Ein Schlaganfall ist ein einschneidendes Ereignis, das das Leben von Betroffenen und ihren Angehörigen von einer Minute zur anderen verändern kann. Er zählt zu den häufigsten Ursachen erworbener Behinderungen und ist somit kein Randthema. In Deutschland erleiden jährlich rund 270.000 Menschen einen Schlaganfall, wobei jeder Fünfte in den ersten Wochen verstirbt. Ein Jahr später sind etwa 64 Prozent der Überlebenden pflegebedürftig und rund 15 Prozent leben in stationären Einrichtungen. Damit ist der Schlaganfall die häufigste Ursache für bleibende Behinderungen hierzulande. Etwa 80 % der Betroffenen sind über 60 Jahre alt. Die gute Nachricht ist, dass das alte und geschädigte Gehirn des Menschen ein Potential zur Plastizität und Anpassung besitzt, das sich für die Rehabilitation nutzen lässt. Dies erkannten vor 20 Jahren einige Arbeitsgruppen der Neurologischen Universitätsklinik Freiburg, was zu einer Neuausrichtung der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten führte.
Ursachen und Folgen eines Schlaganfalls
Ein Schlaganfall entsteht durch eine Unterbrechung der Hirndurchblutung, meist durch einen Gefäßverschluss (ischämischer Schlaganfall), seltener durch eine Blutung (hämorrhagischer Schlaganfall). Die neuropsychologischen Folgen sind abhängig von Ort und Ausmaß der Schädigung. Läsionen in strategischen Arealen, etwa an Knotenpunkten für Aufmerksamkeit, Gedächtnis oder Planung, können selbst bei einem kleinen Infarkt komplexe Netzwerke aus dem Gleichgewicht bringen. Die Beeinträchtigungen gehen oft weit über den direkt geschädigten Bereich hinaus. Bei Diaschisis kommt es zu zusätzlichen Ausfällen in unversehrten Arealen, weil deren Netzwerkpartner ausgefallen sind. Eine Neuroinflammation, die durch Immunzellen wie Mikroglia und Astrozyten ausgelöst wird, setzt einerseits schädigende Prozesse in Gang, kann aber auch schützend wirken und Reparaturmechanismen anstoßen. Gleichzeitig können zentrale Neurotransmittersysteme (Dopamin, Serotonin, Acetylcholin und GABA) aus dem Gleichgewicht geraten. Dies kann zu Antriebsschwäche, kognitiven Defiziten und Persönlichkeitsveränderungen führen.
Die Folgen eines Schlaganfalls sind vielfältig und können sowohl körperliche als auch kognitive und emotionale Bereiche betreffen. Zu den häufigsten Beeinträchtigungen gehören:
- Motorische Störungen: Lähmungen (Paresen) einer Körperseite (Arm- und Beinlähmungen).
- Sprach- und Sprechstörungen: Aphasie (Sprachverlust), Dysarthrie (Sprechstörung).
- Sehstörungen.
- Kognitive Beeinträchtigungen: Aufmerksamkeitsstörungen, Gedächtnisprobleme, Exekutivfunktionsstörungen (Planung, Problemlösung).
- Neglect: Vernachlässigung einer Körperhälfte oder des Raumes.
- Apraxie: Störung der Handlungsplanung und -ausführung.
- Emotionale und psychische Veränderungen: Depressionen, Angststörungen, Affektlabilität, Fatigue.
Phasen der Rehabilitation
Die Rehabilitation nach einem Schlaganfall ist ein komplexer Prozess, der sich in verschiedene Phasen unterteilt:
- Reha-Phase 1: Akutbehandlung auf der Stroke Unit: In den ersten Stunden und Tagen nach dem Schlaganfall befindet sich das Gehirn in einem Schockzustand. Hier steht die Stabilisierung des Patienten und die Verhinderung weiterer Komplikationen im Vordergrund. Die Patienten brauchen in dieser Phase viel Pflege und Unterstützung. Diese Schlaganfall-Reha findet meist auf einer speziellen Schlaganfall-Station statt. Dort können die Ärzte am besten einen neuen Schlaganfall verhindern, der besonders in den ersten drei Tagen auftreten kann. Diese Reha-Phase dient also auch der Schlaganfall-Prävention, um der Schlaganfall-Wiederholung vorzubeugen.
- Reha-Phase 2: Hyperaktivierung des Gehirns: Es folgt die Phase der Hyperaktivierung. In diese Zeit fallen die Mobilisierung, die ersten funktionsorientierten Reha-Maßnahmen und der schrittweise Weg zurück zur Selbstständigkeit. Oft setzt hier die psychische Reaktion von Patienten und auch der Angehörigen ein, so dass eine engmaschige Überwachung und oft unterstützende Maßnahmen wie Gespräche oder der vorübergehende Einsatz von Antidepressiva sinnvoll sind. Bei uns sind die meisten Patienten in dieser Phase schon zur Rehabilitation in einer Reha-Klinik in Baden-Württemberg angemeldet.
