Was macht Fernsehen mit dem Gehirn? Auswirkungen auf Kognition und Verhalten

Fernsehen ist seit Generationen ein fester Bestandteil des Lebens vieler Menschen. Doch welche Auswirkungen hat der Fernsehkonsum tatsächlich auf unser Gehirn? Diese Frage ist Gegenstand zahlreicher Studien und Diskussionen. Während einige Forschungsergebnisse auf negative Folgen hindeuten, zeigen andere überraschende Vorteile. Dieser Artikel beleuchtet die vielfältigen Auswirkungen des Fernsehens auf unser Gehirn, von den potenziellen Risiken für Kinder und Erwachsene bis hin zu den möglichen positiven Effekten auf bestimmte kognitive Fähigkeiten.

Negative Auswirkungen des Fernsehkonsums

Fernsehen im Kindesalter und schulischer Erfolg

Wer als Kind viel fernsieht, erreicht als junger Erwachsener oft einen schlechteren Schulabschluss. Studien bestätigen, dass ein zu früher und zu häufiger Fernsehkonsum einen negativen Einfluss auf die Gesundheit und die Lernerfolge von Kindern hat. Der passive Fernsehkonsum verführt Kinder zu körperlicher Inaktivität, was die American Academy of Pediatrics für das Übergewicht und die Zunahme von Typ-2-Diabetes mellitus bei Kindern mitverantwortlich macht. Es ist auch plausibel, dass Kinder, die viel fernsehen, eher zu Aggressionen neigen, wenn man bedenkt, dass US-Kinder bis zum Abschluss der Grundschule im Durchschnitt 8.000 Morde gesehen haben.

Robert Hancox von der University of Otago in Neuseeland beobachtete etwa 1.000 Probanden über Jahrzehnte. Er stellte fest, dass Personen, die im Alter von 5 bis 15 Jahren viel ferngesehen hatten, später eine geringere Ausbildung aufwiesen. Dina Borzekowski von der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore fand heraus, dass Kinder mit eigenem Fernsehgerät nicht nur öfter fernsehen, sondern auch in Mathe-, Lese- und Verständnistests schlechter abschneiden.

Auswirkungen auf die Gehirnaktivität

Eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen (KFN) machte den Botenstoff Dopamin für den Leistungsabfall des Gehirns verantwortlich. Er bewirke immer neue Glücksgefühle beim Computerspielen. Das vorher Gelernte könne sich dann nicht im Gehirn festsetzen, wenn es von Fernseh- und Videobildern ständig überlagert wird.

Langfristige Auswirkungen auf Erwachsene

Eine Untersuchung des Institute for Research and Education aus Kalifornien, die ein Vierteljahrhundert dauerte, hat die Gefährlichkeit des Fernsehens für unsere Neuronen hervorgehoben, und das selbst für Personen, die regelmäßig Sport treiben. Laut T. D. Hoang und seinem Team bringt ein regelmäßiger Fernsehkonsum eine Verringerung der kognitiven Fähigkeiten mit sich. Im Rahmen dieser Studie wurden die Gewohnheiten hinsichtlich Sport und Fernsehkonsum von 3247 Erwachsenen (davon 54,5 % Frauen) zwischen 18 und 30 Jahren (Durchschnittsalter: 25,1) während 25 Jahren erfasst und analysiert (vom 25. März 1985 bis 31. August 2011). Die Ergebnisse zeigten, dass die regelmäßigen Fernsehzuschauer (mehr als 3 Stunden Fernsehen pro Tag) mit größerer Wahrscheinlichkeit bei den kognitiven Tests schlecht abschneiden. Die schädlichen Auswirkungen von zu vielen Stunden vor dem Fernseher werden nicht durch sportliche Aktivitäten ausgeglichen.

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Auswirkungen von Binge-Watching

Drei langfristig angelegte Studien aus den USA haben nachgewiesen, dass besonders Binge-Watching sich negativ auf unser Gehirn auswirken kann. Untersucht wurde beispielsweise, wie das Gehirn mit 50 Jahren aussieht, wenn die Versuchsteilnehmenden mit 30 Jahren angegeben hatten, dass sie viel fernsehen. Dabei hat sich gezeigt, dass hoher Fernsehkonsum zu schlechteren kognitiven Fähigkeiten führt. Die Menschen, die über einen langen Zeitraum viel ferngesehen hatten, konnten beispielsweise schlechter Aufgaben lösen, die das Gehirn anstrengen. Vor allem Binge-Watching kann eine negative Auswirkung auf unsere Hirnfunktionen haben, schließen die Studienautoren aus ihren Beobachtungen.

Auswirkungen auf den Frontallappen

Beim Fernsehen verändert sich der Frontallappen im Gehirn. Der Frontallappen sorgt u.a. dafür, dass situationsgerechte Handlungen ausgeführt werden können. Nun gibt es berechtigten Anlass zur Besorgnis, dass durch das Fernsehen möglicherweise eine dauerhafte Schädigung des Frontallappens eintritt, die bereits im Kindesalter beginnen kann, da der Frontallappen sich zu dieser Zeit entwickelt und bis zum 20. Für die Entwicklung der Nervenfasern im Frontallappen ist es wichtig, dass Kinder ihrem Alter entsprechend gefördert werden, miteinander spielen und sich untereinander austauschen können. Nur so könenn sich stabile Verbindungen zu den Neuronen bilden. Wenn Kinder nun fernsehen, hat das zur Folge, dass die Entwicklung des Frontallappens stagniert. Gleichzeitig stoppt die Entwicklung der rechten Gehirnhälfte. Diese gehemmte Entwicklung des Frontallappens bei Kindern kann ihre Fähigkeit zur Kontrolle von unsozialem Verhalten beeinflussen.

