In der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion wird die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) als eine der neuesten therapeutischen Verfahren zur Hirnstimulation intensiv diskutiert. Trotz vielversprechender Ergebnisse bei der Behandlung von neurodegenerativen Erkrankungen und Erschöpfungszuständen bestehen weiterhin Missverständnisse über Funktionsweise, Wirksamkeit und Anwendung. Dieser Artikel soll Klarheit schaffen und die aktuelle Studienlage zur TPS bei Demenz, insbesondere bei Alzheimer, beleuchten.
Was ist Transkranielle Pulsstimulation (TPS)?
Die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) ist eine Methode zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit im frühen und mittleren Stadium. Hierbei werden kurze Ultraschallimpulse in Hirnregionen gesendet, die von der Erkrankung betroffen sind. Die Methode ist nicht-invasiv, das heißt, die Impulse werden durch die Schädeldecke hindurch verabreicht. „Transkraniell“ bedeutet „durch den Schädel hindurch“. Ziel ist es, bestimmte Gehirnzellen zu stimulieren und so die Gedächtnisleistungen in den betroffenen Regionen anzuregen.
Die TPS wird mit dem medizintechnischen Gerät NEUROLITH® durchgeführt. Dieses Gerät erzeugt kurze, präzise Stoßwellen, die transkraniell, also durch die Schädeldecke hindurch, in das Gehirn geleitet werden. Bis zu einer Tiefe von acht Zentimetern lassen sich so alle Gehirnregionen stimulieren, die von einer Alzheimer-Demenz-Erkrankung betroffen sind. Die Behandlung soll für eine verbesserte Gehirndurchblutung, die Bildung neuer Blutgefäße und eine Regeneration der Nerven sorgen. Ziel der Behandlung ist es, die kognitiven Fähigkeiten der Patienten möglichst lange aufrechtzuerhalten und zu fördern.
Aktuelle Studienlage zur TPS bei Alzheimer-Demenz
Erste randomisierte kontrollierte Studie von 2025
Im Jahr 2025 wurde die erste durch eine Scheinstimulation kontrollierte randomisierte doppelt verblindete Crossover-Studie bei Patient:innen (n=60) mit klinisch diagnostizierter Alzheimer-Erkrankung im Alter zwischen 51 und 82 Jahren publiziert (Matt et al., JAMA Netw Open 2025; 8(2):e2459170). Die Studie wurde unter anderem von der Firma Storz Medical AG finanziert. Diese Firma hat auch bei der Entwicklung des Studiendesigns beraten und eine Clinical Research Organization (CRO) beauftragt, eine statistische Interimsanalyse durchzuführen. Die Behandlung umfasste entweder 6 Sitzungen mit transkranieller Stimulation frontoparietaler Hirnregionen innerhalb von 2 Wochen oder eine Scheinstimulation. Nach einer 4-monatigen Washout-Periode wurde die jeweils andere Behandlung appliziert. Primärer Endpunkt der Studie war der korrigierte Gesamtwert nach dem Consortium to Establish a Registry for Alzheimers Disease (CERAD), ein spezifisch für Alzheimer-Patient:innen validierter neurokognitiver Test.
Der über 3 Monate nach der Stimulation nachbeobachtete primäre Endpunkt zeigte einen signifikanten Anstieg (Besserung des CERAD) über die Zeit. Es konnte bezogen auf die Gesamtpopulation aber keine signifikante Interaktion zwischen Sitzung (die verschiedenen Messzeitpunkte vor und nach Intervention) und Intervention (TPS vs. Scheinstimulation) gezeigt werden, sodass ein Wirksamkeitsnachweis von TPS für den primären Endpunkt deutlich verfehlt wurde.
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Post-hoc-Analysen der Altersuntergruppen
Die beiden Therapiegruppen (zuerst TPS, dann Scheinstimulation vs. zuerst Scheinstimulation, dann TPS) unterschieden sich signifikant im Alter. Die Gruppe, die zuerst TPS erhielt, war jünger. Das veranlasste die Autor:innen zu nicht geplanten Sekundäranalysen. Es zeigte sich eine signifikante Interaktion, wenn zusätzlich zu Sitzung und Intervention noch das Alter (< 70 Jahre vs. > 70 Jahre) als Variable eingeführt wurde. Spezifisch für die Gruppe der Patient:innen, die jünger als 70 Jahre waren, wurde eine signifikante Interaktion zwischen Zeit und Intervention gefunden, mit einer Verbesserung der kognitiven Leistung ausschließlich nach echter TPS, nicht nach Scheinstimulation. Dieser Effekt war in der Gruppe der Patient:innen, die älter als 70 Jahre waren, nicht nachweisbar. Es ist nicht auszuschließen, dass sich die beobachteten Effekte allein durch Lerneffekte (bei in kurzen Intervallen wiederholter Testung des CERAD) erklären lassen, die bei der Gruppe < 70 Jahre stärker ausgeprägt waren als bei der Gruppe > 70 Jahre.
