Nervenschmerzen, auch neuropathische Schmerzen genannt, unterscheiden sich wesentlich von Schmerzen, die durch Gewebeschädigung entstehen. Sie resultieren aus einer direkten Schädigung oder Funktionsstörung von Nervenfasern. Diese Schädigung kann sich in Form von Gefühlsstörungen wie Taubheit oder Überempfindlichkeit äußern. Bekannte Beispiele für Nervenschmerzen sind die Trigeminusneuralgie, die durch einschießende, elektrisierende Gesichtsschmerzen gekennzeichnet ist, und die diabetische Polyneuropathie, eine durch Diabetes verursachte Schädigung vieler kleiner Nerven, vor allem in Füßen und Unterschenkeln.
Charakteristika und Behandlung von Nervenschmerzen
Nervenschmerzen werden oft als elektrisierend, einschießend oder brennend beschrieben. Im Gegensatz zu Gewebeschmerzen sprechen sie nicht gut auf nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) oder Coxibe an. Stattdessen werden häufig Medikamente eingesetzt, die ursprünglich für die Behandlung anderer Erkrankungen entwickelt wurden.
Medikamentöse Therapie
- Antikonvulsiva: Substanzen wie Gabapentin und Pregabalin, die primär zur Behandlung von Epilepsie eingesetzt werden, haben sich bei Nervenschmerzen als wirksam erwiesen.
- Antidepressiva: Auch Medikamente wie Amitriptylin oder Duloxetin, die zur Behandlung von Depressionen eingesetzt werden, können bei neuropathischen Schmerzen helfen.
Diese Medikamente werden in Tablettenform eingenommen und wirken beruhigend auf die Nervenzellen. Sie beeinflussen die Aktivität der Nervenzellen und der schmerzleitenden Nervenbahnen und normalisieren so die für neuropathische Schmerzen typischen Veränderungen und Störungen der Nervenfunktion. Es ist wichtig zu betonen, dass Antikonvulsiva und Antidepressiva bei neuropathischen Schmerzerkrankungen gezielt zur Schmerzlinderung eingesetzt werden und nicht zur Behandlung von Depressionen oder Anfällen. Die Wirkung beruht auf einer Hemmung der Schmerzweiterleitung im Rückenmark.
Weitere Therapieansätze
- Lokale Behandlung: Einige Formen von Nervenschmerzen können durch örtliche und oberflächliche Behandlung am Schmerzort therapiert werden. Hierbei werden Medikamente in Form von Pflastern oder Cremes auf die Haut aufgetragen, um bestimmte Bestandteile der Nervenzelloberfläche zu beeinflussen und die Schmerzentstehung oder -weiterleitung zu verhindern. Beispiele hierfür sind Lidocain, ein örtliches Betäubungsmittel, und Capsaicin, ein Wirkstoff aus der Chilischote.
- Opioide: Wenn die genannten Medikamente nicht ausreichend wirken, können mittelstark oder stark wirksame Schmerzmittel aus der Gruppe der Opioide eingesetzt werden. Diese wirken sowohl bei Gewebeschmerzen als auch bei Nervenschmerzen.
Gabapentin: Wirkung, Anwendung und Wirkungseintritt
Gabapentin ist ein Antiepileptikum, das auch bei Nervenschmerzen (Neuropathie) eingesetzt wird, beispielsweise bei Diabetes oder nach einer Herpes-Infektion. Es wirkt, indem es Kalziumkanäle im Gehirn blockiert, wodurch weniger Botenstoffe (Neurotransmitter) ausgeschüttet werden.
Anwendung und Dosierung
Filmtabletten und Hartkapseln werden im Ganzen mit Wasser geschluckt, die Lösung wird unverdünnt eingenommen. Die Behandlung beginnt bei Erwachsenen mit einer Dosis von täglich 300-900 mg. Abhängig von Wirkung und Nebenwirkungen wird die Ärztin die Dosis im Verlauf steigern. Es sind Tagesdosen bis zu 3600 mg möglich. Die Dosis wird dann über den Tag verteilt in 3 Dosen eingenommen. Bei Epilepsie sollten die Pausen zwischen den Einnahmen nicht länger als 12 Stunden sein, da sonst Krampfanfälle auftreten können. Bei eingeschränkter Nierenfunktion wird die Ärztin die Dosis anpassen.
