Die COVID-19-Pandemie hat nicht nur akute gesundheitliche Auswirkungen, sondern auch langfristige Folgen für viele Betroffene. Ein wachsendes Problem sind neurologische Beschwerden, die nach einer Corona-Infektion auftreten können. In diesem Artikel werden die Ursachen für Taubheitsgefühle und andere neurologische Symptome im Zusammenhang mit COVID-19 beleuchtet und mögliche Behandlungsansätze aufgezeigt.
Einleitung
Viele Menschen, die eine Corona-Infektion überstanden haben, leiden unter anhaltenden Beschwerden, die als Long-COVID oder Post-COVID-Syndrom bekannt sind. Diese Langzeitfolgen können vielfältig sein und verschiedene Organsysteme betreffen. Neurologische Symptome wie Taubheitsgefühle, Kribbeln, Schmerzen und Muskelschwäche sind dabei keine Seltenheit. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen dieser Symptome, die sowohl durch direkte Auswirkungen des Virus als auch durch indirekte Mechanismen wie Entzündungsreaktionen und Autoimmunprozesse verursacht werden können.
Long-COVID und Post-COVID-Syndrom
Die Begriffe Long-COVID und Post-COVID-Syndrom werden verwendet, um anhaltende Symptome nach einer Corona-Infektion zu beschreiben. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht man von Long-COVID, wenn Symptome länger als vier Wochen nach der Infektion bestehen. Das Post-COVID-Syndrom wird definiert als Symptome, die mehr als drei Monate nach der Akutinfektion andauern. Schätzungen zufolge könnten weltweit bis zu 43 Prozent der Infizierten von diesen Langzeitfolgen betroffen sein.
Häufige neurologische und neuropsychiatrische Symptome
Eine Metanalyse hat die häufigsten neurologischen und neuropsychiatrischen Symptome des Post-COVID-19-Syndroms bei Erwachsenen identifiziert:
- Fatigue (Erschöpfung): 37 Prozent
- Gehirnnebel (Brain Fog): 32 Prozent
- Gedächtnisprobleme: 28 Prozent
- Aufmerksamkeitsstörungen: 22 Prozent
- Muskelschmerzen: 17 Prozent
- Kopfschmerzen: 15 Prozent
- Geruchsverlust: 12 Prozent
- Geschmacksstörungen: 10 Prozent
Fatigue und Postexertionelle Malaise (PEM)
Fatigue ist eines der am häufigsten berichteten Symptome nach einer Corona-Infektion. Es handelt sich dabei um eine Erschöpfung, die unverhältnismäßig zur vorangegangenen Anstrengung ist und durch Schlaf nicht beseitigt werden kann. Besonders belastend ist die Postexertionelle Malaise (PEM), bei der es nach körperlicher oder geistiger Anstrengung zu einer langanhaltenden Verschlechterung der Symptome kommt. Dieser Zustand, oft als "Crash" bezeichnet, kann Tage bis Wochen andauern und das Leistungs- und Aktivitätsniveau erheblich reduzieren.
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Kognitive Beeinträchtigungen
Kognitive Beschwerden wie Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sind ebenfalls häufige Symptome nach einer Corona-Infektion. Diese Beeinträchtigungen können die Betroffenen stark im Alltag und bei der Arbeit einschränken. Studien deuten darauf hin, dass kognitive Störungen länger anhalten können als andere neurologische Symptome. Bildgebungsstudien haben Veränderungen in bestimmten Hirnregionen von Long-COVID-Betroffenen gefunden, die diese kognitiven Beschwerden teilweise erklären könnten.
Geruchs- und Geschmacksstörungen
Ein plötzlicher Geruchsverlust mit begleitender Minderung des Geschmackssinns ist ein häufiges Symptom bei einer SARS-CoV-2-Infektion. Bei einigen Betroffenen hält dieser Geruchsverlust über längere Zeiträume an. Studien haben gezeigt, dass auch ein Jahr nach der Infektion noch ein erheblicher Teil der Betroffenen unter Geruchsproblemen leidet. Die Ursachen für diese Störungen sind noch nicht vollständig geklärt, könnten aber mit Veränderungen im Geruchszentrum des Gehirns zusammenhängen.
