Die Frage, was den Menschen vom Tier unterscheidet, beschäftigt uns seit langem. Lange Zeit wurde der Fokus auf rationale Fähigkeiten wie Entscheidungsfindung, logisches Denken und Planung gelegt, die dem präfrontalen Kortex zugeschrieben werden. Doch moderne Forschungsergebnisse zeichnen ein differenzierteres Bild, das sowohl Gemeinsamkeiten als auch einzigartige Merkmale hervorhebt.
Die Evolution des Gehirns: Eine Gemeinsame Basis
Anstatt zu fragen, was "den Menschen vom Tier" unterscheidet, konzentriert sich die moderne Wissenschaft auf die Suche nach gemeinsamen stammesgeschichtlichen Wurzeln. Tatsächlich teilen Menschen viele anatomische, physiologische und sogar mentale Eigenschaften mit anderen Lebewesen. Die modernen Naturwissenschaften führen uns aus der Sackgasse menschlicher Selbstüberschätzung heraus, indem sie das rasch zunehmende Wissen um die genetische Verwandtschaft mit anderen Tieren, ja sogar mit Pflanzen und Pilzen, nutzen, um ein Bewusstsein von Gemeinsamkeit mit allem Lebendigen zu schaffen. Bereits vor 700 Millionen Jahren verfügten Seeanemonen und Quallen über Nervenzellen, die auf Reizleitung spezialisiert waren. Diese funktionieren nicht wesentlich anders als die 100 Milliarden in unseren Gehirnen.
Vor etwa 560 Millionen Jahren begann mit den ersten bilateral-symmetrischen Tieren die gerichtete Fortbewegung. Dies erforderte am Vorderpol konzentrierte Sinne und Nervenzellen, was zur Entstehung der ersten Gehirne führte. Diese konnten bereits zwischen günstigen und ungünstigen Reizen unterscheiden und in orientierte Bewegung umsetzen, um in einer positiven Umgebung zu verharren und negativen Reizen auszuweichen.
Quantitative vs. Qualitative Unterschiede
Menschen haben mit 1.200 bis 1.500 Kubikzentimeter das relativ größte Gehirn der Wirbeltiere. Unsere engsten stammesgeschichtlichen Verwandten, die Schimpansen, kommen dagegen mit 400 Kubikzentimeter aus. Das menschliche Gehirn macht etwa 2,5 Prozent der Körpermasse aus, beansprucht aber beachtliche 20 Prozent des Grundumsatzes. Im Vergleich zum Gehirn der Schimpansen ist es nicht nur groß, sondern auch hochgetunt.
Allerdings unterscheiden sich menschliche Gehirne eher quantitativ als qualitativ von denen anderer Tiere. In der Evolution entstehen neue Strukturen und Funktionen niemals einfach aus dem Nichts, sondern durch Um- und Ausbau von bereits Vorhandenem.
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Die Rolle des Neokortex
Ein entscheidender Durchbruch am Weg zum menschlichen Gehirn geschah bei den frühen Säugetieren vor etwa 150 Millionen Jahren. Im Dach des Vorderhirns entstand der Neokortex als vielseitig verwendbare und nahezu beliebig erweiterbare Recheneinheit. Damit konnten sich die Säugetiere die Welt viel besser vorstellen und vorhersagen als ihre reptilienartigen Vorfahren. Der beim Menschen und anderen großhirnigen Saugetieren enorm ausgedehnte, gefaltete Neokortex speichert zudem die relevanten Informationen einer artspezifischen Umwelt in Form mentaler Repräsentationen und bewertet diese durch affektiven Abgleich immer wieder neu.
Innerhalb der Primaten setzt der Mensch noch eins drauf: Wir haben für jedes Kilo des Körpergewichts dreimal so viel Hirn wie ein Schimpanse und achtmal so viel wie eine Katze.
Soziale Fähigkeiten und Sprache
Zum besonderen Gehirn des Primaten Homo sapiens fehlte nun nur noch ein kleiner Schritt, mit allerdings großen Folgen: die Entwicklung einer komplexen Symbolsprache mit einer universellen menschlichen Grammatik, mit der Babys bereits zur Welt kommen. Die typisch menschliche Sprachfähigkeit entstand, und zwar als soziales Instrument - angelegt ganz offensichtlich, um als Band innerhalb, aber als Barriere zwischen Gruppen zu wirken.
