Tanzen ist mehr als nur eine Kunstform oder Unterhaltung. Es ist ein Fest des Lebens, eine Art der Kommunikation und des Geschichtenerzählens. Seit Jahrtausenden wird Tanz in fast jeder Kultur der Erde praktiziert - nicht nur als Kunst oder Unterhaltung, sondern als heiliges, gemeinschaftliches und heilendes Ritual. Neuere wissenschaftliche Studien haben die vielen gesundheitlichen Vorteile des Tanzens aufgezeigt, insbesondere im Hinblick auf geistiges Wohlbefinden, körperliche Fitness und gesundes Altern. Tanzen ist nicht nur ein Hobby, das Spaß macht, sondern es ist auch eine Aktivität, die sich positiv auf die Gesundheit und insbesondere auf das Gehirn auswirkt. Lesezeit ca. 1.
Körperliche Vorteile des Tanzens
Tanzen hat viele positive Effekte auf den Körper: Es trainiert Herz und Kreislauf sowie die großen Muskelgruppen des Körpers, regt den Stoffwechsel an und stärkt das Immunsystem. Bis zu 660 Kalorien pro Stunde verbrennen wir je nach Tanzstil dabei und unser Herzrhythmus erreicht 140 Schläge. Wir kurbeln den Stoffwechsel an, stärken Muskeln und Sehnen, selbst die Knochendichte nimmt zu. Und Tanz fördert nicht nur unsere Beweglichkeit bis ins hohe Alter, er kann sogar vor Herzkrankheiten schützen. Die rhythmische Bewegung zur Musik fördert auch unser psychisches Wohlbefinden. Beim Tanzen schüttet unser Gehirn die Glückshormone Dopamin und Endorphin aus. Tanzen belastet den Bewegungsapparat nur leicht, ohne die Gelenkstrukturen zu überfordern. Daher ist Tanzen bei Rücken- und Gelenkbeschwerden empfehlenswert.
Tanzen als Gehirntraining
Einer der überzeugendsten wissenschaftlichen Vorteile des Tanzes ist seine starke Wirkung auf das Gehirn. Tanzen fordert Koordination, Gedächtnis, Rhythmus, Timing und räumliches Bewusstsein - all dies aktiviert ein breites Netzwerk an Hirnregionen. Dazu gehören die motorischen und somatosensorischen Kortexbereiche (für Bewegung und Körperwahrnehmung), das Kleinhirn (für Gleichgewicht), die Basalganglien (für Bewegungssteuerung), der Hippocampus (für Gedächtnis) sowie der präfrontale Kortex (für Aufmerksamkeit und Planung). Der Neurowissenschaftler Dr. Daniel Levitin, Autor von "Successful Aging", betont, dass die Wirksamkeit des Tanzens in seiner seltenen Kombination aus aerober Aktivität, sozialer Verbindung und kontinuierlichem Lernen liegt - alles entscheidende Faktoren für kognitive Vitalität.
Tanzen ist auch ein prima Training für das Gehirn. Schrittfolgen und Choreografien zu erlernen, sich gleichzeitig im Rhythmus der Musik zu bewegen - und das auch noch mit einer Tanzpartnerin oder einem Tanzpartner -, erfordert viel Konzentration und Koordinationsvermögen. Das schult Gehirn und Gedächtnis. Zahlreiche Studien haben inzwischen gezeigt, dass Tanzen das räumliche Denken fördert. Sogar bei Menschen im hohen Alter fördert das Tanzen die Bildung neuer Nervenzellen im Gehirn. Studien beweisen, dass man durch Tanzen einer Demenz vorbeugen kann. Bewegung schützt das Gehirn in vielfältiger Weise - über Botenstoffe, Hormone sowie Gefäß- und Nervenzellwachstum. Prof. Dr. Wer sich bewegt, ist kognitiv leistungsfähiger und hat tendenziell mehr Hirnvolumen. Unter Sport steigt der Spiegel des Botenstoffes BDNF an, der wie ein Dünger auf das Gehirn wirkt. Der Abbau von Dopamin wird während des Trainings verzögert. Das ist positiv für Antrieb und das Lernen. Wer joggt oder tanzt, plant nicht. Die Auszeit regeneriert den präfrontalen Cortex. Er ist danach leistungsfähiger. Herz und Leber sondern bei sportlicher Aktivität hirnfördernde Substanzen ab.
