„Mein Fuß ist eingeschlafen!“ - fast jeder kennt das unangenehme Gefühl, wenn Arme oder Beine sich plötzlich fremd anfühlen, begleitet von Kribbeln. Diese Empfindungen, oft durch abgeklemmte Nerven verursacht, sind meist harmlos und verschwinden durch eine einfache Positionsänderung, die die normale Durchblutung wiederherstellt. Doch was, wenn diese Empfindungsstörungen zum Dauerzustand werden? Dann können auch schwerwiegendere Ursachen dahinterstecken.
Was sind Empfindungsstörungen?
Empfindungsstörungen beschreiben eine veränderte Wahrnehmung von Berührungen oder Temperatur über die Haut. Der Tastsinn ist besonders betroffen, wodurch Hitze, Kälte oder spitze Gegenstände nicht mehr richtig erkannt oder Schmerzen nicht mehr ausreichend wahrgenommen werden. In allen Fällen sind die somatischen Nerven beteiligt. Sind diese Nerven geschädigt oder abgeklemmt, treten Empfindungsstörungen auf, die sich oft durch Kribbeln in Armen und Beinen äußern, bekannt als „Ameisenlaufen“ oder „elektrisierendes Gefühl“. Ein Taubheitsgefühl ist ebenfalls ein häufiges Symptom.
Ursachen von Taubheitsgefühlen und Kribbeln
Empfindungsstörungen wie Kribbeln oder Taubheitsgefühle können vielfältige Ursachen haben. Neben harmlosen Gründen wie Vitaminmangel können auch ernsthafte Erkrankungen dahinterstecken. Langanhaltende Symptome sollten daher ärztlich abgeklärt werden.
Vitaminmangel
Ein Mangel an Vitamin B12 kann Empfindungsstörungen auslösen. Dieses Vitamin ist reichlich in tierischen Produkten wie Fisch und Weichkäse enthalten und spielt eine wichtige Rolle bei der Bildung der Schutzhülle der Nerven. Fehlt es an diesem Vitamin, können Taubheitsgefühle und Kribbeln die Folge sein.
Eingeklemmter Nerv
Unfälle oder plötzliche, ungeschickte Bewegungen können Nerven einklemmen, wodurch diese keine Impulse mehr senden können. Je nach betroffenem Nerv können Symptome wie Kribbeln in den Beinen auftreten.
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Bandscheibenvorfall
Häufige Ursachen für einen Bandscheibenvorfall sind Überlastung oder Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule. Die Bandscheibe kann verrutschen und dadurch Nerven abklemmen. Die Stärke und genaue Lokalisation der Symptome hängen davon ab, welcher Bereich der Wirbelsäule betroffen ist (Hals-, Brust- oder Lendenwirbelsäule). Ein Bandscheibenvorfall der Halswirbelsäule (HWS) kann beispielsweise zu Taubheitsgefühlen oder Kribbeln im Arm führen, oft begleitet von Schmerzen.
Alkoholmissbrauch
Die Abbauprodukte von Alkohol wirken toxisch auf die Nerven und können Taubheitsgefühle und Kribbeln auslösen. Längerfristiger oder dauerhafter Alkoholkonsum kann zu Nervenschädigungen führen, die sich nach dem Ende der Sucht jedoch teilweise wieder regenerieren können.
Ansteckungskrankheiten
Virale Infektionen wie Masern, Mumps oder durch Zecken übertragene Krankheiten wie FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis) und Borreliose können Entzündungen im zentralen Nervensystem auslösen, die möglicherweise Empfindungsstörungen verursachen.
Multiple Sklerose (MS)
Diese entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems äußert sich oft durch vielfältige Symptome, darunter auch Empfindungsstörungen.
Schlaganfall
Ein Schlaganfall kann zu Empfindungsstörungen auf einer Körperseite führen, da bestimmte Hirnbereiche nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden. Absterbende Nerven lösen dann die Symptome aus.
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Diabetes Typ 1 und 2
Ein dauerhaft erhöhter Blutzuckerspiegel, beispielsweise durch fehlendes Insulin (Typ 1) oder eine Insulinresistenz (Typ 2), kann eine diabetische Neuropathie (Nervenschädigung) verursachen. Hierbei ist die Empfindsamkeit der Füße oft deutlich vermindert, was unbemerkte Verletzungen zur Folge haben kann.
