Die Polyneuropathie, eine generalisierte Erkrankung des peripheren Nervensystems, kann vielfältige Ursachen haben. Häufige Auslöser sind Diabetes mellitus und übermäßiger Alkoholkonsum. In einigen Fällen bleibt die Ursache unklar und die Polyneuropathie wird als idiopathisch eingestuft. Ein Vitaminmangel kann ebenfalls eine Rolle spielen und verschiedene Erkrankungen begünstigen, was ihn zu einer der Hauptursachen von Polyneuropathie macht. Besonders ein Mangel an Vitamin B12 kann zu einer Polyneuropathie führen, wodurch Vegetarier und Veganer einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind.
Die Rolle von Vitaminen bei Polyneuropathie
Der Vitamin B-Komplex spielt eine entscheidende Rolle für die Funktionalität des Nervensystems. Ein Mangel an Vitaminen dieser wasserlöslichen Gruppe wird mit dem Auftreten verschiedener neurologischer Krankheiten assoziiert. Bei vielen dieser Krankheiten kann unter Substitution der entsprechenden Vitamine eine Verbesserung der Symptomatik beobachtet werden.
Vitamin B1 (Thiamin)
Vitamin B1, auch Thiamin genannt, spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Diabetes und Neuropathien. Ein Mangel an Vitamin B1 kann die Entstehung von Diabetes und damit verbunden einer Polyneuropathie fördern. Bei vielen Diabetikern besteht nach Ansicht von Experten ein gravierender Mangel an Vitamin B1. Pathogene Prozesse im diabetischen Stoffwechsel werden durch einen Vitamin-B1-Mangel gefördert. Sie können zu Gefäßschäden und anderen diabetischen Komplikationen führen.
Bei erhöhtem Blutzuckerspiegel steigt der Vitamin-B1-Bedarf, was zu einem Mangel führen kann. Vitamin B1 leitet die überschüssige Glukose auf einen Stoffwechselweg um, bei dem keine Advanced Glycation Endproducts (AGEs) entstehen. AGEs verursachen direkte Schäden an Nerven und Blutgefäßen und spielen eine zentrale Rolle bei der Entstehung der diabetischen Polyneuropathie, von der etwa jeder dritte Diabetespatient betroffen ist.
Zum Ausgleich eines Vitamin-B1-Mangels wird häufig das wasserlösliche Thiamin aufgrund seiner begrenzten Aufnahmekapazität durch das lipidlösliche Benfotiamin mit fünffach höherer Bioverfügbarkeit ersetzt. In klinischen Studien zeigte sich, dass Benfotiamin neuropathische Symptome innerhalb von drei bis sechs Wochen verbessern konnte.
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Vitamin B6
Ein Mangel an Vitamin B6 kann eine subakute sensomotorische Polyneuropathie verursachen. Zu einem Mangel an Vitamin B6 kann es bei einer raschen Gewichtsabnahme oder durch Komplikationen bei der Behandlung von Morbus Parkinson kommen. Ein ernährungsbedingter Mangel an Vitamin B6 ist selten. Häufiger führt die Einnahme verschiedener Medikamente zu einem Mangel an Vitamin B6. Es ist jedoch Vorsicht geboten, da eine zu hohe Dosierung von Vitamin B6 auch zu Neuropathien führen kann.
Vitamin B12
Ein Mangel an Vitamin B12 macht sich zumeist erst dann bemerkbar, wenn er schon weit fortgeschritten ist. Er kann sich mit Kribbeln und Lähmungserscheinungen in den Füßen, sensibler Ataxie, Hypästhesie äußern. In seltenen Fällen kann es zu Paresen kommen. Wird der Vitamin-B12-Mangel nicht behandelt, kann das nicht nur zu einer Polyneuropathie führen, sondern es kann auch zu Depression, Demenz oder Optikusatrophie kommen.
Patienten mit peripherer Neuropathie weisen unabhängig von der jeweiligen Grunderkrankung eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen niedrigen Vitamin B12-Status auf. Die Substitution von Vitamin B12 ist durch die Verfügbarkeit einer hochdosierten oralen Therapie deutlich erleichtert worden.