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Wirkungseintritt
Die vollständige Wirkung von Gabapentin entfaltet sich erst nach einer gewissen Einnahmedauer, in der Regel nach etwa ein bis zwei Wochen. In Studien zeigte sich die Wirksamkeit von Gabapentin bei post-zosterischer Neuropathie bereits in der zweiten Behandlungswoche, noch während der vierwöchigen Gabapentin-Titrationsphase.
Wichtige Hinweise zur Einnahme
- Gabapentin sollte nach längerer Behandlung nie abrupt abgesetzt werden, da sonst Entzugserscheinungen wie Angst, Schlafstörungen, Übelkeit oder Schmerzen drohen. Bei Epilepsie können Anfälle häufiger werden. Die Dosis sollte nur nach Rücksprache mit der Ärzt*in und dann langsam über mindestens eine Woche reduziert werden.
- Bei Suchterkrankungen in der Vorgeschichte ist Gabapentin nicht gut geeignet.
- Gabapentin kann müde machen und Schwindel hervorrufen. Ohne ärztliche Freigabe sollte man deshalb während der Behandlung mit Gabapentin nicht Auto fahren und keine Maschinen bedienen.
- Säurehemmende Arzneimittel (Antazida) verringern die Wirkung von Gabapentin. Gabapentin sollte daher frühestens 2 Stunden nach Antazida eingenommen werden.
- Arzneimittel gegen Krämpfe, Schlafstörungen, Depression oder andere psychische Probleme verstärken Nebenwirkungen wie Benommenheit. Dies gilt auch für Alkohol.
- Besonders die gleichzeitige Einnahme von Opiaten wie Morphin ist sorgfältig abzuwägen.
Nebenwirkungen
Sehr häufige Nebenwirkungen von Gabapentin sind Virusinfektionen, Schläfrigkeit (Somnolenz), Müdigkeit und Schwindel. Häufige Nebenwirkungen sind verändertes Essverhalten, Veränderungen im Blutbild, Verhaltensauffälligkeiten (vor allem bei Kindern), Krämpfe, Schlaflosigkeit und Bluthochdruck (Hypertonie). Auch Erkrankungen der Atemwege, Übelkeit und Erbrechen, Muskelschmerzen, Impotenz und Hautausschläge sind möglich.
Abhängigkeitspotenzial und Missbrauch
Gabapentinoide wie Gabapentin weisen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Abhängigkeit auf und werden missbräuchlich angewendet. Durch die GABA-mimetische Wirkung kann sich Euphorie einstellen, mit entsprechend rascher Toleranz und der Motivation zur Dosissteigerung.
Patienten, die mit Gabapentinoiden behandelt werden, sollten über Symptome eines Missbrauchs oder einer Abhängigkeit informiert und entsprechend überwacht werden. Zu diesen gehören:
- Eigenmächtige Dosissteigerung
- "Doctor Hopping"
- Versteckter Konsum bzw. Nachweis im Urin ohne vorherige Verordnung
- Wiederholte, nicht plausible Rezeptanforderung
- Simulation von Symptomen wie Angst, innere Unruhe oder Schmerzen, um Gabapentinoide verschrieben zu bekommen
- Entzugssymptome (wie Angst, Unruhe, Tremor, hoher Blutdruck, Sinustachykardie, Schlafstörungen, Schwitzen, epileptische Anfälle, Konzentrationsstörungen, verworrenes Denken, Desorientiertheit, meistens optische Halluzinationen, Delir)
- Intoxikationssymptome (wie unangemessene Sedierung, Konzentrations- und Merkfähigkeitsschwäche, Auffassungsstörungen, Tagesschläfrigkeit, Denkverlangsamung, Dysarthrie, Gangataxie)
Bei Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen in der Vorgeschichte sollte der Einsatz von Gabapentinoiden mit Vorsicht erfolgen. Bei der gleichzeitigen Anwendung von Gabapentinoiden und zentralwirksamen, dämpfenden Arzneimitteln einschließlich Opioiden kann es zu einer verstärkten Atemdepression und Sedierung kommen, die tödlich sein können.
