Epilepsie: Arten, Diagnose und Behandlung – Ein umfassender Überblick

Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte, unprovozierte Anfälle gekennzeichnet ist, die durch plötzliche, abnormale elektrische Aktivität im Gehirn verursacht werden. Diese Anfälle können sich auf vielfältige Weise äußern und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Arten von Epilepsie, ihre Ursachen, Diagnosemethoden und Behandlungsansätze, um ein besseres Verständnis dieser komplexen Erkrankung zu ermöglichen.

Was ist Epilepsie?

Epilepsie ist eine chronische Erkrankung, bei der das Gehirn dazu neigt, spontan epileptische Anfälle auszulösen. Weltweit sind etwa 5 % der Bevölkerung mindestens einmal im Leben von einem epileptischen Anfall betroffen. Während solcher Anfälle ist die Großhirnrinde ganz oder teilweise übererregt, wodurch für kurze Zeit die Kontrolle über Bewusstsein, Bewegungen, Empfindungen oder andere Körperfunktionen beeinträchtigt sein kann.

Es ist wichtig zu betonen, dass nicht jeder Anfall gleichbedeutend mit Epilepsie ist. Ein einzelner epileptischer Anfall bedeutet nicht zwangsläufig, dass eine Epilepsie vorliegt, die mit Anfallssuppressiva behandelt werden muss. Eine Epilepsie liegt erst dann vor, wenn eine dauerhaft erhöhte Anfallsbereitschaft besteht.

Ursachen von Epilepsie

Epilepsie kann verschiedene Ursachen haben, die sich grob in folgende Kategorien einteilen lassen:

  • Strukturelle Ursachen: Umschriebene pathologische Hirnveränderungen, wie Hirntumore, Hirninfarkte, Kontusionsdefekte, vaskuläre Malformationen, Enzephalozelen, fokale kortikale Dysplasien oder eine Hippocampussklerose. Auch perinatale Hirnschädigungen durch Sauerstoffmangel während der Geburt können eine Epilepsie verursachen.
  • Genetische Ursachen: Mutationen in Genen, die Ionenkanäle oder Neurotransmitter beeinflussen. Viele Fälle von idiopathisch generalisierten Epilepsien (IGE) sind polygenetische Erkrankungen, bei denen das Erkrankungsrisiko von verschiedenen genetischen Suszeptibilitätsfaktoren und Umwelteinflüssen abhängt.
  • Infektiöse Ursachen: Infektionen des Gehirns, wie Neurozystizerkose, Tuberkulose, HIV, zerebrale Malaria oder Enzephalitis.
  • Metabolische Ursachen: Stoffwechselstörungen, die epileptische Anfälle als Kernsymptomatik aufweisen, wie Hypoparathyreoidismus, Hämochromatose oder Porphyrie.
  • Immunologische Ursachen: Autoimmun vermittelte Entzündungen des ZNS, wie die Kalium-Kanal-Antikörper (LGI1)-bedingte limbische Enzephalitis oder die NMDA-Rezeptor-Antikörper assoziierte Enzephalitis.
  • Unbekannte Ursachen: Bei einigen Epilepsieformen lässt sich die Ursache nicht identifizieren.

Klassifikation von Epilepsie und Anfällen

Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) hat eine Klassifikation entwickelt, die epileptische Anfälle in zwei Hauptgruppen einteilt: fokale und generalisierte Anfälle. Diese Klassifikation dient als Grundlage für die Diagnose und Behandlung von Epilepsie.

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Fokale Anfälle

Fokale Anfälle, auch partielle oder lokalisationsbezogene epileptische Anfälle genannt, gehen von einem bestimmten Bereich des Gehirns aus und betreffen in der Regel nur eine Gehirnhälfte. Je nachdem, ob das Bewusstsein während des Anfalls beeinträchtigt ist oder nicht, werden fokale Anfälle in zwei Kategorien unterteilt:

  • Fokale Anfälle mit erhaltenem Bewusstsein (einfach-fokal): Betroffene sind während des Anfalls bei Bewusstsein und können sich an das Anfallsgeschehen erinnern. Sie können beispielsweise Zuckungen der Hand oder des Mundes spüren oder Veränderungen der Wahrnehmung (Aura) erleben.
  • Fokale Anfälle mit Bewusstseinsstörung (komplex-fokal): Das Bewusstsein ist während des Anfalls eingeschränkt, und Betroffene reagieren nur bedingt sinnvoll auf Ansprache. Sie können Automatismen zeigen, wie z. B. Kauen, Schmatzen oder Nesteln.

Fokale Anfälle können sich zu einem generalisierten tonisch-klonischen Anfall entwickeln, bei dem sich die Anfallsaktivität auf beide Hirnhälften ausbreitet.

