Konvulsive Synkope: Differentialdiagnose zur Epilepsie

Synkopen und epileptische Anfälle können aufgrund ähnlicher Symptome, wie beispielsweise Zuckungen, leicht miteinander verwechselt werden. Dieser Artikel soll helfen, die konvulsive Synkope von der Epilepsie abzugrenzen und die richtige Diagnose zu finden.

Einführung

Nach einem Krampfanfall kommen viele Patient:innen in den Rettungsdienst oder in die Notaufnahme. Es ist wichtig zu klären, ob es sich um eine Synkope oder einen epileptischen Anfall handelt, um die richtige Behandlung einzuleiten. Oftmals werden Synkope und epileptischer Anfall verwechselt, da auch bei Synkopen initial "Zuckungen" der Extremitäten auftreten können (sog. konvulsive Synkope).

Definitionen

Es ist wichtig, die verschiedenen Begrifflichkeiten zu kennen, um die Thematik richtig einordnen zu können:

  • TLOC (Transient Loss of Consciousness): Überbegriff für kurzzeitigen Bewusstseinsverlust
  • Synkope: Kurzzeitige zerebrale Hypoperfusion mit Tonus- und Bewusstseinsverlust mit vollständiger Erholung!
  • Prä-Synkope: Gefühl, gleich bewusstlos zu werden - ähnliche Prognose wie „echte“ Synkope
  • Kollaps: Kurzzeitiger Verlust des Muskeltonus ohne Bewusstseinsverlust (oft in der Notaufnahme nicht sicher von Synkope zu unterscheiden)
  • Nicht-synkopaler TLOC: Bewusstseinsverlust anderer Ursache (neurologisch, metabolisch, intoxikationsbedingt, psychogen)

Ursachen von Synkopen

Synkopen werden durch eine kurzzeitige Minderdurchblutung des Gehirns verursacht. Die Ursachen hierfür können vielfältig sein:

  • Reflexsynkope (neurokardiogene Synkope): Fehlregulation des autonomen Nervensystems, die zu einer plötzlichen Gefäßerweiterung und somit zu einer Minderdurchblutung des Gehirns führt. Es gibt verschiedene Unterformen:
    • Vasovagale Synkope (Angst, Schmerz, langes Stehen, Valsalva-Manöver)
    • Situative Synkope (Husten, Lachen, Miktion, Defäkation, Erbrechen, Niesen, Schlucken)
    • Karotissinussynkope (Kopfdrehung/Reklination, enge Krawatte, Rasieren)
  • Orthostatische Synkope: Kreislaufkollaps bei zu schnellem Aufstehen aus einer liegenden Position. Ursachen können sein:
    • Orthostatische Dysregulation
    • Volumenmangel (Erbrechen, Dehydratation, Diarrhö, Hämorrhagie, Sepsis, Anaphylaxie)
    • Medikamente (Antihypertensiva, Betablocker, Psychopharmaka)
  • Kardiale Synkope: Verminderte Sauerstoffversorgung des Gehirns infolge von Herzrhythmusstörungen oder anderen Herzerkrankungen. Mögliche Prodromi: Palpitationen, Thoraxschmerz, Dyspnoe. Ursachen können sein:
    • Arrhythmien (tachykarde Rhythmusstörungen, Bradykardie)
    • Strukturelle Herzkrankheit (Aortenklappenstenose, Myokardinfarkt)
    • Lungenembolie
    • Aortensyndrom
  • Konvulsive Synkope: Jede Synkopen-Form kann infolge temporärer zerebraler Hypoxie initial einige krampfartige Entäußerungen zeigen.

Differentialdiagnose: Konvulsive Synkope vs. Epileptischer Anfall

Die Unterscheidung zwischen einer konvulsiven Synkope und einem epileptischen Anfall ist entscheidend für die weitere Behandlung. Folgende Punkte können bei der Differenzierung helfen:

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  • Anamnese:
    • Bekannte Epilepsie mit "typischer" Symptomatik?
    • Hinweise auf eine Hochrisiko-Synkope? (Synkope bei Belastung oder im Liegen, Palpitationen, AP oder Dyspnoe, plötzlicher Herztod in der Familie, bekannte KHK/Herzinsuffizienz)
  • Beobachtungen während des Ereignisses:
    • Rettungsdienst/Anwesende befragen!
    • Rasches Wachwerden nach Kollaps spricht für Synkope und gegen epileptischen Anfall (hier fast immer postiktale Phase).
    • "10-20 Regel": Weniger als 10 beobachtete "Zuckungen" sprechen für Synkope, mehr als 20 Zuckungen hochwahrscheinlich für Krampfanfall.
    • Lateraler Zungenbiss spricht eher für Krampfanfall, ist aber alleine kein sicheres Unterscheidungsmerkmal.
  • Klinische Untersuchung:
    • Neurologische Untersuchung: Fokussierte Trauma-Untersuchung: Sturz auf den Kopf? Begleitverletzungen?
    • EKG-Monitoring in Notaufnahme nutzen: Rhythmusstörungen? Bradykardie? Tachykardie?

