamentös durchbrechen:
- Midazolam i.n / i.m. oder i.v.
- Lorazepam i.v.
- Ein epileptische Anfall, welcher länger als 5 Minuten anhält, oder mehr als 2 aufeinanderfolgende Anfälle über einen Zeitraum von mehr als 5 Minuten ohne Wiedererlangen des Bewusstseins, werden als Status epilepticus bezeichnet stellen ein dringend therapiebedürftiges Notfallbild dar!
- Bei Patienten mit einer Neigung zu Anfallsserien kann die Gabe von Notfallmedikamenten abweichend bereits nach dem ersten Anfall erwogen werden.
- Neben der möglichen Gabe eines Benzodiazepine zur Durchbrechung des Krampfanfalls, sollten stets potenziell patientengefährdende Gegenstände entfernen werden.
- Als Medikament kommt bei den meisten Rettungsdiensten Midazolam aufgrund seiner umfangreichen Applikationswege zum Einsatz.
- Sollte der Krampfanfall abgeschlossen sein erfolgt die Behandlung nach dem ABCDE-Schema. Sicherung der Atemwege (evtl.
- Grundsätzlich sollte jeder Patient bei Auftreten eines erstmaligen Krampfanfalls in einer Klinik mit neurologischer Fachabteilung vorgestellt werden. Bekannte Epileptiker hingegen müssen nicht zwingend in eine Klinik gebracht werden, hier sollte zusammen mit dem Patienten, Angehörigen etc. eine Lösung gefunden werden.
- Epileptische Anfälle müssen von Gelegenheitskrämpfen abgegrenzt werden. Dies sind im Kindesalter z.B. Fieberkrämpfe und bei Erwachsenen Krämpfe bedingt durch Alkohol- oder Drogenabusus oder Dehydration (Aufzählung nicht abschließend).
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