Alkohol ist eine weit verbreitete psychoaktive Substanz, die einen erheblichen Einfluss auf das Nervensystem hat. Obwohl viele Menschen Alkohol als harmlos betrachten, handelt es sich tatsächlich um ein starkes Nervengift, das bei übermäßigem Konsum schwerwiegende Folgen haben kann. Dieser Artikel untersucht die Auswirkungen von Alkohol auf das vegetative Nervensystem, insbesondere auf den Parasympathikus, und die daraus resultierenden gesundheitlichen Probleme.
Alkohol und das Nervensystem: Eine Einführung
Das Nervensystem des Menschen ist ein komplexes Netzwerk, das in ein zentrales und ein peripheres System unterteilt ist. Das zentrale Nervensystem umfasst Gehirn und Rückenmark, während das periphere Nervensystem alle Neuronen außerhalb davon umfasst. Das periphere Nervensystem ist für die Empfindung von Reizen, die Bewegung von Muskeln und die Koordination lebenswichtiger Körperfunktionen wie Verdauung, Atmung und Herzschlag verantwortlich.
Alkohol wirkt im Nervensystem vor allem auf die Außenhaut der einzelnen Nervenzellen ein. Diese Membranen erfüllen normalerweise zahlreiche wichtige Aufgaben, werden durch den Alkohol allerdings blockiert. Dadurch verändert sich die Reiz- und Signalübertragung. Genauer gesagt werden verschiedene Rezeptoren (GABA und NMDA) stimuliert bzw. blockiert, wodurch die Informationsweiterleitung zwischen den Zellen heruntergefahren wird.
Die Auswirkungen von Alkohol auf das vegetative Nervensystem
Das vegetative Nervensystem (VNS) ist ein Teil des peripheren Nervensystems, der unwillkürliche Körperfunktionen wie Herzfrequenz, Atmung, Verdauung und Schweißproduktion steuert. Das VNS besteht aus zwei Hauptteilen: dem Sympathikus und dem Parasympathikus. Der Sympathikus ist für die "Kampf-oder-Flucht"-Reaktion verantwortlich, während der Parasympathikus den Körper in einen Zustand der Ruhe und Entspannung versetzt.
Chronischer Alkoholkonsum kann das vegetative Nervensystem schädigen, insbesondere den Parasympathikus. Diese Schäden können zu einer Vielzahl von gesundheitlichen Problemen führen, darunter:
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Schädigung des Parasympathikus und Delirium
Chronische Alkoholiker schädigen durch die Sucht nicht nur ihre Leber, sondern neben vielen weiteren Organen auch das vegetative Nervensystem. Diese Schäden am sogenannten Parasymphatikus, dem auch "Ruhenerv" genannten Nervus vagus, sind eine der Ursachen für die als Delirium bekannten Entzugserscheinungen bei Alkoholsüchtigen. "Es gibt einen sehr deutlichen Zusammenhang zwischen alkoholverursachten Nervenschäden im parasymphatischen System und den heftigen körperlichen Entzugserscheinungen, die bis zum plötzliche Herztod führen können", erklärt Prof. Karl-Jürgen Bär vom Universitätsklinikum Jena.
Eine der Ursachen für Deliriumszustände ist der durch jahrelangen Alkoholmissbrauch geschädigte Parasymphatikus, der dadurch seine Funktion, die Verlangsamung der Herzfrequenz und Steuerung der Erregungsleitung am Herzen, nicht mehr erfüllen kann. "Leider scheint sich diese Funktion auch dann nicht oder nur wenig wiederherzustellen, wenn die Betroffenen die Sucht erfolgreich bekämpft haben", so Karl-Jürgen Bär. Denn in den Untersuchungen zeigten sich auch bei seit fünf Jahren abstinent lebenden Alkoholikern noch starke Veränderungen.