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Umstellung von Gabapentin auf Pregabalin
Es gibt verschiedene Argumente dafür, Patienten von Gabapentin auf Pregabalin umzustellen. Pregabalin wird schneller resorbiert und hat eine höhere Bioverfügbarkeit als Gabapentin. Der maximale Plasmaspiegel wird bei Pregabalin bereits nach ca. einer Stunde erreicht, bei Gabapentin erst nach drei bis vier Stunden. Die Resorption von Gabapentin ist im Gegensatz zu Pregabalin sättigbar und sinkt signifikant mit ansteigenden Dosen.
Eine rasche Umstellung (innerhalb von zwei Tagen) wird von den Patienten im Allgemeinen gut vertragen. Die Dosierungen können nach folgendem Algorithmus umgestellt werden:
- Gabapentin ≤900mg/Tag → Pregabalin 150mg/Tag
- Gabapentin 901-1500mg/Tag → Pregabalin 225mg/Tag
- Gabapentin 1501-2100mg/Tag → Pregabalin 300mg/Tag
- Gabapentin 2101-2700mg/Tag → Pregabalin 450mg/Tag
- Gabapentin >2700mg/Tag → Pregabalin 600mg/Tag
(Gabapentin: 3 Gaben über den Tag verteilt; Pregabalin: 2 Gaben, eine morgens, die andere abends)
Studien haben gezeigt, dass Patienten, die auf Pregabalin umgestellt wurden, insgesamt eine verbesserte Schmerzkontrolle hatten, verglichen mit den Patienten, die weiterhin unverändert Gabapentin erhielten. Die Umstellung auf Pregabalin führte zu einer verbesserten Schmerzlinderung ohne vermehrte Nebenwirkungen.
Fallbeispiel: Behandlung einer diabetischen Polyneuropathie mit Gabapentin und Duloxetin
Eine 59-jährige Patientin mit Diabetes mellitus Typ 2 klagt über unerträgliche Schmerzen in den Beinen und ein bekanntes depressives Zustandsbild. Es wird ein neuropathisches Schmerzsyndrom im Rahmen der diabetischen Neuropathie (DPNP) diagnostiziert.
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Nach einer ausführlichen Anamnese und Untersuchung wird ein Therapieversuch mit Duloxetin 30mg am Morgen in Kombination mit Gabapentin 300mg dreimal täglich begonnen. Der Patientin wird erklärt, dass es sich um einen Therapieversuch handelt und es ca. 10-14 Tage dauern wird, bis die erwünschte Wirkung (Schmerzlinderung und Dämpfung der Missempfindungen) einsetzen wird. Um die Nebenwirkungen nicht zu verstärken, wird Duloxetin langsam (30mg pro Woche) bis zu einer maximalen Dosis von 90mg erhöht. Die Dosierung von Gabapentin bleibt wie gehabt bei 300mg dreimal täglich.
Nach 4 Wochen wird die Patientin erneut untersucht. In der Zwischenzeit war Duloxetin auf 90mg pro Tag erhöht worden, was zu einer Linderung der Positivsymptome und einer Verbesserung der Stimmungslage der Patientin führte, jedoch die Schmerzen nicht in einem für die Patientin ausreichenden Ausmaß reduzierte, sodass ein Therapieversuch mit Gabapentin (von bis dato 3x 300mg auf 3x 900mg entsprechend 1800mg) eingeleitet wird. Da der Erfolg von 3x 900mg Gabapentin nach 6 Wochen nur sehr mäßig war, wird die Patientin gemäß einem Umstellungsschema auf 150mg Pregabalin zweimal täglich umgestellt.
Unter der Kombination von Duloxetin 90mg und Pregabalin 2x 150mg sind die neuropathischen Beschwerden gelindert, aber der Schwindel und die Gangunsicherheit unverändert. Das Schlafverhalten hat sich gebessert, aber die Beinödeme haben zugenommen, sodass die Patientin wegen dieser Nebenwirkung die Medikation absetzen will. Durch Gespräche mit ihrem Hausarzt und mit der Schmerzambulanz kann die Patientin vorerst davon abgehalten werden.
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