Fühlst du dich unruhig, schläfst schlecht und bist anfällig für Erkältungen? Spielt deine Verdauung verrückt? Ein träger Vagusnerv könnte die Ursache für diese Symptome sein. Der Vagusnerv, ein wichtiger Bestandteil des vegetativen Nervensystems, spielt eine entscheidende Rolle bei der Regeneration und Entspannung. Chronischer Stress kann jedoch seine Funktion beeinträchtigen und zu einer Vielzahl von Beschwerden führen. Glücklicherweise gibt es Möglichkeiten, den Vagusnerv anzuregen und so das Immunsystem zu stärken und die Entspannung zu fördern.
Was ist der Vagusnerv?
Der Vagusnerv, auch Nervus vagus genannt, ist der längste Hirnnerv und ein Teil des Parasympathikus, des "Ruhe- und Verdauungs"-Nervensystems. Er erstreckt sich vom Stammhirn über den Kopf- und Halsbereich bis zum Magen-Darm-Trakt und ist durch seine Verästelungen mit vielen Organen verbunden.
Um die Funktion des Vagusnervs zu verstehen, ist es wichtig, das Zusammenspiel von Sympathikus und Parasympathikus zu betrachten. Der Sympathikus versetzt den Körper in einen Aktivitätsmodus, beispielsweise in Stresssituationen, während der Parasympathikus für Entspannung und Regeneration zuständig ist. Der Vagusnerv wirkt im Zusammenspiel mit dem Parasympathikus und hilft dem Körper, in einen entspannten Zustand zurückzukehren.
Ursachen für einen gestörten Vagusnerv
Bei den meisten Menschen ist der Vagusnerv durch zu viel Stress zu wenig stimuliert. Eine Fehlfunktion oder Reizung des Nervus vagus kann das Gleichgewicht des Nervensystems stören. Eine häufige Ursache ist eine Einklemmung des Nervs, insbesondere bei Verschiebungen des oberen Halswirbels.
Ein geschwächter Vagusnerv führt dazu, dass der Sympathikus aktiver ist als der Parasympathikus, was zu einem dauerhaften Aktionsmodus und Alarmzustand führt. Dies kann sich in Ruhelosigkeit, Herzrasen, Schlafstörungen und Verdauungsbeschwerden äußern. Eine Überstimulation des Vagusnervs kann hingegen zu Antriebslosigkeit, Müdigkeit, niedrigem Blutdruck und Schwindel führen.
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Chronischer Stress stört die Aktivität des Vagusnervs erheblich. In Stresssituationen arbeitet der Sympathikus auf Hochtouren, während der Parasympathikus gehemmt wird. In seltenen Fällen kann auch eine Entzündung des Nervus vagus die Ursache für Beschwerden sein.
Übungen zur Aktivierung des Vagusnervs
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Vagusnerv zu aktivieren und seine Funktion zu verbessern. Diese Übungen lassen sich leicht in den Alltag integrieren und können zu mehr Entspannung, einem stärkeren Immunsystem und einer verbesserten emotionalen Stabilität führen.
1. Atemübungen
Die Atmung ist ein effektives Instrument, um den Vagusnerv zu aktivieren. Tiefe, langsame Atemzüge, insbesondere die Bauchatmung, aktivieren den Vagusnerv und fördern die Entspannung. Yoga-Atemtechniken haben sich ebenfalls als wirksam erwiesen.
Setze dich bequem hin oder lege dich auf den Rücken, schließe deine Augen und atme tief durch die Nase ein und durch den Mund aus. Konzentriere dich darauf, in den Bauchraum zu atmen. Beim Einatmen hebt sich dein Bauch, beim Ausatmen senkt er sich.
Eine weitere Atemübung ist die Box-Atmung, auch bekannt als Vier-Quadrat-Atmung. Dabei atmet man vier Sekunden lang ein, hält die Luft vier Sekunden lang an, atmet vier Sekunden lang aus und hält die Luft erneut vier Sekunden lang an. Diese Übung kann helfen, Stress abzubauen und die Herzfrequenz zu senken.
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2. Halsstimulation
Durch leichtes Streicheln und Massieren der linken Halsseite kann der Vagusnerv aktiviert werden. Er verläuft in der Nähe der Halsschlagader. Beginne damit, deine Haut zwischen den Ohren und dem Schulterübergang mit sanftem Druck zu streicheln.
3. Singen, Summen und Gurgeln
Der Vagusnerv ist mit der Kehlkopf- und Rachenmuskulatur verbunden. Durch die Stimulation dieser Muskeln kann der Nervus vagus aktiviert werden. Singe tiefe Töne oder summe ein langgezogenes „Om“ oder „Ah“ für etwa 5-10 Minuten. Konzentriere dich auf tiefe Atemzüge aus dem Zwerchfell und spüre die Vibrationen im Brust- und Halsbereich.
Gurgle mehrmals täglich für 30 Sekunden bis 1 Minute mit lauwarmem Wasser. Versuche, laut zu gurgeln, um die Rachenmuskulatur intensiver zu aktivieren. Auch das Singen von Lieblingsliedern, insbesondere solchen mit vielen Vokalen wie A, O und U, kann den Vagusnerv stimulieren. Weihnachtslieder wie „O du fröhliche“ oder Wiegenlieder wie „Der Mond ist aufgegangen“ haben einen ähnlichen Effekt.
4. Bewegung
Jede Form von Bewegung, sei es zügiges Spazierengehen, eine Radtour oder eine Joggingrunde, aktiviert den Vagusnerv. Sport bietet zudem einen wohltuenden Ausgleich zum stressigen Alltag. Achte dabei auf eine moderate Bewegung. Studien haben gezeigt, dass regelmäßiges Fahrradfahren die Vagusnervaktivität erhöhen kann.