Herz-Kreislauf-Probleme
Alkohol kann die Herzgesundheit nachhaltig schädigen und zu chronischen Erkrankungen führen. Wer dauerhaft zu viel Alkohol konsumiert, riskiert eine krankhafte, chronische Erhöhung seines Blutdrucks. Denn Alkohol wirkt stimulierend auf das vegetative Nervensystem. Der Herzschlag wird beschleunigt und pumpt verstärkt Blut in den Körper. Ein dauerhaft zu hoher Blutdruck kann die Gefäßauskleidung beschädigen, sodass sich Ablagerungen aus Fett, Kalk und Bindegewebsbestandteilen bilden. Es kommt zur Arteriosklerose oder umgangssprachlich "Gefäßverkalkung": Durch die Ablagerungen an den Gefäßwänden verengen sich die Arterien und verlieren an Geschmeidigkeit, was wiederum den Blutdruck noch weiter erhöht und einen Teufelskreis einleitet.
Neben Gefäßverkalkungen kann ein chronisch zu hoher Blutdruck zudem Herzschäden hervorrufen: Unter der ständigen Last, gegen den erhöhten Gefäßwiderstand anzupumpen, kann es zu einer krankhaften Verdickung des Herzmuskels kommen. Dadurch wird die Arbeit des Herzens zunehmend beeinträchtigt bis es langfristig zur Herzschwäche kommt. Auch ohne erhöhten Blutdruck kann Alkohol das Herz in Mitleidenschaft ziehen. Insbesondere bei jungen Menschen mit unstetem Lebenswandel (Stress, Hektik im Alltag, zu wenig Schlaf) können schon vereinzelte Alkoholexzesse am Wochenende zu Herzrhythmusstörungen und Herzrasen führen.
Polyneuropathie
Alkohol ist ein zell- und nervenschädigendes Gift, das im Körper großen Schaden anrichten kann. So ist allgemein bekannt, dass die Leber durch riskanten Alkoholkonsum geschädigt und Krebs durch Alkohol begünstigt wird. Weitaus weniger verbreitet ist die Erkenntnis, dass Alkohol als Nervengift auch das periphere Nervensystem in Form einer sogenannten Polyneuropathie schädigen kann.
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Eine Polyneuropathie bezeichnet eine Schädigung des peripheren Nervensystems. Diese kann sich durch zahlreiche Beschwerden wie Schmerzen, Empfindungsstörungen, Fehlempfindungen und sogar Lähmungen bemerkbar machen. Eine alkoholische Polyneuropathie kann zu einer enormen Beeinträchtigung der Lebensqualität der Betroffenen führen. Schätzungen zufolge betrifft die Alkoholische Polyneuropathie in Deutschland mindestens ein Fünftel aller Alkoholiker. Männer leiden deutlich häufiger an der Erkrankung als Frauen.
Ursache für eine Alkoholische Polyneuropathie ist in erster Linie die toxische Wirkung des Alkohols und seiner Abbauprodukte. Bei Alkohol handelt es sich um eine neurotoxische Substanz, die eine exotoxische Schädigung im Nervensystem hervorrufen kann. Dies bedeutet, dass die Schäden im Organismus durch Zufuhr einer äußeren Substanz entstehen. Daneben kann eine Unter- oder Mangelernährung, die in vielen Fällen mit einer chronischen Alkoholsucht einhergeht, das Entstehen der Erkrankung begünstigen oder sogar hervorrufen.
Weitere neurologische Erkrankungen
Ein starker Alkoholkonsum kann neben „kleineren“ kognitiven Einbußen auch das Korsakow-Syndrom und viele weitere Nervenschäden hervorrufen. Beim Korsakow-Syndrom handelt es sich um eine durch chronischen Alkoholkonsum ausgelöste Gedächtnisstörung, die auf einem Thiaminmangel und einer daraus folgenden Schädigung des zentralen Nervensystems beruht. Die zentrale pontine Myelinolyse ist ebenfalls eine neurologische Erkrankung, die bei Menschen mit einem dauerhaft erhöhten Alkoholkonsum auftreten kann. Auch die Marchiafava-Bignami-Krankheit tritt hauptsächlich in Verbindung mit einem Vitaminmangel durch Alkohol auf und ist durch eine Degeneration im Corpus callosum gekennzeichnet.
