Viagra und Alzheimer: Könnte das Potenzmittel vor Demenz schützen?

Eine aktuelle Studie des University College London deutet darauf hin, dass Viagra und ähnliche Medikamente gegen erektile Dysfunktion das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, signifikant senken könnten. Diese Erkenntnisse haben in der Fachwelt für Aufsehen gesorgt und die Diskussion um mögliche neue Therapieansätze zur Prävention von Alzheimer neu entfacht.

Die Studie des University College London

Unter der Leitung von Studienleiterin Ruth Brauer wurden die Krankenakten von rund 270.000 Männern im Durchschnittsalter von 59 Jahren analysiert, bei denen kurz zuvor eine erektile Dysfunktion diagnostiziert worden war. Die Forschungsergebnisse, die im Fachjournal „Neurology“ veröffentlicht wurden, zeigen, dass Männer, denen der Wirkstoff Sildenafil - besser bekannt als Viagra - und andere Medikamente mit PDE-5-Inhibitoren verschrieben wurden, ein um 18 Prozent geringeres Alzheimer-Risiko hatten. Abhängig von der Menge der geschluckten Potenzpillen war das Risiko durchschnittlich um rund 18 Prozent und im Bestfall um 44 Prozent reduziert. Am seltensten erkrankten Männer aus jener Gruppe, die über den Beobachtungszeitraum hinweg 21 bis 50 Viagra-Rezepte erhalten hatten.

Das Forscherteam um Matthew Adesuyan hatte dazu fast 270.000 Männer begleitet, die zwischen 2000 und 2017 die Diagnose „Erektile Dysfunktion“ (ED) - umgangssprachlich Impotenz - erhalten hatten. Die Teilnehmer waren über 40 Jahre alt und wiesen zum Studienbeginn keinen Hinweis auf Gedächtnisprobleme auf. Mehr als die Hälfte von ihnen nahm den Viagrawirkstoff Sildenafil oder einen anderen PDE-5-Hemmer ein. 1119 Teilnehmer erkrankten in den nachfolgenden zwei bis neun (durchschnittlich fünf) Jahren an Alzheimer. Der Effekt war abhängig von der Zahl der verordneten PDE5-Hemmer-Rezepte.

Wie wirken PDE-5-Hemmer?

PDE-5-Hemmer, zu denen auch Sildenafil gehört, wirken, indem sie die Blutgefäße erweitern und so die Durchblutung verbessern. Ursprünglich wurde Sildenafil zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen entwickelt, bevor seine positive Wirkung auf die Erektionsfähigkeit entdeckt wurde. Die Medikamente wirken, indem sie die Venen und Arterien entspannen, so dass das Blut freier hindurchfließen kann. „In Tiermodellen wurde gezeigt, dass sich dies auf das Gehirn auswirkt und zu einer erhöhten Gehirndurchblutung führt - was neuroprotektiv (Nervenzellen schützend, Anm. d. Red.) sein kann“, sagt Studienleiterin Ruth Bauer auf Nachfrage von netDoktor.

Außerdem erhöhen Viagra & Co die Konzentration des Botenstoffs cGMP. Dieser reguliert den Blutspiegel von Acetylcholin - einem Neurotransmitter, der an der Unterstützung der Wahrnehmung beteiligt ist, erklärt Bauer. „Erhöhte cGMP-Spiegel können die Verfügbarkeit dieses Neurotransmitters steigern. Tierversuchen zufolge könnte dies ebenfalls zum Schutz der Gehirnzellen beitragen.“ Hinzu kommen möglicherweise antientzündliche Effekte. Ein spanisches Forscherteam des Clínico Valencia hat zudem herausgefunden, dass sich bei Anwendern von PDE-5-Hemmern sogenannte neurofibrilläre Knäuel im Gehirn langsamer bilden. Diese sind ein frühes Anzeichen für Alzheimer.

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Weitere Studien und Forschungsergebnisse

Die Studie des University College London ist nicht die einzige, die einen Zusammenhang zwischen Viagra und einem verringerten Alzheimer-Risiko nahelegt. Eine ähnliche Studie der Cleveland Clinic in Ohio wertete Medikamentendaten von mehr als 7 Millionen Patientinnen und Patienten aus und fand ein um 69 Prozent reduziertes Alzheimer-Risiko für Viagra-Konsumenten.

