Die Debatte um die Auswirkungen von sogenannten "Killerspielen" auf das Gehirn ist vielschichtig und kontrovers. Immer wieder werden Stimmen laut, die einen Zusammenhang zwischen exzessivem Konsum gewalthaltiger Videospiele und aggressivem Verhalten in der realen Welt sehen. Doch was sagt die Wissenschaft wirklich dazu? Dieser Artikel beleuchtet die aktuelle Forschungslage und versucht, ein differenziertes Bild der Thematik zu zeichnen.
Die Diskussion um "Killerspiele"
Machen "Killerspiele" am PC auch in der realen Welt gewalttätig? Sind exzessive Spieler gar potenzielle Amokläufer? Nach jedem Amoklauf eines Jugendlichen wird die Frage gestellt, ob „Killerspiele“ Auslöser oder Ursache der mörderischen Tat waren. Als "unverantwortliche Machwerke" unserer Gesellschaft bezeichnete sie der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber. Nach dem Amoklauf von Sebastian B. in Emsdetten diskutiert man wieder über die Auswirkungen von Computerspielen.
Nach den Attentaten in Norwegen verschwanden einige der "Ego-Shooter-Video-Spiele" sogar vorübergehend aus dem Handel. Auch nach den Amokläufen von Erfurt, Emsdetten und Winnenden flammte immer wieder die Debatte darüber auf, ob Gewaltspiele die Hemmschwelle senken und zu aggressivem Verhalten führen.
Was passiert im Gehirn von Spielern?
Die Neurowissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten wichtige Erkenntnisse darüber gewonnen, wie sich unser Gehirn durch Nutzung verändert. Manfred Spitzer, Professor für Psychiatrie, betont: "Ihr Gehirn ändert sich mit der Benutzung." Er erklärt, dass auch wenn wir wissen, dass virtuelle Welten nicht real sind, sie dennoch unser Verhalten beeinflussen können. Das Argument, wir wüssten doch, dass das nur virtuell ist, das stimmt einfach nicht. Wir mögen das wissen - auch wenn Sie vor dem Horrorfilm sitzen, wissen Sie, da ist ja ein Kameramann dabei gewesen. Wenn der Horrorfilm aber gut ist, dann vergessen Sie das und dann geht Ihnen der Herzschlag hoch, weil Sie sich ängstigen und weil Sie entsprechende emotionale Erlebnisse haben. Und die Computerspiele, die leben ja davon, dass die Erfahrungen sehr, ich sage mal: realitätsnah dargeboten werden - in dieser Hinsicht wurden die auch in den letzten Jahren immer besser -, und sie leben davon, dass Sie ja aktiv auch noch ins Geschehen eingreifen, also so da reintauchen, dass Sie vielleicht im Hinterkopf immer noch wissen: "Ja, ist bloß virtuell", aber es ist Teil Ihrer Lebenserfahrung. Und weil das so ist, deswegen ändern Sie sich auch - genauso wie Sie sich durch reale Gewalt ändern. Und deswegen machen Computerspiele tatsächlich gewaltbereiter. Das ist nachgewiesen.
Eine Studie der Universität Bonn untersuchte die Gehirnaktivität von intensiven Nutzern von "Ego-Shooter"-Spielen im Vergleich zu Nichtspielern. "Sie zeigen im Vergleich zu Ego-Shooter-Abstinenten deutliche Unterschiede in der Emotionsregulation", berichtet Erstautor Dr. Christian Montag vom Institut für Psychologie der Universität Bonn. Die Forscher stellten fest, dass bei den Gewaltspielnutzern der linke mediale Frontallappen, der für die Kontrolle von Angst und Aggression zuständig ist, deutlich geringer aktiviert war als bei den Kontrollpersonen. "Ego-Shooter reagieren nicht so stark auf das reale, negative Bildmaterial, weil sie durch ihre täglichen Computeraktivitäten daran gewöhnt sind", schließt Montag daraus. "Man könnte auch sagen, dass sie abgestumpfter sind als die Kontrollgruppe."
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Auf der anderen Seite zeigten die Ego-Shooter-Videospieler im Unterschied zu Kontrollpersonen während der Verarbeitung der Computerspielbilder eine erhöhte Aktivität in Hirnarealen, die mit Gedächtnisabruf und Arbeitsspeicher assoziiert sind. "Dies deutet darauf hin, dass die Spieler sich durch die Computerspielbilder in das Videospiel hineinversetzten und eine mögliche Löungsstrategie für den gezeigten Spielstand suchten", sagt Dr. Montag.
