Vergiss Mein Nicht: Demenz in Literatur, Film und Leben

Demenz ist ein Thema, das uns alle betrifft. Angesichts einer alternden Bevölkerung rückt die Krankheit immer stärker in den Fokus von Gesellschaft, Medizin und Kunst. Literatur und Film bieten dabei die Möglichkeit, sich auf einer emotionalen Ebene mit den Herausforderungen und Auswirkungen von Demenz auseinanderzusetzen. Dieser Artikel beleuchtet verschiedene Werke, die sich dem Thema Demenz widmen, und untersucht, wie sie die Krankheit aus unterschiedlichen Perspektiven darstellen.

Demenz in Film und Fernsehen: Eine wachsende Aufmerksamkeit

Seit Jahren gibt es immer wieder große, berührende Fernsehfilme über Demenz. Angefangen von „Mein Vater“ (2002) mit Götz George über „Die Auslöschung“ (2012) mit Klaus Maria Brandauer bis zu „Nichts für Feiglinge“ (2013) mit Hannelore Hoger. Sie alle erzählten die Geschichte der Krankheit aus der hilflosen Perspektive von Sohn, jüngerer Lebensgefährtin oder Enkel. Vor allem aber wählten diese Filme einen Ansatz, der auch komische Momente zuließ.

"Vergissmeinnicht": Ein Spielfilm mit Schwächen

Ein Beispiel für einen weniger gelungenen Film zum Thema Demenz ist "Vergissmeinnicht". Das Drehbuch hätte vielleicht noch funktionieren können, aber die Umsetzung durch den „Herzkino“-Spezialisten John Delbridge hat mehrere Defizite. Die New Yorker Medizinerin Natalie Wayne, kurz vor einem möglichen Nobelpreis, reist zu ihrem Vater, einem Dorfarzt in Massachusetts, der einen Unfall hatte. Dieser leidet unter beginnender Alzheimer-Krankheit und dürfte längst nicht mehr praktizieren, zumal ihm bereits diverse Behandlungsfehler unterlaufen sind.

Henriette Richter-Röhl ist in den richtigen Rollen beileibe keine schlechte Schauspielerin, aber die Wissenschaftlerin nimmt man ihr nicht ab, zumal es mehrfach über die junge Frau heißt, sie komme nie aus ihrem Labor raus; ihre Mutter fürchtet daher, sie werde als alte Jungfer sterben. Richter-Röhls Natalie aber ist eine gut gebräunte, modisch gekleidete junge New Yorkerin mit flottem Kurzhaarschnitt, perfektem Make-up und flottem Cabrio. Obwohl der Forschungsdurchbruch nur noch eine Frage von Stunden ist, lässt sie alles stehen & liegen, um zu ihrem Vater zu fahren. Der lebt als Provinzarzt in Massachussetts und hatte einen Unfall, will aber nicht im Krankenhaus bleiben. Auch wenn Natalie den Kontakt schon vor Jahren abgebrochen hat: Dass sie dem Vater zu Hilfe eilt, ist natürlich richtig so. Dass sie nur ein paar Stunden bleiben will, in den nächsten Tagen aber trotzdem genug Kleidung zum Wechseln hat, ist dagegen erstaunlich.

Überzeugend sind dagegen die Szenen mit dem Vater: Rudolf Kowalski versieht den Dorfdoktor mit einer glaubwürdigen Mischung aus Ruppigkeit und Liebenswürdigkeit. Einerseits freut sich Daniel Wayne darüber, dass seine Tochter ihn in der Praxis unterstützt, andererseits fürchtet er sich davor, dass sie sein Geheimnis herausfinden könnte: Er leidet unter beginnender Alzheimer-Krankheit und dürfte längst nicht mehr praktizieren, zumal ihm bereits diverse Behandlungsfehler unterlaufen sind. Da „Vergissmeinnicht“ auch eine Romanze enthalten muss, ist der erste Mann, der Natalie über den Weg läuft, ein schmucker alleinerziehender Vater. Dieser Matthew (Patrick Rapold) führt zwar ein Lokal, aber man sieht ihn nie bei der Arbeit, was dramaturgisch gesehen von Vorteil ist: Wenn man denkt, nun sei es doch mal wieder Zeit für einen Auftritt Matthews, biegt Natalie am Strand um eine Ecke, und wer sitzt da und angelt? Genau. Bei Ebbe zwar, aber wen interessiert das schon. Da Matthew außerdem ein Motorrad fährt und Natalie selbstredend zu einem Ausflug mitnimmt, gibt es zur Abwechslung auch einen Grund für die obligaten Luftaufnahmen der malerischen Küste von Massachusetts; mal mit, mal ohne Sonnenlicht, das sich in den Wellen spiegelt. Immerhin hat Delbridge „Vergissmeinnicht“ flüssig inszeniert, die einheimischen Darsteller sind gut ausgewählt, und die junge Tara Fischer (als Matthews hübsche Tochter) wird man in Zukunft garantiert noch öfter sehen; auch Gudrun Landgrebe passt zu ihrer Rolle als Broadway-Diva, die nebenbei auch noch die Mutter von Natalie ist. Die wiederum zieht am Ende ein Dasein als Provinzärztin dem möglichen Nobelpreis vor; so gesehen passt es fast, dass man Henriette Richter-Röhl die Wissenschaftlerin ohnehin nicht geglaubt hat.

