Vorhofflimmern und Schlaganfallrisiko: Eine umfassende Betrachtung

Vorhofflimmern ist eine weit verbreitete Herzrhythmusstörung, die das Risiko für Schlaganfälle erheblich erhöht. In Deutschland sind schätzungsweise 1,8 Millionen Menschen von dieser Erkrankung betroffen. Um die Gefahr eines Schlaganfalls zu senken, fordern Experten ein Screening mit Pulsmessen und EKG für alle Menschen ab 65 Jahren, um Vorhofflimmern frühzeitig zu erkennen.

Was ist Vorhofflimmern?

Vorhofflimmern ist eine Herzrhythmusstörung, bei der die Vorhöfe des Herzens nicht mehr koordiniert schlagen, sondern unregelmäßig und schnell "flimmern". Statt sich koordiniert zusammenzuziehen, flimmern die Vorhöfe. Die Vorhöfe sind den Herzkammern vorgelagert und unterstützen deren Pumpfunktion, indem sie portionsweise Blut sammeln. Ziehen sich die Vorhöfe zusammen, strömt das Blut stoßweise in die Herzkammern, die sich sofort danach zusammenziehen und es weiter in Richtung Lunge beziehungsweise in den Körperkreislauf pumpen. Störimpulse durch unkontrollierte elektrische Aktivität anderer Herzzellen können diesen Ablauf aus dem Takt bringen. Die Folge: Zum einen können sie die Herzkammern nicht mehr so gut befüllen - das Herz muss deshalb mehr arbeiten, um genügend Blut zu pumpen. Zum anderen entleeren sich flimmernde Vorhöfe schlechter, und das Blut kann sich dort im sogenannten Herzohr oder Vorhofohr - einer blinddarmartigen kleinen Ausbuchtung - stauen.

Am Anfang tritt diese Herzrhythmusstörung meist anfallartig auf (paroxysmales Vorhofflimmern). Im Verlauf bekommen Betroffene dann oft ein dauerhaftes (persistierendes oder permanentes) Vorhofflimmern.

Symptome von Vorhofflimmern

Nicht immer macht sich Vorhofflimmern mit spürbaren Beschwerden bemerkbar. Nur etwa zwei Drittel der Patienten bemerken Symptome wie:

  • Schwächegefühl
  • Herzrasen (Puls von 100 oder mehr)
  • Starkes Herzklopfen
  • Unregelmäßiger Herzschlag
  • Herzschmerzen
  • Angstgefühl
  • Atemnot bei körperlicher Belastung und schnellem Herzschlag

Bei den anderen tritt Vorhofflimmern ohne Symptome oder größere Beschwerden auf.

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Ursachen und Risikofaktoren

An Vorhofflimmern leiden vor allem Menschen im höheren Lebensalter. Frauen sind etwas häufiger betroffen als Männer. Nicht immer lassen sich eindeutige Ursachen finden. Es gibt jedoch eine Reihe von Faktoren, die das Risiko erhöhen können:

  • Lebensstilfaktoren: Rauchen, Alkoholkonsum, Stress und psychische Belastungen
  • Übergewicht und Bewegungsmangel
  • Extrembelastungen: Hinweise darauf, dass Extrembelastungen (wie Marathon, großer Triathlon) ein Vorhofflimmern auslösen können.
  • Bluthochdruck / Diabetes/ Adipositas (starkes Übergewicht)
  • Herzerkrankungen: Herzschwäche, Entzündungen des Herzmuskels oder Herzinfarkt
  • Chronische Lungenerkrankungen (COPD)
  • Überfunktion der Schilddrüse

Die Verbindung zwischen Vorhofflimmern und Schlaganfall

Das Hauptproblem bei Vorhofflimmern ist das große Risiko, das mit der Erkrankung verbunden ist: Es gehört zu den häufigsten Ursachen eines Schlaganfalls. 20 bis 30 % der (ischämischen) Schlaganfälle in Deutschland gehen auf Vorhofflimmern zurück.

