Die Entfernung von Weisheitszähnen ist ein Routineeingriff, der jedoch in seltenen Fällen zu Komplikationen führen kann. Eine davon ist das Taubheitsgefühl in Lippe und Kinn, das durch eine Verletzung des Nervus alveolaris inferior (Unterkiefernerv) entstehen kann. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Symptome, Behandlungsmöglichkeiten und Präventionsmaßnahmen im Zusammenhang mit diesem Taubheitsgefühl.
Weisheitszähne: Eine orale Achillesferse
Weisheitszähne sind oft problematisch und können Beschwerden und Infektionen verursachen. Die Extraktion dieser Zähne ist oft unumgänglich und sollte möglichst nervenschonend erfolgen. Trotzdem kann es zu Verletzungen kommen, die meistens temporär sind, aber auch dauerhafte Schädigungen, z. B. des Trigeminusnervs, können entstehen. Daher ist eine entsprechende Aufklärung des Patienten vor der Behandlung von großer Bedeutung.
Rechtliche Aspekte der Aufklärungspflicht
Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat in einem Urteil vom 7.7.2022 (12 U 8/22) entschieden, dass der Patient nicht nur über das Risiko vorübergehender Beeinträchtigungen durch eine Nervverletzung informiert werden muss, sondern auch über das Risiko einer - wenn auch nur gering wahrscheinlichen - dauerhaften Beeinträchtigung.
Der Fall vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht
Eine Patientin wurde von ihrer Hauszahnärztin zur Entfernung der Weisheitszähne links (28 und 38) überwiesen, da sie Essprobleme und Schmerzen hatte. Der Eingriff verlief ohne Komplikationen. Die Zahnärztin empfahl, zeitnah auch die Weisheitszähne rechts (18 und 48) entfernen zu lassen, bevor auch hier Schmerzen auftreten. Die Patientin entschied sich für die Entfernung der beiden verbliebenen Weisheitszähne.
Nach dieser Operation traten jedoch dauerhafte Beschwerden auf. Die Zunge war dauerhaft taub, der Geschmackssinn auf der Seite stark beeinträchtigt und es kam zu Sprachproblemen. Die Patientin führte dies auf einen irreversiblen Nervschaden durch die zweite Operation zurück.
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Das Gericht argumentierte, dass das Risiko dauerhafter Beeinträchtigungen durch eine Nervschädigung der Patientin hätte erklärt werden müssen. Zwar sei die Wahrscheinlichkeit äußerst gering, aber wegen der beruflichen Beeinträchtigung als Lehrerin für diese sehr einschneidend und damit in die Aufklärung miteinzubeziehen. Das Gericht verneinte jedoch einen ausreichenden Entscheidungskonflikt der Patientin, da andere Risiken wie ein möglicher Kieferbruch sie nicht abgeschreckt haben und die Hauszahnärztin ebenfalls zu einer weiteren Weisheitszahnentfernung geraten hatte. Zudem bestanden Risiken im Zusammenhang mit einem Zuwarten, wie die Schädigung benachbarter Zähne und ein zunehmendes Operationsrisiko.
Fazit
Es ist stets eine Einzelfallentscheidung, bei der die konkreten Umstände - wie auch die individuelle Beeinträchtigung des Patienten - eine ausschlaggebende Rolle spielen, ab wann welches Risiko aufklärungsbedürftig ist.
Ursachen für Taubheitsgefühl nach Weisheitszahn-OP
Das Taubheitsgefühl in Lippe und Kinn nach einer Weisheitszahn-OP wird meist durch eine Verletzung oder Irritation des Nervus alveolaris inferior verursacht. Dieser Nerv verläuft im Unterkieferknochen und versorgt die Unterlippe, das Kinn und die Zähne mit Gefühl.
Mögliche Ursachen im Detail
- Direkte Nervverletzung: Während der Operation kann der Nerv durchtrennt, gequetscht oder gedehnt werden.
- Druck durch Schwellung oder Bluterguss: Nach der Operation kann es zu Schwellungen und Blutergüssen im Operationsgebiet kommen, die auf den Nerv drücken und so das Taubheitsgefühl verursachen.
- Entzündung: Eine Entzündung im Bereich des Nervs kann ebenfalls zu einer Irritation und damit zu Taubheitsgefühl führen.
- Lokalanästhesie: In seltenen Fällen kann die Lokalanästhesie selbst zu einer Nervirritation führen, die vorübergehendes Taubheitsgefühl verursacht.
- Falsche Implantatlänge: Bei einer Zahnimplantation kann eine falsch gewählte Implantatlänge zu einer Schädigung des Nervs führen.
- Beschädigung von Nervengewebe bei der Injektion: Eine unsachgemäße Injektion kann Nervengewebe beschädigen und Taubheit verursachen.
Symptome
Das Hauptsymptom ist ein Taubheitsgefühl oder ein Kribbeln in der Unterlippe, im Kinn oder im Bereich der Zähne. In manchen Fällen kann auch der Geschmackssinn beeinträchtigt sein. Die Intensität des Taubheitsgefühls kann variieren, von einem leichten Kribbeln bis hin zu einem vollständigen Verlust der Sensibilität.
Weitere mögliche Symptome
- Schmerzen: In einigen Fällen kann das Taubheitsgefühl von Schmerzen begleitet sein.
- Missempfindungen: Manche Patienten berichten von Missempfindungen wie Brennen oder Jucken.
- Sprachprobleme: Bei Beeinträchtigung der Zunge kann es zu Sprachproblemen kommen.
- Vermehrtem Speichelfluss: Einige Patienten klagen über vermehrten Speichelfluss.
