Unser Gehirn ist zu erstaunlichen Leistungen fähig, auch wenn es darum geht, Texte zu verstehen, in denen Buchstaben fehlen oder vertauscht sind. Diese Fähigkeit beruht auf komplexen neuronalen Prozessen, die es uns ermöglichen, Wörter als Ganzes zu erkennen und Muster zu vervollständigen.
Wie das orthographische Lexikon im Gehirn entsteht
Die Grundlage für sicheres Lesen und Schreiben bildet ein bestimmtes Hirngebiet, das sogenannte orthographische Lexikon. Dieses speichert die Buchstabenfolgen von Wörtern und ermöglicht es uns, Wörter schnell zu lesen und sicher zu schreiben. Die gespeicherte Buchstabenfolge eines Wortes ist also entscheidend für unsere Fähigkeit, das Wort korrekt zu erkennen und zu reproduzieren.
Leseanfänger haben noch keine Wörter im orthographischen Lexikon gespeichert. Wenn ein Kind ein Wort wiederholt liest, kommt es zu einer ersten Speicherung der Buchstabenfolge im "Gebiet für visuelle Wortformen". Damit Wörter richtig geschrieben werden, ist eine noch genauere Speicherung der Buchstabenfolge eines Wortes nötig. Ein gezieltes Speichertraining, wie es mit den IntraActPlus-Materialien erfolgt, vertieft diese Speicherung und macht sie schnell und mühelos abrufbar.
Die Rolle der visuellen Wortform Area (VWFA)
Durch moderneTechniken wie fMRI (functional magnetic resonance imaging) können Wissenschaftler genau feststellen, welche Hirnareale bei bestimmten Aufgabenstellungen aktiv sind. Studien haben gezeigt, dass sich ein bestimmtes Gebiet in der linken Gehirnhälfte auf die Speicherung von Buchstabenfolgen spezialisiert hat. Jedes Wort ist durch einen eigenen, nur auf das Erkennen dieses Wortes spezialisierten Neuronenverband repräsentiert.
Falsche Schreibweisen und ihre Auswirkungen
Es ist wichtig zu beachten, dass auch fehlerhafte Schreibweisen im orthographischen Lexikon gespeichert werden können. Wenn ein Kind ein Wort falsch schreibt oder liest, wird eine falsche Speicherung angelegt. Dies kann dazu führen, dass sich falsche Schreibweisen im Gehirn verfestigen und immer schwerer zu korrigieren sind. Deshalb sind Lernmethoden wie das "Schreiben nach Gehör", mit denen Kinder unzählige Fehler machen, für das Lesen- und Schreibenlernen katastrophal. Auch, wenn Kinder versuchen, nach Regeln zu schreiben, finden sie über diesen Weg nur für ganz wenige Wörter sicher die richtige Rechtschreibung.
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Experimentelle Studien haben gezeigt, dass bereits das Lesen von falsch geschriebenen Wörtern die Rechtschreibung dieser Wörter verschlechtern kann. Versuchspersonen, die Wörter mit Fehlern gezeigt bekamen, schrieben diese Wörter in einem späteren Diktat häufiger falsch. Das Gehirn speichert also den Rechtschreibfehler auch dann, wenn Menschen bewusst wissen, dass diese Schreibweise falsch ist.
Training und Prävention
Um fehlerhafte Speicherungen zu vermeiden, ist es wichtig, Kindern so früh wie möglich das Speichern der richtigen Rechtschreibung zu vermitteln. Die Rechtschreibung erster Wörter wird bereits in den Lernheften „Schreiben lernen nach dem IntraActPlus-Konzept“ gespeichert. Lassen Sie Kinder erst die schwierigen Wörter ganz sicher üben. Erst, wenn sie sicher beherrscht werden, werden die Wörter anschließend im Satz oder Text geschrieben. Die Lernhefte „Rechtschreiben lernen nach dem IntraActPlus“ sind durchgehend nach diesem Prinzip aufgebaut.
Es ist auch wichtig, Kindern beizubringen, sich Hilfe zu holen, wenn sie sich bei der Schreibweise eines Wortes nicht sicher sind. Sie sollten sich das Wort beispielsweise von einem Erwachsenen richtig vorschreiben lassen. Vermeiden Sie es, Kinder Texte mit Fehlern lesen zu lassen oder sie dazu aufzufordern, falsch geschriebene Wörter genau anzuschauen, um den Fehler zu finden.