Psychische Erkrankungen
Neben physischen Ursachen können auch psychische Erkrankungen wie dissoziative Störungen Taubheitsgefühle oder Kribbeln verursachen. Auch im Rahmen von Angst-/Panikattacken und Angststörungen (Phobien) können Missempfindungen wie Kribbeln oder Taubheitsgefühle auftreten.
Weitere mögliche Ursachen
- Polyneuropathie: Schädigung der peripheren Nerven, oft an Händen und Füßen, mit Kribbeln, Ameisenlaufen und Taubheitsgefühlen. Typisch ist eine beidseitige Ausbreitung der Missempfindungen in strumpf- oder handschuhförmiger Verteilung.
- Restless-Legs-Syndrom (RLS): Missempfindungen wie schmerzhaftes Kribbeln, Ziehen und Brennen in den Beinen, besonders in Ruhephasen, vor allem abends und nachts.
- Parkinson-Krankheit: Absterben von Nervenzellen im Gehirn, die Dopamin bilden, was neben Bewegungsstörungen auch zu Gefühlsstörungen führen kann.
- Migräne: Kribbeln und Taubheitsgefühle können eine Migräne-Attacke ankündigen, meist im Gesicht oder einseitig an Armen oder Beinen.
- Guillain-Barré-Syndrom (GBS): Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem die peripheren Nerven angreift und zerstört, was zu Kribbeln, Taubheitsgefühlen und Lähmungserscheinungen führen kann.
- Karpaltunnelsyndrom: Einklemmung des Mittelhandnervs im Karpaltunnel, was zu Kribbeln an Mittel- und Ringfinger, im Verlauf an Daumen und Zeigefinger führt.
- Ulnartunnel- und Ulnarrinnensyndrom: Druck auf den Ellen-Nerv (Nervus ulnaris) zwischen Achsel und Hand, was zu Taubheitsgefühlen vor allem am kleinen Finger und teilweise am Ringfinger führt.
- Leistentunnelsyndrom (Meralgia paraesthetica): Einklemmung des Oberschenkelhautnervs im Bereich des Leistenbands oder Leistenkanals, was zu Schmerzen und Gefühlsstörungen am oberen und seitlichen Oberschenkel führt.
- Periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK): Behinderung des Blutflusses in den Beingefäßen, was zu Schmerzen, Taubheitsgefühlen und Kältegefühl in den Füßen führt.
- Raynaud-Syndrom: Gefäßkrämpfe durch Kälte oder Stress, die zu anfallsartigen Durchblutungsstörungen, vor allem in den Händen, führen.
- Hyperventilationssyndrom: Hektisches Ein- und Ausatmen in Stress-Situationen oder während einer Panikattacke, was zu Gefühlsstörungen und Verkrampfungen führen kann.
- Somatoforme Störungen: Körperliche Beschwerden ohne körperliche Ursache, wie Müdigkeit, Muskelverspannungen, Zungenbrennen oder Kribbeln.
- Vergiftungen: Chronische Schäden an den Nerven durch Vergiftungen, zum Beispiel mit Schwermetallen.
- Medikamente: Kribbeln und Taubheitsgefühle als unerwünschte Nebenwirkung einiger Medikamente.
- Thoracic-outlet-Syndrom (TOS): Druck im oberen Brustkorb, der Nerven oder Blutgefäße schädigt oder beeinträchtigt, was zu Schmerzen, Kribbeln und Taubheitsgefühl an Schulter, Arm und Hand führen kann.
- Epileptischer Anfall: Sensibilitätsstörungen wie Kribbeln und „Ameisenlaufen“ bei einfach-fokalen Anfällen.
- Fibromyalgie: Chronische Schmerzerkrankung mit tiefem Muskelschmerz, Steifigkeit, Brennen, Kribbeln oder Taubheitsgefühl, oft an Rücken, Brust, Nacken, Armen und Beinen.
- Multiple Sklerose: Gefühlsstörungen, Sensibilitätsstörungen und Missempfindungen wie Kribbeln, Taubheit oder neuropathische Schmerzen zählen zu den frühesten und häufigsten Symptomen.
- Parkinson: Neben den typischen Symptomen wie Muskelsteifigkeit, Bewegungsverlangsamung und Zittern können auch Gefühlsstörungen wie Kribbeln, Taubheitsgefühle oder ein diffuses Missempfinden auftreten.