Abstumpfung und Empathie
Die Ergebnisse der Studie der Universität Bonn deuten darauf hin, dass exzessives "Ego-Shooting" zu einer Abstumpfung gegenüber negativen Emotionen führen kann. "Die geringere Emotionsregulierung bei Ego-Shootern stellten wir schließlich auch beim realen Bildmaterial fest", sagt Dr. Montag. "Deshalb seien die Reaktionen nicht auf die virtuellen Welten beschränkt."
Allerdings gibt es auch Studien, die zu anderen Ergebnissen kommen. Eine Studie von Gregor Szycik von der Medizinischen Hochschule Hannover untersuchte, ob Spieler von gewalthaltigen Games weniger einfühlsam sind als Nichtspieler. Ergebnis: Zocker sind so empathisch wie andere Menschen. Sowohl beim Fragebogen als auch bei der Hirnscan-Untersuchung gab es keine Unterschiede zwischen Spielern und Nichtspielern. Das heißt, in der Kernspin-Untersuchung waren bei beiden Gruppen jene Hirnareale aktiv, die mit Mitgefühl verknüpft sind. Die Spieler waren - in dieser Hinsicht - völlig normal. Die im Fachblatt „Frontiers in Psychology“ veröffentlichte Untersuchung bestätigt eine Studie der gleichen Forschergruppe von 2016. Damals hatten sie getestet, ob Gewalt-Gamer abgestumpfter sind als ihre Zeitgenossen. „Wir haben keinen Unterschied festgestellt“, erinnert sich der Studienleiter Gregor Szycik. „Das hat uns total überrascht, denn wir hatten angenommen, dass Spiele emotional abstumpfen - aber auch, als wir eine zweite Gruppe zusätzlich untersuchten, konnten wir keine Differenz feststellen.“
Ursache oder Wirkung?
Eine zentrale Frage bei der Interpretation der Forschungsergebnisse ist, ob die veränderte Hirnaktivität durch die Spiele verursacht wird oder ob die Nutzer von Anfang an gewalttoleranter waren und deshalb bevorzugt zu "Ego-Shootern" greifen. Die Forscher der Universität Bonn berücksichtigten verschiedene Persönlichkeitsmerkmale wie Ängstlichkeit, Aggressivität, Gefühlskälte oder emotionale Stabilität. "Hier zeigten sich zwischen den Probanden und der Kontrollgruppe keine Unterschiede", berichtet Dr. Montag. "Das ist ein Hinweis darauf, dass die Gewaltspiele die Ursache für die unterschiedliche Informationsverarbeitung im Gehirn sind."
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die Forschungslage noch nicht eindeutig ist und weitere Studien erforderlich sind, um den Zusammenhang zwischen Gewaltspielen, Hirnaktivität und tatsächlichem Verhalten noch stärker zu beleuchten.
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Alternativen zu Andersons Gewalt-Monopol
Die Idee, dass „Killerspiele“ verrohen und zu Gewalt führen, geht auf den amerikanischen Psychologen Craig Anderson und sein „Allgemeines Aggressionsmodell“ zurück. Es zieht eine direkte Linie vom gewalthaltigen Spiel zur Gewalt in der Realität. Andersons Idee ist bis heute einflussreich, aber sein „Gewalt-Monopol“ verliert an Boden. Studien wie die von Szycik legen nahe, dass die Wirklichkeit komplizierter ist.
Der amerikanische Psychologe Christopher Ferguson ist als scharfer Kritiker Andersons hervorgetreten und hat mit dem Katalysator-Modell einen Gegenentwurf vorgelegt. Danach wird der Hang zur Gewalt durch Gene und frühe Prägungen entscheidend bestimmt. Gewalt in den Medien hat dagegen nur geringen ursächlichen Einfluss.
Mit Stress verknüpfte Umwelteinflüsse führen im späteren Leben zu Gewalttaten, sie beschleunigen („katalysieren“) sie. Ob jemand in einer bestimmten Situation zur Aggression neigt, hängt dabei von seiner vorherbestimmten Neigung ab.
Langzeitwirkungen und Persönlichkeitsentwicklung
Eine Pilotstudie untersuchte die emotionalen Reaktionen von jungen Männern, die seit mindestens zwei Jahren mehr als vier Stunden täglich "Ego-Shooter" spielen, und verglich sie mit den Reaktionen einer Kontrollgruppe. "Das Gehirn von Kindern und Jugendlichen ist in seiner Formbarkeit äußerst anfällig für wiederholte negative Reize", sagte te Wildt. Aufgrund der aktuellen Forschungslage spreche einiges dafür, dass brutale Computerspiele die Persönlichkeitsentwicklung von Heranwachsenden nachhaltig beeinflussen könne, besonders, wenn früh damit begonnen werde.
