Binge-Watching: Auswirkungen auf das Gehirn – Eine umfassende Analyse

Binge-Watching, das stundenlange Konsumieren von Serien oder Filmen, ist heutzutage ein weit verbreitetes Phänomen. Streaming-Dienste machen es einfacher denn je, Episoden hintereinander anzusehen, was zu langen Seh-Marathons führt. Doch was bedeutet das für unser Gehirn und unsere Gesundheit? Dieser Artikel beleuchtet die Auswirkungen von Binge-Watching auf unser Gehirn, von kurzfristigen Effekten bis hin zu langfristigen Konsequenzen.

Die Wissenschaft hinter dem Binge-Watching

Drei langfristig angelegte Studien aus den USA haben untersucht, was mit unserem Gehirn passiert, wenn wir über einen langen Zeitraum viel fernsehen. Untersucht wurde beispielsweise, wie das Gehirn mit 50 Jahren aussieht, wenn die Versuchsteilnehmenden mit 30 Jahren angegeben hatten, dass sie viel fernsehen. Dabei hat sich gezeigt, dass hoher Fernsehkonsum zu schlechteren kognitiven Fähigkeiten führt. Die Menschen, die über einen langen Zeitraum viel ferngesehen hatten, konnten beispielsweise schlechter Aufgaben lösen, die das Gehirn anstrengen. Darin unterschieden sie sich von anderen, die gar nicht oder nur wenig TV schauen.

Vereinfacht gesagt steht die Graue Substanz im Gehirn für diejenigen Areale, in denen höhere Funktionen ausgeführt werden. Zum Beispiel das Treffen von Entscheidungen. Zu diesen Hirnregionen zählen die Großhirnrinde oder der Cortex. Die Graue Substanz wird oft als Maß dafür genommen, wie gut die kognitiven Fähigkeiten sind. Vereinfacht gesagt: Wie schnell und wie gut Aufgaben gelöst werden können. Ein Ergebnis, zu dem auch andere Studien gekommen sind, lautet: Je mehr Graue Hirnsubstanz vorhanden ist, desto besser können bestimmte Aufgaben gelöst werden. Vor allem Binge-Watching kann eine negative Auswirkung auf unsere Hirnfunktionen haben, schließen die Studienautoren aus ihren Beobachtungen.

Die Forschenden sehen auch einen Zusammenhang zwischen langem Sitzen, wenn wir fernsehen, und dem Nachlassen von Hirnfunktionen. Denn nachgewiesenermaßen ist Bewegung nicht nur für die körperliche Fitness wichtig, sondern fordert und fördert gleichzeitig auch unser Gehirn. Dabei unterscheiden die Forschenden verschiedene Tätigkeiten, die wir in der Regel im Sitzen ausführen: beispielsweise Lesen oder Computer- und Brettspiele spielen, halten sie für weniger schädlich, weil das Hirn dabei gefordert werde. Fernsehen hingegen gilt als nicht-stimulierend für unsere kognitiven Funktionen.

Dopamin-Ausschüttung und Suchtpotenzial

Das Anschauen einer Serie erzeugt einen kontinuierlichen Strom von Dopamin in unserem Gehirn. Es ist nicht nur die Serie selbst, nach der wir uns sehnen, sondern das Gefühl der Freude, wenn wir Episode für Episode schauen. Die Psychologin Renee Carr erklärt, dass man eine Pseudosucht nach der Show entwickeln kann, weil man Heißhunger auf Dopamin entwickelt. Der Prozess, den wir beim Binge-Watching erleben, ist der gleiche wie etwa bei einer Droge. Die neuronalen Bahnen, die Heroin- und Sexsucht verursachen, sind die gleichen wie eine Sucht nach Binge-Watching. Der menschliche Körper kann praktisch von jeder Aktivität oder Substanz abhängig werden, die konsequent Dopamin produziert.

Lesen Sie auch: Neuronale Kommunikation durch Synapsen

Negative Auswirkungen auf die Gesundheit

Schlafstörungen

Im Journal of Clinical Sleep Medicine wurde im Jahr 2017 eine Studie publiziert, die vor allem auf Schlafstörungen durch Binge-Watching hinweist. In einem von drei Fällen konnte ein schlechter Schlaf direkt auf das Binge-Watching zurückgeführt werden. Hauptgrund dafür sei, dass sich Zuschauer nach einem Serienmarathon nicht mehr von der Geschichte der Serie lösen könnten - sie verfolgt die Konsumenten also buchstäblich bis in den Schlaf. Grund dafür ist unter anderem das blaue Licht des Bildschirms. Dieses verhindert, dass unser Körper das Schlafhormon Melatonin ausschüttet. Melatonin ist essentiell, um den Energieverbrauch abends langsam herunterzufahren und den Körper auf den Schlaf vorzubereiten.