Zudem zeigt die Studie eine große Gruppe von „non-Respondern“ (d. h. die neurokognitive Leistung im CERAD wurde schlechter), insbesondere in der Gruppe, die zuerst die Scheinstimulation und dann TPS erhielt. Möglicherweise könnte TPS also jüngeren Menschen mit Alzheimer helfen, aber unspezifische Effekte sind nicht ausgeschlossen. Die Autor:innen resümieren selbst: „Based on our data and given the large interindividual variability, we suggest sample sizes exceeding 100 participants and longer follow-up periods to optimize future therapeutic research“ (Matt et al., JAMA Netw Open 2025; 8(2):e2459170).
Weitere Studien und Forschungsergebnisse
Neben der genannten Studie gibt es weitere Forschungsarbeiten, die die TPS bei Alzheimer untersuchen. Eine Studie von Wojtecki und Cont-Richter (Universitätsklinikum Düsseldorf / Krankenhaus zum Heiligen Geist, Kempen) lieferte erstmals Langzeitdaten, die zeigten, dass die positiven Effekte von TPS auch über ein ganzes Jahr hinweg anhalten können. In dieser Studie wurden zehn Patientinnen und Patienten mit einer leichten bis mittelschweren Alzheimer-Demenz über einen Zeitraum von zwölf Monaten beobachtet. Die Ergebnisse zeigten signifikante Verbesserungen in Gedächtnisleistungen und Sprachfähigkeiten. Auch depressive Symptome besserten sich.
Das Team um Wojtecki schlägt auf Basis der Ergebnisse ein erweitertes Protokoll vor: F-TOP². Dahinter verbirgt sich eine Stimulationsstrategie, die nicht nur Frontal-, Temporal-, Parietallappen und den Precuneus einbezieht, sondern zusätzlich auch die Okzipitalregionen. Ziel ist es, ein breiteres Spektrum kognitiver Defizite anzusprechen, von Gedächtnis über Sprache bis hin zu Orientierung und visuell-räumlichen Fähigkeiten.
Es gibt auch Hinweise darauf, dass TPS die neuropsychiatrischen Symptome bei Alzheimer verbessern kann. Eine aktuelle Studie von Shinzato et al. (2024) bestätigte dies.
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Eine retrospektive Analyse von Radjenovic et al. (2025) untersuchte die Ultraschall-Neuromodulationstherapie mittels transkranieller Pulsstimulation bei 58 Demenzpatienten.
Kritik an der Studienlage
Trotz einiger interessanter Ergebnisse gibt es auch Kritik an der aktuellen Studienlage zur TPS bei Alzheimer. Zahlreiche Kritiker, darunter die Selbsthilfeorganisation Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V. und Forschende unterschiedlicher Universitäten, zweifeln an der Aussagekraft der Studien und an der (Langzeit-)Wirkung der neuen Therapie.
Prof. Ziemann fasst das Fazit und die Bewertung der DGKN wie folgt zusammen: „Sieht man sich die publizierten Studien im Detail an, so gibt es derzeit keine ausreichende Evidenz für die Wirksamkeit der neuen Methode. Für einen Wirksamkeitsnachweis der neuen Therapie sind mittels Scheinstimulation kontrollierte, randomisierte verblindete Studien mit höherer Patientenzahl, Parallelgruppendesign und längerer Nachbeobachtungszeit erforderlich."
Die DGKN bemängelt, dass viele Studien offene Studien sind, d.h. ohne Kontrollgruppe durchgeführt wurden. Zudem seien die Stichprobengrößen oft klein und die Nachbeobachtungszeiten kurz.
Missverständnisse über TPS
Es gibt einige Missverständnisse über die TPS, die sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der wissenschaftlichen Gemeinschaft kursieren. Hier sind einige der häufigsten:
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- CE-Kennzeichnung als Wirksamkeitsnachweis: Die CE-Kennzeichnung bedeutet, dass das System vom Hersteller gründlich getestet wurde und alle EU-weiten Anforderungen an Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz erfüllt. Die CE-Kennzeichnung ist jedoch keine Garantie für die Wirksamkeit einer Therapie. Diese muss in klinischen Studien nachgewiesen werden.
