Demenz ist mehr als nur Vergesslichkeit. Sie verändert das gesamte Sein eines Menschen, seine Wahrnehmung, sein Erleben und sein Verhalten. Dieser Artikel beleuchtet, was Menschen mit Demenz wirklich brauchen, um ein würdevolles und erfülltes Leben zu führen.
Demenz verstehen: Mehr als nur Gedächtnisverlust
Eine Demenz kommt oft schleichend und betrifft nicht nur die Erkrankten selbst, sondern auch ihr gesamtes soziales Umfeld. Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Form der Demenz. Typische Symptome sind Gedächtnis- und Merkfähigkeitsstörungen, Beeinträchtigungen des Denkens, der Sprache, der Wahrnehmung, der logischen Argumentation und des Verhaltens. Anfangs äußert sich dies oft durch Vergesslichkeit, das Verlegen von Gegenständen, das Verpassen von Terminen oder das Vergessen von Namen. Betroffene können in fremden Umgebungen zunehmend orientierungslos sein.
Im weiteren Verlauf der Erkrankung nehmen die Beeinträchtigungen im Denkvermögen zu. Erinnerungen aus dem Langzeitgedächtnis verblassen, Gegenstände verlieren ihre Bedeutung, Sprachstörungen treten auf, und auch der körperliche Zustand verschlechtert sich. Besonders belastend für Angehörige sind Persönlichkeitsveränderungen und Verhaltensstörungen wie Aggressivität, Streitlust, Ablehnung, aber auch starke Anhänglichkeit und Angstreaktionen. Einige Betroffene leben wieder in ihrer Kindheit oder Jugend und erkennen ihre Angehörigen nicht mehr.
Es ist wichtig zu erkennen, dass Demenz weit über den Verlust geistiger Fähigkeiten hinausgeht. Sie beeinflusst die Wahrnehmung, das Verhalten und das Erleben der Betroffenen - ihr gesamtes Sein. In ihrer Welt haben Dinge und Ereignisse oft eine ganz andere Bedeutung als für gesunde Menschen. Da sich Betroffene oft nur im Anfangsstadium der Demenz selbst mitteilen können, müssen Betreuende versuchen, sich in ihre Welt hineinzuversetzen, um sie zu verstehen.
Die Bedeutung der Biografie
Der Schlüssel zu vielen Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz liegt in ihrer Biografie. Einschneidende Erlebnisse, persönliche Ängste und Charaktereigenschaften zu kennen, hilft, sie auch im Verlauf der Demenz besser zu verstehen. Wer sich beispielsweise nicht mehr an die Person erinnert, die beim Anziehen helfen möchte, empfindet dies möglicherweise als Zumutung und reagiert entsprechend.
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Herausforderungen im Alltag
Die Schwierigkeit, sich Dinge zu merken, steht oft am Beginn einer Demenzerkrankung. Betroffene können neue Informationen nicht mehr im Langzeitgedächtnis speichern, vergessen Termine, verlegen Gegenstände oder erinnern sich nicht an Namen. Oft bemerken sie ihre Leistungsverluste schneller als andere und versuchen, ihre Vergesslichkeit zu verbergen, was zu Verunsicherung und Scham führen kann. Im weiteren Verlauf der Demenz werden sie sich ihrer Gedächtnisprobleme jedoch immer weniger bewusst, leiden aber weiterhin unter den Folgen, wie dem Verlust von Unabhängigkeit. Mit der Zeit verblassen auch bereits eingeprägte Inhalte des Langzeitgedächtnisses, das logische Denken wird beeinträchtigt, erworbene Fähigkeiten gehen verloren und das Sprachvermögen nimmt ab.
Was Menschen mit Demenz brauchen: Ein ganzheitlicher Ansatz
Menschen mit Demenz brauchen ein Umfeld, das ihre Bedürfnisse respektiert und ihnen hilft, ihre Lebensqualität so lange wie möglich zu erhalten. Dazu gehören:
1. Wertschätzung und Respekt
- Akzeptanz: Es ist wichtig, die betroffene Person so anzunehmen, wie sie ist, und zu akzeptieren, was sie tatsächlich leisten kann.
- Respektvoller Umgang: Menschen mit Demenz sollten nicht bevormundet, herabgewürdigt oder vom Alltag ausgeschlossen werden. Sie sind Individuen mit einer persönlichen Lebensleistung.
- Selbsterhaltungstherapie (SET): Diese Therapie betont, wie wichtig es ist, das Selbstbild und die Selbstwahrnehmung von Menschen mit Demenz zu erhalten. Dies bedeutet, einen respektvollen Umgang zu pflegen, falsche Angaben zu bestätigen, wenn dies der Stabilität dient, und die betroffene Person zu ermutigen, Erledigungen selbst zu machen, Wünsche zu äußern und an Aktivitäten teilzunehmen.