Allerdings gibt es auch widersprüchliche Ergebnisse. Eine Harvard-Studie aus dem Jahr 2022 stellte keine nervenschützende Wirkung von Potenzmitteln bei Patienten mit Lungenhochdruck fest.

Es sind Ergebnisse, die aufhorchen lassen: Die Einnahme von Potenzmitteln wie Viagra ist mit einem verringerten Alzheimer-Risiko assoziiert, wie eine neue Studie in der Fachzeitung „Neurology“ nahelegt. Forscher suchen seit Jahren händeringend nach Medikamenten, die in einem frühen Stadium ansetzen, um den kognitiven Abbau zumindest zu verlangsamen; beispielsweise, indem sie die sogenannte Amyloid-Ablagerungen beseitigen. Es gibt zwar erste kleine Fortschritte bei Medikamenten, von einer Heilung ist man aber noch weit entfernt. Nun richten sich alle Augen auf Viagra und damit verwandte Medikamente, allesamt sogenannte Phosphodiesterase-5-Hemmer mit entspannender Wirkung auf Blutgefäße. Sie sorgen dafür, dass der Peniskörper besser durchblutet wird. Aber der gefäßweitende Effekt tritt nicht nur dort, sondern überall im Körper auf. Unter den 66 vielversprechendsten Kandidaten stach einer hervor: „Sildenafil präsentierte sich als bester Kandidat für eine mögliche Wirkung gegen Alzheimer“, berichtet Cheng. Um dieser Spur nachzugehen, analysierte das Team die Gesundheitsdaten von sieben Millionen in den USA krankenversicherten Patienten. Das Ergebnis fiel überraschend deutlich aus: „Die Einnahme von Sildenafil war gegenüber Teilnehmern ohne Sildenafil signifikant mit einem um 69 Prozent reduzierten Risiko einer Alzheimer-Erkrankung verknüpft“, berichten Fang und seine Kollegen. „Zusammengenommen sprechend diese Ergebnisse dafür, dass Sildenafil ein Wirkstoffkandidat für die Prävention oder Behandlung von Alzheimer sein könnte“, konstatieren die Forscher. Sie führen dies darauf zurück, dass das von Sildenafil gehemmte PDE-5-Enyzm auch im Gehirn vorkommt. Um das zu überprüfen, haben Fang und sein Team Gehirnzellen von Alzheimerpatienten im Labor kultiviert und mit Sildenafil behandelt. Das Ergebnis: Unter dem Einfluss des Potenzmittels war das Wachstum von Neuronenfortsätzen erhöht, zudem sammelte sich weniger Tau-Proteinfasern in den Zellkulturen an. Allerdings betonen Fang und seine Kollegen auch, dass dies nur vorläufige, erste Ansatzpunkte sind. Um einen klaren kausalen Zusammenhang und auch das Ausmaß der Wirkung zu beweisen, müssen nun systematische klinische Studien folgen. „Wir planen bereits eine Phase-II-Studie mit Alzheimer-Patienten, um Kausalität und klinische Wirkung von Sildenafil zu bestätigen“, sagt Cheng.

Eine neue Studie liefert weitere Belege dafür, dass Sildenafil (Viagra), das zur Behandlung der erektilen Dysfunktion (ED) eingesetzt wird, zum Schutz vor der Alzheimer-Krankheit beitragen kann. Die groß angelegte Analyse von Patientendaten aus zwei Datenbanken ergab nach Adjustierung um potenzielle Störfaktoren eine um 30-54% geringere Prävalenz von Alzheimer bei Patienten, die Sildenafil (Viagra) einnahmen, als bei Patienten, die dies nicht taten. Diese Beobachtung wurde auch durch mechanistische Studien gestützt, die eine Verringerung der neurotoxischen Proteine in Gehirnzellen zeigten, die dem Phosphodiesterase-Typ-5-Inhibitor (PDE5i) ausgesetzt waren.