- Reha-Phase 3: Funktionelle Therapie: In der dritten Phase nähert sich die Aktivierung wieder einem normalen Niveau wie bei Gesunden an. Wahrscheinlich ist nur bei Patienten, die diese Phase erreichen, eine modellbasierte, auf die Funktion ausgerichtete Therapie sinnvoll und vor allem der Effekt von Dauer. Rehabilitation in der Rehaklinik oder ambulante Rehabilitation: Die Neurologische Universitätsklinik Freiburg bietet für Patienten in dieser Phase gezielte ambulante Reha-Maßnahmen an. Dazu gehört die „Forced-Use Therapy“, die durch Freiburger Wissenschaftler bereits vor über 10 Jahren in Deutschland eingeführt wurde. Sie beinhaltet einen „verstärkten Gebrauch“, ein intensives Training der betroffenen Hand oder des betroffenen Beins bei gleichzeitigem „Verbot“, die gesunde Hand für alltägliche Tätigkeiten einzusetzen.
Therapieansätze
Die Therapie nach einem Schlaganfall ist multidisziplinär und umfasst verschiedene Ansätze:
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- Physiotherapie: Ziel ist die Verbesserung der motorischen Fähigkeiten, der Koordination und des Gleichgewichts. Formalisierte krankengymnastische Schulen wie Bobath, Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation oder Vojta unterscheiden sich nach Erfahrung der Autoren des vorliegenden Beitrags in ihrer Effektivität kaum voneinander. In Ergänzung zu konventionellen Therapiekonzepten setzt sich in der Stand- und Gangrehabilitation zunehmend ein aufgabenspezifisch repetitiver Ansatz durch, das heißt die motorische Aufgabe, die erlernt werden soll, muss maximal wiederholt geübt werden.
- Ergotherapie: Ziel ist die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit im Alltag, z.B. durch Training von Selbstversorgung, Haushaltstätigkeiten und beruflicher Fähigkeiten.
- Logopädie: Ziel ist die Verbesserung der Sprach-, Sprech- und Schluckfunktionen. Eine logopädische Therapie von mindestens fünf Stunden pro Woche verbessert im Vergleich zur spontanen Erholung signifikant die Funktionen.
- Neuropsychologie: Ziel ist die Behandlung kognitiver Störungen, wie Aufmerksamkeitsdefizite, Gedächtnisprobleme und Exekutivfunktionsstörungen. Die ambulante neuropsychologische Therapie ist seit 2012 eine Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherung, sofern eine klare Indikation vorliegt und die Behandlung durch entsprechend qualifizierte Therapeutinnen oder Therapeuten erfolgt.
- Psychotherapie: Ziel ist die Bewältigung emotionaler und psychischer Probleme, wie Depressionen, Angststörungen und Anpassungsstörungen. Die PSD-Behandlung kann Psychotherapie, medikamentöse Ansätze oder eine Kombination aus beidem umfassen.
- Medikamentöse Therapie: Antidepressiva können bei Post-Stroke-Depressionen eingesetzt werden. Botulinumtoxin kann bei Spastik zur Tonusminderung eingesetzt werden.
Spezifische Therapieansätze
- Forced-Use Therapy: Intensives Training der betroffenen Hand oder des betroffenen Beins bei gleichzeitigem "Verbot", die gesunde Hand für alltägliche Tätigkeiten einzusetzen.
- Spiegeltherapie: Der Patient bewegt seine gesunde Hand, beobachtet dies aber in einem Spiegel, so dass es so aussieht, als ob er eine kranke, in Wirklichkeit vollständig gelähmte Hand bewegte. Damit erzielt er die Illusion eines visuellen Feedbacks einer Bewegung der gelähmten Hand, während er das motorische Programm in der gesunden Hirnhälfte für die Bewegung der gesunden Hand abruft.
- Constrained Induced Movement Therapy: Hierbei wird die nichtbetroffene Hand weggebunden und die betroffene in Kleingruppen intensiv beübt.
Post-Stroke Depression (PSD)
Viele Patienten und auch ein Teil der Angehörigen entwickeln im Verlauf der Rehabilitation eine Depression, die behandelt werden muss. Depressive Störungen gehören zu den häufigsten neuropsychiatrischen Folgen eines Schlaganfalls.
Symptome der Post-Stroke Depression
Die Symptome der Post-Stroke Depression gleichen den Symptomen und Anzeichen einer klassischen Depression und können eine Reihe von emotionalen, kognitiven und körperlichen Bereichen betreffen.
- Niedergeschlagene Stimmung: Niedergeschlagenheit ist ein häufiges und belastendes Symptom bei der Post-Stroke Depression. Betroffene erleben oft ein tiefes Gefühl der Hoffnungslosigkeit und negativer Verstimmung. Der Patient verliert das Interesse an einst genossenen Aktivitäten und kämpft mit Freudlosigkeit, Antriebslosigkeit und einer Beeinträchtigung des individuellen Gefühlslebens.
- Interessenverlust: Interessenverlust ist bei Menschen mit Depressionen oft vorzufinden. Betroffene verlieren häufig das Interesse an ihren früheren Hobbys und Aktivitäten, was die Genesung erschweren kann.
