Die Gesundheit des Darms ist ein Thema von wachsender Bedeutung, und es wurde bereits ein Artikel über das Mikrobiom und Probiotika veröffentlicht. Es besteht eine enge und untrennbare Verbindung zwischen Darm und Psyche, und zwar in vielerlei Hinsicht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich Betroffene Beschwerden wie Durchfall oder Blähungen einbilden. Das Gegenteil ist in den meisten Fällen richtig: Darm und Psyche lassen sich nicht getrennt voneinander betrachten. Die Psyche beeinflusst den Darm - und der Darm die Psyche.
Das enterische Nervensystem (ENS) und seine Rolle
Unser gesamter Darm ist von einem feinen Nervennetz umgeben. Nach dem Gehirn ist dies das zweitdichteste Netz von Nervenzellen im Körper. Dieses sogenannte enterische Nervensystem (ENS) koordiniert die Verdauungs- und Verwertungsarbeit. Es kommuniziert mit den angrenzenden Organen und sorgt in Abstimmung mit dem übrigen Körper dafür, dass Stoffe in den Körper gelangen oder abtransportiert werden, je nachdem, was gerade benötigt wird.
Das ENS ist Teil des vegetativen Nervensystems, das die unbewussten Abläufe im Körper steuert, wie z. B. Atmung oder Stoffwechselprozesse. Das ENS arbeitet nicht isoliert, sondern ist in ein komplexes Zusammenspiel von Gehirn sowie Sympathikus ("Spannungsnerv") und Parasympathikus ("Ruhenerv") eingebunden. Die beiden Gegenspieler regulieren die Körperfunktionen in Ruhephasen und in Stresssituationen und lassen uns "kämpfen oder fliehen". Haben wir Stress, kann dies den Sympathikus triggern, der die Verdauung hemmt. Bauchschmerzen und Verdauungsprobleme können die Folge sein.
Stress ist natürlich nur eine von vielen möglichen Ursachen für anhaltende Darmbeschwerden. Andere Auslöser können beispielsweise Nahrungsmittelunverträglichkeiten, organische Erkrankungen oder Allergien sein. Ob man psychische oder organische Ursachen für Darmbeschwerden vermutet, eine Beratung und Untersuchung durch Experten ist immer empfehlenswert.
Das Reizdarmsyndrom und die Bedeutung der Darm-Hirn-Achse
Die Berücksichtigung der Zusammenhänge zwischen Darm und Psyche ist insbesondere beim Reizdarmsyndrom von Bedeutung. In Deutschland leiden mehr als 11 Millionen Menschen (ca. 17 % der Bevölkerung) unter dieser Erkrankung, die mit Verdauungsproblemen, Bauchschmerzen, Verstopfung oder Durchfall einhergeht. Organische Schäden können hier nicht festgestellt werden. Die medizinische Diagnose Reizdarmsyndrom kann gestellt werden, wenn Symptome wie Verdauungsprobleme, Bauchschmerzen oder Verstopfung in typischem Ausmaß und Muster geschildert werden und wenn andere mögliche Ursachen ausgeschlossen werden konnten. Obwohl das Reizdarmsyndrom nicht gefährlich ist und häufig mild verläuft, kann es die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen.
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Was genau ein Reizdarmsyndrom auslöst und wie es sich entwickelt, wird noch erforscht. Über das unbewusste Nervensystem kommt hier auch die Psyche als ein Faktor von vielen mit ins Spiel. Was bedeutet es, wenn man immer bei Stress unter Durchfall leidet: Eine normale Körperreaktion oder ein Reizdarmsyndrom? Möglicherweise wird es hier nie eine scharfe Grenze geben.
Die Behandlung des Reizdarmsyndroms richtet sich nach den individuellen Auslösern, Einflussfaktoren und Beschwerden. Deshalb geht es in erster Linie darum herauszufinden: Was tut dem eigenen Darm gut, was nicht? Auch um wieder mehr Dinge mit gutem Gefühl tun zu können, auf die man vorauseilend aus Angst verzichtet. Beschwerden gezielt vorbeugen und Wege finden sie zu lindern - darum geht es.
Ernährungstagebuch und digitale Unterstützung
Ein Ernährungstagebuch kann helfen, dem Zusammenspiel aus Symptomen, Ernährung und Psyche auf die Spur zu kommen. Darin wird notiert, wann die Beschwerden auftreten - und wann nicht. Was wurde zuvor gegessen? Und wie waren die Begleitumstände? War es heiß oder kalt? Auch Apps können Betroffene unterstützen, die eigenen Beschwerden besser zu verstehen. Einige gibt es sogar zuzahlungsfrei auf Rezept. Digitale Gesundheitsanwendungen wie „Cara Care für Reizdarm“ analysieren die individuellen Symptome und bieten personalisierte Ansätze, um sie zu reduzieren und die eigene Lebensqualität zu verbessern. Zum multimodalen digitalen Ansatz der App zählen beispielsweise Themengebiete wie Ernährung, kognitive Verhaltenstherapie oder Darm-gerichtete Hypnotherapie.