- Migräne: Insbesondere bei einer Migräne mit Aura können Gefühlsstörungen wie Kribbeln oder Taubheitsgefühle frühe Anzeichen einer beginnenden Attacke sein.
- Psychische Störungen: Besonders bei Angstzuständen, Panikattacken oder chronischem Stress kann das vegetative Nervensystem überreagieren und körperliche Symptome hervorrufen.
Diagnose von Taubheitsgefühlen
Um die Ursache von Taubheitsgefühlen zu ermitteln, ist eine gründliche Anamnese und Untersuchung durch einen Arzt erforderlich.
Anamnese
Der Arzt wird Fragen stellen wie:
- Seit wann besteht das Taubheitsgefühl?
- Ist es dauerhaft oder tritt es nur zeitweise auf?
- Tritt es ein- oder beidseitig auf?
- Gab es einen Auslöser, wie eine Verletzung oder ungewohnte Bewegung?
- Liegen Vorerkrankungen wie Diabetes mellitus vor?
Körperliche Untersuchung
Der Arzt untersucht den betroffenen Bereich, um festzustellen, welche Regionen betroffen sind und ob neurologische Ausfälle vorliegen. Dabei werden Reflexe, Gehör, Sehvermögen und Gleichgewichtssinn geprüft. Nimmt man Reize auf der Haut nicht mehr richtig wahr, etwa einen Piks mit der Nadel, sind meist die kleinen Nervenenden geschädigt.
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Weitere Untersuchungen
Je nach Verdacht können weitere Untersuchungen erforderlich sein:
- Bluttests: Zur Bestimmung des Blutzuckerspiegels, von Vitamin- und Mineralstoffmengen sowie Entzündungswerten. Eine Blutanalyse kann zum Beispiel einen Mangel an Magnesium oder Vitamin B12, aber auch einen Überschuss an Kalium als Auslöser von Kribbeln aufdecken.
- Bildgebende Verfahren: Röntgen, Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) zur Darstellung von Nerven, Gehirn, Rückenmark und anderen Strukturen.
- Dopplersonographie: Zur Untersuchung der Blutgefäße.
- Elektroneurographie (ENG): Messung der Nervenleitgeschwindigkeit, um Nervenschädigungen festzustellen. Bei der Elektroneurografie (ENG) misst der Arzt, wie schnell periphere Nerven (etwa in Armen oder Beinen) Informationen weiterleiten. Das Ergebnis kann auf Nervenschädigungen hinweisen, das das Kribbeln verursachen (z.B. bei Polyneuropathie oder Karpaltunnelsyndrom).
- Elektromyographie (EMG): Messung der elektrischen Muskelaktivität.
- Elektroenzephalographie (EEG): Messung der Hirnströme bei Verdacht auf Epilepsie.
- Liquoruntersuchung: Analyse der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit.
- Quantitative Sensorische Testung: Durch sieben verschiedene Gefühlstests an der Haut werden 13 Werte ermittelt. Sie helfen zu erkennen, welche Nervenfasern genau geschädigt sind und wie stark die Schädigung fortgeschritten ist.
- Thermode: Um das Temperaturempfinden exakt zu messen, kommen bei der sogenannten Thermode computergesteuerte Temperaturreize zum Einsatz.
- Nerv-Muskel-Biopsie: Dazu wird eine sogenannte Nerv-Muskel-Biopsie aus dem Schienbein entnommen und feingeweblich untersucht. Hierbei wird festgestellt, ob der Schaden an der Hüllsubstanz des Nerven (Myelin) oder am Nerven selbst entstanden ist.
- Hautbiopsie: Für die richtige Diagnose ist die Quantitative Sensorische Testung mit Messung des Temperaturempfindens entscheidend. Darüber hinaus kann eine Gewebeprobe aus der Haut (Hautbiopsie) unter dem Mikroskop untersucht werden.
Behandlung von Taubheitsgefühlen
Die Behandlung von Taubheitsgefühlen richtet sich nach der zugrunde liegenden Ursache.
- Grunderkrankungen behandeln: Liegt eine Grunderkrankung wie Diabetes, Polyneuropathie oder Borreliose vor, muss diese entsprechend behandelt werden.
