Tanz der Neuronen: Eine einfache Erklärung

Tanzen ist mehr als nur Bewegung zu Musik; es ist eine komplexe Aktivität, die tiefgreifende Auswirkungen auf unser Gehirn hat. Von der Verbesserung der Körperwahrnehmung bis zur Förderung sozialer Kompetenzen - die Forschung zeigt, dass der Tanz tatsächlich den Geist verändert.

Die Neurowissenschaft des Tanzes

Die Tanzkognitionsforschung, ein junges und wachsendes Feld, untersucht, wie Tänzer komplizierte Schrittfolgen und Sprünge vollführen. Einer der Pioniere auf diesem Gebiet ist Bettina Bläsing von der Universität Bielefeld. Sie und ihre Kollegen haben herausgefunden, dass Tanz die Art und Weise verändert, wie unser Gehirn Sinnesreize verarbeitet.

Körperwahrnehmung vs. Sehkraft

Um komplexe Bewegungen wie Pirouetten auszuführen, setzt das Gehirn vor allem auf den Körpersinn. Hubert R. Je professioneller ein Tänzer, desto mehr verschiebt sich die Verarbeitung von Sinnesreizen zugunsten der Körperwahrnehmung. Nervenzellen in den Muskeln der entlegenen Körperregionen melden dem Cortex fortlaufend ihre Position und Lage im Raum. Dieser Sinneskanal ist für Profitänzer sogar wichtiger als das, was sie sehen.

In einem Experiment von Corinne Jola mussten Profitänzer und Nichttänzer mit dem Finger auf Punkte tippen, entweder blind oder mit Sicht. Die Tänzer schnitten besser ab, wenn sie nichts sahen, und verließen sich auch dann noch bevorzugt auf ihre Körperwahrnehmung, wenn sie ihre Augen zu Hilfe nehmen konnten. Dies zeigt, wie dominant der Sinneskanal der Körperwahrnehmung bei Tänzern ist.

Allerdings ist die Körperwahrnehmung nicht immer der wichtigste Sinn. In Gleichgewichtsübungen schneiden Profitänzer genauso schlecht ab wie Bewegungslaien, wenn sie die Augen schließen. Nur mit offenen Augen sind sie diesen überlegen und können die Balance viel besser halten. Roger Simmons von der San Diego State University entdeckte, dass Tänzer sich viel schneller wieder aufrichten, wenn sie ins Wanken geraten, als Nichttänzer.

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Mentale Zerlegung von Bewegungen

Bläsing fragte sich, was im Gehirn abläuft, wenn Tänzer komplizierte Pirouetten und Sprünge ausführen. Sie vermutet, dass die Künstler die Bewegung im Geiste in Teilschritte zerlegen, etwa in die Vorbereitung zum Absprung, den eigentlichen Sprung und die Landung.

In einem Experiment sollten Probanden eine Pirouette an einem Computer nachstellen. Die Profis kamen ohne tänzerische Praxis aus, während sowohl die erfahrenen Bühnentänzer als auch die fortgeschrittenen Tänzer die Pirouette im Geiste in die richtigen Einheiten einteilten. Die Anfänger und Laien konnten dies dagegen nicht. Laut Bläsing ist die korrekte Abfolge einer komplexen Bewegung im Langzeitgedächtnis die Voraussetzung dafür, dass die Bewegung akkurat ausgeführt wird.

Es bleibt jedoch offen, ob die richtigen Bilder im Kopf von selbst entstehen, wenn die Bewegung perfekt beherrscht wird, oder ob die richtigen Bilder im Kopf Voraussetzung dafür sind, dass die Bewegung perfekt ausgeführt werden kann. Klar ist, dass die tänzerische Praxis die Wahrnehmung von Tanz verändert.

Spiegelneuronen und Empathie

Beatriz Calvo-​Merino, eine Tanzneurowissenschaftlerin aus London, zeigte in einer Studie, dass Balletttänzer mit einer starken Aktivierung im Netzwerk der Spiegelneuronen reagieren, wenn sie eine Ballettaufführung anschauen, nicht aber wenn sie brasilianischen Capeirotanz sehen. Spiegelneuronen sind Nervenzellen, die sowohl beim Ausführen einer Handlung als auch beim Beobachten dieser Handlung aktiv sind. Sie spielen eine wichtige Rolle beim Verständnis und der Nachahmung von Bewegungen.