"Unsere Ergebnisse sind ein weiterer Beleg dafür, dass dieses bereits von der FDA zugelassene Medikament als neuartige Behandlung für die Alzheimer-Krankheit eingesetzt werden kann, für die ein großer Bedarf an neuen Therapien besteht", sagte der leitende Forscher Dr. Feixiong Cheng, Direktor des Cleveland Clinic Genome Center, in einer Pressemitteilung. "Wir haben künstliche Intelligenz eingesetzt, um Daten aus verschiedenen Bereichen zu integrieren, die alle auf das Potenzial von Sildenafil gegen diese verheerende neurologische Krankheit hinweisen", so Cheng. Die Studie wurde am 1. März 2024 online im Journal of Alzheimer's Disease veröffentlicht.

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Unter Verwendung von realen Patientendaten aus der MarketScan Medicare Supplemental Datenbank (2012-2017) und der Clinformatics Datenbank (2007-2020) führten die Wissenschaftler Propensity-Score-stratifizierte Analysen durch, nachdem sie für Geschlecht, Alter, Ethnie und Komorbiditäten adjustiert hatten. Sie suchten nach allen Personen mit Apothekenabrechnungen für Sildenafil oder vier Vergleichsmedikamente - Bumetanid, Furosemid, Spironolacton und Nifedipin. Die Ergebnisse zeigten, dass die Einnahme von Sildenafil im Vergleich zu den Kontrollmedikamenten mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit von Alzheimer assoziiert war. So war die Einnahme von Sildenafil bei MarketScan mit einer um 54% geringeren Häufigkeit von Alzheimer verbunden (Hazard Ratio [HR] 0,46; 95% KI 0,32-0,66) und bei Clinformatics mit einer um 30% geringeren Prävalenz von Alzheimer (HR 0,70; 95% KI 0,49-1,00) im Vergleich zu Spironolacton.

Die Ergebnisse unterstützen eine Anfang dieses Jahres veröffentlichte Studie, in der eine potenziell schützende Wirkung der PDE5i-Behandlung auf das Alzheimer-Risiko festgestellt wurde, wie zuvor von Medscape Medical News berichtet. Diese Forschung und die aktuelle Studie stehen jedoch im Widerspruch zu einer anderen Arbeit, die Ende 2022 in Brain Communications veröffentlicht wurde und keinen solchen Zusammenhang zwischen ED-Medikamenten und einem geringeren Alzheimer-Risiko zeigte.

Die Wissenschaftler fanden auch heraus, dass Sildenafil die Tau-Hyperphosphorylierung (pTau181 und pTau205) in aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSC) abgeleiteten Neuronen von Patienten mit familiärer und sporadischer Alzheimer-Erkrankung dosisabhängig reduziert. Darüber hinaus wiesen sie durch die Analyse von RNA-Sequenzierungsdaten nach, dass Sildenafil spezifisch auf mit der Alzheimer-Krankheit zusammenhängende Gene und pathobiologische Signalwege abzielt, was die positive Wirkung von Sildenafil bei Alzheimer mechanistisch unterstützt. "Wir sind der Meinung, dass unsere Ergebnisse die notwendige Evidenz für klinische Studien liefern, um die potenzielle Wirksamkeit von Sildenafil bei Patienten mit Alzheimer-Krankheit weiter zu untersuchen", sagte Cheng.

Einschränkungen und Kritik

Trotz der vielversprechenden Ergebnisse gibt es eine Reihe von Einschränkungen und Kritikpunkten, die bei der Interpretation der Studienergebnisse berücksichtigt werden müssen.

