Das Tourette-Syndrom ist eine neuropsychiatrische Erkrankung, die durch Tics gekennzeichnet ist. Die Forschung hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt, doch die genauen Ursachen sind noch immer nicht vollständig geklärt. Dieser Artikel beleuchtet die komplexen Vorgänge im Gehirn von Menschen mit Tourette-Syndrom, von den vermuteten Ursachen bis hin zu den neuesten Erkenntnissen über neuronale Netzwerke, die an der Entstehung von Tics beteiligt sind.
Ursachen des Tourette-Syndroms
Obwohl das Tourette-Syndrom als eine erblich bedingte Erkrankung gilt, konnte bisher kein spezifischer Gendefekt nachgewiesen werden. Studien deuten darauf hin, dass eine Fehlfunktion im Regelkreis des Gehirns vorliegt, insbesondere unter Beteiligung der Basalganglien, einer Hirnregion, die für die Bewegungskoordination wichtig ist. Es wird vermutet, dass eine Störung im dopaminergen Botenstoff-System eine Rolle spielt. Veränderungen in anderen Botenstoff-Systemen des Gehirns werden ebenfalls diskutiert.
Genetische und erworbene Faktoren
Tic-Erkrankungen scheinen ein komplexes Vererbungsmuster zu haben, bei dem verschiedene Gene die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der Erkrankung erhöhen. Es ist jedoch noch kein viel versprechendes Kandidatengen bekannt. Neben genetischen Faktoren spielen vermutlich auch erworbene Faktoren eine Rolle, die bisher nicht vollständig identifiziert wurden.
PANDAS
Für Patienten mit Tics oder Zwängen, bei denen zuvor ein Streptokokken-Infekt nachgewiesen wurde, wurde der Begriff PANDAS (Pediatric Autoimmune Neuropsychiatric Disorders Associated with Streptococcal Infections) vorgeschlagen. Ob es sich dabei um eine eigenständige Erkrankung handelt, ist umstritten.
Symptome des Tourette-Syndroms
Das Tourette-Syndrom äußert sich durch motorische und vokale Tics. Tics werden in einfache und komplexe Tics unterteilt.
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Motorische Tics
Einfache motorische Tics sind kurze, unwillkürliche Bewegungen, die nur einen Körperteil betreffen. Häufige Beispiele sind Augenblinzeln, Grimassieren und Kopfrucken. Komplexe motorische Tics sind umfassender und scheinbar absichtsvoll, wobei mehrere Muskelgruppen beteiligt sind. Dazu gehören Springen, Hüpfen und Drehen um die eigene Achse. Sonderformen sind Kopropraxie (obszöne Gesten) und Echopraxie (Nachahmung von Bewegungen anderer).
Vokale Tics
Einfache vokale Tics sind unwillkürliche Lautäußerungen wie Räuspern, Husten, Schniefen oder andere Nasal- und Rachenlaute. Komplexe vokale Tics umfassen Koprolalie (Aussprechen obzöner Wörter), Palilalie (Wiederholung selbst ausgesprochener Wörter) und Echolalie (Wiederholung von gehörten Geräuschen oder Wörtern). Koprolalie ist kein notwendiges Merkmal des Tourette-Syndroms und kann auch bei anderen neuropsychiatrischen Erkrankungen auftreten.
Ablauf der Tics
Manchmal können Betroffene die Tics zeitlich hinauszögern, was jedoch den Drang verstärkt. Im Verlauf der Krankheit können die Beschwerden zu- oder abnehmen oder sogar für Monate verschwinden. Stress, Ärger, innere Anspannung und Freude können das Auftreten von Tics verstärken.
Was passiert im Gehirn?
Es wird angenommen, dass dem Tourette-Syndrom eine Störung in den Regelkreisen des Gehirns zugrunde liegt. Diese Regelkreise verbinden verschiedene Hirnregionen, insbesondere das Stirnhirn, die Basalganglien und das limbische System. Eine Störung in verschiedenen Botenstoff-Systemen, insbesondere im dopaminergen System, gilt als erwiesen. Medikamente, die Dopaminrezeptoren blockieren, können die Tics reduzieren.
Beteiligte Hirnregionen
Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Menschen mit Tourette-Syndrom bestimmte Bereiche des Gehirns anders ausgebildet oder durchblutet sind als bei gesunden Menschen. Dies betrifft insbesondere die Gehirnregionen, die für die Bewegungskontrolle verantwortlich sind.
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Neuronale Netzwerke
Eine Studie der Charité in Berlin hat ein neuronales Netzwerk identifiziert, das Tics auslösen kann. Dieses Netzwerk umfasst die Inselrinde (Cortex insularis), die Gürtelwindung (Gyrus cinguli), das Striatum, den Globus pallidus internus, den Thalamus und das Kleinhirn. Die Reizung dieses Netzwerks kann Tics auslösen, während die Stimulation durch tiefe Hirnstimulation (Hirnschrittmacher) zur Linderung der Symptome führen kann.
Diagnose des Tourette-Syndroms
Die Diagnose des Tourette-Syndroms basiert hauptsächlich auf den Symptomen und dem Krankheitsverlauf. Es gibt keine spezifischen Blutuntersuchungen oder neurologischen Tests, um das Tourette-Syndrom festzustellen. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie empfiehlt folgende Basis-Diagnostik:
- Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese)
- Erhebung des neurologischen Status
- Beschreibung der Tics in Art, Häufigkeit, Intensität und Verteilung
- Untersuchung auf begleitende Störungen wie ADHS, Zwangssymptome, Depression, Angst, Auto-Aggression
Behandlungsmöglichkeiten
Obwohl das Tourette-Syndrom nicht heilbar ist, gibt es verschiedene Therapieansätze, die je nach Schweregrad der Erkrankung erfolgversprechend sein können.
Medikamentöse Behandlung
In schweren Fällen können Neuroleptika die Tics lindern. Diese Medikamente wirken, indem sie die Dopaminrezeptoren im Gehirn blockieren und so die Überaktivität des dopaminergen Systems reduzieren.
Tiefe Hirnstimulation
Bei der tiefen Hirnstimulation werden Elektroden in bestimmte Bereiche des Gehirns implantiert, um elektrische Impulse abzugeben, die die Tics eindämmen können. Diese Behandlungsmethode kommt in besonders schweren Fällen zum Einsatz, wenn andere Therapien nicht ausreichend wirken.
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Psychotherapie
Individuelle psychotherapeutische Behandlungen können den Betroffenen helfen, mit den Symptomen und deren Auswirkungen auf das Umfeld besser umzugehen.
Entspannungstherapien
Entspannungstechniken wie autogenes Training oder progressive Muskelentspannung nach Jakobsen können helfen, die Tics besser zu kontrollieren und Begleiterkrankungen wie ADHS, Zwangs- oder Schlafstörungen entgegenzuwirken.
Cannabis
Die Einnahme von Cannabis-Medikamenten oder Cannabinoiden wird oft als abschwächende Maßnahme bei Tic-Störungen genannt, deren Wirkung jedoch nicht als erwiesen gilt.
Umgang mit Tourette-Syndrom
Der Umgang mit Menschen mit Tourette-Syndrom erfordert Geduld und Verständnis. Stresssituationen können die Tics verstärken, daher ist es wichtig, eine unterstützende Umgebung zu schaffen. Offene Gespräche können helfen, Verständnis zu fördern und Ausgrenzung zu verhindern.