Die Darm-Hirn-Achse: Eine bidirektionale Kommunikationsstraße
Die Erforschung des komplexen Zusammenspiels von Psyche und Darm steht trotz immenser Fortschritte immer noch am Anfang. Sicher ist, dass die wechselseitige Verbindung und Kommunikation größeren Einfluss hat als bislang angenommen. Ob Darmbeschwerden, chronische Erkrankungen oder Psyche - eine abwechslungsreiche, ausgewogene Ernährung, Bewegung und gesunder Umgang mit Stress sind eine Art Universalschlüssel für körperliches und geistiges Wohlbefinden. Warum diesen „Dietrich“ erst einsetzen, wenn die Beschwerden schon da sind?
Der Darm kann weit mehr als „nur“ Nahrung verdauen: Ein Geflecht aus rund 100 Millionen Nervenzellen durchzieht den gesamten Magen-Darm-Trakt und bildet ein vollständig autonomes Nervensystem. Das vegetative Nervensystem steuert alle lebenswichtigen Grundfunktionen - etwa die Atmung, die Verdauung und den Stoffwechsel. Da wir diese Funktionen nicht bewusst steuern können, wird das vegetative Nervensystem auch als autonomes Nervensystem bezeichnet. Das enterische Nervensystem lässt sich als Teil des vegetativen Nervensystems werten. Es bildet sich schon lange vor der Geburt aus.
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Während der embryonalen Entwicklung wandert ein Teil des Gewebes, das die Nervenentstehung steuert, in das zukünftige Gehirn und das Rückenmark, wo es sich zum zentralen Nervensystem (ZNS) entwickelt. Ein anderer Teil desselben Ausgangsgewebes lagert sich an den Magen-Darm-Trakt an. Ein komplexes Geflecht aus mehreren Millionen Nervenzellen durchzieht somit den gesamten Verdauungstrakt. Es ist von ähnlicher Struktur und Komplexität wie das Gehirn und wird deshalb auch als „Bauchhirn“ bezeichnet.
Sympathikus und Parasympathikus: Das Zusammenspiel der Gegenspieler
Der Parasympathikus wird auch als „Ruhe- oder Erholungsnerv“ bezeichnet. Er ist für die Erhaltung des inneren Gleichgewichts des Organismus zuständig. Er aktiviert auch die Darmbewegung und stimuliert die Zellen der Darmwand, die für die Aufnahme von Nährstoffen zuständig sind. Der Sympathikus ist hingegen für eine erhöhte Leistungsbereitschaft in Ausnahmesituationen verantwortlich: Er wird bei körperlicher Belastung oder in Stresssituationen aktiviert und versetzt den Körper in Kampf- oder Fluchtbereitschaft. Im Gegenzug drosselt er die Verdauungsfunktionen.
Stressfaktoren können die Darmtätigkeit somit unmittelbar beeinflussen: In Belastungssituationen werden Verdauungsprozesse reduziert ausgeführt, was zu Beschwerden wie Verstopfung oder Durchfall führen kann.
Die Rolle von Neurotransmittern und Darmflora
Der Begriff Darm-Hirn-Achse beschreibt die Verbindung, die zwischen dem enterischen und dem zentralen Nervensystem besteht. Der Vagusnerv ist einer von 12 Hirnnerven, die das ZNS direkt mit dem ENS verbinden. Die Kommunikation der beiden Nervensysteme findet mittels verschiedener Botenstoffe, sogenannter Neurotransmitter, statt. Allgemein bekannte Neurotransmitter sind Serotonin, Dopamin und GABA (Gamma-Aminobuttersäure). Diese Botenstoffe werden sowohl im ZNS als auch im ENS produziert und als Information verstanden. Gehirn und Darm können sich über den Austausch von Botenstoffen somit wechselseitig beeinflussen.
Auch die Darmflora gilt als eine wichtige Komponente des „Bauchhirns“. Die Bakterien der Darmflora produzieren hormonähnliche Substanzen und kurzkettige Fettsäuren, die der Kommunikation zwischen ENS und ZNS über die Darm-Hirn-Achse dienen. Emotionen, Stressresistenz und Schmerzwahrnehmung lassen sich über diese Botenstoffe steuern. Das „Glückshormon“ Serotonin wird beispielsweise überwiegend im Darm gebildet. Ein wichtiger Baustein für die Produktion von Serotonin ist die Aminosäure Tryptophan. Diese produzieren die darmfreundlichen Bifidobakterien. Die Bifidobakterien-Population der Darmflora kann also den Serotonin-Spiegel und damit auch das seelische Wohlbefinden maßgeblich beeinflussen. Mikroorganismen, die über die Gehirn-Darm-Achse mit dem ZNS kommunizieren, werden als „Psychobiom“ bezeichnet.