Der Zusammenhang zwischen Lesen und Rechtschreiben
Studien haben gezeigt, dass ein enger Zusammenhang zwischen den Leistungen im Lesen und im Rechtschreiben besteht. Ein effektives Rechtschreibtraining kann nicht nur die Rechtschreibung verbessern, sondern auch die Lesegeschwindigkeit.
Eine Studie untersuchte die Auswirkungen eines Rechtschreibtrainings auf die Lese- und Rechtschreibleistungen von Versuchspersonen. Die Versuchspersonen sollten Wörter lesen und anschließend nach Diktat schreiben. Die falsch geschriebenen Wörter wurden dann in zwei Bedingungen aufgeteilt: In der ersten Bedingung wurden den Versuchspersonen die Wörter in Verbindung mit einer Definition vorgelesen. In der zweiten Bedingung bekamen die Versuchspersonen jedes Wort einzeln richtig geschrieben auf einem Kärtchen gezeigt. Dann wurde das Kärtchen weggenommen und die Person sollte das Wort aufschreiben. Das Kärtchen wurde wieder gezeigt und die Versuchsperson sollte beide Schreibweisen vergleichen.
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Die Ergebnisse zeigten, dass das Rechtschreibtraining sehr effektiv war. Die Versuchspersonen konnten danach 78% der vorher falsch geschriebenen Wörter richtig schreiben. Zudem wurden die im Rechtschreibtraining geübten Wörter nachher auch deutlich schneller gelesen.
Die Fähigkeit des Gehirns zur Mustererkennung
Unser Gehirn kann Wörter auch dann erkennen, wenn bestimmte Buchstaben fehlen oder vertauscht sind. Dies liegt daran, dass es Wörter als Ganzes erkennt und sich auf die Mustererkennung verlässt. Wichtig ist nur, dass der erste und letzte Buchstabe am richtigen Platz stehen. So ist es also kein Problem, Wörter ohne Vokale zu verstehen - soweit es sich um geläufige Wörter handelt.
Dieses Phänomen lässt sich durch folgendes Beispiel verdeutlichen:
"Lseen Sie den Txet bttie luat vor. Ist es nhcit vrebfülnefd, wie enifcah das geilgnt, owbhol kuam ein Bhsucabte am rcihtgein Ort sehtt? Nur der etsre und der leztte Bsuhcbate von jdeem Wrot beliebn eraheltn. Das gnegüt uesnerm Gerhin, um die Wtore zu eekrennn."
Obwohl die Buchstaben in den meisten Wörtern vertauscht sind, ist der Text leicht lesbar. Dies zeigt, dass unser Gehirn in der Lage ist, die Wörter anhand des ersten und letzten Buchstabens sowie des Gesamtkontexts zu erraten.
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Leseschwäche und Lesestörung
Es ist wichtig, zwischen einer Leseschwäche und einer Lesestörung zu unterscheiden. Ob man von einer Leseschwäche oder einer Lesestörung spricht, hängt von dem Grad der Verminderung der Leseleistung ab. Die Verminderung einer für das Lesen notwendigen Hirnfunktion kann durch eine nicht optimale Entwicklung oder durch eine erworbene Funktionsstörung (z. B. ein Hirnschaden durch einen Unfall) des betreffenden neuronalen Netzwerkes zustande kommen. Doch auch psychische Faktoren können dazu führen, dass bestimmte Hirnleistungen nicht hinreichend ausgeschöpft werden, obwohl diese Hirnleistungen völlig normal angelegt und ungestört sind.
Im Fall einer Lesestörung muss die betreffende verminderte Hirnleistungen identifiziert und therapeutisch berücksichtigt werden. Häufige Ursachen für Lesestörungen sind zu kurze Fixationsphasen, eine verminderte Fähigkeit zum Simultanerkennen, ein verkleinertes Aufmerksamkeitsfeld, unangepasste Größe der Blicksprünge, verminderte Leistungen des Gedächtnisses und des Abrufs von Lautfolgen sowie ein vermindertes Behalten gelesener Wortsegmente und mangelnde geteilte Aufmerksamkeit.
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