Arten von fokalen Anfällen

  • Fokal beginnende Anfälle mit motorischer Initialsymptomatik: Diese Anfälle können sich durch Automatismen, atonische Anfälle, klonische Anfälle, epileptische Spasmen, hyperkinetische Anfälle, myoklonische Anfälle oder tonische Anfälle äußern.
  • Fokal beginnende Anfälle ohne motorische Initialsymptomatik: Diese Anfälle können autonom (z. B. mit epigastralem Wärmegefühl, Schwitzen oder Hautblässe), mit Arrest-Symptomatik (Innehalten mit völligem Bewegungsverlust), kognitiv (z. B. mit Träumen oder verzerrter Zeitwahrnehmung), emotional (z. B. mit Wut-, Angst- oder Glücksgefühlen) oder sensorisch (z. B. mit visuellen, auditiven oder olfaktorischen Veränderungen) sein.

Generalisierte Anfälle

Bei generalisierten Anfällen ist keine bestimmte Hirnregion als Ursprungsort des Anfalls identifizierbar. Die Anfallsaktivität betrifft von Beginn an beide Hirnhälften gleichzeitig. Zu den häufigsten Formen generalisierter Anfälle gehören:

  • Absencen: Kurze Bewusstseinspausen, bei denen Betroffene in ihrer Handlung verharren, einen starren Blick bekommen und eventuell mit den Augen blinzeln oder mit den Lidern zucken. Diese Anfälle dauern meist nur wenige Sekunden und können bis zu hundert Mal am Tag auftreten.
  • Myoklonische Anfälle: Kurze, unwillkürliche Muskelzuckungen, die einzelne Muskeln oder Muskelgruppen betreffen können.
  • Tonisch-klonische Anfälle (Grand-Mal-Anfälle): Die bekannteste Anfallsform, die mit einem plötzlichen Bewusstseinsverlust, Muskelversteifung (tonische Phase) und anschließenden rhythmischen Zuckungen (klonische Phase) einhergeht.
  • Atonische Anfälle: Plötzlicher Verlust des Muskeltonus, der zu Stürzen führen kann.

Epilepsie-Syndrome

Bestimmte Abläufe, Häufigkeiten und Symptome von Anfällen werden zu sogenannten Epilepsie-Syndromen zusammengefasst. Diese Syndrome sind durch spezifische Merkmale wie Alter des Beginns, Anfallstypen, EEG-Befunde und Prognose gekennzeichnet. Einige Beispiele für Epilepsie-Syndrome sind:

  • Rolando-Epilepsie: Eine gutartige fokale Epilepsie des Kindesalters, die sich durch Anfälle mit Zuckungen einer Gesichtshälfte, Sprech- und Schluckstörungen äußert.
  • Absence-Epilepsie des Kindes- und Jugendalters: Generalisierte Epilepsie mit häufigen Absencen.
  • Juvenile myoklonische Epilepsie: Generalisierte Epilepsie, die sich durch myoklonische Zuckungen, insbesondere morgens nach dem Aufwachen, äußert.
  • West-Syndrom: Eine schwere Epilepsieform, die im Säuglingsalter beginnt und mit Blitz-Nick-Salaam-Anfällen einhergeht.
  • Dravet-Syndrom: Eine seltene, schwere genetische Epilepsie, die im ersten Lebensjahr beginnt und mit verschiedenen Anfallstypen und Entwicklungsverzögerungen einhergeht.

Diagnose von Epilepsie

Die Diagnose von Epilepsie basiert auf einer sorgfältigen Anamnese, neurologischen Untersuchung und verschiedenen diagnostischen Verfahren:

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  • Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte, einschließlich der Beschreibung der Anfälle, möglicher Auslöser und Begleitsymptome.
  • Neurologische Untersuchung: Überprüfung der neurologischen Funktionen, wie z. B. Koordination, Reflexe undSensibilität.
  • Elektroenzephalogramm (EEG): Messung der elektrischen Aktivität des Gehirns. Das EEG kann epilepsietypische Potenziale (Spikes) oder andere Auffälligkeiten zeigen, die auf eine erhöhte Anfallsbereitschaft hindeuten.
  • Magnetresonanztomografie (MRT): Bildgebendes Verfahren, das detaillierte Aufnahmen des Gehirns liefert. Das MRT kann strukturelle Veränderungen im Gehirn aufzeigen, die eine Epilepsie verursachen können, wie z. B. Tumore, Narben oder Fehlbildungen.
  • Video-EEG-Monitoring: Langzeitaufzeichnung der Hirnaktivität und des klinischen Verhaltens, um Anfälle aufzuzeichnen und zu klassifizieren.
  • Blutuntersuchungen: Zum Ausschluss von Stoffwechselstörungen oder anderen Erkrankungen, die Anfälle verursachen können.