Dr. Julia F. Christensen, Psychologin und Neurowissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Empirische Ästhetik, erklärt: „Ein Grund dafür könnte sein, dass beim Tanzen zahlreiche Prozesse gleichzeitig im Körper ablaufen. Nehmen wir zum Beispiel unser Gehirn. Es ist ein wahrer Tanz-Fan. Denn nicht nur seine Nervenstränge und -verbindungen werden gestärkt. Tanzen fordert es umfassend. Wir haben plötzlich sehr viel auf einmal zu tun: Wie den Körper im Raum koordinieren, wohin mit den Armen, den Beinen und dem Kopf? Und dann haben wir auch Gefühle, die wir koordinieren müssen. Das Gefühl von uns und unserem Körper im Einklang mit der Musik. Vielleicht stimmen wir zusätzlich noch Bewegungen mit anderen Menschen ab. Natürlich schulen wir unser Koordinationsvermögen, das Gleichgewicht und das flexible Denken direkt mit. Da passiert also so einiges in unserem Gehirn: Verschiedenste Prozesse laufen ab und alles gleichzeitig. Tanzen ist also ein Allround-Work-out für unser Gehirn. Und genau das liebt es. Es will mehr davon. Das heißt, wir sprechen mit dem Tanz auch unser Genusssystem an, und das motiviert uns. Es macht uns glücklich, wir haben Spaß! Unser Körper schüttet Glückshormone aus, wir bauen Stress ab. Wir fühlen uns nach unserer Tanzstunde wie neu geboren und haben den Kopf frei. Das hat übrigens auch damit zu tun, dass wir durch die Bewegung zur Musik lernen, unsere Gefühle zu regulieren - wir lassen uns stärker auf uns selbst ein, das Verkopfte aus dem Alltag verschwindet." Neben der körperlichen Anstrengung, hat Tanzen auch positive Auswirkungen auf unser Gehirn. Das Einstudieren verschiedener Bewegungsabfolgen, wie Drehungen oder Variationen von Tanzschritten werden verarbeitet und abgespeichert. Dadurch können auch erwachsene Menschen neue Nervenzellen bilden und sich geistig fit halten - und das bis ins hohe Alter.
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Tanzen und Demenzprävention
Tanzen aktiviert das prozedurale Gedächtnis (Lernen durch Handeln), das besonders widerstandsfähig gegenüber altersbedingtem Abbau ist. Bildgebende Studien zeigen, dass bei Tänzern die Aktivität im Hippocampus - einer für Gedächtnisbildung entscheidenden Region - erhöht ist. Darüber hinaus trainiert Tanzen die Multitasking-Fähigkeit - eine Kompetenz, die im Alter oft nachlässt. Eine Langzeitstudie mit Senioren am Albert Einstein College of Medicine in New York ergab schon 2003, dass regelmäßiges Tanzen die Wahrscheinlichkeit, an einer Demenz zu erkranken, um 76 Prozent senkt. Sport verändert das Demenzrisiko dagegen kaum. Die US-Forscher erklären das so: Das Erlernen von Tänzen verlangt ein Nachdenken über Schritte, Drehungen und Körperhaltung. Tänzer müssen also viele Entscheidungen treffen - und das lässt neue Nervenverästelungen im Gehirn sprießen.
Tanzen und die Aktivierung verschiedener Gehirnbereiche
Die Hirnforscher Steven Brown von der Simon Fraser University im kanadischen Burnaby und Michael Martinez von der University of Texas in San Antonio untersuchten erstmals, welche Gehirnregionen beim Tanzen aktiv sind. Dazu legten Brown und Martinez nacheinander fünf weibliche und fünf männliche Amateur-Tangotänzer in den Kernspintomographen und befestigten eine Platte so am Fußende, dass die Füße der Tänzer darüber gleiten und einfache Tangoschritte ausführen konnten. Über Kopfhörer wurde Musik eingespielt. Wie die Forscher erwarteten, waren in beiden Durchgängen die motorischen Gehirnregionen der Probanden aktiv. Doch beim Tango feuerten die Neuronen auch noch an einer anderen Stelle stark: im „Precuneus“. Diese Hirnregion im Scheitellappen ist wichtig für Orientierung und Raumsinn. Sensoren in Muskeln und Gelenken übermitteln Informationen dorthin. Deshalb sprechen die Wissenschaftler auch vom Bewegungssinn. Mit seiner Hilfe nimmt der Mensch Bewegungen und Gelenkpositionen wahr. „Der Precuneus ist eine Art kinästhetische Landkarte, die es dem Menschen erlaubt, seinen Körper im Raum zu navigieren“, erklärt Brown. Wie die Wissenschaftler schon länger wissen, ist das kinästhetische Sinnessystem stark mit anderen Hirnfunktionen wie Gedächtnis, Sprache, Lernen und Emotionen verknüpft.