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"Vergiss mein nicht" (2012): Dokumentarfilmische Annäherung an Demenz

Die gerade in den Kinos angelaufene preisgekrönte filmische Hommage von David Sieveking an seine alzheimerkranke Mutter läuft dem "Buch zum Film" eindeutig den Rang ab. Doch auch das distanziertere Medium Buch berührt die Gemüter. Sieveking hat für einige Wochen die Pflege der Mutter Gretel übernommen, damit sein überlasteter Vater eine Auszeit nehmen kann. Der Autor begleitet seine Mutter in 3-facher Weise: als Sohn, als Pfleger und als Filmemacher. Die existenzielle Ausnahmesituation - Mutter Gretel hat inzwischen jedes Zeit- und Ortsgefühl verloren, sie erkennt die engsten Verwandten nicht mehr und ist polymorbid - wird für Sieveking auch eine Reise in die Biografie seiner Mutter, einst eine lebenshungrige, politisch aktive Frau. Die Krankheit und letztlich der Tod verändert und bereichert auch das Leben der Familie. Wenn Mutter Gretels Verstand auch aussetzt, scheint ihre Gefühlswelt zu wachsen.

David Sieveking, mehrfach für seinen Dokumentarfilm „David wants to fly“ ausgezeichnet, kehrt in sein Elternhaus zurück. Aber das Zuhause, das er kannte, gibt es nicht mehr. Seine Mutter Gretel leidet seit Jahren an Alzheimer und erkennt mittlerweile selbst enge Angehörige nicht mehr. Vater Malte, ein ehemaliger Mathematik-Professor, ist mit ihrer Pflege überfordert. Als Malte in den Urlaub in die Schweiz fährt, muss David erkennen, dass es viel schwerer ist, Gretel zu Aktivitäten zu überreden, als er sich vorgestellt hat. Ein Besuch bei ihrer Schwester weckt allerdings ihre Lebensgeister. Für David wird die Fahrt, die auch zu Malte in die Schweiz führt, zu einer Reise in die Vergangenheit. Er entdeckt in Gretel eine Person, die in ihrem Leben mehr war als seine Mutter.

Tatsächlich wirkt Sievekings Film anfangs stark inszeniert, wenn er bei seinen Eltern aufkreuzt, ohne die Produktionssituation zu thematisieren. Schließlich stehen da auch ein Ton- und ein Kameramann in der Tür - unterwirft Sieveking hier die Lebenssituation seiner Eltern nicht seinen eigenen Interessen? Dieser Eindruck lässt jedoch schnell nach, denn an der Ehrlichkeit seiner Gefühle und Bemühungen besteht nach kürzester Zeit kein Zweifel mehr. Zudem entwickelt „Vergiss mein nicht“ einen unerwarteten Erzählton. Tragik ist der Geschichte von Grund auf eingeschrieben, und in stillen Beobachtungen zeigt er durchaus Gretels Zerfall. Gleichzeitig aber wird sie immer mehr von der leidenden zur handelnden Person. Der Film zeigt: die tückische Demenzerkrankung nimmt Gretel zwar ihre Persönlichkeit - aber darunter wird eine andere Person sichtbar, die näher an ihren Emotionen ist und diese auf ganz direkte Weise ausdrückt.