Diagnostisches Vorgehen

Um die Ursache eines Bewusstseinsverlustes zu ermitteln, sind verschiedene diagnostische Schritte notwendig:

  1. Anamnese:
    • Sorgfältige Erhebung der Eigen- und Fremdanamnese (inkl. Medikamentenanamnese)
    • Fokus auf: Synkope? Krampfanfall? Hochrisiko-Symptome? Auslösefaktoren?
  2. Körperliche Untersuchung:
    • Allgemeiner Schwächezustand? Delir? Muskelschwäche?
    • Fokussierte Trauma-Untersuchung
  3. Neurologische Untersuchung:
    • Fokalneurologisches Defizit? Prolongierte Vigilanzminderung?
  4. Kardiovaskuläre Untersuchung:
    • Auffällige Vitalwerte (insb. Hypotonie)?
    • Auskultation des Herzens (Systolikum?)
  5. Laboruntersuchungen:
    • Initial sofort BGA mit Elektrolyten (Elektrolyte, Hb, Glukose, Laktat)
    • Blutbild, Elektrolyte, Leber/Nierenwerte, CK, TSH, CRP
    • Bei bekannter Epilepsie: Spiegelbestimmung der eingenommenen Antiepileptika
    • Bei Hinweis auf Meningitis/Encephalitis: Liquorpunktion
  6. EKG:
    • 12-Kanal-EKG (bei jeder Synkope!)
    • Strukturierte EKG-Befundung (“WOBBLERR”)
    • EKG-Monitoring in Notaufnahme nutzen: Rhythmusstörungen? Bradykardie? Tachykardie?
  7. Weitere Diagnostik nach Bedarf:
    • Bei relevantem Schädelhirntrauma: CCT
    • Bei klinischem Verdacht: CT-Angiographie (CTA)
    • Elektroenzephalographie (EEG): Auch mit Provokationsmanövern (HV, Flickerstimulation, Schlafentzug)
    • MRT-Kopf, ev. MRA (z.B. zum Ausschluß Sinusvenenthrombose)
    • Ev. Liquordiagnostik (bei entsprechendem Verdacht)

EKG-Befundung bei Synkope ("WOBBLERR")

Eine strukturierte EKG-Befundung ist essenziell, um Risikofaktoren für eine kardiale Synkope zu erkennen. Die Merkhilfe "WOBBLERR" kann dabei helfen:

  • W - WPW (Deltawelle oder PQ <120ms)
  • O - Obstructed AV (AV-Block II° oder III°)
  • B - Block (bi-/trifaszikulärer Block, neuer LSB/RSB)
  • B - Left ventricular hypertrophy (linksventrikuläre Hypertrophie)
  • E - Epsilon-Wave (bei arrhythmogener rechtsventrikulärer Kardiomyopathie ARVCM)
  • R - Repolarisation abnormality (inbesondere Long-QT-Syndrom)
  • R - Right heart strain (Zeichen der (akuten) Rechtsherzbelastung)

Risikostratifizierung

Nach der Diagnostik erfolgt eine Risikostratifizierung, um die weitere Behandlung festzulegen:

  • Niedrigrisiko-Synkope:
    • Typische Low-Risk-Synkope = „PPP-Synkope“ (Low risk Position (Stehen), Provokation (Reiz), Prodromi (Schwarzwerden))
    • Bei beschwerdefreien Pat. → Entlassung möglich
  • Intermediär-Synkope/unklare Ursache:
    • Individuelle Risikoabwägung mit Patient:in, weitere Abklärung stationär vs. ambulant
  • Hochrisiko-Synkope:
    • V.a. kardiale Hochrisiko-Synkope → Stationäre Aufnahme, Monitor-/telemetrische Überwachung und ggf. Echokardiografie
    • Synkope als Zeichen einer gefährlichen Differenzialdiagnose → kausale Therapie

Hochrisiko-Kriterien

Es gibt verschiedene Kriterien, die auf eine Hochrisiko-Synkope hinweisen:

  • CHESS-Kriterien:
    • Congestive Heart Failure History (bekannte Herzerkrankung)
    • Hämoglobin <10g/dl bzw. Hämatokrit <30% (Anämie)
    • Systole unter 90mmHg bei erster Messung in Notaufnahme (Hypotonie)
    • Shortness of Breath (Dyspnoe vor oder nach Synkope)
  • ESC-Kriterien:
    • Auffällige Anamnese (Synkope bei Belastung oder im Liegen, Palpitationen, AP oder Dyspnoe direkt vor Synkope, plötzlicher (Herz)tod in Familie)
    • Auffälliges EKG (Brugada-Zeichen, Ischämiezeichen, Bradykardie, AV-Block, ventrikuläre Tachykardie, QTc lang/kurz, V.a. SM/ICD-Dysfunktion, neue Blockbilder, Hypertrophie-Zeichen, T-Negativierungen)
    • Auffällige Vorerkrankungen (bekannte KHK, hochgradig red. LV-EF, andere strukturelle Herzerkrankungen)
    • Auffällige Untersuchung (unbekanntes Systolikum, V.a. GI-Blutung)

Therapie

Die Therapie richtet sich nach der Ursache der Synkope. Bei einer konvulsiven Synkope ist es wichtig, die zugrunde liegende Ursache (z.B. kardiale Erkrankung) zu behandeln. Bei Epilepsie erfolgt eine medikamentöse Anfallsbehandlung.

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