Aufgrund der unregelmäßigen elektrischen Aktivierung schlagen die flimmernden Herzvorhöfe nicht mehr koordiniert. Das Blut staut sich in den Vorhöfen und es bilden sich kleine Blutgerinnsel, besonders häufig in einer Ausbuchtung im linken Vorhof (sog. Herzohr). Werden diese ausgeschwemmt und gelangen mit dem Blutstrom in den Kopf, können sie ein Hirngefäß verstopfen: Es kommt zum Schlaganfall.

Heute weiß man aufgrund vieler Untersuchungen, dass sich bei Vorhofflimmern durch die gestörte Herzbewegung und Umbauprozesse im Herzen die fein austarierte Balance der natürlichen Gerinnungsfähigkeit des Blutes in Richtung einer lebensbedrohlichen Gerinnselbildung verschiebt.

Schlaganfall erkennen: Der FAST-Test

Für die betroffene Person zählt jetzt jede Minute. Wer ein Schlaganfall-Symptom wie unten aufgeführt bei sich oder einer anderen Person bemerkt, sollte sofort den Rettungsdienst (Notruf 112) alarmieren. Um keine Zeit zu verlieren, lässt sich mit dem sog. FAST-Test (engl. F (engl. Face=Gesicht): Bitten Sie die betroffene Person zu lächeln. Sieht das Gesicht asymmetrisch aus? Hängt ein Mundwinkel herab? A (engl. Arms=Arme): Kann die betroffene Person beide Arme gleichzeitig nach vorne heben und die Handflächen nach oben drehen? Sinkt ein Arm herab, dreht er sich, hängt ein Arm tiefer? S (engl. Speech & Sight=Sprache & Sehfähigkeit): Lassen Sie die betroffene Person einen einfachen Satz nachsprechen. Kann sie die Worte korrekt wiederholen? Klingt die Sprache undeutlich oder verwaschen? Der Schlaganfall kann das Sprachzentrum im Gehirn stören. T (engl. Time=Zeit): Hat ein Mensch mit einer dieser Aufgaben Probleme, rufen Sie sofort den Notarzt (112) an. Und: Nicht immer kommt der Schlaganfall aus heiterem Himmel. Oft treten einzelne Symptome bereits Tage oder Wochen vorher auf, verschwinden aber nach kurzer Zeit wieder. Meist handelt es sich bei diesen „Vorboten“ um fast die gleichen Symptome wie bei einem Schlaganfall. Anders als bei einem „echten“ Schlaganfall bessern oder verschwinden solche Warnsignale dieser „Transitorischen Ischämischen Attacke“ (TIA) nach kurzer Zeit jedoch wieder. Anzeichen einer TIA sollte jeder Herzpatient kennen.

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Risikobewertung: Der CHA2DS2-VASc-Score

Das individuelle Schlaganfall-Risiko bei Vorhofflimmern lässt sich durch die Berechnung des sogenannten CHA2DS2-VASc-Scores abschätzen. Der Wert gibt Auskunft über die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Jahres einen Schlaganfall zu erleiden.

Der CHA2DS2-VASc-Score berücksichtigt verschiedene Risikofaktoren:

  • C: Congestive heart failure (Herzinsuffizienz) - 1 Punkt
  • H: Hypertension (Hypertonie, also Bluthochdruck) - 1 Punkt
  • A2: Age ≥ 75 years (Alter über 75 Jahre) - 2 Punkte
  • D: Diabetes mellitus - 1 Punkt
  • S2: Stroke/TIA (Schlaganfall oder transitorische ischämische Attacke in der Anamnese) - 2 Punkte
  • V: Vascular disease (Gefäßerkrankungen) - 1 Punkt
  • A: Age 65-74 years (Alter zwischen 65 und 74) - 1 Punkt
  • Sc: Sex category (weiblich) - 1 Punkt

Das Addieren der Punkte ergibt einen Wert zwischen 0 und 9, der dem individuellen Risiko entspricht. Dabei steht die "0" für "keine weiteren Risikofaktoren" und die "9" für "maximale Risikofaktoren". Bei einem Gesamtwert von "5" kommt es laut Statistik bei 84 von 1.000 Menschen mit diesem Risiko innerhalb von einem Jahr zu einem Schlaganfall. Wenn neben Vorhofflimmern keine weiteren Risikofaktoren vorliegen, kommt es statistisch gesehen bei zwei von 1.000 Betroffenen innerhalb eines Jahres zu einem Schlaganfall. In diesem Fall muss der Arzt abwägen, ob die Einnahme eines Blutverdünners zur Vorbeugung eines Schlaganfalls sinnvoll ist.

