THC nach Schlaganfall: Aktuelle Studienlage und potenzielle Auswirkungen

Die Legalisierung von Cannabis in Deutschland ist ein viel diskutiertes Thema, insbesondere seit dem Inkrafttreten neuer Regelungen am 1. Juli 2024. Unabhängig von der Legalität des Konsums bleiben die gesundheitlichen Folgen relevant. Studien untersuchen zunehmend die Auswirkungen von Cannabis, insbesondere im Zusammenhang mit Schlaganfällen. Dieser Artikel beleuchtet die aktuelle Studienlage zu THC (Tetrahydrocannabinol) und anderen Cannabinoiden nach einem Schlaganfall, ihre potenziellen Vor- und Nachteile sowie die Rolle von medizinischem Cannabis in der Schlaganfall-Nachsorge.

Cannabis und das Herz-Kreislauf-System: Eine wachsende Besorgnis

Dr. Axel Harnath, Chefkardiologe im Sana-Herzzentrum Cottbus, warnt eindringlich vor den Auswirkungen von Cannabiskonsum auf das Herz-Kreislauf-System. Er erklärt, dass im menschlichen Organismus spezielle Rezeptoren für Cannabis existieren, an denen der Wirkstoff andocken kann. Der Konsum von Cannabis, auch bekannt als Marihuana oder Gras, beeinflusst nicht nur Gefühle, Stimmungen und Reaktionen, sondern hat auch nachweisbare Effekte auf das Herz-Kreislauf-System und Wechselwirkungen mit verschiedenen Medikamenten.

Risiken und Auswirkungen

Die Inhaltsstoffe von Cannabis können Arteriitis auslösen, also Entzündungen an den Gefäßwandungen. Auch krampfartige Verengungen von Blutgefäßen sind eine häufige Reaktion, die als Gefäßspasmen bezeichnet wird. Darüber hinaus können Blutplättchen verklumpen und Gefäßverschlüsse verursachen, wenn der Wirkstoff an Rezeptoren auf den Blutplättchen andockt.

Erhöhtes Risiko für Schlaganfälle und Hirnblutungen

Eine großangelegte US-amerikanische Studie mit mehreren tausend Teilnehmern zeigte, dass Cannabiskonsum zu einem erhöhten Risiko für ischämische Schlaganfälle führt, die durch Durchblutungsstörungen ausgelöst werden. Zudem traten vermehrt intrazerebrale Blutungen, also Blutungen im Gehirn, und Herzrhythmusstörungen auf. Interessanterweise erhöht Cannabis auch das Risiko für Lungenkrebs.

Auswirkungen auf Jugendliche

Bei Jugendlichen kann regelmäßiger Cannabiskonsum die Entwicklung des Gehirns beeinträchtigen und zu Beeinträchtigungen der Konzentration, Aufmerksamkeit und Lernfähigkeit führen.

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Aktuelle Studien und Forschungsergebnisse

Eine retrospektive Kohortenstudie wertete Daten von 53 US-amerikanischen Gesundheitseinrichtungen über das TriNetX-Netzwerk aus. Die Ergebnisse zeigten eine deutliche Risikozunahme in Bezug auf Myokardinfarkt bei Cannabis-Konsumenten, wobei das Risiko über sechsmal höher war als bei Nicht-Konsumenten. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit früheren Studien, die akute koronare Syndrome nach Cannabiskonsum dokumentieren. Insbesondere in der ersten Stunde nach dem Konsum kann das Infarktrisiko auf das fast Fünffache ansteigen.

Einschränkungen der Studien

Zu den Einschränkungen der Studie zählt das Fehlen detaillierterer Angaben zum Cannabiskonsum sowie die potenzielle Fehldokumentation in den zugrunde liegenden Real-World-Daten. Zukünftige Forschung sollte sich auf Dosis-Wirkungs-Beziehungen und die Effekte von synthetischen Cannabinoiden konzentrieren.

Klinische Relevanz

Die explizite Drogenanamnese sollte auch bei kurzem kardiologischem Kontakt Beachtung finden, um das kardiovaskuläre Risikoprofil umfassend einschätzen zu können.

Cannabis und Schlaganfall: Spezifische Studien

Eine Studie aus Neuseeland deutet darauf hin, dass Cannabiskonsum das Schlaganfallrisiko verdoppeln könnte. Alan Barber, Professor für Klinische Neurologie, präsentierte auf einer Konferenz der American Stroke Association Studienergebnisse, die darauf hindeuten, dass Cannabiskonsum eine Ursache für ischämische Schlaganfälle sein könnte.

Studiendesign und Ergebnisse

Barber und sein Team untersuchten 160 Patienten, die wegen eines Schlaganfalls ins Krankenhaus eingeliefert wurden, auf Cannabiskonsum. Zum Vergleich wurde eine Kontrollgruppe von 160 Personen einbezogen, die aus anderen Gründen stationär behandelt wurden. Bei 16 Prozent der Schlaganfallgruppe konnte Cannabiskonsum nachgewiesen werden, während dies nur bei 8 Prozent der Kontrollgruppe der Fall war.

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Einschränkungen und Kritik

Barber wies darauf hin, dass fast alle Cannabiskonsumenten auch Tabak rauchten, was die Aussagekraft einschränkt. Ralph Sacco von der American Stroke Association bemängelte die methodischen Probleme der Studie und forderte weitere Studien, um die Ergebnisse zu belegen.

Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und Herzkreislauferkrankungen

Eine aktuelle Studie von Abra M. Jeffers und ihrem Team wertete die Gesundheitsdaten von über 400.000 Erwachsenen in den USA aus. Die Analysen zeigten einen deutlichen Zusammenhang zwischen täglichem Cannabiskonsum und Herzkreislauferkrankungen, insbesondere Herzinfarkt und Schlaganfall.