- Energiemangel: Energiemangel ist ein häufiges Symptom der Post-Stroke Depression. Nach einem Schlaganfall fühlen sich Betroffene oft erschöpft und antriebslos.
- Schlafstörungen: Nach einem Schlaganfall erleben betroffene Menschen oft Schlafprobleme, welche die Genesung beeinträchtigen können.
- Gewichtsveränderungen: Gewichtsschwankungen treten in Zusammenhang mit Depressionen nicht selten auf. Einige Betroffene nehmen an Gewicht zu, während andere Gewicht verlieren.
- Konzentrationsprobleme: Konzentrationsprobleme sind ein sehr belastendes Anzeichen bei der Post-Stroke Depression. Viele Menschen haben nach einem Schlaganfall Schwierigkeiten, ihre Gedanken zu fokussieren und alltägliche Arbeiten auszuführen.
- Schuld- und Wertlosigkeitsgefühle: Schuld- und Wertlosigkeitsgefühle sind weitere tiefgreifende Symptome bei der Post-Stroke-Depression. Patienten fühlen sich nach einem Schlaganfall oft schuldig für ihre Erkrankung oder wertlos, da sie möglicherweise ihre Unabhängigkeit oder Rollenverpflichtungen nicht mehr erfüllen können.
- Körperliche Beschwerden: Körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Magenprobleme sind häufige Begleiterscheinungen. Der emotionale Stress und die Depression können physische Symptome verstärken oder auslösen.
Einflussfaktoren für die Funktionserholung
Lokalisation, Ausmaß und Art des Hirninfarktes (ischämisch oder hämorrhagisch) bestimmen maßgeblich die Funktionserholung. Beeinträchtigt wird die Erholung vor allem durch die Beteiligung größerer Leitungsbahnen der weißen Substanz, aber auch durch Affektion oder Diskonnektion des Hippokampus als entscheidender Struktur für Lernen und Wiedererlernen von Funktion. Ältere Menschen zeigen gemeinhin eine schlechtere Funktionserholung als jüngere. Eine wichtige Rolle spielt hier die Reservekapazität des Gehirns, also vor allem die Freiheit von Vorschädigungen durch subklinische vaskuläre Läsionen. Für die Chance, sich von einem Schlaganfall zu erholen, ist somit der Faktor Vorschädigung relevanter als das Alter des Patienten.
Relevant für den Erfolg einer Rehabilitation nach einem Schlaganfall sind ferner die klinischen Versorgungsstrukturen. Die nach dem Phasenmodell der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation gestufte Versorgung von Schlaganfallpatienten in Deutschland bietet ein breites, partiell oder sequenziell nutzbares Spektrum von Rehabilitationsmöglichkeiten.
Bedeutung der Angehörigen
Auch die Angehörigen der Schlaganfallpatienten haben eine sehr wichtige Bedeutung im Rehabilitationsprozess. Sie begleiten den Patienten über einen manchmal sehr langen Zeitraum. Zu den belastenden Folgen für die Angehörigen zählen die Zunahme emotionaler und praktischer Anforderungen nach dem Schlaganfall, Veränderungen im familiären Zusammenleben sowie ein fortschreitender Verlust sozialer Kontakte. Aufgrund der erlebten Belastungen kann sich auch der Gesundheitszustand der Angehörigen deutlich verschlechtern, was sich zumeist in erhöhter Depressivität ausdrückt. Angehörige sollten daher sorgfältig auch auf ihr eigenes Wohl achten. Es ist wichtig, Unterstützung anzunehmen, wann immer es geht. Denn es gibt auch für Familienangehörige eine Reihe von Unterstützungsangeboten wie Selbsthilfegruppen oder Beratungsangebote der Kliniken und Gemeinden.
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Prävention
Die Vorbeugung zugrundeliegender Gefäßerkrankungen muss weiter verbessert werden, und zwar durch den Nachweis von Risikofaktoren (Hochdruck, Rauchen, Bewegungsmangel, Übergewicht und andere), eine adäquate Medikation und durch Hilfe zu entsprechender Lebensstiländerung. Die besten Tipps zur Prävention eines Schlaganfalls sind letztendlich immer die Vermeidung von Risikofaktoren. Das heißt: Maßnahmen, die effektiv einem Bluthochdruck, Übergewicht, Bewegungsmangel und letzten Endes auch Diabetes vorbeugen und verhindern. Dazu gehört im ersten Schritt, dass man sich vernünftig ernährt, das heißt eine balancierte, ausgewogene zum Beispiel mediterrane Diät zu sich führt. Also überwiegend Gemüse, nicht zu viel Fleisch, nicht zu viel Alkohol. Alkohol ist zwar nicht komplett verboten, aber nur in sehr geringen Mengen. Und natürlich ist ausreichende Bewegung sehr wichtig. 20 bis 30 Minuten Bewegung pro Tag, bei der man leicht schwitzt, ist ideal. Und wenn Risikofaktoren wie Diabetes oder Bluthochdruck vorliegen, sollte man die natürlich auch behandeln.
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