Wann ist das Gehirn am aktivsten im Laufe des Tages? Eine umfassende Analyse

Der menschliche Körper ist ein komplexes System, das von einer Vielzahl von Rhythmen gesteuert wird. Diese Rhythmen, die von äußeren (exogenen) und hormonellen (endogenen) Einflüssen beeinflusst werden, werden als zirkadiane Rhythmen oder innere Uhren bezeichnet. Diese inneren Uhren beeinflussen eine Vielzahl von Körperfunktionen, einschließlich Stoffwechsel, Schlaf und kognitive Leistungsfähigkeit. Doch wann ist das Gehirn im Laufe des Tages am aktivsten? Diese Frage wird im Folgenden umfassend beantwortet, indem verschiedene Aspekte des zirkadianen Rhythmus, Chronotypen und Strategien zur Optimierung der kognitiven Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden.

Die innere Uhr und ihre Bedeutung

Die innere Uhr ist ein komplexes System, das den Wechsel zwischen Aktiv- und Ruhephasen im Körper steuert. Sie wird von einer zentralen Uhr im Gehirn, dem Nucleus suprachiasmaticus (SCN) im Hypothalamus, gesteuert, der als "Master Clock" fungiert. Der SCN synchronisiert sich mit dem Tageslicht und meldet dem Rest des Körpers, ob Tag oder Nacht ist. Jede Zelle im Körper besitzt auch eine eigene innere Uhr, die als "Slave Clock" bezeichnet wird und vom SCN beeinflusst wird.

Die innere Uhr beeinflusst nicht nur den Schlaf-Wach-Zyklus, sondern auch den Stoffwechsel. Studien haben gezeigt, dass die innere Uhr darüber entscheidet, wie Nahrung verstoffwechselt wird. Wer ständig gegen seinen zirkadianen Rhythmus isst, kann gesundheitliche Probleme bekommen. In der Ruhephase in der Nacht ist der gesamte Stoffwechsel auf Erholung eingestellt. Nimmt man in dieser Phase Nahrung zu sich, ist der Körper hormonell nicht bereit, diese zu verdauen und zu verstoffwechseln.

Chronotypen: Lerchen und Eulen

Menschen unterscheiden sich in ihren Biorhythmen und werden in "Lerchen" und "Eulen" eingeteilt. Lerchen stehen von sich aus früh auf und essen früher, während Eulen morgens erst später in Schwung kommen. Die durchschnittliche Aktivitätskurve des Menschen steigt morgens nach dem Aufwachen stark an, nach dem Mittagstief folgt ein zweites Leistungshoch. Während diese Kurve bei Lerchen früher beginnt, kommen die Eulen morgens erst viel später in Schwung.

Es ist wichtig zu beachten, dass die meisten Menschen zur Gruppe der natürlichen "Eulen" gehören. Wenn Eulen frühmorgens vor der Arbeit schon ausgiebig frühstücken, kann das negative Folgen für ihren Stoffwechsel und ihr Gewicht haben, denn ihr Stoffwechsel verarbeitet Kohlenhydrate morgens genauso schlecht wie am Abend, und ihr Blutzuckerspiegel bleibt nach einem reichhaltigen frühen Frühstück länger erhöht. Für Eulen wie für Lerchen gilt letztlich, längere Essenspausen einzuhalten, vor allem abends und nachts.

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Der Zeitpunkt maximaler kognitiver Leistungsfähigkeit

Viele Menschen glauben, dass sie morgens am produktivsten sind. Eine kombinierte Studie der Monash-Universität in Australien und der Universität von Granada in Spanien ergab jedoch, dass der Zeitpunkt maximaler kognitiver Leistungsfähigkeit für die meisten Menschen in der Mittagszeit liegt. Die Forscher analysierten 500.000 von Studenten englischer Universitäten abgelegte Prüfungen zu drei bestimmten Tageszeiten: 9 Uhr, 13.30 Uhr und 16.30 Uhr. Sie stellten fest, dass die besten Ergebnisse hinsichtlich der Leistung in den um 13:30 Uhr absolvierten Tests erzielt wurden.

Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass der Höhepunkt der Produktivität auch etwas mit dem Monat zu tun hat, in dem man sich befindet: Während im Sommer die Reaktionsfähigkeit des Gehirns von morgens bis nachmittags tendenziell konstanter ist, konzentriert sie sich in den Wintermonaten - wegen der zum Teil erheblichen Abnahme der Sonneneinstrahlung - deutlich auf die zentralen Stunden des Arbeitstages.

