Polyneuropathie ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, die oft mit einer Vielzahl von Beschwerden einhergeht. In diesem Artikel werden wir die verschiedenen Aspekte der Polyneuropathie-Behandlung beleuchten, von den Ursachen und Symptomen bis hin zu den neuesten Therapieansätzen und Alltagstipps.
Was ist Polyneuropathie?
Unter Polyneuropathie versteht man eine Gruppe von Erkrankungen, bei denen das periphere Nervensystem außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks geschädigt ist. Das periphere Nervensystem ist ein komplexes Netzwerk von Nerven, das Informationen zwischen dem Gehirn und dem Rest des Körpers überträgt. Es steuert Muskelbewegungen, Empfindungen wie Berührung, Temperatur und Schmerz sowie die Funktion der inneren Organe. Bei einer Polyneuropathie ist diese Reizweiterleitung der Nerven gestört. Reize werden nicht, zu stark oder abgeschwächt an das Gehirn geleitet. Kommandos vom Gehirn werden nicht mehr zuverlässig an die Muskeln und die inneren Organe weitergeleitet.
Es gibt zwei Haupttypen von Schädigungen:
- Demyelinisierende Polyneuropathie: Hierbei zerfällt die Isolation (Myelin) um die Nervenfasern herum, was die elektrische Impulsweiterleitung beeinträchtigt.
- Axonale Polyneuropathie: Hierbei geht die Nervenfaser selbst zugrunde.
Beide Formen können auch kombiniert auftreten. Die Polyneuropathie gehört zu den häufigsten neurologischen Krankheiten.
Ursachen der Polyneuropathie
In den meisten Fällen liegt einer Polyneuropathie eine Stoffwechsel-Erkrankung zugrunde. Insgesamt gibt es mehr als 2.000 Auslöser für eine Polyneuropathie. Die häufigsten Ursachen sind:
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- Diabetes mellitus: Ein dauerhaft hoher Blutzuckerspiegel schädigt die Nerven.
- Alkoholmissbrauch: Alkohol wirkt nervenschädigend bei langjährigem, hohem Konsum.
- Schilddrüsenerkrankungen
- Nierenerkrankungen
- Lebererkrankungen
- Krebserkrankungen
- Medikamente gegen Krebs (Chemotherapeutika)
- Vitaminmangel (Vitamin B12) nach Magen-Operationen
- Infektionen (z.B. HIV, Borreliose, Diphtherie, Pfeiffersches Drüsenfieber)
- Entzündungen der Nerven (Polyneuritis), z.B. Guillain-Barré-Syndrom (GBS)
Nicht immer lässt sich eine eindeutige Ursache feststellen (idiopathische Neuropathie).
Symptome der Polyneuropathie
Die Symptome einer Polyneuropathie können vielfältig sein und hängen davon ab, welche Nerven betroffen sind. Mediziner unterscheiden sensible, motorische und autonome Polyneuropathien. Manche Menschen sind auch von mehreren Formen gleichzeitig betroffen.
Sensible Symptome
Diese Symptome betreffen die Nerven, die Informationen von der Haut zum Gehirn senden. Typische Anzeichen sind:
- Kribbeln
- Stechen
- Taubheitsgefühle
- Schwellungsgefühle
- Druckgefühle
- Gangunsicherheit
- Fehlerhaftes Temperaturempfinden
- Brennen, Jucken
- Vermindertes Schmerzempfinden
Die Symptome beginnen meistens an den Füßen, später an den Händen und steigen dann langsam auf, Richtung Körpermitte.
Motorische Symptome
Diese Symptome betreffen die Nerven, die Signale vom Gehirn zu den Muskeln weiterleiten:
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- Muskelzucken
- Muskelkrämpfe
- Muskelschwäche
- Muskelschwund
Autonome Symptome
Diese Symptome betreffen die Nerven, die die Funktion der Organe beeinflussen:
- Herzrhythmusstörungen
- Blähgefühl und Appetitlosigkeit, Aufstoßen
- Durchfall und Verstopfung im Wechsel
- Urininkontinenz, Stuhlinkontinenz
- Impotenz
- Gestörtes Schwitzen
- Schlechte Kreislaufregulation mit Schwindel beim Aufstehen (Orthostase)
- Schwellung von Füßen und Händen (Wassereinlagerungen)
Diabetische Polyneuropathie
Bei den meisten Diabetikern besteht in Folge des Diabetes eine Polyneuropathie. Die Symptome zeigen sich zuerst und vor allem im Fuß. Es beginnt meistens mit einem Kribbeln oder Brennen im Fuß. Im späteren Verlauf treten wegen fehlendem Gefühl im Fuß schmerzlose und schlecht heilende Wunden auf, die zu einer Nekrose (schwarzer Verfärbung und Absterben von Zehen, Fuß usw.) führen können (Diabetischer Fuß).