Substrat dafür war vor allem der frontale Neokortex (das Stirnhirn), der neue Schlüsselfähigkeiten entwickelte: Sich in andere einfühlen und eindenken, durch Beobachten lernen und für die Zukunft planen.
Unterschiede in der Gehirnentwicklung
Jüngste Forschungsergebnisse betonen die Bedeutung des Wachstumsmusters im Laufe der Kindesentwicklung. Im Vergleich zu Menschenaffen nimmt das Gehirn des Menschen im Laufe der Kindesentwicklung also deutlich schneller an Volumen zu und wächst über einen etwas längeren Zeitraum. Relativ gesehen bedeutet das aber eine Verlangsamung der Gehirnentwicklung bei Menschen. Bei Menschen sind zum Zeitpunkt der Geburt zwar alle Nervenzellen bereits angelegt, aber noch kaum miteinander verknüpft. Die ersten Lebensjahre sind entscheidend für die Vernetzung des Gehirns.
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Die Bedeutung der Vernetzung
Die eigentliche Musik spielt sich in den Verbindungen der Nervenzellen ab. Eine größere Zahl an Nervenzellen bildet auch mehr synaptische Verbindungen aus. Der Mensch übertrifft sämtliche Tiere auch in der Zahl der Synapsen. Die menschliche Hirnrinde ist mit maximal fünf Millimetern rund viermal so dick und zudem noch doppelt so dicht mit Neuronen bepackt wie die der Wale und Elefanten. Diese vielen, eng benachbarten Zellen können besonders schnell miteinander kommunizieren.
Neuronendichte und Informationsverarbeitung
Vögel und Primaten sind die einzigen Wirbeltiere, bei denen die Neuronendichte in großen wie in kleinen Gehirnen gleich dicht gepackt ist. Bei Vögeln ist die Packungsdichte sogar noch höher als bei den Primaten, sie haben also je Gramm Hirngewicht noch mehr Nervenzellen.
Die Rolle des Mandelkerns
Studien deuten darauf hin, dass bei Affen die Erkennung der Blickrichtung ebenfalls im Mandelkern erfolgt. Die Forscher der Universität Bonn konnten diese Frage nun dank einer neuartigen Methode beantworten. Sie analysierten, wie einzelne Nervenzellen im Mandelkern von Epilepsie-Patienten auf den Anblick von Gesichtern reagieren.
Die Faltung des Gehirns
Bei Säugetieren gibt es über die gesamte Evolution hinweg zwei verschiedene Programme, die die Produktion von Nervenzellen während der Entwicklung des Gehirns steuern. Das Ergebnis: Stark gefaltete oder wenig bis gar nicht gefaltete Gehirne. Die Forscher haben einen bestimmten Wert der Hirnfaltung ausgemacht, der Säugetiere in zwei Gruppen einteilt. Je nachdem, ob ein Lebewesen diesen Wert über- oder unterschreitet, hat es ein stark gefaltetes oder wenig bis gar nicht gefaltetes Gehirn.
Die Komplexität Menschlichen Verhaltens
Menschen sind zweifellos die rationalsten aller Lebewesen, dennoch handeln sie sehr oft irrational und widersprüchlich, getrieben von den alten Überlebens- und Reproduktionsinstinkten, oft im Konflikt mit den stammesgeschichtlich eher jungen sozialen Antrieben.
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In-vitro-Studien und Tierversuche
Eine aktuelle wissenschaftliche Publikation belegt einmal mehr, was der Verein Ärzte gegen Tierversuche seit Langem kritisiert: Affen sind nicht geeignet für die Erforschung des menschlichen Gehirns. Die In-vitro-Studie zeigt anhand von im Labor gezüchteten Mini-Gehirnen, dass grundlegende neurologische Entwicklungsprozesse bei Affen und Menschen stark unterschiedlich sind.
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