2. Kommunikation
- Klare und einfache Kommunikation: Sprechen Sie langsam und deutlich, verwenden Sie einfache Sätze und vermeiden Sie komplizierte Begriffe. Halten Sie sich an vertraute Abläufe, um Sicherheit zu geben.
- Nonverbale Kommunikation: Da Worte an Bedeutung verlieren, sind Gesten, Körpersprache und Mimik besonders wichtig. Versuchen Sie, sich in die Gefühlswelt der betroffenen Person hineinzuversetzen.
- Erinnerungsstützen: Kleine Zettel mit Informationen zum Alltagsablauf oder Antworten auf häufig gestellte Fragen können hilfreich sein. Auch ein "Familienposter" mit Fotos und Informationen zu Familienmitgliedern und Betreuern kann die Orientierung erleichtern.
- Kommunikationsregeln: Stellen Sie Blickkontakt auf Augenhöhe her, sprechen Sie die Person mit ihrem Namen an, verwenden Sie Dialekt, wenn möglich, und vermeiden Sie Fachwörter, Jugendsprache und Ironie. Formulieren Sie Fragen so, dass sie einfach zu beantworten sind, und geben Sie der Person Zeit, zu antworten. Wiederholen Sie wichtige Informationen und loben Sie die Person für das, was sie gut macht.
3. Orientierung und Sicherheit
- Klare Tagesstruktur: Eine klare Tagesstruktur mit festen Zeiten für Mahlzeiten, Aktivitäten und Ruhephasen kann helfen, Orientierung zu geben. Tageslicht, frische Luft und feste Abläufe am Tag sowie Ruhe und gedimmtes Licht am Abend fördern die Schlafqualität.
- Sichere Umgebung: Eine übersichtliche und aufgeräumte Wohnumgebung hilft, sich besser zu orientieren und reduziert das Risiko von Verwirrung oder Stress. Vermeiden Sie überladene Dekorationen.
- Orientierungshilfen: Ein großer, leicht verständlicher Wochenplan, ein Kalender mit ausgeschriebenen Wochentagen und Daten sowie eine gut sichtbare Wanduhr können bei der zeitlichen Orientierung helfen. Demenz-Uhren mit Ortungssystem können zusätzliche Sicherheit bieten.
- Sicherheitsmaßnahmen: Herdsicherungen, Rauchmelder und das sichere Verwahren von gefährlichen Gegenständen tragen dazu bei, Unfälle zu vermeiden.
4. Aktivitäten und Beschäftigung
- Kognitives Training: Fordern Sie die verbliebenen Fähigkeiten heraus. Konkrete Tipps und Übungen für das Gedächtnistraining finden Sie in speziellen Ratgebern.
- Kreative Therapien: Zeichnen, Malen, Gestalten und Musizieren sind nicht nur Beschäftigungen, sondern auch Ausdrucksformen, die motorisches Geschick, Konzentration und die Auseinandersetzung mit eigenen Erinnerungen und Emotionen fördern.
- Milieutherapie: Gestalten Sie die Umwelt der Erkrankten demenzgerecht, um ihr Wohlbefinden zu steigern und herausforderndes Verhalten zu verringern.
- Sensorische Therapie (Snoezelen): Schaffen Sie eine angenehme Atmosphäre mit Lichtprojektionen, beruhigender Musik, Duftstoffen und Gegenständen zum Befühlen, um die sinnliche Wahrnehmung anzusprechen.
- Tiergestützte Therapie: Der Umgang mit Tieren kann die sinnliche Wahrnehmung und die Sozialfähigkeit fördern.
5. Körperliches Wohlbefinden
- Ernährung: Achten Sie auf eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten, fettem Seefisch und Olivenöl. Vermeiden Sie stark verarbeitete Lebensmittel.
- Bewegung: Fördern Sie die Mobilität durch Physiotherapie und regelmäßige Bewegung.
- Schmerzlinderung: Achten Sie auf Anzeichen von Schmerzen und konsultieren Sie einen Arzt, um geeignete Schmerzmittel zu finden.
- Ergotherapie: Helfen Sie, motorische Fähigkeiten zu erhalten und zu trainieren, um die Eigenständigkeit so lange wie möglich zu fördern.
6. Unterstützung für Angehörige
- Information und Beratung: Nehmen Sie die Unterstützung von Pflegeberatungsstellen, Pflegestützpunkten und der Deutschen Alzheimer Gesellschaft in Anspruch.
- Pflegekurse: Besuchen Sie Pflegekurse für Angehörige, um den Umgang mit Demenz besser zu verstehen.
- Selbsthilfegruppen: Tauschen Sie sich mit anderen Angehörigen aus, um Erfahrungen zu teilen und Unterstützung zu finden.
