Überlastetes Nervensystem: Symptome, Ursachen und Wege zur Beruhigung

In unserer schnelllebigen Zeit, in der ständige Erreichbarkeit und vielfältige Verpflichtungen zum Alltag gehören, ist ein überlastetes Nervensystem ein weit verbreitetes Problem. Die Symptome reichen von Herzklopfen und Schlafstörungen bis hin zu chronischer Anspannung und Reizbarkeit. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen und Symptome eines überlasteten Nervensystems und zeigt verschiedene Strategien zur Beruhigung und Wiederherstellung des Gleichgewichts auf.

Alarmsignale des Körpers erkennen

Bevor man das Nervensystem beruhigen kann, ist es wichtig, die Anzeichen einer Überreizung oder Dysregulation zu erkennen. Ein dysreguliertes Nervensystem reagiert unangemessen auf Reize und ist aus dem Gleichgewicht geraten. Jeder Mensch hat ein individuelles Stresstoleranzfenster, innerhalb dessen er Herausforderungen bewältigen kann, ohne dass das Nervensystem überreagiert.

Typische Symptome eines überreizten Nervensystems sind:

  • Emotionale Reaktionen: Reizbarkeit, Überempfindlichkeit, schnelle Überforderung.
  • Körperliche Erschöpfung: Chronische Müdigkeit, selbst nach ausreichend Schlaf.
  • Konzentrationsprobleme: Schwierigkeiten, sich zu fokussieren, "Brain Fog".
  • Sozialer Rückzug: Weniger Lust auf soziale Kontakte, Überforderung in sozialen Situationen.
  • Schlafprobleme: Schwierigkeiten beim Ein- und Durchschlafen, innere Unruhe.
  • Herzklopfen
  • Chronische Verspannungen
  • Verdauungsstörungen
  • Das Gefühl, ständig „unter Strom“ zu stehen

Wer mehrere dieser Symptome bei sich erkennt, sollte dies als Warnsignal betrachten und bewusst Maßnahmen zur Unterstützung des Nervensystems ergreifen.

Das Nervensystem verstehen: Ein komplexes Kommunikationsnetzwerk

Das Nervensystem ist ein riesiges Kommunikationsnetzwerk, das Informationen aus der Umwelt aufnimmt und an Gehirn oder Rückenmark weiterleitet. Dort werden passende Reaktionen gesteuert und über das periphere Nervensystem an den Körper zurückgegeben.

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Man unterscheidet zwischen dem somatischen und dem vegetativen Nervensystem. Das somatische Nervensystem ist vor allem für die Bewegungsabläufe zuständig, während das vegetative Nervensystem (auch autonomes Nervensystem genannt) weitgehend unbewusst Körperfunktionen wie Herzschlag, Atmung, Verdauung und Stoffwechsel reguliert.

Das vegetative Nervensystem besteht aus zwei Gegenspielern:

  • Sympathikus: Der "Turbo-Modus" des Körpers, der ihn auf körperliche oder geistige Leistungen vorbereitet (Kampf-oder-Flucht-Reaktion).
  • Parasympathikus: Der "Entspannungsmodus", der für Erholung, Verdauung und Stoffwechsel zuständig ist.

Ein wichtiger Teil des Parasympathikus ist der Vagusnerv (Nervus vagus), der längste Hirnnerv des Körpers. Er wirkt wie eine "Bremse" für das vegetative Nervensystem und sendet Signale an Herz, Lunge und andere Organe, um den Körper zu beruhigen. Der Vagusnerv lässt sich durch gezielte Übungen wie Atemtechniken, Kältereize oder Summen bewusst aktivieren.

Die Polyvagal-Theorie erweitert unser Verständnis des vegetativen Nervensystems und beschreibt drei Bereiche:

  • Soziales Engagement (ventraler Vagus): Sicherheit, Verbindung, Ruhe.
  • Kampf-oder-Flucht (Sympathikus): Alarmbereitschaft und Mobilisierung bei Gefahr.
  • Erstarrung/Kollaps (dorsaler Vagus): Totaler Shutdown als Schutzmechanismus.

Das Nervensystem entscheidet je nach wahrgenommener Sicherheit oder Bedrohung, in welchem Bereich man sich befindet. Interessant ist, dass 80 % der Vagusnerv-Fasern Informationen vom Körper zum Gehirn senden, was die Bedeutung der Körperwahrnehmung für die Regulation des Nervensystems unterstreicht.

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Stressreaktionen: Von der Steinzeit bis zur Moderne

In Gefahrensituationen löst der Sympathikus eine Kaskade neurologischer und hormoneller Reaktionen aus, die uns helfen sollen, die Situation zu bewältigen. Adrenalin sorgt für eine bessere Durchblutung der Muskeln, Cortisol hält uns auf Trab und Endorphine helfen, nicht in Panik zu verfallen. Herzschlag und Atmung beschleunigen sich, der Blutdruck steigt, die Muskeln sind angespannt und die Sinne sind geschärft.

In der Steinzeit war die Gefahr ein Säbelzahntiger. Das Gehirn entschied in Sekundenbruchteilen, ob Kampf oder Flucht die beste Überlebenschance bot. Nach erfolgreicher Abwehr oder Flucht fuhr der Körper die Stressreaktionen wieder herunter, Herzschlag und Atmung beruhigten sich, die Muskeln entspannten sich.