Behandlungsmöglichkeiten bei Vorhofflimmern

Gelingt es nicht, das Herz von allein wieder in den Takt zu bringen, kann es mit medizinischer Hilfe wieder in den richtigen Rhythmus geführt werden - dies wird Kardioversion genannt. Die Synchronisation wird entweder mit Medikamenten (Antiarrhythmika) erreicht oder durch einen kleinen Eingriff mit Stromimpulsen (Elektroschocks).

Ob das Vorhofflimmern von allein aufhört oder durch einen Eingriff beendet wird: In beiden Fällen besteht die Gefahr, dass es erneut auftritt und sich mit der Zeit chronifiziert. Wichtig ist daher immer die Risikobewertung bezüglich eines Schlaganfalls.

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Neben der optimalen Behandlung einer etwaigen Grunderkrankung, beispielsweise des Bluthochdrucks, muss möglichst der Herzrhythmus stabilisiert (Rhythmuskontrolle) und die Herzfrequenz im Normalbereich gehalten werden (Frequenzkontrolle), um die Gefahr einer Herzschwäche zu verringern.

Medikamentöse Therapie

Wichtigste erste Maßnahme nach der Diagnose Vorhofflimmern ist die Behandlung mit einem gerinnungshemmenden Medikament („Blutverdünner“). Heute werden bei neu diagnostiziertem Vorhofflimmern in erster Linie die neuen/direkten oralen Antikoagulanzien (NOAK/DOAK) Dabigatran, Apixaban, Edoxaban oder Rivaroxaban verordnet. Nur noch wenige Patient*innen benötigen die Vitamin-K-Antagonisten aus der Wirkstoffgruppe der Cumarine (z. B. Marcumar oder Falithrom). Diese vorbeugende Therapie wird allerdings nicht per se jedem Patienten mit Vorhofflimmern verordnet, sondern auf Grundlage des individuellen Schlaganfallrisikos der betroffenen Person. Dieses wird mit Hilfe einer Zählskala, dem sogenannten CHA2DS2-VASc-Score, bestimmt. Risikorelevante Punkte sind z. B. Herzschwäche, Bluthochdruck, Diabetes, weibliches Geschlecht und fortgeschrittenes Alter (über 65 Jahre) sowie ein abgelaufener Schlaganfall in der Vergangenheit.

Manchen Betroffenen helfen Antiarrhythmetika: Medikamente zur Rhythmuskontrolle. Sie können bei anfallsweisem Vorhofflimmern das Herz bei Bedarf wieder in den richtigen Rhythmus bringen. Diese Therapie heißt "pill in the pocket" (auf Deutsch: Pille für die Hosentasche), da man die Pille immer bei sich tragen sollte. Manchmal werden Antiarrhythmika auch nach einer erfolgreichen Kardioversion längerfristig zur Stabilisierung verordnet.

Katheterablation

Wenn medikamentöse Therapie und Lebensstiländerungen nicht ausreichen und sich die Anfälle des Vorhofflimmerns häufen oder längere Zeit anhalten, kann eine Katheterablation helfen. Die Erfolgschance einer Ablation ist am größten, wenn das Vorhofflimmern noch von allein kommt und geht (paroxysmales Vorhofflimmern) und es höchstens eine Woche anhält. Dann liegt die Erfolgsquote bei über 80 Prozent. Ist das Vorhofflimmern dagegen rund um die Uhr vorhanden und schlägt das Herz überhaupt nicht mehr in einem normalen Rhythmus, ist die Erfolgschance deutlich geringer.

Bei der Ablation wird ein spezieller Katheter durch die Leistenvene bis in das Herz geführt. Dort versucht der Kardiologe, Herzmuskelzellen im Übergangsbereich von Lungenvenen und linkem Vorhof auszuschalten, denn dort befindet sich in aller Regel die Quelle der Störimpulse. In jedem dritten Fall kehrt das Vorhofflimmern nach einiger Zeit zurück und die Ablation muss möglicherweise auch mehrmals wiederholt werden, bis die Anfälle komplett aufhören. Ob eine Ablation sinnvoll ist, muss individuell entschieden werden. Die Erfolgschance dieses Verfahrens ist auch abhängig von der Erfahrung des behandelnden Arztes. Betroffene sollten sich deshalb möglichst an ein Herzzentrum wenden, in dem die Katheterablation zu den Routineverfahren gehört.