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Die Bakterien der Darmflora sind wichtige Verdauungshelfer, die aufgenommene Nahrungsmittel in verwertbare Bestandteile umwandeln. Sie sorgen für ein saures Milieu im Darm, produzieren lebenswichtige Enzyme, Aminosäuren und Vitamine und unterstützen das Immunsystem. Jeder Mensch hat eine ganz individuelle Darmflora, die sich im Laufe des Lebens ausdifferenziert und unter dem Einfluss der Ernährung und anderer Faktoren wie beispielsweise Schlaf und Bewegung stetig wandelt.
Die Bedeutung einer gesunden Lebensweise
Zweifellos hat die Psyche auch einen Einfluss auf unser Verdauungssystem. Wer einen empfindlichen Magen und/oder Darm hat, reagiert in belastenden Situationen zum Teil mit Übelkeit, Sodbrennen, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung. Manche Menschen müssen z. B. vor Prüfungen häufig auf Toilette, anderen ist vor Aufregung schlecht. Hält dieser Zustand über einen längeren Zeitraum an, können sich daraus ernstzunehmende Krankheitsbilder entwickeln. Die häufigsten Magen-Darm-Erkrankungen ohne organische Ursache sind das Reizdarm- und das Reizmagen-Syndrom. Von den seit mehr als 100 Jahren bekannten Krankheitsbildern sind 10-15% der Erwachsenen jungen und mittleren Alters betroffen. Meistens handelt es sich dabei um Frauen. Sie werden oft durch eine psychische Belastung wie Angst oder Stress ausgelöst. Die Patienten leiden jahrelang unter Schmerzen im Bauchbereich, die nach der Stuhlentleerung etwas nachlassen. Verstopfung und Durchfall wechseln sich ab.
Die Produktion des Magensaftes wird vom vegetativen Nervensystem gesteuert und kann demnach nicht willentlich beeinflusst werden. Manche Menschen reagieren auf Stress mit einer erhöhten Produktion von Magensäure. Wenn sie dann sauer aufstoßen, gelangt die Säure in die Speiseröhre und greift dort die Schleimhaut an. Hält dieser Zustand länger an, kann sich aus dem Sodbrennen eine Entzündung der Speiseröhre (Refluxösophagitis) entwickeln, die wiederum zu Speiseröhrenkrebs führen kann. Es ist also auf jeden Fall angezeigt, lang anhaltendes Sodbrennen mit so genannten Antazida oder Protonenpumpenblocker zu behandeln, egal ob es psychische oder organische Ursachen hat. Antazida binden die überschüssige Magensäure, Protonenpumpenblocker stoppen dagegen die Säureproduktion.
Psychische Belastung kann wirkt sich auch auf die Darmtätigkeit auswirken. Bei manchen Menschen wird der Nahrungsbrei zu schnell durch den Darm geschleust, wobei der Körper mit dem Wasserüberschuss auch lebenswichtige Mineralien (Elektrolyte) verliert. Wenn dieser Zustand länger anhält und nicht genügend Flüssigkeit zugeführt wird, gerät der Wasser- und Elektrolyt-Haushalt des Körpers aus dem Gleichgewicht. Durch die verloren gegangenen Mineralien kann es zu Mangelerscheinungen kommen. Umgekehrt kann der Nahrungsbrei auch so lange im Darm verbleiben, bis der Stuhl hart ist und seine Entleerung zum Problem wird. Manche Betroffenen unterdrücken den Stuhlgang aus Stress oder Zeitmangel unbewusst. Normaler Weise entstehen Blähungen nach üppigen Mahlzeiten, Verdauungsstörungen, Magenerkrankungen, einer Ernährungsumstellung oder dem Verzehr blähender Speisen wie Hülsenfrüchten oder Kohl. Aber auch aus Nervosität verschluckte Luft kann sich im Darm sammeln und Schmerzen verursachen. Die Betroffenen leiden unter Bauchkrämpfen bis hin zu Koliken. Einigen Menschen wird bei psychischer Erregung und Nervosität so übel, dass sie erbrechen. Durch einen Impuls aus dem Brechzentrum im Gehirn ziehen sich ihr Bauch- und Zwerchfell ruckartig zusammen und befördern den Mageninhalt nach außen. Normalerweise entledigt sich der Körper auf diese Weise ungenießbarer Speisen oder reagiert damit auf andere organische Störungen. In jedem Fall verliert der Körper beim Erbrechen Flüssigkeit und Mineralien und reizt durch die Magensäure zudem die Speiseröhre. Länger anhaltendes Erbrechen ist somit ebenfalls unbedingt zu stoppen.
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