- Entlastung: Nehmen Sie Entlastungsangebote wie Tagespflege oder ambulante Pflegedienste in Anspruch, um sich selbst zu entlasten und neue Kraft zu schöpfen.
- AOK-Familiencoach Pflege: Nutzen Sie das Online-Selbsthilfeprogramm der AOK, um den psychisch belastenden Pflegealltag besser zu bewältigen.
7. Medikamentöse Behandlung
- Antidementiva: In Deutschland sind derzeit vier Antidementiva zugelassen, die bei Alzheimer-Demenz positive Effekte zeigen können.
- Antidepressiva: Diese Medikamente können bei Depressionen eingesetzt werden, die häufig als Begleiterscheinung von Demenz auftreten.
- Neuroleptika (Antipsychotika): Diese Medikamente können bei Halluzinationen und starker innerer Unruhe eingesetzt werden, sollten aber aufgrund ihrer Nebenwirkungen nur als letzte Option in Betracht gezogen werden.
- Ginkgo-Präparate: Diese Präparate können die Durchblutung im Gehirn fördern und Begleiterscheinungen einer Demenz im Frühstadium lindern.
8. Rechtliche Aspekte
- Patientenverfügung: Erstellen Sie eine Patientenverfügung, um sicherzustellen, dass Ihre medizinischen Wünsche auch in unerwarteten Situationen respektiert werden.
- Vorsorgevollmacht: Erteilen Sie eine Vorsorgevollmacht, um eine Vertrauensperson zu bevollmächtigen, in Ihrem Namen Entscheidungen zu treffen, wenn Sie selbst dazu nicht mehr in der Lage sind.
Herausforderndes Verhalten verstehen und bewältigen
"Herausforderndes" Verhalten umfasst Verhaltensänderungen, die im Verlauf einer Demenzerkrankung auftreten und motorische, verbale oder apathische Verhaltensweisen umfassen können. Es ist wichtig zu verstehen, dass dieses Verhalten oft eine Form der Kommunikation ist und durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden kann, wie z.B. körperliche Ursachen (Schmerzen, Hunger), Medikamentennebenwirkungen, Langeweile oder unerfüllte Bedürfnisse.
Lösungsansätze zum Umgang mit "herausforderndem Verhalten" sind:
- Verhalten verstehen: Versuchen Sie, das Verhalten möglichst präzise zu beschreiben und die Situationen zu identifizieren, in denen es auftritt.
- Perspektivenwechsel: Versetzen Sie sich in die Situation der betroffenen Person hinein, um ihre Gefühle und Bedürfnisse besser zu verstehen.
- Hilfe holen: Nehmen Sie die Unterstützung von Pflegediensten, Tagespflegeeinrichtungen oder anderen Fachleuten in Anspruch.
- Situation verlassen: Wenn der Geduldsfaden reißt, verlassen Sie die Situation kurzzeitig, um sich zu beruhigen.
Kommunikation bei Demenz: Wege zum Verständnis
Mit fortschreitender Demenz verändert sich die Kommunikationsfähigkeit der Betroffenen stark. Es ist wichtig, sich auf diese Besonderheiten einzustellen, um weiterhin gut mit ihnen kommunizieren zu können.
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- Perspektivenwechsel: Versuchen Sie, sich in die Situation des Demenzkranken hineinzuversetzen, der möglicherweise orientierungslos ist oder eine Situation nicht einordnen kann.
- Bedeutungsverlust von Worten: Machen Sie sich bewusst, dass Worte an Bedeutung verlieren und Gesten, Körpersprache und Mimik wichtiger werden.
- Fröhliche Momente: Erkennen Sie, dass es auch fröhliche Momente mit einer Demenzerkrankung geben kann, in denen Betroffene Sorgen und Ängste verlieren und im Moment leben.
Alltagshilfen und Hilfsmittel
Alltagshilfen und Hilfsmittel können Menschen mit Demenz helfen, so lange wie möglich selbstständig und sicher in den eigenen vier Wänden zu leben. Die Bandbreite reicht von Sicherheitsvorkehrungen über die Förderung der Motorik bis hin zur Gedächtnisstützung.
- Erinnerungshilfen: Sprechende Zeitplaner helfen, den Tagesablauf zu strukturieren und an wichtige Aufgaben zu erinnern.
- Technische Hilfsmittel: Schlüsselfinder, Ortungssysteme, spezielle Telefone und Notfalluhren sorgen für mehr Sicherheit und Übersicht.
- Demenz-Geschirr: Speziell entwickeltes Geschirr erleichtert das Essen und Trinken.
- Anpassung der Wohnumgebung: Eine übersichtliche und aufgeräumte Wohnumgebung hilft, sich besser zu orientieren.
- Sicherheitsmaßnahmen: Herdsicherungen und Rauchmelder minimieren das Unfallrisiko.
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