Diagnose der Polyneuropathie
Eine frühzeitige Diagnose ist entscheidend für eine erfolgreiche Behandlung. Folgende Untersuchungsmethoden werden eingesetzt:
- Anamnese: Der Arzt erfragt die Krankengeschichte und die vorliegenden Beschwerden.
- Körperliche Untersuchung: Prüfung von Muskelkraft, Reflexen und Reizempfinden.
- Elektroneurographie (ENG): Messung der Nervenleitgeschwindigkeit, um die Funktion der Nerven zu überprüfen.
- Elektromyographie (EMG): Messung der Muskelaktivität, um festzustellen, wie die Muskeln auf Nervensignale reagieren.
- Quantitative Sensorische Testung (QST): Messung verschiedener Gefühlsempfindungen auf der Haut, um festzustellen, welche Nervenfasern geschädigt sind.
- Thermode: Computergesteuerte Temperaturreize zur exakten Messung des Temperaturempfindens.
- Biopsie: Entnahme einer Gewebeprobe (Nerv-Muskel-Biopsie oder Hautbiopsie) zur Untersuchung unter dem Mikroskop, um die Ursache der Polyneuropathie zu finden.
- Blutuntersuchungen: Zum Aufdecken behandelbarer Ursachen wie Vitaminmangel oder Diabetes.
- Liquoruntersuchung: Analyse des Nervenwassers, um entzündliche Ursachen festzustellen.
- Genetische Tests: Bei Verdacht auf eine genetische Polyneuropathie.
- Bildgebende Verfahren: Bei Bedarf, um andere Erkrankungen auszuschließen.
Behandlung der Polyneuropathie
Am besten lässt sich eine Polyneuropathie therapieren, wenn die Ursache herausgefunden und behandelt werden kann. Aber auch dann braucht es viele Wochen bis Monate, bis sich die Nerven erholen. Die Behandlung zielt darauf ab, die Ursache zu beseitigen oder zu behandeln, Schmerzen zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern.
Kausale Therapie
Die Behandlung der Grunderkrankung steht im Vordergrund:
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- Diabetes: Optimierung der Blutzuckereinstellung durch Ernährung, Bewegung und Medikamente.
- Alkoholmissbrauch: Absolute Alkoholabstinenz.
- Vitaminmangel: Ausgleich des Mangels durch Ernährungsumstellung oder Nahrungsergänzungsmittel.
- Infektionen: Behandlung mit Antibiotika oder antiviralen Medikamenten.
- Autoimmunerkrankungen: Behandlung mit entzündungshemmenden Medikamenten wie Kortison oder Immunglobulinen.
Symptomatische Therapie
Auch wenn die Ursache Ihrer Erkrankung nicht eindeutig sein sollte, kann man Polyneuropathie symptomatisch behandeln. Dazu nutzen wir vor allem physikalische Therapie und Medikamente:
- Schmerztherapie:
- Antidepressiva: Medikamente, die ursprünglich gegen Depressionen entwickelt wurden, können auch bei Nervenschmerzen wirksam sein, indem sie die Weiterleitung von Schmerzsignalen im Rückenmark dämpfen (z.B. Amitriptylin, Duloxetin, Venlafaxin).
- Antikonvulsiva: Medikamente gegen Krampfanfälle (Epilepsie), die die Erregbarkeit von Nervenzellen dämpfen (z.B. Gabapentin, Pregabalin, Carbamazepin).
- Opioide: Bei starken Schmerzen können Opioide eingesetzt werden, jedoch nur kurzzeitig aufgrund des Suchtpotentials.