Jahreszeitliche Unterschiede in der Gehirnaktivität

Eine weitere Studie untersuchte die kognitiven Funktionen des Gehirns zu verschiedenen Jahreszeiten. Die Probanden verbrachten viereinhalb Tage im Labor - abgeschottet von der Außenwelt und ohne Zugang zu Tageslicht. Bei der ersten Aufgabe sollten die Teilnehmer schnell auf einen visuellen Reiz reagieren, der plötzlich auf einem Bildschirm auftauchte. Die Auswertung ergab: Wie gut die Teilnehmer diese Aufgaben meisterten, war zwar unabhängig von der Jahreszeit. Wie die Forscher berichten, blieben die Leistungen durchweg konstant und gut. Dagegen erreichten Aktivitätsmuster, die die Wissenschaftler mit dem Arbeitsgedächtnis in Verbindung bringen, im Herbst ihren Höhepunkt. Im Frühling waren diese Bereiche bei der gleichen Aufgabe weniger aktiv. Eine erhöhte Aktivität spricht den Forschern zufolge dafür, dass das Gehirn mehr Ressourcen investieren muss, um eine Aufgabe lösen zu können.

Hormone und ihre Rolle im Tagesverlauf

Hormone spielen eine wichtige Rolle bei der Steuerung der inneren Uhren. Zu den wichtigsten Hormonen gehören:

  • Melatonin: Das „Schlafhormon“, zuständig für Regeneration und Reparatur. Es wird nachts, also bei Dunkelheit, ausgeschüttet.
  • Cortisol: Das „Aktivitäts- bzw. Stresshormon“. Es ist morgens sowie bei akutem Stress auf Höchstlevel.
  • Insulin: Zur Kohlenhydratverwertung. Es wird dreimal täglich zyklisch ausgeschüttet, morgens, mittags und abends sowie bei der Nahrungsaufnahme.
  • Ghrelin: Das „Hungergefühl-Hormon“. Alle sechs Stunden wird es tagsüber ausgeschüttet. Proteinreiche Nahrung sorgt dafür, dass es schneller abgesenkt wird und wir weniger Hunger empfinden.
  • Leptin: Das „Sättigungsgefühl-Hormon“. Es wird zyklisch zwischen Mitternacht und dem frühen Morgen ausgeschüttet sowie durch die Magenfüllung beim Essen.

Praktische Tipps zur Optimierung der kognitiven Leistungsfähigkeit

Um die kognitive Leistungsfähigkeit im Laufe des Tages zu optimieren, können folgende Tipps hilfreich sein:

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  • Essen Sie regelmäßige Mahlzeiten: Vermeiden Sie Snacks zwischen den Hauptmahlzeiten. Das Frühstück sollte reichhaltig und kohlenhydratreich sein. Bevorzugen Sie Vollkorn-Produkte. Essen Sie eine vollwertige Mittagsmahlzeit. Am Abend wählen Sie eine kohlenhydratarme und proteinreiche Speise. Essen Sie nicht zu spät, da ab etwa 22:00 Uhr der Stoffwechsel gedrosselt wird und Regenerations- und Reparaturprozesse beginnen. Halten Sie Pausen von jeweils ca. 5 Stunden zwischen den Mahlzeiten ein. Also z. B. 7:00 Uhr, 12:00 Uhr und 17:00 Uhr.
  • Vermeiden Sie Koffein und schwarzen Tee am späten Nachmittag: Ihren inneren Uhren zu liebe, verzichten Sie ab dem späten Nachmittag auf Kaffee und schwarzen Tee.
  • Nutzen Sie die optimalen Zeiten für verschiedene Aktivitäten: Am Morgen ab 07:00 Uhr sinkt der Melatoninspiegel, die Cortisol- und Sexualhormonproduktion steigt. Die geistige Leistungsfähigkeit ist zwischen 8:00 und 12:00 Uhr auf dem Höchststand sowie noch einmal zwischen 15:00 und 17:00 Uhr. Der Nachmittag ist eine gute Zeit für komplexes Denken, um Zusammenhänge erfassen oder auch zum Meditieren. Intensiver Sport ist am besten im Zeitfenster von 14:00 und 16:00 Uhr, denn hier ist die Körpertemperatur am höchsten und die Muskeln wärmer und beweglicher.
  • Schaffen Sie eine schlaffreundliche Umgebung: Ab 20:00 Uhr beginnt etwa die Ruhezeit, das Langzeitgedächtnis ist jetzt produktiv. Da auch die Hautregeneration vor allem während der Nacht stattfindet, sind Pflege, Reinigung und Verwendung von Pflegeprodukten abends am sinnvollsten. Ein Bad, Sauna und Massage entspannen am Abend. Das Schlafzimmer sollte ruhig, dunkel und kühl um die18 Grad sein. Elektromagnetische Felder und blaues Licht z.B. von Displays im Schlafbereich sollten gemieden werden. Schaffen Sie Routinen, um pünktlich ins Bett zu gehen und ausreichend Zeit für den Schlaf zu finden. Ab 23:00 Uhr ist die Melatonin-Produktion auf Hochtouren, wenn Dunkelheit herrscht.
  • Halten Sie einen gleichförmigen Zeitrhythmus ein: Experten raten, sich die ganze Woche über, also auch an den freien Tagen am Wochenende, in einem möglichst gleichförmigen Zeitrhythmus zu halten und dabei möglichst viel natürliches Tageslicht zu genießen.
  • Berücksichtigen Sie die Jahreszeit: Im Sommer ist die Reaktionsfähigkeit des Gehirns von morgens bis nachmittags tendenziell konstanter, während sie sich in den Wintermonaten deutlich auf die zentralen Stunden des Arbeitstages konzentriert.