Fernsehen als Kontrollmedium

Einige Menschen werden überrascht sein wenn sie erfahren, dass es sich beim Medium Fernsehen um ein Kontrollmedium handelt. Es ist in der Lage, uns derart zu entspannen, dass unsere linke, analytische Gehirnhälfte beim längeren fernsehen abgeschaltet wird. Unter Hypnose ist unser Gehirn einem ganz ähnlichen Prozess ausgesetzt. Unter Hypnose werden wir offen für die Suggestionen des Therapeuten, da wir uns in einem vollkommen entspannten Zustand befinden. In diesem Zustand verändert sich der Frontallappen im Gehirn. Das hat zur Folge, dass wir nur noch unsere rechte Gehirnhälfte benutzen. Wenn wir Fernsehen, dauert es nur etwa 30 Sekunden, und wir befinden uns in einem ähnlich hypnotischen Stadium. Das hat jedenfalls Professor Herbert Krugmann in einer Studie herausgefunden, die bereits 1971 durchgeführt wurde. Das Ergebnis seiner Studie war, dass wir über die Informationen, die uns das Fernsehen übermittelt, nicht nachdenken. Verbleiben wir für eine längere Zeit in diesem Stadium - und es gibt tatsächlich eine Menge Menschen, die mehr oder weniger den ganzen Tag über fernsehen - so fällt es uns immer schwerer, uns zu konzentrieren oder alltägliche Probleme zu lösen.

Positive Auswirkungen des Fernsehkonsums

Verbesserte visuelle Informationsverarbeitung und motorische Lernfähigkeit

Dr. Matthias Nürnberger aus der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Jena untersuchte in einer prospektiven Studie die Auswirkungen des Fernsehens. Im Ergebnis zeigte sich, dass exzessiver Fernsehkonsum sogar einen positiven Effekt sowohl auf die visuelle Informationsverarbeitung als auch die motorische Lernfähigkeit haben kann, und das teilweise deutlich.

In einer randomisierten, kontrollierten Interventionsstudie untersuchten Nürnberger und sein Forschungsteam, ob eine intensive visuelle Stimulierung durch Fernsehen unsere Verarbeitung von optischen Informationen, also unser visuelles Kurzzeitgedächtnis, und unsere motorische Lernleistung - das ist die Fähigkeit, bestimmte Bewegungsmuster durch wiederholte Ausführungen zu erlernen - verbessern können. Dazu ließen sie 74 junge Erwachsene zwischen 20 und 30 Jahren fünf Tage lang in einer kontrollierten Umgebung entweder exzessiv fernsehen, das heißt acht Stunden pro Tag, oder eben überhaupt nicht fernsehen. Beide Gruppen absolvierten während des Experiments einen Kurs im Tippen auf der Tastatur im 10-Finger-System - eine Fertigkeit, die sie vorher nicht beherrschten und die motorische Fähigkeiten mit visueller Informationsverarbeitung verknüpft.

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Das Ergebnis überraschte in seiner Deutlichkeit selbst das Forschungsteam: Die TV-Gruppe schnitt bei allen Testungen besser ab als die Kontrollgruppe ohne TV-Konsum, teilweise sogar signifikant. Die Effekte ließen sich direkt im Gehirn nachweisen. Bei der TV-Gruppe zeigte sich eine Volumenzunahme in der linken Gehirnhälfte, konkret im entorhinalen Kortex, der zur Verarbeitung visueller Informationen, also dem visuellen Kurzzeitgedächtnis, beiträgt.

Weitere positive Aspekte

Forscher:innen der Education University of Hong Kong, der Shanghai Normal University und der Macquarie University haben die Daten von 23 Jahren Neuroimaging-Forschung analysiert. Neben den negativen Folgen sind jedoch auch einige positive Aspekte gefunden worden.

Fernsehen als Quelle der Entspannung und des Lernens

Fernsehen kann auch eine Quelle der Entspannung und des Lernens sein. Es kann uns von schwierigen Lebensumständen ablenken, uns neue Perspektiven eröffnen und uns Zugang zu Bildungsinhalten ermöglichen. Edukative Sendungen erleichtern das Erlernen von komplexen Inhalten.

Was können wir tun?

Moderater Konsum

Das Deutsche Grüne Kreuz e.V. rät daher zu einem gemäßigten Konsum von Filmen oder Computerspielen. Bis zu einer Stunde täglich ist akzeptabel. Hausaufgaben sollten auf keinen Fall vor dem Fernseher gemacht werden. Bilder und Ton lenken viel zu sehr ab. Das Gehirn kann sich so die Inhalte des Lernstoffes nicht lange merken, das Büffeln war umsonst.

Aktive Freizeitgestaltung

Es ist wichtig, dass wir unseren Körper durch gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung bei guter Gesundheit erhalten. Genauso wichtig ist es, dass wir unseren Geist pflegen und positiv stimulieren.

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Bewusster Umgang mit Medien

Die Frage ist, inwieweit wir durch die Meinung anderer, die uns über das Medium Fernsehen präsentiert wird, beeinflusst werden. Insbesondere dann, wenn wir einen Standpunkt vehement vertreten, sollten wir uns fragen, wie wir zu dieser Meinung gekommen sind. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Flut an negativ-Informationen, die uns über das Fernsehen in Form von Nachrichten übermittelt wird. Die Nachrichten werden ständig wiederholt und auf allen Sendern übertragen. Versuchen Sie, für einige Tage oder Wochen konsequent auf das Fernsehen zu verzichten und beurteilen Sie die Auswirkungen, die dieser Verzicht auf ihr Leben hat.

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