- ** Capsaicin-Pflaster:** Capsaicin ist für die Schärfe der Chilischoten verantwortlich und hat sich in Form von Capsaicin-Pflastern auf der Haut in Studien als erfolgversprechendes Mittel gegen Polyneuropathie erwiesen. Es betäubt nicht nur den schmerzenden Bereich und steigert die Durchblutung, sondern scheint sogar die Neubildung kleiner Nervenfasern anzuregen.
- Physikalische Therapie:
- Bäder, Elektrotherapie und Wärmeanwendungen: Zur Linderung sensibler und motorischer Symptome.
- Krankengymnastik, Sporttherapie und medizinische Trainingstherapie: Spezielle Übungen zur Stärkung der geschwächten Muskulatur.
- Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS): Ein kleines elektrisches Gerät, das über Elektroden mit der schmerzhaften Hautregion verbunden ist und elektrische Impulse abgibt, um die Nerven zu reizen.
- Gleichgewichtstraining: In der Physiotherapie gegen Gangunsicherheit.
- Weitere Therapien:
- Ergotherapie: Unterstützung bei ungünstigen Bewegungsabläufen oder Gleichgewichtsstörungen.
- Orthesen: Spezielle Schienen zur Stabilisierung von Händen und Füßen bei Muskellähmungen.
- Akupunktur: Die gezielten Reize der Akupunktur die Nerven beleben.
Behandlung von Begleiterscheinungen
- Magen- und Darmprobleme: Häufigere, kleinere Mahlzeiten, Medikamente gegen Übelkeit und Durchfall.
- Schwindel und körperliche Schwäche: Stützstrümpfe und regelmäßiges Muskeltraining.
- Blasenschwäche: Regelmäßige Toilettengänge.
- Potenzschwäche: Erektionshilfesysteme oder Wirkstoffe wie Sildenafil.
- Trockenheit der Scheide: Spezielle Gleitmittel und Gele.
Rehabilitation
Im Fachbereich für neurologische Rehabilitation werden Polyneuropathien nach einem ganzheitlichen und interdisziplinären Therapiekonzept behandelt. Zusammen mit Ihnen entwickeln wir einen für Sie geeigneten Therapieplan. Unsere Therapieziele sind:
- Optimalerweise die Wiederherstellung Ihrer gestörten Nervenfunktionen.
- Ersatzweise die Entwicklung von alternativen Strategien für Ihre gestörten Nervenfunktion anhand verbliebender körperlicher Funktionen.
- Anpassung von Hilfsmitteln: Wenn Hilfsmittel (z.B. Gehhilfen, Rollstühle) erforderlich sind, passen wir diese an Ihre Bedürfnisse und Lebensbedingungen an.
- Optimale Pflege und möglichst Regenerierung der Haut und der chronischen Wunden.
Tipps für den Alltag mit Polyneuropathie
Eine Polyneuropathie kann den Alltag erheblich beeinträchtigen. Hier sind einige Tipps, die helfen können, das Wohlbefinden zu steigern und Risiken zu minimieren:
- Blutzucker kontrollieren: Regelmäßige Kontrolle und Einnahme ärztlich verordneter Medikamente bei Diabetes.
- Füße kontrollieren: Regelmäßige Kontrolle der Füße auf Wunden, insbesondere bei Diabetes.
- Bewegen: Aquagymnastik oder Gehtraining können bei Schmerzen und Missempfindungen helfen.
- Hautpflege: Regelmäßiges Eincremen zur Vorbeugung trockener Haut und Entzündungen.
- Schutz vor Verbrennungen und Erfrierungen: Thermometer zur Überprüfung der Wassertemperatur, Verzicht auf Wärmflaschen und Heizdecken, warme Handschuhe und Schuhe im Winter.
- Sturzprophylaxe: Rutschfeste Böden, ausreichende Beleuchtung und Entfernung von Stolperfallen im Haus, festes Schuhwerk und Gehhilfen im Freien.
- Sexualität: Offenes Gespräch mit dem Arzt über sexuelle Funktionsstörungen.
Studien zu neuen Therapieansätzen
Aufgrund der unzureichenden Schmerzlinderung und häufiger Nebenwirkungen unter den derzeit verfügbaren Medikamenten werden in aktuellen Studien neue Therapeutika zur Behandlung neuropathischer Schmerzen untersucht. Cannabinoide und das "gene silencing" mutierter Gene.
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