So ist Davis Sievekings Film weit mehr als eine Krankheitsgeschichte. Der Regisseur lernt seine Mutter durch die Dreharbeiten ganz neu kennen und schätzen. Er erfährt von ihren politischen Aktivitäten in den 70er-Jahren, von den Eheproblemen seiner Eltern, davon, wie sehr Gretel unter Maltes Seitensprüngen litt und die Familie dennoch zusammenhielt - obwohl sie sich in ihrer Rolle als Hausfrau unterfordert fühlte. Insofern ist „Vergiss mein nicht“ auch das Porträt einer starken Frau und der Generation der Achtundsechziger, die mittlerweile im Seniorenalter angekommen ist. Am schönsten ist der Film da, wo er zeigt, wie Gretels Erkrankung die Familie enger zusammenrücken und sich Gefühlen öffnen lässt, die vorher unterdrückt waren.

Der Film eines Sohnes über seine Mutter, ein Film über Alzheimer. Margarethe Sievekind heißt diese Mutter, „Gretel“ wird sie von allen genannt, von ihrem Mann Malte, von den drei Kindern, darunter David, der Regisseur dieses Films, und auch von den Freunden. 73 ist sie geworden. Sie war eine schöne junge Frau. Nach dem Studium ging sie mit Malte, einem Mathematiker, nach Zürich, wo dieser an der Universität arbeitete. Sie betätigte sich sofort politisch, und zwar ganz links. Als Deutsche eine „Berufsrevolutionärin“ in der Schweiz, das war ungewöhnlich. Sie wurde denn auch vom Staatsschutz ständig observiert. (David konnte während seiner Arbeit an „Vergiss mein nicht“ die entsprechenden Dokumente einsehen.) Letztlich wurde schon deshalb David Sieveking die Schweizer Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert.

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Dann kam im Alter die Krankheit, die bereits Gretels Mutter gehabt hatte. Davids Mutter (sie starb im Februar 2012) wusste nicht mehr, wer sie war, wo sie war, wer ihr Mann, wer ihre Tochter, wer ihr Sohn war. Und trotz allem hatte sie lichte Momente, konnte sich anhand alter Fotos an früher erinnern, wurde zeitweise freier und konnte beschäftigt werden, war zu Reisen bereit, trat humorvoll auf - weil oft ihre Verhaltensweisen und Bemerkungen, die völlig aus der Luft gegriffen waren (eine Zeitlang hielt sie beispielsweise ihren Sohn für ihren Mann), eine komische Wirkung zeitigten. Das war eine völlig andere Frau als die von früher, die als intellektuell und eher distanziert galt.

Rührend kümmert sich David um Gretel, als der Vater dringend einen Erholungsurlaub braucht. Er lernt seine Mutter neu kennen und lieben. Jahrelang liebevoll ist auch Malte zu seiner Frau - obwohl die Ehe nicht vorbildlich war, beide als gestandene 68er mit gegenseitiger Toleranz auch andere Partner hatten. Einmal wurde versucht, Gretel in einem Heim unterzubringen, doch Malte holte sie bald wieder nach Hause.

Es ist ein menschliches, realistisches, des Nachdenkens wertes Dokument geworden. Eines, das zeigt, wie man mit kranken Menschen umgeht. Eines, das, wenn die Bevölkerung immer älter wird, als Beispiel gelten kann. Allein in Deutschland sind knapp zwei Millionen Menschen und deren Familien von der Krankheit betroffen.

Die Frage der Darstellung: Darf man das?

Die Szene verdeutlicht aber auch das große Problem des Films. Vater Malte berichtet vor der Kamera über Gretels Tagebücher, während sie daneben steht - und offenbar nicht versteht, was gerade geschieht. Und spätestens an dieser Stelle kommt man um die Frage, die den Film hindurch unterschwellig gärt, nicht mehr herum: Darf man das? Darf man einen Menschen, der das nicht mehr versteht, im Film zeigen, bis hin zur Offenbarung von Tagebuchinhalten? Die Frage wird nicht weniger brisant, wenn es um die eigene Mutter geht, eher umgekehrt.

Der Film ist sichtlich von großer Liebe und Zuneigung getragen, man glaubt dem Sohn, dass er jegliches Vorführen vermeiden will. Dennoch liegt es im Prinzip des Films, dass genau das im Kino geschieht. Und sie kann es nicht. Mittlerweile ist sie tot, sie stirbt am Ende des Films, aber sie konnte es auch am Anfang nicht mehr.