Psychiatrische Erkrankungen
Es gibt einen bekannten Zusammenhang zwischen Virusinfektionen, insbesondere Coronaviren, und psychiatrischen Erkrankungen. Depressionen, Angstzustände und posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) wurden nach einer Corona-Infektion beschrieben. Insbesondere Personen mit schweren Infektionen, die im Krankenhaus behandelt werden mussten, leiden häufiger unter PTBS. Das Vorliegen einer bereits diagnostizierten psychiatrischen Störung ist ein wichtiger Risikofaktor für psychische Folgeerscheinungen.
Kopfschmerzen und Muskelschmerzen
Kopfschmerzen sind ein weiteres häufiges Symptom sowohl während der akuten Erkrankung als auch im Langzeitverlauf. Die Kopfschmerzintensität in der akuten Phase kann mit einer längeren Dauer der Kopfschmerzen verbunden sein. Die Kopfschmerzen ähneln teilweise einer Migräne mit begleitender Geräusch- oder Lichtempfindlichkeit sowie Übelkeit und Erbrechen. Muskelschwäche und -schmerzen werden ebenfalls häufig angegeben und treten oft in Zusammenhang mit Fatigue auf.
Taubheitsgefühl und Neuropathie nach Corona
Eine periphere Neuropathie, also eine Schädigung der peripheren Nerven, kann sich in Form von Taubheitsgefühlen, Kribbeln und Schmerzen in den Extremitäten äußern. Es gibt Hinweise darauf, dass eine COVID-19-Infektion das Risiko für eine periphere Neuropathie erhöhen kann.
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Studienlage zu Neuropathie und COVID-19
Eine Studie der University of Washington School of Medicine in St. Louis ergab, dass Personen, die positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden, etwa dreimal häufiger über Schmerzen, Taubheitsgefühl oder Kribbeln in Händen und Füßen berichteten als Personen mit negativem Testergebnis. Fast 30 Prozent der positiv getesteten Patienten berichteten zum Zeitpunkt der Diagnose über Neuropathie-Symptome, und bei 6 bis 7 Prozent hielten die Symptome mindestens zwei Wochen bis zu drei Monate an.
Mögliche Ursachen für Neuropathie nach COVID-19
- Direkte Nervenschädigung durch das Virus: Einige Viren, wie HIV und Gürtelrose, können die Nerven direkt schädigen und eine Neuropathie verursachen. Es ist möglich, dass auch SARS-CoV-2 eine ähnliche Wirkung hat.
- Entzündungsreaktionen: Die durch die Infektion ausgelösten Entzündungsreaktionen können die Nerven schädigen.
- Autoimmunprozesse: In einigen Fällen kann das Immunsystem nach einer Infektion fälschlicherweise die eigenen Nerven angreifen und eine Neuropathie verursachen.
- Durchblutungsstörungen: Chronische Entzündungsreaktionen, Autoimmunität und Gerinnungsstörungen können zu Durchblutungsstörungen in kleinen Gefäßen führen und die Nerven schädigen.
- Intensivstationäre Behandlung: Bei schweren Verläufen kann es im Rahmen einer intensivstationären Behandlung zu bleibenden sensiblen und motorischen Nervenschäden (Critical-Illness-Polyneuropathie/Myopathie, CIP/CIM) kommen.
Guillain-Barré-Syndrom (GBS)
Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist eine seltene Nervenerkrankung, die in seltenen Fällen nach einer Virus- oder Bakterieninfektion auftreten kann. Es handelt sich dabei um eine Autoimmunerkrankung, bei der sich das Immunsystem irrtümlich gegen die eigenen Nerven richtet. Symptome sind Kribbeln und Taubheitsgefühl in den Beinen, Armen oder im Gesicht, sowie Lähmungserscheinungen, die sich von den Beinen nach oben hin ausbreiten können. In schlimmen Fällen kann auch die Atmung betroffen sein. Eine israelische Studie zeigte, dass das Risiko für GBS nach einer SARS-CoV-2-Infektion um über das Sechsfache erhöht ist. Interessanterweise kann eine Impfung mit einem mRNA-Impfstoff das Risiko für GBS sogar senken.
