Traumatische Erlebnisse können tiefe Wunden in der Psyche hinterlassen und das Leben der Betroffenen nachhaltig beeinträchtigen. Glücklicherweise gibt es eine Vielzahl von evidenzbasierten Methoden, die bei der Heilung von Traumata helfen können. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über verschiedene Trauma-Heilungsmethoden, von Psychotherapie bis hin zu Selbsthilfestrategien, und beleuchtet die neuesten Erkenntnisse der Neurowissenschaften.
Was ist ein Trauma?
Ein Trauma ist eine komplexe Reaktion auf extreme äußere Einflüsse, die ein Mensch nicht ohne Weiteres bewältigen kann. Hierzu zählen unter anderem Naturkatastrophen, schwere Unfälle, Kriege, der Tod naher Angehöriger, lebensbedrohliche Erkrankungen sowie körperliche oder sexuelle Gewalt. Ein Trauma hat nichts mit Schwäche zu tun, sondern ist eine Folge außergewöhnlich belastender Situationen, die die Verarbeitungsfähigkeit des Gehirns übersteigen.
Symptome eines Traumas
Zu den typischen unmittelbaren Traumasymptomen gehören massive Ängste, das Gefühl der Hilf- und Schutzlosigkeit, Entsetzen, emotionale Taubheit, Verwirrung und Kontrollverlust. Es ist normal, nach einer belastenden Situation unangenehme Gefühle, Gedanken und körperliche Empfindungen zu erleben. Diese Reaktionen klingen meist innerhalb weniger Stunden bis Tage wieder ab. Halten die Symptome jedoch an oder treten erst nach einiger Zeit auf, kann dies auf eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) hindeuten.
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
Manche Menschen können ein traumatisches Erlebnis nur schwer oder gar nicht bewältigen und entwickeln als verzögerte psychische Reaktion eine PTBS. Kennzeichnend für diese Störung sind Flashbacks, ständige Alarmbereitschaft, ein Gefühl von Betäubtsein, Vermeidung von Erinnerungen und negative Gedanken. Die Betroffenen erleben das Ereignis immer wieder in ihren Gedanken und sind besonders wachsam oder in ständiger Alarmbereitschaft. Viele erleben ein Gefühl von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit, fühlen sich gleichgültig gegenüber anderen Menschen oder teilnahmslos und ohne Freude. Betroffene vermeiden Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das traumatische Erlebnis wachrufen könnten. Viele Menschen mit einer PTBS quälen sich mit negativen Gedanken und Schuldgefühlen. Oft ist das Vertrauen in sich und andere erschüttert. Auch das Selbstwertgefühl nimmt oft stark ab. Außerdem besteht als Traumafolge ein erhöhtes Risiko für Depression, Angst- oder Suchterkrankungen oder psychosomatische Erkrankungen.
Wie das Gehirn ein Trauma verarbeitet
Beim Trauma ist unser Gehirn überfordert. Die traumatischen Erlebnisse können nicht normal verarbeitet werden, sondern werden ungeordnet in unserem Gehirn gespeichert. Die unvollständige Verarbeitung der traumatischen Erlebnisse hat oftmals verheerende Konsequenzen für die Betroffenen - es kommt zur posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).
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Der normale Verarbeitungsprozess im Gehirn
Unser Körper und unsere Sinnesorgane leiten Informationen (Gesehenes, Gehörtes, Geruch, Geschmack und Gefühltes) in den Thalamus. Der Thalamus dient als eine Art Filter und entscheidet darüber, welche Informationen im Moment für uns wichtig sind. Nur wichtige Informationen werden weitergeleitet, unwichtige Informationen werden herausgefiltert. Die wichtigen, weitergeleiteten Informationen werden uns dann bewusst. Die Amygdala (auch Mandelkerne genannt) ist wesentlich an der Konditionierung von Angst beteiligt. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der Wiedererkennung von Situationen sowie der Analyse möglicher Gefahren. Ereignisse werden in der Amygdala mit Emotionen verknüpft und gespeichert. Die Amygdala kreiert gewissermaßen Gefühle, ohne diese zu bewerten. Der Hippocampus (auch Seepferdchen genannt) ist die zentrale Schaltstelle des limbischen Systems im Gehirn. Er hat eine ordnende Wirkung. Ereignisse werden zeitlich und geografisch zugeordnet und die Reize bewertet. Die Großhirnrinde ist der Langzeitspeicher unseres Gehirns.
