Die mechanische Thrombektomie (MT) hat sich als Standardverfahren zur Behandlung des akuten ischämischen Schlaganfalls infolge thrombotischer Verschlüsse großer Hirnarterien (Large Vessel Occlusion, LVO) der vorderen Zirkulation etabliert. Ursprünglich auf ein enges Zeitfenster beschränkt, deuten neue Forschungsergebnisse darauf hin, dass die MT auch bei Patienten mit größerem Infarktareal und in einem erweiterten Zeitfenster von bis zu 24 Stunden von Vorteil sein kann.
Grundlagen der mechanischen Thrombektomie
Die Etablierung der MT als effektive Schlaganfallbehandlung basiert auf mehreren randomisierten, kontrollierten Studien, die im Jahr 2015 veröffentlicht wurden. Diese Studien zeigten, dass die MT im Vergleich zur alleinigen medikamentösen Therapie die neurologischen Ergebnisse bei Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall signifikant verbessert.
Im Jahr 2018 lieferten die DAWN- und DEFUSE-3-Studien weitere Beweise für den Nutzen der MT. Diese Studien zeigten, dass die endovaskuläre Thrombektomie bei sorgfältig ausgewählten Patienten auch innerhalb eines Zeitfensters von sechs bis 24 Stunden nach Schlaganfallbeginn zu deutlich besseren neurologischen Ergebnissen führen kann. Die Selektion erfolgte dabei anhand einer Diskrepanz (Mismatch) zwischen (relativ kleinem) Infarktvolumen und der Schwere der klinischen Ausfälle (DAWN-Studie) bzw. zur Klärung des Behandlungsbedarfs bei Patienten mit großen Ischämiearealen.
Die Herausforderung großer ischämischer Hirnareale
Der Stellenwert der Thrombektomie bei Patienten mit akutem Schlaganfall und größeren ischämischen Hirnarealen, bei denen eine mechanische Gerinnselentfernung erst später als sechs Stunden nach Schlaganfall-Beginn möglich ist, ist weiterhin Gegenstand der Forschung. Derzeit laufen randomisierte kontrollierte Studien, deren Ergebnisse mit Spannung erwartet werden.
Registerdaten liefern optimistische Ergebnisse
Im Vorfeld dieser Studien hat eine deutsche Untersuchergruppe optimistisch stimmende Ergebnisse einer retrospektiven Analyse von Registerdaten aus dem German Stroke Registry - Endovascular Treatment (GSR-ET) veröffentlicht. Die Analyse deutet darauf hin, dass eine mechanische Thrombektomie auch bei Patientinnen und Patienten mit Schlaganfall und Zeichen eines ausgedehnten Hirninfarkts, die sich in der Zeit zwischen sechs und 24 Stunden nach Schlaganfall-Beginn präsentierten, mit besseren Behandlungsergebnissen assoziiert war.
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Von den insgesamt 5853 im GSR-ET-Register erfassten Patientinnen und Patienten erfüllten 285 (5%) die Einschlusskriterien für die aktuelle Analyse. Diese Patienten wiesen CT-basiert einen ischämischen Schlaganfall infolge eines proximalen Arterienverschlusses der vorderen Zirkulation mit ausgedehntem Ischämieareal (definiert als Alberta Stroke Programm CT Score [ASPECTS] < 5) auf, wobei seit Beginn des Schlaganfalls sechs bis maximal 24 Stunden vergangen waren.
Verbesserte Ergebnisse nach erfolgreicher Rekanalisation
Der primäre Endpunkt der Analyse war ein günstiges neurologisches Behandlungsergebnis, definiert als mRS (modified Rankin Scale)-Score ≤3 nach 90 Tagen. Bei 215 Patienten (75%) erwies sich die endovaskuläre Rekanalisation der betroffenen Hirnarterie als erfolgreich. Die Studiengruppe um Dr. Gabriel Broocks vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf berichtet, dass die Rate an Patienten mit einem mRS-Scores von ≤3 nach erfolgreicher versus nicht erfolgreicher Rekanalisation signifikant höher war (32% vs. 13%, p=0,004). In der multivariaten logistischen Regressionsanalyse war eine erfolgreiche Rekanalisation unabhängig mit einer signifikant höheren Wahrscheinlichkeit für das Erreichen eines mRS-Scores von ≤3 assoziiert (adjustierte Odds Ratio: 4,39; 95% Konfidenzintervall: 1,79-10,72; p < 0,001).
Funktionelle Unabhängigkeit (mRS-Score ≤2) bestand nach 90 Tagen bei 20% der Patienten (57 von 285). Auch der Anteil der Patienten mit einem mRS-Score ≤2 war nach erfolgreicher versus nicht erfolgreicher Rekanalisation signifikant höher (23% vs. 9%, p=0,01).
Die multivariate logistische Regressionsanalyse ergab, dass eine erfolgreiche Rekanalisation bei Patienten mit einem ASPECT-Score von 3 - 5 und einem Zeitfenster von bis zu 13,8 Stunden (für einen mRS-Score von 0-2) respektive 17,6 Stunden (für einen mRS-Score von 0-3) mit einem besseren neurologischen Ergebnis assoziiert war.