Diagnose und Behandlung
Die Diagnose eines Long-COVID-Syndroms mit neurologischen Symptomen erfordert eine umfassende neurologische und psychiatrische Untersuchung. Dabei können verschiedene diagnostische Methoden zum Einsatz kommen:
- EEG (Elektroenzephalographie): Zur Messung der Hirnströme.
- Kernspintomografie (MRT) des Schädels und/oder der Wirbelsäule: Zur Darstellung von Gehirn und Rückenmark.
- Messung der Nervenleitgeschwindigkeiten und Elektromyografie (EMG): Zur Beurteilung der Funktion der peripheren Nerven und Muskeln.
- Neuropsychologische Testung: Zur Erfassung kognitiverDefizite.
- Umfangreiche laborchemische Untersuchungen: Zum Ausschluss anderer Ursachen und zur Beurteilung von Entzündungsparametern.
Behandlungsmöglichkeiten
Eine unmittelbare Therapie des Long- oder Post-COVID-Syndroms existiert bislang noch nicht. Die Behandlung konzentriert sich auf die Linderung der Symptome und die Verbesserung der Lebensqualität.
- Symptomatische Behandlung: Schmerzen werden symptomatisch mit herkömmlichen Schmerzmitteln behandelt.
- Physiotherapie: Zur Verbesserung der Muskelkraft und Koordination.
- Ergotherapie: Zur Verbesserung der Alltagsfähigkeiten und kognitiven Funktionen.
- Logopädie: Bei Stimmstörungen und Schluckbeschwerden.
- Psychotherapie: Bei psychischen Beschwerden wie Depressionen und Angstzuständen.
- Kognitives Training: Zur Verbesserung der Konzentration und des Gedächtnisses.
- Elektrostimulationen am Gehirn (rTMS und TDCS): In einigen Fällen können Elektrostimulationen am Gehirn zur Besserung von Müdigkeitssyndromen und Konzentrationsstörungen eingesetzt werden.
- Cortisonstoß-Therapie oder Immunglobuline: Bei Nervenentzündungen und Nervenausfällen.
- Plasmaaustausch: In schweren Fällen von Nervenentzündungen.
Anlaufstellen für Betroffene
Die erste Anlaufstelle für Betroffene ist der Hausarzt, der bei Bedarf an Fachärzte überweisen kann. Spezialambulanzen für Long-COVID und Post-Vac-Syndrom bieten eine umfassendeDiagnostik undBehandlung an. Auch neurologische Privatpraxen können eine umfassende Abklärung und multimodale Therapie anbieten.
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Post-Vac-Syndrom
Neben den Langzeitfolgen einer Corona-Infektion gibt es auch Berichte über ähnliche Symptome nach einer Corona-Impfung, die als Post-Vac-Syndrom bezeichnet werden. Betroffene berichten von kognitiven oder neurologischen Symptomen, die an das Long-COVID-Syndrom erinnern.
Studienlage und Ursachenforschung
Die Studienlage zum Post-Vac-Syndrom ist noch dünn. Es gibt Hinweise darauf, dass die Impfung bei einigen Patienten etwas triggern könnte, etwa in Form einer Reaktivierung früherer Viruserkrankungen oder einer Autoimmunreaktion. Auch eine Beteiligung des Vagusnerv wird diskutiert. Die Universität Marburg plant eine deutschlandweite Erhebung, um Menschen mit einem erhöhten Risiko für Post-Vac vor der nächsten Impfkampagne im Herbst herauszufiltern und diese Menschen dann zu schützen.
Behandlungsmöglichkeiten
Die Behandlung des Post-Vac-Syndroms ähnelt der Behandlung des Long-COVID-Syndroms und konzentriert sich auf die Linderung der Symptome.
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