Was passiert im Gehirn bei einem Trauma?
Bei traumatischen Erlebnissen wird unser Gehirn mit Stresshormonen überflutet. Dieses wirkt sich ungünstig auf die Nervenzellen im Gehirn aus, vor allem auf den Hippocampus. Die Zusammenarbeit zwischen der Amygdala und dem Hippocampus ist gestört. Gefühlszustände, Bilder und körperliche Reaktionen werden in der Amygdala gespeichert, das vollständige Zuordnen des Erlebten im Zusammenhang mit der äußeren Realität kann im Hippocampus jedoch nicht stattfinden. Es entsteht eine „hippocampale Amnesie“. Ist das Trauma nicht verarbeitet, überwiegt das emotionale Gedächtnis der Amygdala „hot system“ im Vergleich zum autobiografischen Gedächtnis des Hippocampus „cold system“. Es besteht ein Nebeneinander von intensiven Erinnerungen einerseits und Erinnerungslücken bzgl. der konkreten Geschehnisse andererseits. Die unvollständigen, weil noch nicht zuordenbaren Erinnerungen, entwickeln ein Eigenleben, welches sich weitestgehend dem Bewusstsein entzieht. Für die Verarbeitung des Traumas ist es notwendig, dass das traumatische Ereignis in einen Gesamtzusammenhang eingeordnet werden kann.
Neurobiologische Veränderungen durch Trauma
Neurowissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass die Symptome nach einem Trauma mit einer starken Aktivierung der Amygdala einhergehen - einer Region im Gehirn, die beim Erleben von Angst und anderen Emotionen eine wichtige Rolle spielt. Weitere Untersuchungen haben ergeben, dass diese starke Aktivierung nicht einfach wieder gelöscht werden kann. Sie kann jedoch durch Aktivierung einer anderen Hirnregion, des medialen präfrontalen Cortex, gehemmt werden. Diese Region ist für die bewusste Verarbeitung von Informationen von Bedeutung. Neurowissenschaftler nehmen daher an, dass während der Verarbeitung des Traumas in der Traumatherapie die Aktivierung des medialen präfrontalen Cortex dazu beiträgt, dass die starke Aktivierung der Amygdala auf Dauer gehemmt wird. Die bewusste Verarbeitung der traumatischen Erinnerungen und der damit verbundenen negativen Gefühle führt nach Annahme der Forscher dazu, dass das traumatische Ereignis anders bewertet wird und die Erinnerungen an das Trauma in die übrigen Gedächtnisinhalte integriert werden können. Mit dem Trauma verbundene Reize oder Erinnerungen lösen dann keine überwältigenden Gefühle wie starke Angst, Panik, Hilflosigkeit, Ohnmacht oder Wut mehr aus.
Psychotherapeutische Behandlungsmethoden
Die Psychotherapie spielt eine zentrale Rolle bei der Behandlung von Traumafolgestörungen. Ziel ist es, den Betroffenen darin zu unterstützen, wieder Kontrolle über die ungewollt auftretenden Erinnerungen zu erhalten, das Trauma als Teil seiner Lebensgeschichte zu integrieren, seine Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen und einen neuen Sinn im Leben sowie mehr Lebensqualität zu finden.
Traumafokussierte Psychotherapie
Im Zentrum der Behandlung steht in der Regel eine traumafokussierte Psychotherapie. Als besonders wirksam gelten eine kognitive Verhaltenstherapie, die hilft, falsche Lernprozesse zu erkennen und zu korrigieren, sowie die EMDR-Therapie.
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Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)
Die Verhaltenstherapie ist eine bewährte Methode in der Behandlung von Traumafolgestörungen. Sie unterstützt Patient*innen dabei, belastende Denkmuster zu erkennen und durch konstruktive Gedanken zu ersetzen.
EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing)
EMDR ist eine spezialisierte Methode zur Verarbeitung traumatischer Erinnerungen. Mit Hilfe gezielter Augenbewegungen wird der Verarbeitungsvorgang im Gehirn aktiviert, wodurch die emotionale Belastung von traumatischen Erlebnissen abnimmt. Die Methode wurde in den 1980er-Jahren von Dr. Francine Shapiro in den USA entdeckt. Dabei folgt der Patient beziehungsweise die Patientin den Fingern des Therapeuten mit den Augen in schnellen Bewegungen von links nach rechts. Das wird auch bilaterale Stimulation genannt. Diese Stimulation unterstützt das Gehirn, die eigenen Selbstheilungskräfte zu aktivieren und die belastenden Erinnerungen zu verarbeiten. Tatsächlich sind die Augenbewegungen der Patientinnen mit den Augenbewegungen im REM-Schlaf vergleichbar - der Phase des Schlafes, in der die Geschehnisse des Tages verarbeitet werden. In der Therapie sind jedoch die Augen geöffnet. Die Bewegung wird parallel mit Inhalten verknüpft. Zunächst wird geprüft, ob die Patientin in der richtigen Verfassung für eine EMDR-Therapie ist. Gegebenenfalls versucht man, sie zunächst an besonders schöne Erlebnisse zu erinnern, die ebenfalls durch die Methode verstärkt werden können.
Beispiel für eine EMDR-Therapie
Vorstellbar wäre, dass beispielsweise eine Beifahrerin einen Unfall miterlebte, bei dem sie selbst oder ein Angehöriger verletzt wurde. Seither kann sie nicht mehr Auto fahren, vielleicht nicht einmal mehr bei anderen mitfahren, und bekommt immer wieder belastende Erinnerungen. In einer EMDR-Therapie würde nach einer Anamnese- und Stabilisierungsphase die Patientin angeleitet werden, mit einer der belastenden Situationen in der Traumaerfahrung in Kontakt zu gehen, während gleichzeitig die bilaterale Stimulation durchgeführt wird. Eine der belastenden Situationen könnte beispielsweise der Augenblick vor dem Aufprall sein beim Blick in das Licht des Gegenverkehrs. Möglicherweise resultiert daraus eine Angst, die immer dann auftritt, wenn die Patientin helles Licht sieht. Eine EMDR-Sitzung wird oft mit einer Zugreise verglichen: Die Betroffenen fahren noch einmal an dem Geschehen vorbei - aber aus sicherer Distanz und in Begleitung der Behandler. Im weiteren Verlauf der Sitzungen verblassen die belastenden Erinnerungen Stück für Stück und die Symptome des Traumas werden aufgelöst.
Narrative Expositionstherapie (NET)
Narrative Techniken verfolgen dabei alle ein ähnliches Ziel, nämlich die Verarbeitung der traumabezogenen Erinnerungen, Gefühle und Körperempfindungen, so dass die Symptome der PTBS zurückgehen oder verschwinden.
Weitere Therapieansätze
- Somatic Experiencing: Ein körpertherapeutisches Verfahren nach Peter Levine, das darauf abzielt, die im Körper gespeicherte Energie zu lösen und das Nervensystem zu regulieren.
- Schonende Traumatherapie: Ein Ansatz nach Martin Sack, der besonders bei schweren oder mehrfachen Traumatisierungen geeignet ist.
- Hypnotherapie: Die Hypnotherapie nutzt die Kraft der Suggestion, um den Patienten in einen entspannten Zustand zu versetzen und Zugang zu unbewussten Ressourcen zu ermöglichen.
- Kunsttherapie: Malen, Zeichnen oder Schreiben ermöglicht es, Gefühle auszudrücken, die vielleicht schwer in Worte zu fassen sind.
Medikamentöse Behandlung
Begleitende Medikamente können ebenfalls nötig und hilfreich sein, vor allem moderne Antidepressiva (SSRI) und - in der Regel nur kurzzeitig - angstlösende und beruhigende Wirkstoffe.