  • Beobachtungsstudien: Die bisherigen Studien sind überwiegend Beobachtungsstudien, die keine Kausalität beweisen können. Es ist also nicht sicher, ob Viagra tatsächlich das Alzheimer-Risiko senkt oder ob andere Faktoren für den beobachteten Zusammenhang verantwortlich sind.
  • Erektile Dysfunktion als Risikofaktor: Die untersuchten Gruppen bestanden ausschließlich aus Männern mit erektiler Dysfunktion, was die Ergebnisse möglicherweise nicht auf die Allgemeinbevölkerung übertragbar macht.
  • Fehlende Lebensstilfaktoren: Wichtige Lebensstilfaktoren wie Ernährung, Bewegung und Rauchen wurden in den Analysen nicht berücksichtigt, was die Ergebnisse beeinflussen könnte.
  • Mögliche Verzerrungen: Es ist möglich, dass Männer, die Viagra einnehmen, generell aktiver leben und Wert auf ihre Gesundheit legen, was sich positiv auf ihr Alzheimer-Risiko auswirken könnte. Zudem geht Alzheimer oft mit einem Verlust an Libido einher. Möglich wäre, dass sich ein solcher auch schon im Vorfeld bemerkbar macht, und Betroffene deshalb von vornherein ein geringeres Interesse an potenzfördernden Medikamenten haben. Entsprechend könnten es Personen mit frühen, noch unentdeckten Alzheimerauswirkungen sein, die trotz ED häufiger auf PDE-5-Hemmer verzichten - und dann später überproportional häufig an der Demenz erkranken. Umgekehrt könnten die körperlich und sexuell aktivsten Studienteilnehmer, die von vornherein ein geringes Risiko hatten, an Alzheimer zu erkranken, das größere Interesse an Viagra oder anderen Potenzmitteln gehabt haben.

Eine Hauptschwäche der Studie ist, dass die untersuchte Gruppe durchgängig unter einer Erektionsstörung litt und so die Allgemeinbevölkerung gar nicht repräsentiert. Offen ist daher die Frage, ob PDE-5-Hemmer auch bei Männern, die nicht unter Erektionsstörungen leiden, oder Frauen eine entsprechende Wirkung hätten. Falls nämlich tatsächlich der durchblutungssteigernde Effekt der Potenzmittel der Grund für das verringerte Alzheimer-Risiko ist, könnte das den besonderen Nutzen für Männer mit ED erklären - denn Durchblutungsstörungen aufgrund verengter Gefäße sind eine Hauptursache von Erektionsstörungen. Das könnte aber auch bedeuten, dass sich die PDE-5-Hemmer bei Personen mit gesunden Blutgefäßen weniger stark oder gar nicht auf das Alzheimer-Risiko auswirken würden.

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Vaskuläre Demenz und Viagra

Medikamente gegen Erektionsstörungen, sogenannte PDE5-Hemmer wirken, indem sie bei sexueller Erregung die Durchblutung des Penis verbessern. Doch der Wirkstoff Sildenafil, besser bekannt unter Markennamen wie Viagra, verbessert auch den Blutfluss im Gehirn. Dadurch könnte er vielleicht eine sogenannte vaskuläre Demenz verhindern. Das legt zumindest eine aktuelle Studie nahe, die vor kurzem im Fachmagazin „Circulation Research“ veröffentlicht wurde.

Allein in Deutschland leben rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung. Betroffene leiden unter fortschreitenden Gedächtnis- und Konzentrationsproblemen. Rund 70 Prozent der Menschen mit Demenz haben die Alzheimer-Krankheit. Am zweithäufigsten ist die sogenannte vaskuläre Demenz mit einem Anteil von circa 15 Prozent. Sie ergibt sich aus einer gestörten Durchblutung des Gehirns, meist als Folge von Schlaganfällen oder Gefäßverengungen. Weitere rund 15 Prozent haben eine Mischform von Alzheimer und vaskulärer Demenz.

In der Studie zeigte sich, dass der Viagra-Wirkstoff Sildenafil den Blutfluss im Gehirn steigert und die Funktion der Gefäße bei Patienten mit erhöhtem Risiko für vaskuläre Demenz verbessert. Sowohl Sildenafil als auch Cilostazol senkten den Blutgefäßwiderstand im Gehirn. Beide Medikamente verursachten Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, bei Cilostazol kam manchmal Durchfall dazu, weshalb insgesamt acht Teilnehmer die Studie abbrachen.

„Dies ist die erste Studie, die zeigt, dass Sildenafil bei Menschen mit dieser Vorgeschichte in die Blutgefäße des Gehirns gelangt, den Blutfluss verbessert und die Reaktionsfähigkeit dieser Gefäße erhöht“, sagt Dr. Alastair Webb, Erstautor der Studie, in einer Pressemitteilung. Dies zeige das Potenzial dieses gut verträglichen Medikaments zur Vorbeugung von Demenz. Bislang gibt es dafür aber keinen klaren Beweis.

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