Bläsing konnte in einer weiteren Studie zeigen, dass Profis eine neue Bewegungsabfolge anders lernen. Sie merken sich viel größere Bewegungsabschnitte als Anfänger und Tanz-​Unerfahrene und teilen die Phrasen (Abschnitte) einer Choreografie mitunter danach ein, wie viel Energie sie dafür brauchten.

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Die Wirkung auf das Publikum

Doch auch das Publikum lässt die Symphonie bewegter Körper nicht kalt. Calvo-​Merino fand heraus, dass schwierige akrobatische Einlagen besonders gut gefallen. Corinne Jola zeigte, dass Zuschauer, die regelmäßig Ballettdarbietungen anschauen, mit erhöhter Erregbarkeit der motorischen Kerngebiete auf bestimmte Ballettbewegungen reagieren. Dies deutet darauf hin, dass auch passiver Tanzkonsum das Gehirn beeinflussen kann.

Sogar bei Laien lässt Tanz offenbar im Geiste das Tanzbein mitschwingen, wenn sie die Darbietung nicht auf Video, sondern live sehen. Jola mahnt jedoch, dass man die Präsenz des Künstlers und den emotionalen Gehalt des Tanzes nicht unterschätzen darf und dass Studien mit Videoaufzeichnungen nicht die Dimension einer realen Tanzdarbietung erfassen.

Der Tanz der Neuronen im Gehirn

Es ist der perfekt abgestimmte Tanz der Neurone, der es Menschen ermöglicht zu sehen, zu hören, zu riechen, sich zu bewegen, sich zu erinnern und nachzudenken. Eine gelungene Choreografie setzt einen reibungslosen Austausch von Signalen voraus. Forscher untersuchen Paarbeziehungen zwischen Neuronen, aber auch, was geschieht, wenn sich mehr als zwei Neurone zum Tanz zusammenschließen.

Stojan Jovanović und Stefan Rotter vom Bernstein Center Freiburg haben mit mathematischen Gedankenexperimenten und biophysikalisch inspirierten Simulationen am Computer die in früheren Studien entwickelten Ideen zu Paarwechselwirkungen auf den Fall von Korrelationen dritter Ordnung, also Wechselbeziehungen von drei Neuronen, erweitert.

Verschiedene Typen von Synapsen ermöglichen eine effiziente Kommunikation auf der Basis elektro-chemischer Botschaften im Gehirn. Eine einflussreiche Theorie des Lernens besagt, dass es zunächst nur auf die beiden Neurone ankommt, die über eine konkrete Synapse kommunizieren. Jovanović und Rotter haben ein mathematisches Modell, den Hawkes-Prozess, angewandt, um die relative Bedeutung neuronaler Dreiecksbeziehungen zu berechnen. Diese Erkenntnisse könnten dazu beitragen, aus der beobachteten elektrischen Aktivität von jeweils drei Nervenzellen Schlüsse über die strukturellen Eigenschaften des Netzwerks zu ziehen und davon vielleicht sogar neue synaptische Lernregeln im Gehirn abzuleiten.

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Tanzen als Gehirnjogging

Hirnforscher Steven Brown und Michael Martinez untersuchten, welche Gehirnregionen beim Tanzen aktiv sind. Sie fanden heraus, dass beim Tango die Neuronen auch im „Precuneus“ feuerten, einer Hirnregion im Scheitellappen, die wichtig für Orientierung und Raumsinn ist. Der Precuneus ist eine Art kinästhetische Landkarte, die es dem Menschen erlaubt, seinen Körper im Raum zu navigieren. Das kinästhetische Sinnessystem ist stark mit anderen Hirnfunktionen wie Gedächtnis, Sprache, Lernen und Emotionen verknüpft.