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Selbsthilfestrategien und Selbstfürsorge
Traumatische Erlebnisse können tiefe Spuren in der Psyche hinterlassen und das Wohlbefinden nachhaltig beeinflussen. In solchen Zeiten gewinnt Selbstfürsorge eine zentrale Bedeutung. Selbstfürsorge beschreibt die bewusste Entscheidung, sich selbst etwas Gutes zu tun, um die eigene körperliche, emotionale und geistige Gesundheit zu fördern. Traumaerfahrungen können dazu führen, dass Betroffene ihre eigenen Bedürfnisse vernachlässigen oder sich schuldig fühlen, wenn sie Zeit für sich beanspruchen. Selbstfürsorge hilft, diese inneren Hürden zu überwinden und ein Gefühl der Kontrolle und Sicherheit zurückzugewinnen.
Achtsamkeit
Achtsamkeit ist ein kraftvolles Werkzeug, das Menschen nach traumatischen Erlebnissen dabei helfen kann, den Heilungsprozess zu unterstützen. Achtsamkeit bedeutet, den Moment ohne Bewertung wahrzunehmen und sich voll und ganz auf das eigene Erleben zu konzentrieren. Für traumatisierte Menschen kann dies eine wertvolle Möglichkeit sein, das Gefühl der Überwältigung zu reduzieren und sich wieder sicher zu fühlen.
- Atemübungen: Sich auf die Atmung zu konzentrieren, kann beruhigend wirken und dabei helfen, Stress abzubauen.
- Body Scan: Diese Technik hilft, die Aufmerksamkeit auf verschiedene Körperbereiche zu lenken und Verspannungen bewusst zu lösen.
Achtsamkeit hilft dabei, die Verbindung zwischen Körper und Psyche wiederherzustellen, die Schlafqualität zu verbessern und die emotionale Resilienz zu steigern.
Selbstfürsorge-Routine
Eine regelmäßige Selbstfürsorge-Routine schafft Struktur und gibt Sicherheit, besonders in herausfordernden Zeiten.
- Morgenrituale: Beginnen Sie den Tag mit einer kurzen Achtsamkeitsübung, z. B. indem Sie ein paar Minuten bewusst atmen oder ein Dankbarkeitstagebuch führen.
- Kreative und körperliche Aktivitäten: Bewegungstherapie (Yoga, Tanzen oder einfaches Stretching) hilft, die Verbindung zum eigenen Körper wiederherzustellen und Spannungen abzubauen. Naturerlebnisse wirken nachweislich beruhigend auf Geist und Körper.
Soziale Unterstützung
Ein starkes soziales Netzwerk ist ein wichtiger Faktor für die psychische Gesundheit. Der Austausch mit Familie, Freund*innen oder anderen Betroffenen kann helfen, Gefühle von Isolation zu überwinden. Ein unterstützendes Umfeld ermöglicht es Ihnen, sich auf Ihre Heilung zu konzentrieren und gleichzeitig Verständnis und Ermutigung zu erfahren.
Prävention von Rückfällen
Nach traumatischen Erlebnissen können bestimmte Auslöser (Trigger) erneut zu Belastungen führen. Prävention bedeutet, diese Trigger zu erkennen und Strategien zu entwickeln, um mit ihnen umzugehen.
- Erstellung eines Notfallplans: Legen Sie fest, welche Schritte Sie unternehmen können, wenn Sie sich überwältigt fühlen.
Geduld und Akzeptanz
Eine der größten Herausforderungen nach einem Trauma ist es, Geduld mit sich selbst zu haben. Heilung geschieht nicht über Nacht, und Rückschläge gehören dazu. Es ist wichtig, sich kleine, erreichbare Ziele zu setzen und sich für jeden Fortschritt - egal wie klein - zu loben.
Wann professionelle Hilfe in Anspruch nehmen?
Wenn Sie nach einem traumatischen Erlebnis anhaltende Symptome wie Schlafstörungen, wiederkehrende belastende Erinnerungen, starke Ängste oder das Gefühl der emotionalen Taubheit erleben, kann professionelle Unterstützung hilfreich sein. Insbesondere, wenn diese Symptome Ihre Lebensqualität oder Alltagsbewältigung beeinträchtigen, sollten Sie sich an Fachleute wenden.
Anlaufstellen für Betroffene
- Deutsches Institut für Psychotraumatologie
- Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie
- Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK)
- Migrantenambulanzen (in verschiedenen Städten)
- Flüchtlingsberatungsstellen und örtliche Wohlfahrtsverbände (für noch nicht anerkannte Flüchtlinge)
- Bundeswehr-Support (für Soldaten)