In der modernen Zeit haben sich die Bedrohungen verändert. Dauernde Anspannung durch ständige Erreichbarkeit, Überstunden, Großstadtlärm und Mental Load führen dazu, dass der Sympathikus dauerhaft aktiviert bleibt und wir ständig "unter Strom" stehen.

Akute Stressreaktionen können sich innerhalb von 20-30 Minuten wieder beruhigen. Bei chronischem Stress kann es Wochen bis Monate dauern, bis sich das dysregulierte Nervensystem wieder stabilisiert. Traumabedingte Dysregulation erfordert oft professionelle Unterstützung.

Strategien zur Beruhigung des Nervensystems

Es gibt verschiedene Strategien, um das Nervensystem zu beruhigen und wieder in Balance zu bringen:

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  • Atemtechniken: Die 4-7-8-Atemtechnik (4 Sekunden einatmen, 7 Sekunden halten, 8 Sekunden ausatmen) aktiviert den Parasympathikus und wirkt schnell beruhigend. Auch die Zwerchfellatmung (tiefe Bauchatmung) reduziert den Cortisolspiegel.
  • Körperliche Aktivität: Sport hilft, Adrenalin und Cortisol abzubauen und signalisiert dem Gehirn, dass die Gefahr vorüber ist.
  • Vagusnerv-Stimulation: Summen, Singen oder Gurgeln aktivieren den Vagusnerv und fördern die Entspannung.
  • Meditation und Achtsamkeit: Regelmäßige Übungen beruhigen Geist und Nervensystem und stärken die Stressresilienz.
  • Yoga: Verbindet körperorientierte Ansätze mit Atemarbeit und kann besonders effektiv sein, um das Nervensystem zu beruhigen.
  • Schlafhygiene: Ausreichend Schlaf ist essenziell, um das Nervensystem zu beruhigen.
  • Emotionen zulassen: Angestaute Emotionen herauszulassen kann befreiend wirken.
  • Soziale Interaktionen: Lockere, freundliche und liebevolle soziale Interaktionen vermitteln dem Gehirn, dass die Welt ein sicherer Ort ist.
  • Unterstützung suchen: Bei chronischem Stress oder Trauma ist professionelle Hilfe ratsam. Online-Therapieprogramme können eine erste Anlaufstelle sein.

Vegetative Dystonie: Wenn das Nervensystem aus dem Takt gerät

Unter vegetativer Dystonie versteht man ein Ungleichgewicht im vegetativen Nervensystem, das verschiedene Körperfunktionen wie Herzschlag, Atmung und Verdauung steuert. Die Symptome sind vielfältig und oft schwer einzuordnen.

Mögliche Symptome einer vegetativen Dystonie sind:

  • Kopfschmerzen
  • Schwindel
  • Durchfall oder Verstopfung
  • Schlafstörungen
  • Krämpfe
  • Vermehrtes Schwitzen
  • Erhöhter oder erniedrigter Pulsschlag
  • Leichtes Zittern der Hände
  • Kribbeln in den Gliedmaßen

Die Diagnose erfolgt in der Regel durch Ausschluss anderer Erkrankungen. Die Behandlung richtet sich nach der Ursache und Ausprägung der Störung. Psychotherapie, körperliche Bewegung und Entspannungstrainings können helfen, das vegetative Nervensystem zu regulieren. In manchen Fällen sind Medikamente notwendig.

Hyperarousal: Ein Zustand ständiger Alarmbereitschaft

Hyperarousal, auch als Übererregung des Nervensystems bekannt, beschreibt einen Zustand anhaltender innerer Anspannung und Alarmbereitschaft. Betroffene fühlen sich, als wäre ihr Körper in ständiger Alarmbereitschaft- selbst in völlig sicheren Situationen. Hyperarousal tritt häufig im Zusammenhang mit psychischen Belastungen wie Stress, Traumafolgestörungen oder der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) auf.

Die Ursachen von Hyperarousal sind vielfältig und oft komplex. In vielen Fällen handelt es sich um eine Reaktion auf anhaltenden psychischen oder physischen Stress, der das Nervensystem langfristig überfordert.

Behandlungsmöglichkeiten sind:

  • EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing)
  • Kognitive Verhaltenstherapie (CBT)
  • Achtsamkeitsbasierte Methoden
  • Medikamente

Burn-out und chronisches Erschöpfungssyndrom

Burn-out und das chronische Erschöpfungssyndrom sind komplexe, schwer zu fassende Krankheitsbilder, die durch anhaltende Überforderung und Stress entstehen. Die Symptome können einer Depression sehr ähnlich sein und umfassen Dauermüdigkeit, Leistungsabfall, Rückzug, Sinnverlust, Schlafstörungen sowie Kopf- und Rückenschmerzen.

Das chronische Erschöpfungssyndrom wird von Fehlfunktionen des Immun-, Hormon- oder Nervensystems ausgelöst. Die Behandlung erfolgt mit einem ganzheitlichen Therapieansatz, der die Ursachen behandelt und Therapien für Körper, Geist und Seele anwendet.

Die Stressreaktion verstehen

Die Stressreaktion entsteht im Gehirn und wird durch die innere Bewertung äußerer Reize ausgelöst. Im Falle einer Aktivierung wird der Organismus „bis zur letzten Zelle“ über das Nerven- und Hormonsystem in einen Alarmzustand versetzt. Stress hat erhebliche Auswirkungen auf das Hormonsystem, das vegetative Nervensystem und das Immunsystem. Unbehandelter Stress kann auf Dauer zu verschiedenen körperlichen und psychischen Erkrankungen führen.

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