Behandlung von Epilepsie

Das Ziel der Behandlung von Epilepsie ist es, Anfallsfreiheit zu erreichen und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Die Behandlungsmöglichkeiten umfassen:

  • Medikamentöse Therapie (Antiepileptika): Die meisten Epilepsien können mit Medikamenten kontrolliert werden. Antiepileptika wirken, indem sie die Erregbarkeit der Nervenzellen im Gehirn reduzieren und so die Entstehung von Anfällen verhindern. Es gibt verschiedene Antiepileptika, die je nach Anfallstyp und Epilepsie-Syndrom eingesetzt werden.
  • Ketogene Diät: Eine spezielle Ernährungsform mit hohem Fettanteil und niedrigem Kohlenhydratanteil, die bei einigen Epilepsieformen, insbesondere bei Kindern, die Anfallshäufigkeit reduzieren kann.
  • Chirurgische Behandlung: Bei einigen Patienten mit fokaler Epilepsie, bei denen die Anfälle durch Medikamente nicht ausreichend kontrolliert werden können, kann eine Operation in Erwägung gezogen werden. Dabei wird das Hirngewebe entfernt, von dem die Anfälle ausgehen.
  • Vagusnervstimulation (VNS): Ein kleines Gerät, das unter die Haut im Brustbereich implantiert wird und elektrische Impulse an den Vagusnerv sendet. Die VNS kann bei einigen Patienten die Anfallshäufigkeit reduzieren.

Medikamentöse Therapie

Die medikamentöse Therapie ist die häufigste Behandlungsmethode bei Epilepsie. Etwa 60 % aller Kinder werden durch die Behandlung mit dem ersten Medikament anfallsfrei, bei etwa 10 % gelingt dies erst nach dem Wechsel auf ein anderes Medikament. Es ist wichtig, die Medikamente regelmäßig und in der verordneten Dosis einzunehmen, um eine optimale Anfallskontrolle zu erreichen.

Mögliche Nebenwirkungen von Antiepileptika

Wie alle Medikamente können auch Antiepileptika Nebenwirkungen verursachen. Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehören Müdigkeit, Schwindel, Übelkeit, Gangunsicherheit, Doppelbilder, Koordinationsstörungen, Gedächtnisstörungen und Stimmungsschwankungen. In seltenen Fällen können schwerwiegende Nebenwirkungen auftreten, wie z. B. Hautreaktionen, Blutbildveränderungen oder Leberversagen. Es ist wichtig, alle Nebenwirkungen dem behandelnden Arzt mitzuteilen, damit die Therapie gegebenenfalls angepasst werden kann.

Beendigung der medikamentösen Therapie

Wenn ein Patient über einen längeren Zeitraum anfallsfrei ist, kann in Absprache mit dem Arzt eine Reduktion und eventuelle Beendigung der medikamentösen Therapie in Erwägung gezogen werden. Ob und wann die Medikamente abgesetzt werden können, hängt von der Ursache und der Epilepsieform ab.

Ketogene Diät

Die ketogene Diät ist eine spezielle Ernährungsform, die reich an Fetten und arm an Kohlenhydraten ist. Diese Diät führt dazu, dass der Körper Fett statt Zucker zur Energiegewinnung abbaut, wodurch Ketonkörper entstehen. Der erhöhte Gehalt an Ketonkörpern im Blut soll die Signalübertragung der Nervenzellen im Gehirn beeinflussen und zu weniger Anfällen führen.

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Die ketogene Diät kann bei einigen Epilepsieformen, insbesondere bei Kindern, die Anfallshäufigkeit reduzieren. Allerdings ist die Diät anspruchsvoll und erfordert eine sorgfältige Überwachung durch einen Arzt oder Ernährungsberater. Mögliche Nebenwirkungen sind Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung und Durchfall.

Chirurgische Behandlung

Eine Operation kommt infrage, wenn sich eine belastende Epilepsie nicht gut mit Medikamenten behandeln lässt. Sie ist nur möglich, wenn die Anfälle von einer ganz bestimmten Stelle im Gehirn ausgehen (fokale Epilepsie). Anfälle, die das gesamte Gehirn erfassen (generalisierte Epilepsie), können nicht operativ behandelt werden.

Bei der Operation wird häufig das Hirngewebe in dem Bereich entfernt, in dem der epileptische Anfall entsteht. Es ist auch möglich, diesen Bereich stillzulegen, indem Nervenfasern durchtrennt werden.

Studienergebnisse zeigen, dass nach einem Eingriff zwischen 30 und 80 von 100 Kindern anfallsfrei waren. Die Erfolgsaussichten einer Operation hängen von der Ursache der Epilepsie und von der betroffenen Hirnregion ab. Jeder Eingriff hat Risiken, da die Entfernung von Gehirngewebe auch unerwünschte Folgen haben kann.

Vagusnervstimulation

Bei der Vagusnervstimulation (VNS) wird eine Elektrode links am Hals eingepflanzt und mit einem kleinen Gerät verbunden, das im Brustbereich unter der Haut eingesetzt wird. Das Gerät sendet über die Elektrode elektrische Impulse an den Vagusnerv und weiter ans Gehirn. Diese Impulse sollen bestimmte Gehirnaktivitäten hemmen und dadurch Anfällen vorbeugen.

Für den Nutzen dieser Therapie gibt es bisher nur wenige aussagekräftige Studien.

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