Folsäure (Vitamin B9)
Auch Folsäure (Vitamin B9) hat eine bedeutende Rolle bei elementaren zellulären Prozessen, inklusive der Nukleinsäurebiosynthese und dem Aminosäurestoffwechsel.
Ursachen und Risikofaktoren für Vitaminmangel
Ein Vitaminmangel, der zu einer Polyneuropathie führen kann, hat unterschiedliche Ursachen. Von einem Mangel an Vitamin B12 sind vor allem Vegetarier, die auf Fleisch verzichten, sowie Veganer, die komplett auf Fleisch, Fisch, Eier, Milch und andere tierische Produkte verzichten, betroffen. Auch eine Magenoperation oder erhöhter Alkoholkonsum kann zu einem Mangel an Vitamin B12 und an anderen Vitaminen führen. Ein Mangel an Vitamin B1 (Thiamin) entsteht durch chronische Darm- oder Lebererkrankungen. Eine Polyneuropathie kann auch durch einen Mangel an Vitamin B6 oder Vitamin E gefördert werden. Ältere Patienten sind häufiger von einem Vitaminmangel betroffen, da die Vitamine durch den Darm nicht immer vollständig aufgenommen werden. Häufig ist ein Vitaminmangel in einer einseitigen Ernährung begründet.
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Ein Vitaminmangel kann eine Polyneuropathie, aber auch andere Erkrankungen begünstigen. Eine Polyneuropathie kann daher auch indirekt infolge eines Vitaminmangels auftreten, beispielsweise als Begleiterscheinung von Krebs.
Diagnose von Vitaminmangel
Um das Fortschreiten des Vitaminmangels und das Entstehen einer Polyneuropathie sowie weiterer Erkrankungen zu verhindern, ist eine schnelle Diagnose und Behandlung erforderlich. Anhand von Blutuntersuchungen kann eine Vitaminanalyse vorgenommen werden. Wird ein Mangel an Vitaminen festgestellt, sollte ein Ausgleich erfolgen. Da die Vitamine bei einem Mangel oft nicht durch den Darm aufgenommen werden, ordnet der Arzt zusätzlich meist eine Darmspiegelung an.
Vitamin B12 Spiegel - Normwerte
- Normwerte Erwachsene: 191 - 738pmol/l bzw. 200-1000pg/ml
- Manifester Mangel <200pg/ml
- Niedrig-normaler Spiegel 200-400 pg/ml
- Behandlungsempfehlung bei Werten <450pg/ml
- Neurologische Symptome können bereits bei o.g. Normwerten auftreten
Ergänzende Untersuchung bei grenzwertigen Vitamin B12 Spiegeln sinnvoll:
- Methylmalonsäure Serum (pathologisch bei >280 nmol/l) oder Urin (in Bezug auf Kreatinin pathologisch >4mg/g Kreatinin). Bei begleitend niedrigem Holotranscobalamin spiegel hohe Aussagekraft bez. eines manifesten Vitamin B12 Mangels
- Holotranscobolamin (pathologisch erniedrigt <40pmol/l). Spiegel 35-70pmol/l grenzwertiger Befund. Spiegel <35 pmol/l: B12 Mangel wahrscheinlich. Spiegel >70 pmol/l: B12 Mangel unwahrscheinlich. Bei Niereninsuffizienz erniedrigte Spiegel, daher immer Bestimmung Nierenwerte)
- Antikörper Parietalzell-Antikörper, IF-Autoantikörpern
- Blutbild Anämie, MCV erhöht, MCH erhöht, Hypersegmentierte Granulozyten, Retikulopenie
- Cave Laborwerte können normal sein trotz neurologischer Manifestation
Therapie von Vitaminmangel
Wird im Zusammenhang mit Diabetes oder einer Polyneuropathie ein Mangel an Vitamin B1 festgestellt, kann er mit der Gabe von Benfotiamin, einer Vorstufe von Vitamin B1, kompensiert werden. Bei einer diabetischen Polyneuropathie wirkt Benfotiamin zusätzlich der Schmerzwahrnehmung entgegen. Als fettlösliche Verbindung kann Benfotiamin vom Körper gut aufgenommen werden. Mit der biologisch aktiven Form von Vitamin B1, Thiamin-Diphosphat, wird eine höhere Bioverfügbarkeit von Vitamin B1 erzielt.