Allerdings betonte der Forscher auch: "Wie bei psychischen Erkrankungen kommen für eine solche extreme Fehlentwicklung mehrere Faktoren zusammen. Allein Computerspiele machten jedoch niemanden zum Amokläufer."
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Die Rolle der Medienpädagogik
Manfred Spitzer kritisiert den Ruf nach mehr Medienpädagogik als pauschale Lösung: "Immer der Schrei, wir brauchen noch mehr Medienpädagogik, der ist falsch. Es gibt Studien, die zeigen, dass das überhaupt nichts bringt, den Umgang mit, ich sage mal: diesen furchtbaren Dingen lernen." Er plädiert stattdessen für eine Verteuerung von Gewaltmedien, beispielsweise durch eine Steuer, und für eine stärkere Eigenverantwortung der Eltern.
Positive Auswirkungen von Videospielen
Es ist wichtig, nicht nur die potenziellen Risiken, sondern auch die positiven Auswirkungen von Videospielen zu betrachten. Videospiele können kognitive Fähigkeiten wie logisches Denkvermögen, Problemlösungsfähigkeit, räumliches Denken und Gedächtnisbildung verbessern. Sie können auch die Feinmotorik, die Reaktionsfähigkeit und die Hand-Auge-Koordination trainieren.
Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus zeigte, dass Videospiele Hirnbereiche vergrößern können, die für räumliche Orientierung, Gedächtnisbildung, strategisches Denken sowie Feinmotorik bedeutsam sind.
Darüber hinaus können Videospiele soziale Kompetenzen wie Teamwork und Empathie fördern, insbesondere bei Mehrspieler-Games. Sie können auch Technikkompetenz vermitteln und persönliche Kompetenzen wie Durchhaltevermögen und Frustrationstoleranz stärken.
Computerspiele für den therapeutischen Einsatz
Neben der Unterhaltung können Videospiele auch im therapeutischen Bereich eingesetzt werden. Sogenannte "Serious Games" oder "Health Games" können beispielsweise bei der Rehabilitation nach einem Schlaganfall, bei der Behandlung von Depressionen oder bei der Förderung einer gesunden Lebensweise helfen.
Gaming und Sucht
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat das exzessive Spielen von Videospielen (Gaming Disorder) 2018 als psychische Erkrankung anerkannt. Nach dieser Definition liegt eine Computerspielsucht vor, wenn Gamerinnen und Gamer andere Interessen und tägliche Aktivitäten hinter dem Spielen zurückstellen, sie keine Kontrolle mehr über die Häufigkeit und Dauer des Spielens haben und wenn sie das exzessive Spielen fortsetzen, obwohl negative Konsequenzen drohen. Erst wenn sich dieses Verhalten über mindestens zwölf Monate hinweg zeigt und Gaming das Familienleben, die Ausbildung oder die Arbeit gravierend beeinträchtigt, kann von einer Computerspielsucht ausgegangen werden.
Was tun?
Was kann man also tun, um einen verantwortungsvollen Umgang mit Videospielen zu fördern? Hier einige Empfehlungen:
- Aufklärung: Informieren Sie sich über die potenziellen Risiken und Vorteile von Videospielen.
- Altersfreigaben beachten: Achten Sie auf die Altersfreigaben der Spiele und wählen Sie Spiele aus, die für das Alter Ihres Kindes geeignet sind.
- Spielzeit begrenzen: Vereinbaren Sie klare Regeln für die Spielzeit und achten Sie darauf, dass Ihr Kind genügend Zeit für andere Aktivitäten hat.
- Inhalte auswählen: Achten Sie auf die Inhalte der Spiele und vermeiden Sie Spiele, die exzessive Gewalt verherrlichen.
- Gespräch suchen: Sprechen Sie mit Ihrem Kind über seine Erfahrungen mit Videospielen und nehmen Sie seine Sorgen ernst.
- Vorbild sein: Leben Sie einen verantwortungsvollen Umgang mit Medien vor.
- Professionelle Hilfe suchen: Wenn Sie den Verdacht haben, dass Ihr Kind spielsüchtig ist, suchen Sie professionelle Hilfe.
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