Steven Brown stellte fest, dass beim Tanzen mit Musik der sogenannte Kleinhirnwurm aktiver ist, als wenn die musikalische Untermalung fehlt. „Diese Hirnregion fungiert als eine Art neuronaler Taktgeber und ist mit den auditorischen, visuellen und somatosensorischen Systemen im Gehirn verbunden“, erklärt Brown. Auch das aus evolutionsbiologischer Sicht sehr alte sogenannte vestibuläre System in Innenohr und Kleinhirn, das den Gleichgewichtssinn steuert, ist notwendig für die Verbindung von Bewegung und Rhythmus. Das unterstützt die gängige These, dass Tanzen und Musizieren in der Menschheitsgeschichte zur gleichen Zeit entstanden sind. Doch das Tanzen hat für die Entwicklung des Menschen noch eine weit größere Bedeutung als das Musizieren: Es trainiert die Fähigkeit zum Nachahmen. Die Forscher fanden heraus: Wenn man sich nur vorstellt, Walzer zu tanzen, arbeitet das Gehirn in den gleichen Regionen, wie wenn man tatsächlich Walzer tanzt. Beim Tanzen nur zuzuschauen genügt schon, um die entsprechenden Hirnregionen zu aktivieren - um zwar umso stärker, je bekannter der Tanz ist.
Die Rolle der Synchonität
In einem Experiment verband das Team um Félix Bigand und Giacomo Novembre 80 Tänzerinnen und Tänzern teilweise die Augen, um die Rolle der visuellen Wahrnehmung zu messen. Außerdem ließen sie die Studienteilnehmer nicht nur zu Musik, sondern auch ohne Musik tanzen. Die Forscher fanden heraus, dass das Visuelle eine besonders wichtige Rolle spielte. Was die Forscher überraschte: Das Gehirn sprang besonders auf sogenanntes Bouncen an - also leichte Beugebewegungen der Knie im Takt. "Obwohl es sich um eine der kleinsten und subtilsten Bewegungen handelt, scheint Bouncen die Aufmerksamkeit effektiver zu fesseln als andere Bewegungen", sagt Novembre. "Entscheidend ist, dass dieses Signal nicht durch die Bewegungen eines der beiden Tänzer allein erklärt werden kann, sondern vielmehr aus ihrer Interaktion - insbesondere aus ihrer Synchronität - hervorgeht", erklärt er. So fand etwa ein Team in einer 2015 in den "Biology Letters" der britischen Royal Society veröffentlichten Studie heraus, dass synchrone Bewegungen, wie sie etwa beim Tanzen in Gruppen ausgeführt werden, bei Tänzern die Schwelle für Schmerzen erhöhen und soziale Bindungen verstärken.
Psychische und soziale Vorteile des Tanzens
Tanzen ist nicht nur gut für den Körper, sondern auch heilsam für Geist, Herz und Seele. Einer der am besten dokumentierten Effekte des Tanzes auf die Psyche ist die Ausschüttung von Endorphinen - den natürlichen Glückshormonen. Tanztherapie (auch Tanz-/Bewegungstherapie, DMT genannt) wird mittlerweile in klinischen Settings eingesetzt, um Traumata zu verarbeiten, PTBS-Symptome zu verringern und die emotionale Resilienz zu stärken. Die Verbindung von Musik und Bewegung kann uns im gegenwärtigen Moment verankern und eine verkörperte Form von Achtsamkeit ermöglichen, die Worte oft nicht erreichen. So lernen wir, unseren Geist zur Ruhe kommen zu lassen, indem wir Aufmerksamkeit auf Musik und Bewegung richten - was zu einem tief meditativen und befreienden Erlebnis werden kann.
