Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der das Immunsystem die Myelinscheiden der Nervenfasern angreift. Dies führt zu vielfältigen Symptomen wie Sehstörungen, Koordinationsproblemen, Lähmungen und Fatigue. Die genauen Ursachen von MS sind noch nicht vollständig geklärt, aber genetische Faktoren und Umweltfaktoren, einschließlich Vitamin-D-Mangel, spielen eine Rolle.
Vitamin D und MS: Eine Übersicht
Es gibt Hinweise darauf, dass ein Vitamin-D-Mangel mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von MS verbunden sein könnte. Menschen, die in sonnenärmeren Regionen leben, haben tendenziell ein höheres MS-Risiko. Vitamin D beeinflusst das Immunsystem und könnte eine Rolle bei der Entstehung und dem Verlauf von MS spielen.
Die Rolle von Vitamin D im Körper
Vitamin D, oft als "Sonnenvitamin" bezeichnet, wird hauptsächlich durch Sonneneinstrahlung in der Haut produziert. Es ist jedoch auch in einigen Lebensmitteln enthalten und kann durch Nahrungsergänzungsmittel ergänzt werden. Vitamin D spielt eine wichtige Rolle bei der Kalziumaufnahme, der Knochengesundheit, der Immunfunktion und der Entzündungsregulation.
Vitamin D-Mangel und MS-Risiko
Ein Vitamin-D-Mangel ist ein Risikofaktor für Multiple Sklerose. Studien deuten darauf hin, dass niedrige Vitamin-D-Spiegel mit einem erhöhten MS-Risiko und einer erhöhten Krankheitsaktivität verbunden sein könnten.
Studien zur Vitamin-D-Supplementierung bei MS
Mehrere Studien haben die Auswirkungen von Vitamin-D-Supplementierung bei MS-Patienten untersucht. Einige Studien deuten darauf hin, dass Vitamin D die Häufigkeit und Schwere von MS-Schüben reduzieren und die Krankheitsaktivität verlangsamen kann.
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D-Lay MS-Studie: Hochdosiertes Vitamin D bei CIS
Eine randomisierte, placebokontrollierte Studie, die D-Lay-MS-Studie, untersuchte die Wirkung von hochdosiertem Vitamin D (100.000 I.E. alle zwei Wochen) bei Patienten mit klinisch isoliertem Syndrom (CIS), einer Vorstufe von MS. Die Studie ergab, dass Vitamin D die Krankheitsaktivität reduzierte und das Fortschreiten von CIS zu MS verlangsamte.
Konkret zeigte die Studie, dass in der Vitamin-D-Gruppe eine signifikant geringere Krankheitsaktivität dokumentiert wurde als unter Placebo (60,3 % vs. 74,1 %; Hazard Ratio: 0,66). Die mediane Zeit bis zum Auftreten einer Manifestation war in der Verumgruppe im Vergleich zum Placebo deutlich verlängert (432 vs. 224 Tage). Auch in der Bildgebung bestätigte sich der protektive Effekt. Neue Läsionen wurden bei 72 Teilnehmern der Vitamin-D-Gruppe beobachtet, gegenüber 87 unter Placebo. Kontrastmittelaufnehmende Läsionen traten bei 29 vs. 50 Personen auf. Eine Subgruppenanalyse an 247 Patienten, die die McDonald-Kriterien für eine schubförmige MS erfüllten, jedoch noch keine Immuntherapie erhalten hatten, zeigte mit Blick auf Krankheitsaktivität und Bildgebung vergleichbare Ergebnisse.
SOLAR-Studie und VIDAMS-Studie: Keine Vorteile von hochdosiertem Vitamin D
Andere Studien, wie die SOLAR-Studie und die VIDAMS-Studie, haben jedoch keine signifikanten Vorteile von hochdosiertem Vitamin D bei MS-Patienten gezeigt, die bereits eine Immuntherapie erhalten. Die SOLAR-Studie ergab, dass die zusätzliche Gabe von hochdosiertem Vitamin D keinen Einfluss auf die Entwicklung der MS hatte. Die VIDAMS-Studie zeigte, dass hochdosiertes Vitamin D (5.000 IE je Tag) keine Vorteile gegenüber niedrig dosiertem Vitamin D (600 IE je Tag) bei MS-Patienten hatte, die Glatirameracetat als Immunmodulator erhielten.