- Schwierigkeiten beim Essen: Durch das Taubheitsgefühl kann es zu Schwierigkeiten beim Essen kommen, da die Betroffenen sich beispielsweise auf die Zunge beißen.
Diagnose
Zur Diagnose des Taubheitsgefühls nach einer Weisheitszahn-OP gehören in der Regel folgende Schritte:
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- Anamnese: Der Arzt befragt den Patienten nach dem genauen Verlauf der Beschwerden und der Operation.
- Klinische Untersuchung: Der Arzt untersucht den betroffenen Bereich und testet die Sensibilität der Lippe, des Kinns und der Zähne.
- Bildgebende Verfahren: In manchen Fällen können Röntgenaufnahmen oder eine Computertomographie (CT) durchgeführt werden, um die Ursache des Taubheitsgefühls zu ermitteln und den Nervverlauf zu beurteilen.
Behandlung
Die Behandlung des Taubheitsgefühls richtet sich nach der Ursache und dem Schweregrad der Nervverletzung.
Konservative Behandlung
- Abwarten: In vielen Fällen bildet sich das Taubheitsgefühl von selbst zurück, insbesondere wenn es durch eine Schwellung oder einen Bluterguss verursacht wurde.
- Medikamente: Entzündungshemmende Medikamente wie Ibuprofen oder Kortison können helfen, die Schwellung zu reduzieren und den Nerv zu entlasten. Bei neuropathischen Schmerzen können spezielle Schmerzmittel eingesetzt werden.
- Physiotherapie: Physiotherapeutische Maßnahmen wie Massagen, Akupunktur, Elektrophorese und Ultraschalltherapie können die Heilung des Nervs unterstützen.
- Vitamin B-Komplex: Die Einnahme von Vitamin B-Komplex kann die Nervenregeneration fördern.
Operative Behandlung
In seltenen Fällen kann eine Operation erforderlich sein, um den Nerv zu entlasten oder zu reparieren.
- Nervdekompression: Bei einer Nervdekompression wird der Nerv von umliegendem Gewebe befreit, das auf ihn drückt.
- Nervnaht: Wenn der Nerv durchtrennt wurde, kann er operativ wieder vernäht werden.
- Implantatentfernung: Wenn ein Implantat den Nerv schädigt, muss es möglicherweise entfernt werden.
Therapie nach Art der Nervschädigung
- Neuropraxie: Bei einer leichten Verletzung (Dehnung) ohne Schädigung der Nervenstruktur stellt sich die Empfindlichkeit normalerweise innerhalb von 4-8 Wochen wieder her.
- Axonotmesis: Bei einer mittelschweren Verletzung, bei der die Integrität des Axons (der Nervenzellausläufer) erhalten bleibt, kehrt die Empfindlichkeit innerhalb von 8-16 Wochen zurück, kann aber später etwas geringer sein als vor der Verletzung.
- Neurotmesis: Bei einer schweren Verletzung der Nervenfasern mit Schädigung ihrer Integrität (der Nerv und seine Hülle werden beschädigt), ist die Prognose schlechter.
Was kann man selbst tun?
- Kühlen: Kühlen Sie die betroffene Stelle in den ersten Tagen nach der Operation regelmäßig, um Schwellungen zu reduzieren.
- Schmerzmittel: Nehmen Sie bei Bedarf Schmerzmittel ein, um die Schmerzen zu lindern.
- Weiche Kost: Essen Sie in den ersten Tagen nach der Operation weiche Kost, um den Kiefer zu entlasten.
- Gute Mundhygiene: Achten Sie auf eine gute Mundhygiene, um Infektionen zu vermeiden.
- Vermeiden Sie Rauchen und Alkohol: Rauchen und Alkohol können die Heilung verzögern.
- Regelmäßige Kontrollen: Gehen Sie zu den vereinbarten Kontrollterminen beim Zahnarzt.
Prävention
Um das Risiko eines Taubheitsgefühls nach einer Weisheitszahn-OP zu minimieren, sollten folgende Maßnahmen beachtet werden:
- Sorgfältige Planung: Eine sorgfältige Planung der Operation mit Hilfe von Röntgenaufnahmen oder CT-Aufnahmen ist wichtig, um den Nervverlauf zu beurteilen und die Operation entsprechend zu planen.
- Erfahrung des Operateurs: Wählen Sie einen erfahrenen Operateur, der mit den anatomischen Verhältnissen im Kieferbereich vertraut ist.
- Schonende Operationstechnik: Eine schonende Operationstechnik, die den Nerv nicht unnötig belastet, ist entscheidend.
- Vermeidung von unnötigem Druck: Vermeiden Sie unnötigen Druck auf den Nerv während der Operation.
- Aufklärung des Patienten: Der Patient sollte vor der Operation über die möglichen Risiken und Komplikationen aufgeklärt werden.
- Verwendung von kurzen Implantaten und Stoppern: Um die Sicherheit des chirurgischen Eingriffs zu gewährleisten, verwenden Ärzte manchmal kurze Implantate und Stopper, um die Integration des Titanstifts in das Knochengewebe zu kontrollieren.
- Sicherheitsabstand zum Nerv: Bei nervnahen Implantaten sollte ein Sicherheitsabstand von 2 mm zum Nerv eingehalten werden.
Prognose
Die Prognose für das Taubheitsgefühl nach einer Weisheitszahn-OP ist in den meisten Fällen gut. Oft bildet sich das Taubheitsgefühl innerhalb von Wochen oder Monaten von selbst zurück. In manchen Fällen kann es jedoch auch länger dauern oder dauerhaft bestehen bleiben. Die Wahrscheinlichkeit einer vollständigen oder teilweisen Erholung hängt von der Art und dem Schweregrad der Nervverletzung ab.
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