Um die Folgen einer Polyneuropathie zu begrenzen, ist eine entsprechend hohe Dosis des Vitamins erforderlich. Vitamin B12 wird zumeist als Injektion verabreicht.
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Dosierungsempfehlungen für Vitamin B12
- Dringende Therapieempfehlung bei Spiegeln < 450 pg/ml. Auftreten neurologischer Symptome auch bei "normalen Blutwerten" (Je nach Labor unterer Normwert ca. 200 pg/ml)
- Kein Risiko einer Behandlung, daher großzügige Indikationsstellung!
- Orale Therapie ist der parenteralen Therapie gleichwertig
Orale Therapie:
- Therapiebeginn 1000-2000 µg/Tag über eine Woche. Dosis abhängig von Spiegel. Bei Spiegel < 200 pg/mg, Therapiebeginn mit 2000 µg/Tag
- Woche 2-4 1000µg/Woche
- Ab 2. Monat 1000µg/Monat
Parenterale Therapie:
- Bei neurologischer Manifestation mit funikulärer Myelose, Optikusatrophie empfehlenswert
- Dosis Therapiebeginn 1-2x /Woche 1000µg intramuskulär oder (abhängig von Schwere der Symptome) 5-7 Tage 1000µg Hydroxycobalamin intramuskulär oder intravenös/subkutan
- Danach 2x1000µg in den Wochen 2-4
- Erhaltungsdosis 1000µg/Monat
- Wichtig Keine Toxizität bei Überdosierung!
- Bei Therapiebeginn Kombination mit Folsäure 1,5-5 mg/die
- Kontrolle des B12-Spiegels nach ca. Hämatologische Symptomatik mit Besserung des Blutbildes innerhalb einer Woche (Anstieg Retikulozten), danach monatliche Kontrollen
- Besserung der neurologischen Symptomatik abhängig von Dauer und Schwere der Symptomatik, meist innerhalb der ersten drei Monate.
Weitere therapeutische Ansätze
- Alpha-Liponsäure: Die α-Liponsäure ist das einzige Nahrungsergänzungsmittel, das in den neurologischen Leitlinien zur Behandlung der PNP aufgelistet ist, und somit in der Regel von den Krankenkassen erstattet wird. Der Naturstoff ist sehr gut wirksam bei diabetischer PNP in Kombination mit entsprechender Diät und Sport. Bei anderen Formen der PNP ist die Wirkung der α-Liponsäure meistens geringer.
- Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit einem hohen Anteil an Ballaststoffen sowie pflanzlicher Nahrung und Nahrungsergänzungsmitteln mit Zimt zeigen vorteilhafte Effekte über die Linderung von PNP-Symptomen hinaus.
- Bewegung: Nicht zu unterschätzen ist zudem eine ausreichende Bewegung im Alltag und spezielle kräftigende Übungen, um die Symptome einer Polyneuropathie zu lindern. Sensomotorisches Training verbessert das Gleichgewicht sowie die Gangsicherheit.
- Vermeidung von Risikofaktoren: Neben der optimalen Blutzuckereinstellung und Verzicht auf Risikofaktoren wie Nikotin und unkontrollierten Alkoholgenuss ist die optimale Versorgung mit Vitamin B1 eine Möglichkeit, in die Entstehung der Neuropathie einzugreifen.
Ernährungsempfehlungen bei Polyneuropathie
Eine sinnvolle Ernährungsstrategie kann die Beschwerden positiv beeinflussen. Besonderer Schwerpunkt liegt auf antioxidativen und entzündungshemmenden Lebensmitteln sowie einer ausreichenden Zufuhr von B-Vitaminen.
Empfehlenswerte Nahrungsmittel:
- B-Vitamine: Hülsenfrüchte, Vollkornbrot, Weizenkeime, Rindfleisch, Hühnchen
- Antioxidantien: Karotten, Tomaten, Spinat, Brokkoli, Vollkorngetreide, Hafer, fermentierte Lebensmittel
- Omega-3-Fettsäuren: Fetter Fisch wie Lachs und Makrele, Nüsse, Lein- und Rapsöl, Avocado
Zu vermeiden:
- Alkohol und Tabak, da diese ein Voranschreiten der Nervenschädigung fördern.
- Diabetiker: Zuckerkonsum reduzieren
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