Bio-Timeboxing: Ein Konzept zur Steigerung der Wirksamkeit im Arbeitsalltag

Eine der effizientesten Strategien, um die Wirksamkeit im Arbeitsalltag zu steigern, ist das Bio-Timeboxing. Es beruht auf dem Prinzip, dass es für all unser Tun ideale Zeitfenster gibt. Diese Zeitfenster sind abhängig von unserem individuellen Biorhythmus und unserem Chronotyp. Ausgehend von unseren individuellen Schlafenszeiten ergeben sich Tagesphasen, in denen wir am besten kreative Arbeiten erledigen können, Phasen, die sich idealerweise für das Abarbeiten von Routinen eignen, aber auch Zeiten, in denen wir essen oder körperlich aktiv sein sollten. Vor allem aber zeigt uns das Biotimeboxing Zeitfenster auf, in denen wir ganz bewusst einen Flow-Zustand ansteuern können.

Teil des Konzepts ist es, zu erledigende Arbeiten nach Schwierigkeitslevel einzuteilen und diese Arbeiten in den jeweils idealen Zeitfenstern anzugehen. Das Konzept kombiniert Schlaf-, Ernährungs- und Bewegungsaspekte und ist aus meiner Sicht ein 360-Grad-Produktivitätskonzept, das in ein jeweils individuelles Produktivitätsprofil mündet. Mit Bio-Timeboxing sind Produktivitätssteigerungen von 500 Prozent möglich.

Der Flow-Zustand: Krönung der Produktivität

Der Flow-Zustand ist die Krönung der Produktivität. Er beschreibt das Gefühl des völligen Aufgehens in einer Tätigkeit, bei dem sich Fühlen, Wollen und Denken in Übereinstimmung befinden. Menschen sind im Flow-Zustand völlig bei dem, was sie gerade tun. Ein charakteristisches Merkmal des Flow-Zustands ist die verfälschte Wahrnehmung der Zeit: Beim Blick auf die Uhr stellt man überrascht fest, dass bereits viel Zeit vergangen ist. Zugleich wird die eigene hohe Produktivität erkennbar: In diesen Stunden kann oftmals mehr erreicht werden als während mehrerer Tage unter normalen Arbeitsbedingungen.

Um in den Flow zu gelangen, benötigen wir das passende Energiemanagement durch optimierte Schlaf- und Ernährungsgewohnheiten. Und wir benötigen ein passenden Stresslevel - also Selbstaktivierung oder Stressreduktion. Die Forschung hat gezeigt, dass es ein optimales Niveau an neuronaler Aktivität gibt, das zu optimaler kognitiver Leistung führt, und dass sowohl zu wenig als auch zu viel neuronale Aktivität zu einer Verringerung der Leistung führen können. Das optimale Niveau variiert dabei je nach Aufgabe und Individuum.

Die Rolle der Neurowissenschaft in der Verbesserung der Produktivität

Die Neurowissenschaft erlaubt uns, die physiologischen Prozesse, die wir am Ende Motivation, Prokrastination oder Stress nennen, zu verstehen. Wir können anhand der Konzentration von bestimmten Botenstoffen verstehen, wann Motivation entsteht. Wir können dank moderner Bildgebungsverfahren dem Gehirn beim Denken zusehen und wir wissen genau, was im Gehirn passiert, wenn es in den Flow-Zustand gleitet. Dieses Verstehen ist der erste Schritt aus dem sich ableiten lässt, wie und womit wir diese Vorgänge bewusst aktivieren können.

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Die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse, auf denen das "Follow your Flow"-Prinzip beruht, machen für Arbeitgeber ein Umdenken erforderlich. Denn der Flow lässt sich nur bedingt im Großraumbüro erzwingen und die Flowfenster kümmern sich nicht um Arbeits- und Anwesenheitszeiten. Aber derjenige, der sich darauf einlässt, wird faszinierende Produktivitätssteigerungen erleben.

Chronomedizin: Heilung im Takt der inneren Uhr

Die Chronomedizin nutzt das Wissen um die inneren Uhren, um Therapien effektiver zu gestalten. Da der Körper im Laufe eines Tages in dermaßen unterschiedlicher Verfassung ist, kann es nicht egal sein, wann ein Medikament verabreicht oder ein chirurgischer Eingriff durchgeführt wird. Ein besonders eindrückliches Beispiel für die tageszeitlichen Schwankungen ist die Tatsache, dass die meisten Herzinfarkte in den Morgenstunden passieren.

In puncto Chronomedizin sind die USA Vorreiter. Inzwischen steht zweifellos fest, dass eine Therapie, die die innere Uhr beachtet, der Standardtherapie oft überlegen ist. Allerdings steht man in der Forschung insbesondere in Deutschland noch ziemlich am Anfang.

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