Erhöhtes Stresslevel und Angstzustände

Eine Studie der Universität von Toledo aus dem Jahr 2015 fand heraus, dass Binge-Watcher über ein höheres Maß an Stress, Angstzuständen und Depressionen berichten. Eine Studie der University of Buffalo und der Mount Sinai School of Medicine zeigt auf, dass die Myelin-Produktion sich verringert, wenn wir eine lange Zeit vor dem Bildschirm verbringen. Das wiederum begünstigt Depressionen und Angstzustände - denn Myelin schützt die Nervenzellen. Der Zusammenhang zwischen einem niedrigen Myelin-Level und Depressionen wiederum wurde bereits in mehreren Studien nachgewiesen.

Beeinträchtigung des Gedächtnisses

Forscher der University of Melbourne stellten sogar fest, dass Binge-Watching Auswirkungen auf unser Erinnerungsvermögen hat. Die Binge-Watcher konnten sich zwar in den ersten 24 Stunden nach dem Schauen besser an die letzte Folge erinnern, nach 140 Tagen war die Erinnerungsfähigkeit jedoch bei den wöchentlichen Zuschauer deutlich besser. Edgar Erdfelder, Leiter des Lehrstuhls für kognitive Psychologie der Universität Mannheim, erklärt, dass das mit dem normalen Lernprozess des Menschen zu tun hat. Der Mensch lernt besser, wenn er verteilt lernt. Zu viel Masse auf einmal ist nicht förderlich. Martin Brandt, ebenfalls vom Lehrstuhl für kognitive Psychologie der Universität Mannheim, vergleicht es mit Vokabellernen. Wenn wir 5 Stunden Zeit haben um Vokabeln zu lernen, sollten wir diese 5 Stunden auf 5 Tage verteilen, anstatt sie an einem Tag zu lernen. Langfristig bleibt damit mehr hängen. Außerdem meint Brandt, dass bei Binge-Watchern der aktive Abrufeffekt ausbleibt. Also: Die, die sich die Folgen in gewissen Abständen anschauen, müssen sich jedes Mal wieder aktiv an vorherige Folgen erinnern. Ansonsten würden sie die Folge nicht richtig verstehen. Hat man die Folge aber unmittelbar vorher gesehen, fällt dieser aktive Abrufeffekt aus. Daher arbeitet das Gehirn bei den Binge-Watchern weniger, sagt Brandt.

Soziale Isolation und Bewegungsmangel

Binge-Watching schadet der Gesundheit genauso wie dem Sozialleben. Denn wer regelmäßig Serienmarathons veranstaltet, der neigt dazu, weniger Zeit mit Freunden und der Familie zu verbringen. Soziale Isolation und Einsamkeit können Folgen davon sein. Dazu kommt, dass notorische Binge-Watcher oft ihre Pflichten wie zum Beispiel den Haushalt aber auch die Arbeit oder die Familie vernachlässigen, um mehr Zeit auf der Couch verbringen zu können. Wer regelmäßig Serien am Stück schaut, der vernachlässigt auch oft seinen Körper, indem er weniger Sport treibt und schlechter isst.

Kognitive Beeinträchtigungen

Regelmäßiges Binge-Watching kann sich negativ auf die Gesundheit unseres Gehirns auswirken. Es gibt Hinweise darauf, dass regelmäßiges Binge-Watching negative Effekte auf die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns hat. Eine Studie aus dem Jahr 2019 belegt, dass mehr als 3,5 Stunden Fernsehen pro Tag unsere kognitiven Fähigkeiten verschlechtert. Die Versuchspersonen waren dabei alle über 50 Jahre alt. Hinzu kommt, dass du durch das zeitintensive Binge-Watching vielleicht auch weniger Zeit für Dinge hast, die dein Gehirn positiv beanspruchen würden. Solche Aktivitäten führen dazu, dass neue Verbindungen zwischen Nervenzellen oder eventuell sogar völlig neue Zellen entstehen.

Lesen Sie auch: Serotonin: Ein Schlüsselregulator im Gehirn

Positive Aspekte des Binge-Watching

Doch nicht alles am Binge-Watching ist schlecht. John Mayer, ein klinischer Psychologe bei Doctor on Demand, sagt, dass der Serienmarathon auch dem Stressabbau dienen kann. Das Binge-Watching könne wie eine Stahltür wirken, die unser Gehirn daran hindere, an die ständigen Stressfaktoren zu denken. Zudem könnten Serienmarathons beim Socializen helfen. Man könne damit Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen, die dieselbe Serie gesehen haben, wie man selbst. Zudem könnten die Handlungen der geschauten Serien zu besserer psychischer Gesundheit führen. Auch die gleiche Forschung weist auch auf positive Effekte von Binge-Watching hin. So kann der Konsum vieler Serienfolgen die Stimmung heben und die Erholung nach einem langen Arbeitstag unterstützen.