- TPS als einzige nichtmedikamentöse Therapieoption: Die transkranielle Pulsstimulation (TPS) wird in manchen Kreisen als weltweit einzige nichtmedikamentöse Therapieoption des zentralen Nervensystems zur Behandlung der leichten bis mittelschweren Alzheimer-Demenz dargestellt. Diese Information ist nicht zutreffend, da es zahlreiche qualitativ hochwertige klinische Studien gibt, die zeigen, dass transkranielle Magnetstimulation (TMS) sehr erfolgreich zur Behandlung der kognitiven Beeinträchtigung bei dieser Erkrankung eingesetzt werden kann.
- TPS wirkt gezielt gegen das Vergessen: Die Darstellung von TPS in der Boulevardpresse und auf einigen Internetseiten als Therapie "gegen das Vergessen" ist medizinisch nicht korrekt. TPS wirkt nicht gezielt gegen das Vergessen. Gedächtnisverlust ist zwar eines der häufigsten und bekanntesten Symptome der Alzheimer-Demenz, aber nur eine von vielen kognitiven Beeinträchtigungen der Erkrankung.
- Wirksamkeit durch einfache psychometrische Tests messbar: Die Wirksamkeit von TPS bei einer so komplexen Erkrankung wie der Alzheimer-Demenz kann nicht mit einfachen psychometrischen Tests wie dem MMST oder dem MoCA gemessen werden. Für eine umfassende Beurteilung sind spezifische kognitive Tests, funktionsspezifische Tests oder ausführliche neuropsychologische Testbatterien wie CERAD oder ADAS-Cog erforderlich.
- TPS verwendet "akustische Wellen": Mit diesen Aussagen wird versucht, die Funktionsweise der TPS zu "verharmlosen", da Patienten und Ärzte durch den Begriff "Stoßwellen" abgeschreckt werden könnten. Es ist irreführend, Stoßwellen pauschal als Schallwellen oder akustische Wellen zu bezeichnen. Eine TPS-Therapie ist nicht vergleichbar mit dem Hören eines Vivaldi-Konzertes.
- TPS ist Ultraschalltherapie: In einigen Publikationen und Internetseiten wird behauptet, die transkranielle Pulsstimulation würde mit Ultraschallwellen durchgeführt oder es handele sich um eine Ultraschall-Therapie. Dies ist nicht korrekt. Beim TPS wird die Energie in Form von einzelnen, diskreten Stößen abgegeben. Obwohl die Wiederholrate der vom TPS-System erzeugten Stoßwellen unter 6 Hz liegt, reicht die Bandbreite (Frequenzbereich) jeder einzelnen Welle laut Hersteller von 1 kHz bis 10 MHz. Mit einem Druck von 10 MPa bis 100 MPa gehören sie eindeutig zu den höheren Druckwellen. Diese Eigenschaften unterscheiden Stoßwellen deutlich von Ultraschallwellen. Bei Ultraschall sind die Druckamplituden relativ klein und haben eine schmale Bandbreite.
Alternativen zur TPS
Bei der Stimulation von Hirnnerven wird in der Medizin zwischen invasiven und nicht-invasiven Verfahren unterschieden. Hier ein Überblick über verschiedene Methoden, die aktuell zur Therapie von Menschen mit Alzheimer erforscht werden:
- Transkranielle Magnetstimulation (TMS): Nicht-invasive Stimulation einzelner Bereiche im Gehirn durch Magnetfelder.
- Transkranielle elektrische Stimulation (TES): Nicht-invasive Stimulation einzelner Hirnbereiche durch Gleichstrom.
- Temporale Interferenz-Stimulation (TIS): Nicht-invasive elektromagnetische Stimulation, die auch tiefere Hirnregionen erreicht, geht hervor aus der Tiefenhirnstimulation (THS), die bereits in der Therapie von Menschen mit Parkinson angewandt wird.
- Magnetresonanz (MR)-gesteuerter fokussierter Ultraschall (MRgFUS): Nicht-invasive präzise Stimulation kleiner Strukturen des Gehirns.
Die Wirksamkeit dieser Methoden in Bezug auf die Alzheimer-Therapie ist zum aktuellen Zeitpunkt nicht abschließend belegt.