Viagra und Alzheimer-Forschung: Eine vielversprechende Verbindung?

Der Wirkstoff Sildenafil, besser bekannt als Viagra, hat eine bemerkenswerte Karriere hinter sich. Ursprünglich zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen entwickelt, stellten Studienteilnehmer eine erfreuliche Nebenwirkung fest: Auch Erektionsstörungen besserten sich nach der Einnahme. Nun zeichnet sich ein mögliches weiteres Einsatzgebiet von noch größerer Bedeutung ab: die Anwendung zur Alzheimerprävention.

Aktuelle Forschungsergebnisse

Eine aktuelle Studie des University College London liefert neue Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Viagra und dem Alzheimer-Risiko. Demnach hatten Männer, die Phosphodiesterase Typ 5-Hemmer (PDE-5-Hemmer) wie den Viagra-Wirkstoff Sildenafil einnahmen, ein erheblich niedrigeres Alzheimerrisiko als Männer, die keine Potenzmittel anwendeten. Abhängig von der Menge der geschluckten Potenzpillen war das Risiko durchschnittlich um rund 18 Prozent und im Bestfall um 44 Prozent reduziert.

Das Forscherteam um Matthew Adesuyan hatte dazu fast 270.000 Männer begleitet, die zwischen 2000 und 2017 die Diagnose „Erektile Dysfunktion“ (ED) erhalten hatten. Die Teilnehmer waren über 40 Jahre alt und wiesen zum Studienbeginn keinen Hinweis auf Gedächtnisprobleme auf. Mehr als die Hälfte von ihnen nahm den Viagrawirkstoff Sildenafil oder einen anderen PDE-5-Hemmer ein. 1119 Teilnehmer erkrankten in den nachfolgenden zwei bis neun (durchschnittlich fünf) Jahren an Alzheimer. Am seltensten erkrankten Männer aus jener Gruppe, die über den Beobachtungszeitraum hinweg 21 bis 50 Viagra-Rezepte erhalten hatten.

Zusätzlich liefert eine neue Studie weitere Belege dafür, dass Sildenafil (Viagra), das zur Behandlung der erektilen Dysfunktion (ED) eingesetzt wird, zum Schutz vor der Alzheimer-Krankheit beitragen kann. Die groß angelegte Analyse von Patientendaten aus zwei Datenbanken ergab nach Adjustierung um potenzielle Störfaktoren eine um 30-54% geringere Prävalenz von Alzheimer bei Patienten, die Sildenafil (Viagra) einnahmen, als bei Patienten, die dies nicht taten. Diese Beobachtung wurde auch durch mechanistische Studien gestützt, die eine Verringerung der neurotoxischen Proteine in Gehirnzellen zeigten, die dem Phosphodiesterase-Typ-5-Inhibitor (PDE5i) ausgesetzt waren.

Mögliche Wirkmechanismen

Es gibt verschiedene Hypothesen, die die Schutzwirkung von PDE-5-Hemmern auf das Gedächtnis plausibel erscheinen lassen. Beispielsweise wirken die Medikamente, indem sie die Venen und Arterien entspannen, so dass das Blut freier hindurchfließen kann. „In Tiermodellen wurde gezeigt, dass sich dies auf das Gehirn auswirkt und zu einer erhöhten Gehirndurchblutung führt - was neuroprotektiv (Nervenzellen schützend) sein kann“, sagt Studienleiterin Ruth Bauer. Außerdem erhöhen Viagra & Co die Konzentration des Botenstoffs cGMP. Dieser reguliert den Blutspiegel von Acetylcholin - einem Neurotransmitter, der an der Unterstützung der Wahrnehmung beteiligt ist, erklärt Bauer. „Erhöhte cGMP-Spiegel können die Verfügbarkeit dieses Neurotransmitters steigern. Tierversuchen zufolge könnte dies ebenfalls zum Schutz der Gehirnzellen beitragen.“ Hinzu kommen möglicherweise antientzündliche Effekte. Ein spanisches Forscherteam des Clínico Valencia hat zudem herausgefunden, dass sich bei Anwendern von PDE-5-Hemmern sogenannte neurofibrilläre Knäuel im Gehirn langsamer bilden. Diese sind ein frühes Anzeichen für Alzheimer.

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Einschränkungen und offene Fragen

Bobachtungsstudien wie die aktuelle Untersuchung reichen als Beweis für die gedächtnisschützende Wirkung der Potenzmittel nicht aus. Denn tatsächlich könnten auch ganz andere Faktoren für den beobachteten Zusammenhang verantwortlich sein oder diesen zumindest stark verzerren. Eine Hauptschwäche der Studie ist, dass die untersuchte Gruppe durchgängig unter einer Erektionsstörung litt und so die Allgemeinbevölkerung gar nicht repräsentiert. Offen ist daher die Frage, ob PDE-5-Hemmer auch bei Männern, die nicht unter Erektionsstörungen leiden, oder Frauen eine entsprechende Wirkung hätten.

Falls nämlich tatsächlich der durchblutungssteigernde Effekt der Potenzmittel der Grund für das verringerte Alzheimer-Risiko ist, könnte das den besonderen Nutzen für Männer mit ED erklären - denn Durchblutungsstörungen aufgrund verengter Gefäße sind eine Hauptursache von Erektionsstörungen. Das könnte aber auch bedeuten, dass sich die PDE-5-Hemmer bei Personen mit gesunden Blutgefäßen weniger stark oder gar nicht auf das Alzheimer-Risiko auswirken würden. Zudem geht Alzheimer oft mit einem Verlust an Libido einher. Möglich wäre, dass sich ein solcher auch schon im Vorfeld bemerkbar macht, und Betroffene deshalb von vornherein ein geringeres Interesse an potenzfördernden Medikamenten haben. Entsprechend könnten es Personen mit frühen, noch unentdeckten Alzheimerauswirkungen sein, die trotz ED häufiger auf PDE-5-Hemmer verzichten - und dann später überproportional häufig an der Demenz erkranken. Umgekehrt könnten die körperlich und sexuell aktivsten Studienteilnehmer, die von vornherein ein geringes Risiko hatten, an Alzheimer zu erkranken, das größere Interesse an Viagra oder anderen Potenzmitteln gehabt haben. Hinzu kommen Bedenken, ob ein Medikament, das nur bei Bedarf eingenommen wird, langfristig einen derart durchschlagenden Einfluss auf die Entstehung von Demenz haben kann. Zwar ist bekannt, dass Sildenafil die Blut-Hirn-Schranke passieren kann. Um Alzheimer entgegenzuwirken, müsste man aber eine ausreichend hohe Konzentration über einen längeren Zeitraum hinweg voraussetzen.

Widersprüchliche Studienlage

Frühere Studien zu Viagra und Alzheimer liefern zudem widersprüchliche Ergebnisse. Forschende der Cleveland Clinic in Ohio werteten Medikamentendaten von mehr als 7 Millionen Patientinnen und Patienten aus. Sie fanden ein um 69 Prozent reduziertes Alzheimer-Risiko für Viagra-Konsumenten. Eine Harvard-Studie aus dem Jahr 2022 stellte hingegen keine nervenschützende Wirkung von Potenzmitteln bei Patienten mit Lungenhochdruck fest.

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