Vorhofohrverschluss

Auch nach erfolgreicher Behandlung eines Vorhofflimmerns mit Medikamenten, Kardioversion oder Ablation bleibt die Schlaganfallgefahr bestehen. Abhängig vom Risiko durch Alter und Vorerkrankungen müssen Betroffene meist lebenslang Tabletten zur Blutverdünnung einnehmen. Jedoch muss die Dosierung gut eingestellt werden, auch um die Gefahr von möglichen inneren Blutungen durch die Medikamente zu minimieren. Außerdem gibt es Menschen, die Blutverdünner schlecht vertragen.

Damit kein gefährliches Blutgerinnsel im Vorhofohr entstehen kann, wird es verschlossen. Dafür wird ein spezieller Katheter in den rechten Vorhof geschoben. Dieser durchbohrt die Scheidewand zwischen den Herzvorhöfen und schafft so den Zugang zum Herzohr im linken Vorhof. Über einen Führungsdraht wird dann das Schirmchen in das Herzohr eingeführt und entfaltet. Durch kleine Widerhaken wird es fixiert und verschließt die Ausstülpung. Der Schutzschirm verbleibt dauerhaft im Herz. Diese neue Methode könnte dazu führen, dass viele Betroffene zukünftig auf Blutverdünner verzichten können. Allerdings handelt es sich auch um einen Eingriff mit entsprechenden Risiken.

Für Patient:innen, bei denen Blutverdünner nicht infrage kommen, gibt es als Alternative den katheterbasierten Verschluss des Vorhofohrs mit einem Okkluder, der das Schlaganfallrisiko verringert.

Was Sie selbst tun können

Betroffene mit Übergewicht senken ihr Risiko, wenn sie ihren Lebensstil ändern und mit gesunder Ernährung und viel Bewegung ihr Körpergewicht deutlich reduzieren.

Neben der Einnahme gerinnungshemmender Medikamente ist es ebenso wichtig, die Grund- oder Begleiterkrankung der Vorhofflimmerpatient*innen konsequent zu behandeln. Bei ca. 60 % der Patienten mit Vorhofflimmern liegt Bluthochdruck vor. Eine Erweiterung des linken Vorhofs ist ein erstes Zeichen dafür, dass das Herz durch den hohen Blutdruck bereits geschädigt ist. Hochdruckpatienten sollten daher ihren Blutdruck und Puls regelmäßig messen und therapeutisch gut eingestellt sein, um ihr Schlaganfallrisiko zu minimieren. So kann bei einem Bluthochdruck die Senkung des oberen Wertes um nur 10 mmHg das Schlaganfallrisiko um mehr als 20 % verringern.

Herz-Kreislauf-Patient*innen sowie Gesunde ab 65 sollten zu Hause ihren Puls regelmäßig kontrollieren. So können sie ihr Risiko für einen Schlaganfall senken. Unbemerkte Pulsunregelmäßigkeiten zeigen sich häufig schon bei der automatischen Blutdruckmessung mit elektrischen Messgeräten, man kann aber auch ganz einfach selbst 2- bis 3-mal täglich seinen Puls fühlen.

Einige moderne Armbanduhren sind heute in der Lage, den Puls regelmäßig zu messen und Auffälligkeiten anzuzeigen. Spezielle „Wearables“ oder „Smartwatches“ mit Pulsmess- und EKG-Funktion, spezielle Apps fürs Smartphone werden ständig weiterentwickelt. Sie ermöglichen es zunehmend, auch ein Vorhofflimmern, das nur sehr selten auftritt, direkt zu dokumentieren und dem Arzt oder der Ärztin zu senden. Allerdings sollte die Dokumentation der Wearables stets nochmals von ärztlicher Seite beurteilt werden, um die richtige Diagnose zu stellen.

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