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Hätte sie denn zugestimmt? lautet dann die Frage. Die Angehörigen haben sie offensichtlich bejaht. Gretel Sieveking war politisch aktiv, das Anliegen des Films, auch die gesellschaftliche Diskussion um Demenzkranke, wäre ihr also vermutlich wichtig gewesen. Andererseits: Wollte sie, die als junge schöne Frau in den Medien gestanden hatte, dort auch im Verfall gesehen werden? Und sind die Angehörigen, die im Film auch ihr eigenes Verhältnis zu Mutter und Ehefrau aufarbeiten, überhaupt in der Lage, die Entscheidung für die Porträtierte objektiv zu treffen?

Wenn es sich nicht sicher sagen lässt, solange Zweifel bestehen, ob es ihr recht wäre, gezeigt zu werden, müsste man sich dagegen entscheiden. Die Familie konnte die Zweifel hoffentlich ausräumen. Für den Zuschauer bleiben sie.

Weitere filmische und literarische Beispiele

Neben den genannten Filmen gibt es zahlreiche weitere Werke, die sich mit Demenz auseinandersetzen.

  • Der Film erzählt die Geschichte der zehnjährigen Romy und ihrer Oma Stine, die im Laufe der Geschichte an Alzheimer erkrankt.
  • In seinem Dokumentarfilm erzählt David Sieveking die Geschichte von seiner Mutter Gretel, die an Alzheimer erkrankt ist, ihrem Mann Malte und ihren Kindern.
  • Das Hörbuch erzählt die Geschichte von Maud, die über 80 Jahre alt ist und an Alzheimer Demenz erkrankt ist.
  • In dem mutmachenden Buch erzählt Dr. Carsten Lekutat die Geschichte des Jazz-Musikers Fisch, der im Alter von 54 Jahren an Early-Onset Alzheimer erkrankt.
  • Das Drama ist eine Eigenproduktion des Streaminganbieters Netflix. Das Filmdrama ist die Adaption des Theaterstücks Le Père. Der autobiografische Roman erzählt die Familiengeschichte der Autorin Deana Zinßmeister.
  • Wir geben Opa nicht ins Heim! Das Buch begleitet die Autorin Jessica Wagner ein Jahr durch die Höhen und Tiefen, die sie während der Pflege ihrer Großeltern erlebt. Ihr Opi - , wie sie ihn liebevoll nennt -, ist an Demenz und Parkinson erkrankt.

Die Bedeutung von Empathie und Aufklärung

Die Auseinandersetzung mit Demenz in Literatur und Film kann dazu beitragen, das Verständnis für die Krankheit zu vertiefen und Empathie für Betroffene und ihre Angehörigen zu entwickeln. Indem die Werke die persönlichen Erfahrungen und Herausforderungen der Betroffenen in den Mittelpunkt stellen, ermöglichen sie es den Zuschauern und Lesern, sich mit den emotionalen und sozialen Auswirkungen der Krankheit auseinanderzusetzen.

David Sieveking portraitiert in seinem Film seine im Eilschritt erkrankende und alternde Mutter auf sehr persönliche Weise. Ein Stück weit scheint es für ihn auch darum zu gehen, die eigene Familienhistorie und seinen Platz darin zu erforschen. Diese Verwobenheit zeigt sich darin, dass er immer wieder selbst im Bild auftaucht und das Geschehen aus dem Off kommentiert, seine Gefühle, die aktuelle Situation Gretels sowie ihr früheres gemeinsames Leben reflektiert. Zur Veranschaulichung werden sowohl alte Fotografien aus Familienalben als auch anonyme Archivaufnahmen von Demonstrationen der 68er-Bewegung dazwischen geschnitten. Die Suche nach dem eigentlichen Wesen eines Menschen am Ende seines Lebens, die Fragen danach, was bleibt und was zählt, sind zentrale Aspekte des Films. Am Rande geht es auch um eine Spanne Deutscher Geschichte, die sich in der Rekonstruktion der Vergangenheit der Eltern spiegelt. Vor allem aber trägt Sieveking mit seinem Film zu einer Aufklärung über die weitgehend tabuisierte Krankheit Alzheimer bei, indem er deren Verlauf genau beobachtet und seine Zuschauer offen mit den Auswirkungen konfrontiert. Er macht die emotionale Belastung der gesamten Familie deutlich, zeigt, wie sie durch die Organisation der Pflege Gretels gefordert und zum Teil überfordert werden und wie sie sich durch verschiedene Modelle zu helfen versuchen: Betreuung durch eine junge Frau aus Osteuropa, dann in einem Heim, schließlich wieder der Versuch, Zuhause die optimalen Bedingungen für sie zu schaffen.

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