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Tanzen verbindet uns mit anderen. Die synchrone Bewegung mit Tanzpartnern ist der Schlüssel dazu. Wenn wir selbst tanzen und sehen, wie andere gleichzeitig mit uns dieselbe Bewegung ausführen, macht es Klick im Kopf - und unser Denkorgan verspürt großen Genuss. Warum, weiß die Forschung noch nicht. Aber wir spüren es ja selbst auch: Man kommt sich emotional näher beim Tanz, man mag sich mehr und fühlt sich stärker verbunden. Sich zu rhythmischen Klängen zu bewegen, hält nicht nur fit, sondern hebt auch die Stimmung und fördert das Selbstbewusstsein. Durch die vielfältigen Bewegungen spürt man sich und seinen Körper auf intensive Weise. Das führt zu einem positiven Lebensgefühl. Tanzen ist in seinem Ursprung ein Grundbedürfnis des Menschen. Über alle Kulturen und Generationen hinweg verbindet der Tanz Menschen. Das Tanzen gehört in verschiedensten Formen seit Jahrtausenden zum Menschen und seiner Geschichte dazu. Schon unsere Vorfahren bewegten sich rhythmisch zu den Klängen der Musik. Und das ist gesund für Körper und Geist: Egal ob beim Discofox auf der Familienfeier oder frei Schnauze im Technoclub, die Bewegung tut uns richtig gut. Das belegen zahlreiche Studien. Hinzu kommt die Musik, die uns bewegt. Insgesamt also eine Erfahrung, die viele unserer Sinne gleichzeitig anspricht. Außerdem schult die Koordination der Bewegungen unsere Konzentration und auch das räumliche Denken. Und nicht zuletzt: Tanzen macht Spaß und hebt die Stimmung.
Tanzen im Alter
Kann Tanzen helfen, jung zu bleiben? Die Antwort lautet eindeutig: Ja. Die Vorteile für Seniorinnen und Senioren sind besonders eindrucksvoll. Eine deutsche Studie ergab, dass ältere Menschen, die regelmäßig tanzten, ihre Altersgenossen bei Tests zu Gleichgewicht, Beweglichkeit und Gehirnfunktion deutlich übertrafen. Anders als andere Sportarten vereint Tanz Freude, Lernen und Bewegung zu einer ganzheitlichen Aktivität. Senioren und Seniorinnen über 65 Jahren rannten Anita Hökelmann, Sportwissenschaftlerin an der Universität Magdeburg, regelrecht die Türen ein, als sie die Auswirkungen von Tanz und Ausdauertraining auf deren Gehirn untersuchen wollte. „Nach dem Sport wollten die gar nicht mehr nach Hause gehen. Sie protestierten: Jetzt macht es uns doch gerade so richtig Spaß!“, berichtet Hökelmann. Und so wurde aus der zunächst auf ein paar Wochen angelegten Studie ein Langzeitexperiment. Die 30 Senioren und Seniorinnen der ersten Stunde tanzen nach mehr als fünf Jahren immer noch. Ansporn sind ihnen auch die Ergebnisse von Hökelmanns Team, die in mehreren Doktorarbeiten erschienen sind. Die Tänzer stehen kognitiv viel besser da als die Unsportlichen aus einer Vergleichsgruppe und sogar etwas besser als die Ausdauersportler.
Tanzen lernen: Jeder kann es
Kann denn jeder tanzen?„Ja, beinahe jeder kann tanzen. 98,5 Prozent aller Babys folgen schon einem Rhythmus. Nur 1,5 Prozent der Bevölkerung können das nicht, sie haben Amusie. Sie fremdeln mit Rhythmen und Harmonien. Diese Menschen mögen auch keine Musik und können tatsächlich nicht tanzen. Alle anderen können es. Einfach ausprobieren, nur Mut!“ Die Ausrede, man könne nicht tanzen, lassen Wissenschaftler nicht gelten. Stefan Koelsch, Wissenschaftler und Musikexperte an der Universität Sussex, ist überzeugt: „Neuronale Korrelate für elegantes Bewegen und Körperkoordination gehören zur Grundausstattung des menschlichen Gehirns.“
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