Tilman Jens' Forschung zur Demenz: Eine Auseinandersetzung mit Krankheit, Familie und öffentlicher Wahrnehmung

Die Demenzforschung, insbesondere im Kontext der Auseinandersetzung mit prominenten Persönlichkeiten und ihren Familien, wirft komplexe Fragen auf. Tilman Jens' Buch über seinen Vater, den bekannten Rhetoriker Walter Jens, der an Demenz erkrankte, löste eine breite öffentliche Debatte aus. Diese Debatte erstreckte sich von Fragen der Pietät bis hin zu den ethischen Implikationen der Darstellung einer solchen Erkrankung in der Öffentlichkeit. Der vorliegende Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte dieser Kontroverse und die Beiträge von Tilman Jens zur Demenzforschung und -diskussion.

Die Kontroverse um Tilman Jens' Buch "Demenz. Abschied von meinem Vater"

Tilman Jens' Buch "Demenz. Abschied von meinem Vater" aus dem Jahr 2009 warf viele Fragen auf. Es schildert den Abbau seines Vaters Walter Jens, der an Demenz erkrankt war, und die damit verbundenen Veränderungen im Leben der Familie. Das Buch wurde nicht nur als Chronik eines Abschieds, sondern auch als Anstoß zur Reflexion über die Würde des Menschen am Ende seines Lebens verstanden. Zentraler Kritikpunkt war die These von Tilman Jens, dass die Demenz seines Vaters mit der öffentlichen Diskussion um dessen verschwiegene NSDAP-Mitgliedschaft zusammenhängen könnte.

Einige Kritiker warfen Tilman Jens "Vatermord" vor und empfanden die Veröffentlichung intimer Details als pietätlos und ehrlos. Iris Radisch bezeichnete das Buch als eine "ehrlose Entblößung seines wehrlosen Vaters". Andere Rezensenten sahen in dem Buch jedoch auch eine Chance, sich mit dem Thema Sterbehilfe auseinanderzusetzen und den Umgang mit demenzkranken Menschen zu reflektieren. Christian Geyer beispielsweise konzentrierte sich auf den Kommentar von Tilman Jens zum Thema Sterbehilfe und fragte, wie man einem kranken Menschen begegnen soll, der wie Walter Jens die aktive Sterbehilfe gefordert hat.

Trotz der Kontroversen wurde das Buch auch positiv aufgenommen. Arno Widmann lobte das Talent des Autors zum "kalten Blick", mit dem er den Verfall seines Vaters protokollierte. Er fand das Buch temperamentvoll, wütend-verzweifelt und höchst lesenswert.

Die öffentliche Lesung und die Reaktionen des Publikums

Die öffentliche Lesung von Tilman Jens aus seinem Buch wurde von gemischten Gefühlen begleitet. Eine Zuhörerin aus Tübingen gestand, dass sie mit Bauchschmerzen zu der Lesung gegangen sei, da sie keine intimen Details aus dem Leben des demenzkranken Walter Jens hören wollte. Sie wollte sich jedoch ein Urteil bilden, ob der Sohn mit dem Buch tatsächlich Vatermord begangen habe.

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Tilman Jens wurde mit verhaltenem Applaus begrüßt. Er las Passagen aus seinem Buch vor, unter anderem über die NSDAP-Mitgliedschaft seines Vaters und das neue Glück auf Margits Bauernhof in Mähringen. Auf die Frage, ob er mit den heftigen Reaktionen gerechnet habe, antwortete Jens: "Nein, wenn eines absurd ist, dann der Vorwurf des Vatermordes. Ich habe und hatte ein gutes Verhältnis zu ihm."

Demenz als Flucht vor der Verantwortung?

Tilman Jens thematisierte in seinem Buch auch die Frage, ob Demenz als Flucht vor der Verantwortung dienen könnte. Er betonte jedoch, dass er sein Buch nicht so verstanden wissen wolle. Er räumte ein, dass es ihn traurig mache, dass sein Vater nicht über seine NSDAP-Mitgliedschaft sprechen konnte. Die Hirnforschung zeige, dass Demenz nicht selten nach biographischen Traumata ausbreche. Für seinen Vater sei mit dem Bekanntwerden seiner lange verschwiegenen Jugendsünde ein Stück Identität zusammengebrochen.

Die Rolle der Familie und der Pflege

Das Buch von Tilman Jens beleuchtet auch die Rolle der Familie und der Pflege im Umgang mit Demenz. Seine Mutter, Inge Jens, und die Pflegerin Margit Hespeler spielten eine wichtige Rolle im Leben von Walter Jens. Margit Hespeler kümmerte sich liebevoll um ihn und schaffte neue Rituale, die ihm Freude bereiteten. Sie begleitete ihn auf Ausflüge und sorgte dafür, dass er sich wohlfühlte.

Tilman Jens beschreibt in seinem Buch, wie sich das Leben seines Vaters durch die Demenz verändert hat. Der Vater, den er kannte, war längst gegangen. Doch er entdeckte auch einen anderen Vater, einen kreatürlichen Vater, der einfach nur lachte, wenn er ihn sah, der sehr viel weinte und sich Minuten später über ein Stück Kuchen freuen konnte.

Tilman Jens' weiteres Werk und sein Vermächtnis

Tilman Jens setzte sich auch in seinem weiteren Werk mit den Themen Krankheit, Sterben und Selbstbestimmung auseinander. In seinem Buch "Die Freiheit zu leben und zu sterben - ein Bekenntnis" erforschte er an seinem eigenen Fall, was geschieht, wenn das allzuoft Verdrängte sich Bahn bricht. Das Buch blieb jedoch unvollendet, da Tilman Jens 2020 nach langer schwerer Krankheit starb.

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Tilman Jens hinterlässt ein Werk, das zum Nachdenken anregt und die Auseinandersetzung mit schwierigen Themen nicht scheut. Sein Buch über die Demenz seines Vaters hat eine wichtige Debatte angestoßen und dazu beigetragen, das Thema Demenz in der Öffentlichkeit zu enttabuisieren.

Lesekreise und die Auseinandersetzung mit Demenz in der Literatur

Das Netzwerk AlternsfoRschung der Universität Heidelberg (NAR) lädt regelmäßig zu Lesekreisen ein, in denen sich Interessierte anhand ausgewählter Bücher über die Demenz-Erkrankung eines nahestehenden Menschen austauschen. Dabei werden verschiedene Bücher behandelt, die sich mit dem Thema Demenz auseinandersetzen, wie zum Beispiel "Der alte König in seinem Exil" von Arno Geiger oder "Vatter baut ab" von Bernd Eichmann. Diese Lesekreise bieten eine Möglichkeit, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und die eigenen Erfahrungen mit der Demenz-Erkrankung zu reflektieren.

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