Dr. Matthias Nürnberger aus der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Jena untersuchte in einer prospektiven Studie, ob exzessiver Fernsehkonsum einen positiven Effekt haben kann. Im Ergebnis zeigte sich, dass exzessiver Fernsehkonsum sogar einen positiven Effekt sowohl auf die visuelle Informationsverarbeitung als auch die motorische Lernfähigkeit haben kann, und das teilweise deutlich. Die TV-Gruppe schnitt bei allen Testungen besser ab als die Kontrollgruppe ohne TV-Konsum, teilweise sogar signifikant. Die Effekte ließen sich direkt im Gehirn nachweisen. Die TV-Gruppe zeigte eine erhöhte Fähigkeit zur kurzfristigen visuellen Wahrnehmung, 25 Prozent besser als die Kontrollgruppe ohne Fernsehkonsum. Bei der TV-Gruppe zeigte sich außerdem eine Volumenzunahme in der linken Gehirnhälfte, konkret im entorhinalen Kortex, der zur Verarbeitung visueller Informationen, also dem visuellen Kurzzeitgedächtnis, beiträgt.

Tipps für einen bewussten Serienkonsum

Exzessives Binge-Watching ist nicht nur ein Zeitfresser, sondern kann auch soziale Kontakte und das Arbeitsleben belasten. Wenn Sie bei sich Anzeichen einer Sucht feststellen, ist es ratsam, ein therapeutisches Hilfsangebot in Anspruch zu nehmen. Möchten Sie dagegen nur Ihren Serienkonsum reduzieren, helfen diese Tipps:

  • Stellen Sie die Autoplay-Funktion aus: Autoplay spielt automatisch die nächste Episode oder ein neues Video ab - das verleitet zum Binge-Watching. In der Regel lässt sich die Funktion in den Einstellungen deaktivieren.
  • Setzen Sie vorher sich ein Zeitlimit oder eine Anzahl an Folgen, die sie gucken möchten: Zur Unterstützung können Sie sich einen Wecker oder den Timer am Fernseher oder Tablet stellen. Der Timer kann sogar dafür sorgen, dass sich das Gerät nach der abgelaufenen Zeit ausschaltet.
  • Entfernen Sie Video- und Streaming-Apps von Ihren Geräten: Sie verführen dazu, eine Serie auf dem Fernseher, Handy oder Tablet nebenher laufen zu lassen.
  • Nicht bis zu Ende schauen! Sie merken, dass Ihnen die Serie gar nicht gefällt? Dann schalten Sie ab. Man muss keine Episode oder gar eine ganze Staffel zu Ende gucken.
  • Festen Tag einrichten: Suchen Sie sich einen Wochentag aus, an dem Sie Ihre Lieblingsserie oder die neue Kochshow gucken: beispielsweise Samstagabend.
  • Lassen Sie alte Hobbys aufleben oder suchen Sie sich neue: Finden Sie Alternativen wie Sport, Lesen oder Freunde treffen.
  • Bewusstes Schauen: Auch wenn es schwer ist: Genießen Sie Ihre Lieblingsserie anstatt „durchzurauschen“. Dann haben Sie auch länger etwas davon.
  • Schlaf priorisieren: Schauen Sie keine Serien vor dem Zubettgehen. Finden Sie eine Abendroutine, bei der Sie entspannen können, wie Lesen, Meditation oder Musikhören.

Alternativen zum Serienmarathon

Serien zu suchten ist schädlich - solange es sich aber in Grenzen hält und du deine Zeit vor dem Bildschirm beschränkst, spricht natürlich nichts dagegen, auch einmal deine Lieblingsserie am Stück zu schauen. Schließlich kann dies auch positive Effekte haben: Viele Geschichten inspirieren dich, du kannst dich mit Freunden und Kollegen darüber austauschen und ganz ehrlich: Es macht auch einfach Spaß.

Hast du aber das Gefühl, dass deine Gewohnheiten Anzeichen für ein Suchtverhalten aufweisen, dass du regelmäßig zu wenig schläfst und dass dein Sozialleben leidet, solltest du dringend gegensteuern. In diesem Fall hilft dann nur noch kalter Entzug und eine gute Ablenkung. Wir haben ein paar Ideen gesammelt, die du statt einer neuen Serie abends ausprobieren kannst, um dem Arbeitsstress zu entkommen:

Lesen Sie auch: Puzzeln: Ein mentaler Booster

  • Mache einen ausgedehnten Spaziergang in deiner Stadt und entdecke neue Viertel, in denen du noch nie zuvor unterwegs warst.
  • Lasse dir ein Buch empfehlen, über das du dich im Anschluss auch gleich austauschen kannst.
  • Kaufe dir ein Kochbuch und probiere neue Rezepte aus - Beim Schnippeln und Braten kommst du sicher auf andere Gedanken!
  • Lerne Stricken oder andere handwerkliche Fähigkeiten und beglücke deine Freunde mit selbstgemachten Schals oder zimmere Regale aus Holz.
  • Auch Podcasts kannst du bingen - ganz ohne Nebenwirkungen. Warum fängst du nicht gleich mit dem ottonova Podcast zum Thema E-Health oder New Work an?
  • Entdecke deine künstlerische Seite und packe den Malkasten aus. Für hoffnungslose Fälle schwören wir auf Malen nach Zahlen für Erwachsene.
  • Probiere eine neue Sportart aus und powere dich vor dem Schlafengehen richtig aus.

tags: #Binge #Watching #Auswirkungen #Gehirn