Neue Studien bestätigen erweitertes Zeitfenster
Zwei neue Studien, eine chinesische und eine internationale, bestätigen nun, dass Patientinnen und Patienten mit schwersten Schlaganfällen mit dieser modernen Therapiemethode sogar im Zeitfenster bis zu 24 Stunden nach Symptombeginn noch erfolgreich behandelt werden können. Aufgrund der überragenden Wirkung der Thrombektomie wurden beide Studien frühzeitig abgebrochen, was einmal mehr die starke Wirkung dieses Therapieverfahrens unterstreicht.
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Bedeutung von Kollateralen
Die Ausprägung arterieller Kollateralen spielt eine entscheidende Rolle bei der Progression von ischämischen Hirnarealen bei einem Schlaganfall mit Großgefäßverschluss (Large Vessel Occlusion, LVO). Patienten mit einer günstigen Ausprägung von Kollateralen in CT und CT Angiografie (CTA) haben meist ein kleineres ischämisches Kernvolumen und eine langsamere Infarkt-Progression. Eine möglichst schnelle Reperfusion der ischämischen Areale ist entscheidend für ein gutes klinisches Outcome.
Eine Studie von Forschern um Dr. Robert Regenhardt von der Harvard Medical School in Boston, USA, untersuchte, ob symmetrische Kollateralen in der CTA, LVO-Patienten mit kleinem ischämischem Kernvolumen identifizieren können. Die Ergebnisse zeigten, dass ein symmetrisches Kollateralen-Muster im CTA häufig in Verbindung mit einem niedrigen IGR und kleineren ischämischen Kern-Volumina nach 24 Stunden auftritt. Das Kollateralen-Muster könnte also ein nützlicher Parameter im Entscheidungsprozess für oder gegen eine EVT sein, insbesondere in Einrichtungen, die nicht über ein MRT oder die Möglichkeit einer CT-Perfusion verfügen.
Die Rolle der Bildgebung
Die neuroradiologische Bildgebung spielt eine entscheidende Rolle bei der Identifizierung von Patienten, die von einer Thrombektomie profitieren können. Neben dem Ausschluss anderer Ursachen eines neurologischen Defizits wie Tumor oder Blutung gilt es zu klären, wieviel Hirngewebe noch rettbar ist, sollte die Wiedereröffnung des Gefäßes gelingen. Hierzu wird heute eine multimodale Bildgebung - typischerweise per CT - eingesetzt, die neben der strukturellen Information auch den Gefäßverschluss sowie die Gewebedurchblutung erfasst.
Die Bildgebung könnte künftig auch eine Risikostratifizierung zu Beginn der Behandlung ermöglichen, um von Anfang an das richtige technische Vorgehen zu wählen.
Die Kombination von Thrombolyse und Thrombektomie
Einige Studien haben gezeigt, dass die Einleitung einer systemischen Thrombolyse vor der Thrombektomie die Prognose verbessert. Allerdings zeigte eine kürzlich publizierte Metaanalyse, dass die Gabe von Alteplase vor einer mechanischen Thrombektomie nur wirksam ist, wenn die Gabe innerhalb von zwei bis drei Stunden nach Beginn der Symptomatik durchgeführt wird. Jenseits dieses Zeitfensters bestand kein zusätzlicher Nutzen einer Thrombolyse bei mechanischer Thrombektomie.
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Eine multizentrische, doppelblinde, randomisierte, Placebo-kontrollierte Studie verglich Tenecteplase mit Placebo im Zeitfenster 4,5 bis 24 Stunden nach Beginn der Schlaganfallsymptome bei Patienten mit Verschluss der A. cerebri media oder der A. carotis interna. Die Studie zeigte keinen therapeutischen Nutzen der Thrombolyse mit Tenecteplase. Die fehlende Wirksamkeit der zusätzlichen Gabe von Tenecteplase ist wahrscheinlich dadurch bedingt, dass zwischen dem Schlaganfall und dem Beginn der Thrombolyse und der Thrombektomie zu viel Zeit verging.
Die Bedeutung der Zeit
"Time is Brain" - diese Maxime gilt nach wie vor in der Schlaganfallbehandlung. Je schneller die Behandlung erfolgt, desto besser sind die Chancen auf eine vollständige Genesung. Die mechanische Thrombektomie hat die Behandlung des akuten Schlaganfalls revolutioniert und das Zeitfenster, in dem eine Behandlung sinnvoll ist, erweitert. Trotzdem ist es wichtig, bei Schlaganfallsymptomen so schnell wie möglich in die Klinik zu kommen.
Die Thrombektomie in Deutschland
Die Deutsche Schlaganfallgesellschaft (DSG) hat im Jahr 2017 die interventionelle Behandlung von 10.680 akuten ischämischen Schlaganfällen mittels mechanischer Thrombektomie dokumentiert. 2016 waren es noch 8.852 Eingriffe. Deutschland hat in Ballungsräumen bereits ein sehr gut ausgebautes Netz an spezialisierten Schlaganfalleinrichtungen. Es besteht jedoch nach Ansicht von DSG-Experten auch hierzulande dennoch Optimierungsbedarf: Gerade in ländlichen Räumen sollten spezialisierte Stroke Units in denen Thrombektomien durchgeführt werden, unbedingt noch weiter etabliert werden.
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