Alkohol und die Balance des Nervensystems
Alkohol beeinflusst verschiedene Neurotransmitter wie GABA, Dopamin und Glutamat. Diese Veränderungen führen zu einer kurzfristigen Beruhigung, verändern aber auch die Balance im Gehirn. Alkohol dämpft im Gehirn die Region, die für Gefahrenwahrnehmung zuständig ist, was dazu führt, dass wir Hemmungen verlieren.
Die Herzratenvariabilität (HRV) gilt als Gradmesser für die Aktivität des vegetativen Nervensystems. Sie stellt die Rate zwischen den Herzschlägen dar, also wie groß der Abstand zwischen den Herzschlägen ist. Diese Rate ist hoch bei entspannenden Aktivitäten und niedrig bei Stress. Alkohol senkt die HRV. Der Parasympathikus steht immer für das Thema Entspannung, während der Sympathikus für Aktivität / Aktivierung steht.
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Alkoholismus und seine Folgen
In Deutschland sind etwa 2-2,5 Mio. Menschen alkoholkrank, d. h., sie zeigen ein abnormes Trinkverhalten und eine psychische Abhängigkeit mit Kontrollverlust und Verengung des Denkens sowie eine Toleranzsteigerung. Bei Alkoholkarenz führen dann die körperlichen Entzugssymptome oft zur klinischen Diagnose. Jährlich sterben etwa 50.000 Menschen an den Folgen des Alkoholismus. Die Ursachen sind neben den internistischen Komplikationen die neurologischen Folgeerkrankungen, die etwa bei jedem fünften Patienten auftreten.
Die bei fortgeschrittenem Alkoholismus praktisch immer zu beobachtende Mangelernährung v. a. mit B-Hypovitaminosen ist multikausal bedingt: Durch einseitige Ernährung werden einerseits zu wenig Vitamine und Spurenelemente zugeführt, andererseits ist durch den Alkohol der Bedarf gesteigert.
Behandlung von alkoholbedingten Nervenschäden
Ob der Alkoholkonsum im Gehirn der Betroffenen direkt oder indirekt zu einer Nervenschädigung führt, ist unerheblich für die Frage, ob die schädlichen Auswirkungen des Konsums umkehrbar oder irreversibel sind. Stattdessen kommt es in den meisten Fällen auf das Ausmaß des Schadens an und darauf, wie schnell eine mögliche Behandlung einsetzt. In jedem Fall ist ein sofortiger Stopp des Alkoholkonsums Pflicht, damit das Gehirn die Möglichkeit erhält, sich zu regenerieren und sich von der Wirkung des Alkohols zu erholen.
Eine qualifizierte Therapie der Alkoholsucht besteht immer aus einer Entgiftung, Entwöhnung und einer ambulanten Nachsorge. Grundsätzlich gilt, je früher die Behandlung begonnen wird, umso geringer ist die Gefahr für bleibende Schädigungen der Gehirnzellen. Auch andere Organe des Körpers wie der Magen-Darm-Trakt, das Herz-Kreislauf-System, die Leber und die Bauchspeicheldrüse profitieren, wenn der Konsum beendet wird.
Bei Vorliegen einer Suchterkrankung können sich beim Verzicht auf Alkohol unangenehme Entzugserscheinungen einstellen, die für den Betroffenen nicht nur äußerst belastend, sondern sogar lebensgefährlich werden können. Besonders in Kombination mit einer peripheren Neuropathie sollten Alkoholiker daher in einer qualifizierten Klinik für Alkoholentzug entziehen.
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