Unabhängiger Risikofaktor

Die Studie konnte nachweisen, dass auch Cannabiskonsumenten, die noch nie Tabak geraucht oder E-Zigaretten konsumiert haben, ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall haben. Cannabis wurde als „unabhängiger Faktor“ identifiziert, der auch dann schädlich für das Herz-Kreislauf-System ist, wenn keine weiteren bekannten Risikofaktoren vorliegen.

Dosis-Wirkungs-Beziehung

Die Studie zeigte auch eine Dosis-Wirkungs-Beziehung: Je mehr die Befragten Cannabis konsumierten, desto höher war ihr Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen.

Cannabis als Medikament gegen Spastik nach Schlaganfall

Cannabis rückt zunehmend in den Fokus der medizinischen Supportivtherapie bei Schlaganfall. Eine häufige Folge eines Schlaganfalls sind Spastiken, die für Patienten sehr unangenehm sein können. Die Ursache ist der Verlust von Signalen aus dem Gehirn zu den Muskeln, was zu einer dauerhaften Muskelanspannung führt.

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Endocannabinoid-System und Spastik

Endocannabinoide spielen eine wichtige Rolle in der Regulation von Muskeltonus und Bewegungssteuerung. Bei Spastik zeigt sich häufig ein gestörtes Gleichgewicht in diesen Regelkreisen. Das Endocannabinoid-System wirkt über CB1-Rezeptoren hemmend auf überaktive Reflexbögen im Rückenmark, wodurch die übersteigerte Muskelspannung gesenkt werden kann.

Cannabinoide und ihre potenziellen Vorteile

Studien zeigen, dass Cannabinoide wie THC und CBD viele Vorteile haben könnten. Auch Terpene, Cannaflavoline und Ester aus Cannabis könnten neuroprotektive, entzündungshemmende und muskelentspannende Effekte haben. Diese Eigenschaften könnten genutzt werden, um Spastiken zu lindern, Schmerzen zu reduzieren und die Regeneration zu unterstützen.

Ergänzende Therapie

Cannabis ersetzt keinesfalls Standardtherapien, sondern wird zur Linderung von Folgesymptomen eingesetzt, um die Lebensqualität von Patienten spürbar zu verbessern und dem körperlichen Verfall entgegenzuwirken.

Therapieoptionen mit Cannabis

Medizinisches Cannabis ist in Deutschland verschreibungsfähig und kann bei Symptomen wie Muskelspastiken, chronischen Schmerzen, Schlafstörungen, Angstzuständen, Depressionen, Appetitlosigkeit und kognitiven Störungen positiv wirken. Es wird in verschiedenen Formen verabreicht:

  • Cannabisblüten (über Vaporizer inhaliert)
  • Cannabisextrakte (z. B. Tropfen, Öle, Tinkturen) mit allen Inhaltsstoffen der Cannabispflanze
  • Fertigarzneimittel (wie Sativex® bei Spastik)
  • Reines THC oder CBD-Isolat (nicht empfohlen!)

Sativex und CBD-Öl

Bei Spastikpatienten gibt es gute Beweise für Sativex®, ein Mundspray mit THC und CBD, das für Multiple Sklerose zugelassen ist, aber auch nach einem Schlaganfall verwendet werden kann. CBD-Öl wird oft bei Angstzuständen und Schlafstörungen genutzt, da es nicht psychoaktiv ist.

Individuelle Dosierung

Wichtig ist eine individuelle Dosierung, oft nach dem Motto „start low, go slow“ (langsam einschleichen). Die Wirkung und Verträglichkeit müssen regelmäßig ärztlich überwacht werden.

Vorteile von medizinischem Cannabis

  • Muskelentspannung: Cannabinoide wirken direkt auf das Endocannabinoidsystem, das an der Muskelsteuerung beteiligt ist.
  • Schmerzlinderung: Besonders neuropathische Schmerzen, die oft schwer behandelbar sind, können durch Cannabis gebessert werden.
  • Verbesserter Schlaf: Viele Betroffene berichten von erholsamerem Schlaf.
  • Stimmungsaufhellung: Cannabis kann Ängste und depressive Verstimmungen lindern.
  • Appetitanregung: Gerade bei Untergewicht und Appetitlosigkeit hilfreich.
  • Mögliche Neuroprotektion: Tierstudien zeigen, dass Cannabis das Gehirn vor Schäden schützen kann. Studien am Menschen sind jedoch noch nötig.

Risiken von medizinischem Cannabis

  • Psychoaktive Effekte: THC kann in seltenen Fällen Verwirrtheit oder Angst auslösen.
  • Herz-Kreislauf-Belastung: Cannabis kann den Blutdruck senken oder den Puls erhöhen.
  • Rechtliche Einschränkungen: Auch wenn medizinisches Cannabis erlaubt ist, können Autofahren oder Arbeiten unter Einfluss subjektiv erschwert sein.

Patientenbeispiel: Herr Schröder

Herr Schröder, 72 Jahre alt, erlitt vor rund einem Jahr einen ischämischen Schlaganfall. Trotz intensiver Physiotherapie und klassischer Medikation kam es zu keiner zufriedenstellenden Besserung seiner Spastiken. Auf Empfehlung seiner Tochter suchte er eine Cannabis-Schwerpunktpraxis auf. Nach ausführlicher Aufklärung wurde ein Therapieversuch mit einem THC/CBD-Mundspray eingeleitet. Innerhalb weniger Wochen zeigte sich eine deutliche Reduktion der Muskelverkrampfungen, wodurch Herr Schröder wieder besser laufen und ruhiger schlafen konnte.

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