5. Ernährung
Eine gesunde Darmflora ist wichtig für die Bildung von Serotonin und Dopamin. Probiotische Lebensmittel wie Kefir und Sauerkraut helfen, die Darmflora auf natürliche Weise zu stärken. Auch Omega-3-Fettsäuren aus Fisch oder Leinsamen wirken sich positiv auf das Nervensystem aus und können Entzündungen mindern.
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Eine ausreichende Versorgung mit B-Vitaminen ist ebenfalls wichtig für eine normale Funktion des Nervensystems. Vor allem die Vitamine B1, B6, B12 und Folsäure sind von Bedeutung. Da der Körper die B-Vitamine nicht selbst bilden und mit Ausnahme von Vitamin B12 auch nicht speichern kann, ist eine ausgewogene und gesunde Ernährung wichtig.
6. Kältereize
Wer wach und gleichzeitig gelassen in den Tag starten möchte, kann es mit einer kurzen kalten Dusche am Morgen probieren. Lasse das kalte Wasser erst langsam über Arme und Beine laufen und dann vor allem den Hals entlang über den ganzen Körper. Kälte dämpft den Sympathikus, den anregenden Teil des Nervensystems. Auch das Waschen des Gesichts mit kaltem Wasser kann den Vagusnerv stimulieren.
7. Meditation und Entspannungstechniken
Meditation gilt als bewährte Methode, um den Vagusnerv zu fördern. Praktisch lässt sich dies gut mit bewussten Entspannungstechniken verbinden. Verschiedene Anbieter bieten Anleitungen und Tipps, um mit Meditation gezielt innere Ruhe zu finden. Auch spezielle Massageprodukte oder hochwertige Massagesessel können durch Shiatsu-Techniken und Körperscanner individuell auf den Nutzer abgestimmte Entspannung bieten. Die Kombination aus Wärme und Massage schafft ideale Voraussetzungen, um den Vagusnerv zu aktivieren und langfristig für Ruhe und Wohlbefinden zu sorgen.
8. Akupressur
Für eine Selbst-Akupressur den Punkt in der Ohrmuschel, der mit dem Vagusnerv in Verbindung steht, 30 Sekunden drücken und wieder loslassen. Mehrmals wiederholen. In der Vorstellung der Traditionellen Chinesischen Medizin kann der Druck auf bestimmte Punkte am Körper Blockaden lösen, die den Energiefluss im Körper stören.
9. Augenübungen
Akkommodation beschreibt die Fähigkeit des Auges, Gegenstände in unterschiedlichen Entfernungen scharf zu sehen. Mit dieser Übung trainieren Sie Ihre Augenmuskeln und regen gleichzeitig den Vagusnerv an. Strecke jeweils einen Finger der rechten und einen Finger der linken Hand unterschiedlich weit von sich weg und versuche, diese mit den Augen abwechselnd scharf zu stellen. Wenn das gut funktioniert, dann können Sie auch mit den Augen „Achten“ um die beiden Finger beschreiben. Das verstärkt den Trainingseffekt. Zum Scharfstellen der Linse sind beim Sehen drei Muskeln sehr wichtig: die haarfeinen, ringförmig an der Augenlinse ansetzenden Ziliarmuskeln, der Pupillenschließmuskel und die äußeren Augenmuskeln. Alle drei kommunizieren mit dem Vagusnerv.
Die Bedeutung des Vagusnervs für die Gesundheit
Der Vagusnerv ist mehr als nur ein Teil des Nervensystems - er ist eine Schaltzentrale für Entspannung, Gesundheit und innere Balance. Er verbindet den Körper eng mit dem Gehirn und beeinflusst damit nicht nur physische, sondern auch psychische Prozesse. Eine gute vagale Aktivität äußert sich in erhöhter emotionaler Stabilität.
Die Wirkung des Vagusnervs wird in der Psychologie und Medizin zunehmend als präventiver Faktor gegen Depressionen und Angststörungen gesehen. Neben seiner beruhigenden Funktion spielt der Vagusnerv eine wichtige Rolle bei der Regulation von Entzündungsprozessen im Körper. Durch die Aktivierung des Vagusnervs können entzündliche Reaktionen gezielt gedämpft werden. Dies erklärt, warum Menschen mit guter vagaler Aktivität seltener unter häufigen Infektionen und entzündlichen Erkrankungen leiden.
Vagusnervstimulation in der Medizin
In der Medizin wird die Aktivierung des Vagusnervs bereits gezielt genutzt, zum Beispiel bei Depressionen. Dabei wird mithilfe von Elektroden der Nerv durch Strom gereizt. In Zukunft könnten eventuell auch bestimmte Formen der Epilepsie, Migräne oder chronische Schmerzen so behandelt werden.
Am Uniklinikum Tübingen wird die Vagusnervstimulation in Studien erforscht und dafür eine elektronische Stimulation über das Ohr genutzt. Über die Elektrode läuft ein spezielles Programm ab, das eine gewisse Abfolge an Impulsen vorgibt. In einigen Studien wird die Stimulation auch mit einem funktionellen MRT kombiniert, das die Aktivität des Gehirns in Echtzeit sichtbar macht. So kann überprüft werden, ob die Stimulation das Gehirn wie gewünscht über den Hirnstamm beeinflusst und tatsächlich der Vagusnerv stimuliert wird.
Derzeit geht man aufgrund der Studienlage davon aus, dass diese professionelle Vagusnervstimulation Personen helfen kann, die unter Antriebslosigkeit, Depressionen, Epilepsie oder auch Störungen im Stoffwechsel oder der Verdauung leiden. Zudem könnte die Stimulation bei Trägheit oder Fatigue helfen.