- Vitaminmangel ausgleichen: Bei einem Mangel an Vitamin B12 oder Folsäure kann eine Supplementierung helfen.
- Nerven entlasten: Bei einem Karpaltunnelsyndrom oder Bandscheibenvorfall können entlastende Maßnahmen wie Physiotherapie, Schienen oder operative Eingriffe erforderlich sein.
- Schmerzlinderung: Schmerzmittel, Antidepressiva oder Antikonvulsiva können zur Schmerzlinderung eingesetzt werden.
- Physiotherapie: Gezielte Übungen können helfen, die Muskulatur zu kräftigen und die Beweglichkeit zu verbessern. Gegen die fortschreitende Gangunsicherheit wirkt Gleichgewichtstraining in der Physiotherapie.
- Elektrotherapie: Durch Impulse aus einem speziellen Gerät werden die Nerven so stimuliert, dass Erkrankte statt Schmerzen ein leichtes Kribbeln spüren. Von außen lässt sich dieses durch ein TENS-Gerät erreichen.
- Capsaicin-Pflaster: In Studien hat sich Capsaicin in Form von Capsaicin-Pflastern auf der Haut als erfolgversprechendes Mittel gegen Polyneuropathie erwiesen.
Was Sie selbst tun können
Neben der ärztlichen Behandlung können Sie auch selbst einiges tun, um Ihr Nervensystem zu unterstützen:
- Sitzposition überprüfen: Vermeiden Sie langes Sitzen mit gekreuzten Beinen, da dies die Blutversorgung stören kann. Wechseln Sie häufig die Sitzposition und stehen Sie regelmäßig auf.
- Durchblutung ankurbeln: Fördern Sie die Durchblutung durch regelmäßige Bewegung wie Spaziergänge oder Radfahren.
- Gefäße gesund halten: Vermeiden Sie Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel.
- Körperbewusstsein trainieren: Übungen wie Yoga oder Body Scan können helfen, das Körperbewusstsein zu verbessern und Spannungen abzubauen.
- Ausgewogene Ernährung: Achten Sie auf eine vitaminreiche und ausgewogene Ernährung, um Ihr Nervensystem mit den richtigen Nährstoffen zu versorgen. Viel Vitamin B12 steckt zum Beispiel in Leber, Fleisch, Fisch, Milch, Eiern sowie in pflanzlichen Lebensmitteln, die mittels Gärung entstehen (wie Sauerkraut). Gute Quellen für Pantothensäure sind Leber, Muskelfleisch, Fisch, Milch, Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte.
- Magnesium: Steckt Magnesiummangel hinter dem Kribbeln, sollten Sie vermehrt zu magnesiumreichen Lebensmitteln wie Vollkornprodukten, Milch und Milchprodukten, Leber, Geflügel, Fisch, verschiedenen Gemüsearten und Kartoffeln greifen.
- Hausmittel: Wenn ein Brennen oder Kribbeln an den Lippen Herpesbläschen ankündigt, sollten Sie sofort reagieren. Bewährte Hausmittel sind das wiederholte Auftupfen von eingetrocknetem oder frischem Rotwein sowie Auflagen mit Eichenrinden-, Johanniskraut-, Salbei- oder Zaubernusstee. Bei Kribbeln auf den Lippen können Sie auch Propolis, ätherisches Minzöl oder Teebaumöl (verdünnt) auftragen. Kündigt sich ein Schnupfen durch Kribbeln in der Nase, Niesreiz und trockene Nasenschleimhaut an, können Sie den Krankheitsausbruch oft noch mit einer Inhalation verhindern.
Wann sollten Sie einen Arzt aufsuchen?
In den meisten Fällen sind Kribbeln und Taubheitsgefühle harmlos. Sie sollten jedoch einen Arzt aufsuchen, wenn:
- das Kribbeln oder Taubheitsgefühl neu auftritt und keine erkennbare Ursache hat.
- das Kribbeln oder Taubheitsgefühl anhaltend, häufig wiederkehrend oder sich verschlimmernd ist.
- das Kribbeln oder Taubheitsgefühl von weiteren Beschwerden wie Muskelschwäche oder Lähmungen begleitet wird.
- plötzliches Taubheitsgefühl und Lähmungen auf einer Körperseite auftreten, da dies auf einen Schlaganfall hindeuten kann.
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