Steven Brown stellte fest, dass beim Tanzen mit Musik der sogenannte Kleinhirnwurm aktiver ist, als wenn die musikalische Untermalung fehlt. Diese Hirnregion fungiert als eine Art neuronaler Taktgeber und ist mit den auditorischen, visuellen und somatosensorischen Systemen im Gehirn verbunden. Auch das vestibuläre System in Innenohr und Kleinhirn, das den Gleichgewichtssinn steuert, ist notwendig für die Verbindung von Bewegung und Rhythmus.

Tanzen trainiert auch die Fähigkeit zum Nachahmen. Wenn man sich nur vorstellt, Walzer zu tanzen, arbeitet das Gehirn in den gleichen Regionen, wie wenn man tatsächlich Walzer tanzt. Beim Tanzen nur zuzuschauen genügt schon, um die entsprechenden Hirnregionen zu aktivieren – um zwar umso stärker, je bekannter der Tanz ist.

Langfristige Auswirkungen des Tanzens

Studien haben belegt, dass Tanzen das Gehirn verändert. Elizabeth Spelke von der Harvard University fand heraus, dass jahrelanges Tanzen bei Schulkindern räumliches Denken fördert. Konstantinos Petrides stellte fest, dass Emotionalität, Selbstmotivation und soziale Fähigkeiten bei Ballettschülern umso ausgeprägter waren, je besser sie ihre Ballettschritte beherrschten.

Eine Langzeitstudie mit Senioren am Albert Einstein College of Medicine in New York ergab, dass regelmäßiges Tanzen die Wahrscheinlichkeit, an einer Demenz zu erkranken, um 76 Prozent senkt. Das Erlernen von Tänzen verlangt ein Nachdenken über Schritte, Drehungen und Körperhaltung, was neue Nervenverästelungen im Gehirn sprießen lässt.

Synchronisation im Alltag

Prozesse der Synchronisierung umgeben uns alltäglich, jedoch sind deren zugrunde liegende Mechanismen bis dato nicht ausreichend entschlüsselt. Joseph Lizier und Kollegen vom Max-Planck-Institut haben eine mathematische Erklärung dafür gefunden, wie die Netzwerkstruktur selbst, die die Verknüpfung einer Reihe einzelner Elemente darstellt, synchronisierende Aktivitäten ihrer individuellen Elemente steuern kann.

Lizier erklärt, dass die Synchronisierung in einem Netzwerk umso schlechter ist, je mehr konvergente Pfade es aufweist. Für das Gehirn, wo Synchronisation unerwünscht ist, weil sie Epilepsie verursachen kann, ist dies eine gute Nachricht. Die modulare Struktur des Gehirns bedeutet, dass es einen hohen Anteil an konvergenten Prozessen hat, die es auf natürliche Weise vor der Entstehung von Anfällen schützen.

Musikalität und das Gehirn

Daniela Sammler erforscht, in welchem Maße das menschliche Gehirn in der Wahrnehmung und Produktion von Musik und Sprache einen Unterschied macht - oder nicht - und wie genau die neuronale Verankerung, kognitive und ästhetische Verknüpfung von Musik und Sprache aussieht.

Sammler veranschaulichte anhand von Experimenten, dass Menschen einen musikalischen Takt aktiv im Gehirn konstruieren, wenn sie diesen zur Musik klatschen. Die Synchronisation mit der Musik auf allen Ebenen erfordert eine Menge kognitiver Prozesse im Gehirn. Der biologische Ursprung unserer Musikalität liegt demnach in unseren Genen und in unserer Hirnstruktur.

Gefühle und das Gehirn

Ein Geflecht aus Milliarden von Nervenzellen zieht sich durch unseren Körper und leitet Informationen in Form von Reizen aus der Umwelt zum Gehirn weiter. Im Fall eines verschütteten Getränks gelangt diese Sinnes-Information zum Thalamus, der ankommende Reize nach ihrer Wichtigkeit filtert. Über weitere Neuronen kommt die Information bei der Amygdala an, die blitzschnell bewertet, wie dieser Reiz emotional einzuordnen ist.

Emotionen wie Angst und Freude sind neben der Wut Reaktionen des Körpers, die auf einen Reiz folgen und nach außen sichtbar sind. Das bewusste Wahrnehmen dieses Gefühls hilft uns zu verstehen, was mit uns geschieht und unser Handeln zu modifizieren.

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