Australische und neuseeländische Studie: Keine Auswirkung auf die Konversion von CIS zu MS
Eine randomisierte Studie aus Australien und Neuseeland aus dem Jahr 2023 zeigte bei täglicher Gabe von bis zu 10.000 IU Vitamin D keinen signifikanten Effekt auf die Konversion von CIS zu einer manifesten MS.
Empfehlungen zur Vitamin-D-Dosierung bei MS
Die aktuellen Leitlinien empfehlen eine Vitamin-D-Gabe bei nachgewiesenem Mangel. Eine Anhebung des Spiegels bis in den oberen Normbereich (50 bis 125 nmol/l) kann in Einzelfällen erwogen werden, wobei die Tagesdosis von 4.000 IU nicht überschritten werden sollte.
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Die Bedeutung der ärztlichen Überwachung
Es ist wichtig, die Vitamin-D-Spiegel regelmäßig kontrollieren zu lassen und die Dosierung gegebenenfalls anzupassen. Eine eigenmächtige Einnahme hoher Dosen ohne ärztliche Überwachung wird nicht empfohlen, da dies zu Nebenwirkungen wie Hyperkalzämie, Nierenschäden oder Herzrhythmusstörungen führen kann.
Das Coimbra-Protokoll: Vorsicht vor Ultra-Hochdosis-Therapien
Einige alternative Behandlungsansätze, wie das Coimbra-Protokoll, empfehlen ultrahohe Vitamin-D-Dosen (bis zu 150.000 I.E./Tag) zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen wie MS. Diese Protokolle sind jedoch umstritten und es gibt keine ausreichenden Beweise für ihre Wirksamkeit. Darüber hinaus bergen sie erhebliche Sicherheitsrisiken.
Ein Fallbericht aus der Schweiz beschreibt einen MS-Patienten, der nach Einnahme von 100.000 IU Vitamin D pro Tag im Rahmen des Coimbra-Protokolls eine Hyperkalzämie und Niereninsuffizienz entwickelte. Die Symptome einer akuten Intoxikation mit Vitamin D haben als gemeinsame Ursache die Hyperkalzämie. Unter der Rehydrierung mit täglich zwei Litern isotonischer Kochsalzlösung i.v. und zusätzlich kalziumarmem Wasser oral sowie der Gabe von Calcitonin und Zolendronat normalisierten sich die Werte für Kalzium und Kreatinin rasch. Innerhalb von sechs Wochen ging auch die eGFR zurück in den Normbereich. Allerdings stieg nach der Entlassung aus der Klinik das Kalzium erneut an. Zu erklären ist dies mit der sukzessiven Freisetzung von Vitamin D aus dem Fettgewebe. Dort wird es angereichert, wenn bei sehr hoher Zufuhr die Leber als Speicherorgan nicht mehr ausreicht.
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) rät von der Anwendung des „Coimbra-Protokolls“ dringend ab, da es keine aussagekräftige Evidenz für einen Nutzen und gravierende Sicherheitsbedenken gibt.
Vitamin D und K2: Eine sinnvolle Kombination
Vitamin D sollte in Kombination mit Vitamin K2 eingenommen werden, da beide Vitamine synergistisch wirken. Die Substitution von Vitamin D kann zu einem Mangel an K2 führen.
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Weitere Faktoren für die Vitamin-D-Versorgung
Neben der Supplementierung gibt es weitere Faktoren, die die Vitamin-D-Versorgung beeinflussen können:
- Sonneneinstrahlung: Regelmäßige Sonnenbäder (ca. 20 Minuten zwischen 10 und 14 Uhr) können die körpereigene Vitamin-D-Produktion ankurbeln.
- Ernährung: Vitamin D ist in einigen Lebensmitteln wie fettem Fisch, Eiern und angereicherten Produkten enthalten.
- Magnesium: Magnesium wird für die Umwandlung und den Transport von Vitamin D benötigt. Ein ausreichender Magnesiumspiegel ist daher wichtig für die Vitamin-D-Versorgung.