Was passiert, wenn das Gehirn zu wenig Sauerstoff bekommt?

Sauerstoff ist für den menschlichen Körper lebensnotwendig. Er spielt eine tragende Rolle bei der Energiegewinnung, da der Stoffwechsel nur funktionieren kann, wenn Sauerstoff überall im Körper zur Verfügung steht. Der Blutkreislauf sorgt dafür, dass der Sauerstoff zu allen Geweben und Organen gelangt. Doch was passiert, wenn das Gehirn nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird? Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Symptome und Folgen eines Sauerstoffmangels im Gehirn und zeigt auf, welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt.

Sauerstoffversorgung des Gehirns - Ein Überblick

Die Sauerstoffversorgung des Gehirns ist ein komplexer Prozess, der über den Blutkreislauf funktioniert. Bei der Atmung gelangt der Sauerstoff über Mund, Nase, Luftröhre und Bronchien in die Lungenflügel. In den Lungenbläschen (Alveolen) findet der Gasaustausch statt, wo Sauerstoff ins Blut übergeht und an die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) gebunden wird. Das sauerstoffreiche Blut wird dann über den Blutkreislauf im Körper verteilt. Es gibt zwei Kreisläufe:

  • Kleiner Kreislauf: Die rechte Herzkammer pumpt sauerstoffarmes Blut in die Lunge, wo es mit Sauerstoff angereichert wird und über die Lungenvene wieder zum Herzen gelangt.
  • Großer Kreislauf: Die linke Herzkammer pumpt sauerstoffreiches Blut in den Körper. Sauerstoff und andere wichtige Substanzen werden abgegeben, während Abfallstoffe und Kohlendioxid aufgenommen werden. Das sauerstoffarme Blut gelangt über die Venen zurück zur rechten Herzkammer.

Eine ausreichende Sauerstoffsättigung im Blut ist überlebenswichtig. Sie zeigt an, wie viel Prozent des Hämoglobins mit Sauerstoff beladen sind. Ein gesunder Körper reguliert die Sauerstoffsättigung im Blut über die Atmung. Eine zu geringe Sauerstoffsättigung deutet auf ein Problem mit der Atmungsfunktion hin und kann zu einer verminderten Sauerstoffversorgung des gesamten Organismus oder einzelner Organe führen, was als Hypoxie bezeichnet wird.

Ursachen für Sauerstoffmangel im Gehirn

Viele Faktoren können die Fähigkeit des Körpers beeinträchtigen, dem Blut ausreichende Mengen an Sauerstoff zuzuführen. Einige der häufigsten Ursachen sind:

  • Lungenerkrankungen: Asthma, Bronchitis, Lungenemphysem, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD) oder akute Infektionen der Lunge.
  • Blutarmut (Anämie): Ein Mangel an roten Blutkörperchen oder Hämoglobin reduziert die Sauerstofftransportkapazität des Blutes.
  • Respiratorische Insuffizienz (Ateminsuffizienz): Gasaustauschstörungen in der Lunge und/oder Störungen der Atemmuskulatur und Atmungssteuerung durch Gehirn und Rückenmark.
  • Starke Schmerzmedikamente: Diese können die Atmung verlangsamen.
  • Gestörte Atmung im Schlaf (Schlafapnoe): Wiederholte Atemaussetzer während des Schlafs führen zu Sauerstoffmangel.
  • Herzinsuffizienz: Das Herz kann nicht genügend Blut und Sauerstoff in den Körper pumpen.
  • Aufenthalt in großer Höhe: Geringerer Sauerstoffgehalt der Luft.
  • Schwere Hirnschädigung: Folge eines schweren Schädel-Hirn-Traumas, eines schweren Schlaganfalls, einer Hirnblutung, eines länger dauernden Sauerstoffmangels oder einer schweren Vergiftung.
  • Komplikationen vor und während der Geburt: Sauerstoff-Mangelversorgung, eine vorzeitige Plazentalösung oder eine eingeklemmte Nabelschnur.

Symptome von Sauerstoffmangel im Gehirn

Die Symptome einer Hypoxämie können stark variieren, abhängig vom Ausmaß und der Dauer der Schädigung. Mögliche Symptome sind:

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  • Gefühl der Luftnot
  • Kurzatmigkeit
  • Erschwerte Atmung
  • Schneller Herzschlag
  • Kopfschmerzen
  • Verwirrtheit
  • Bläuliche Verfärbung der Haut, Fingernägel und/oder Lippen (Zyanose)
  • Geringe Belastbarkeit
  • Husten und Keuchen
  • Einschränkungen der Merkfähigkeit und Konzentration
  • Störungen der Kommunikation und anderer kognitiver Fähigkeiten wie Orientierung, Gedächtnis und logisches Denken.
  • Bewusstseinsminderung
  • Lähmungen (Tetraparese)
  • Veränderungen der Muskelspannung (Spastik, Rigor)
  • Koordinationsstörungen

Bei akutem Sauerstoffmangel im Gehirn kann es schon nach wenigen Sekunden zu Bewusstlosigkeit, Koma und letztlich Kreislaufstillstand kommen.

Hypoxischer Hirnschaden: Folgen des Sauerstoffmangels

Das Gehirn reagiert besonders empfindlich auf Sauerstoffmangel. Eine akute Mangelversorgung des Gehirns mit Sauerstoff (zerebrale Hypoxie) lässt schon nach wenigen Minuten Gehirnzellen absterben und führt in weiterer Folge rasch zu irreparablen Hirnschäden (hypoxischer Hirnschaden), auch hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (HIE) genannt.

Die Nervenzellen des Gehirns, vor allem die für höhere Funktionen des Bewusstseins wie Wahrnehmung, Gedächtnis und Koordination zuständigen Zellen an der Oberfläche des Großhirns, sterben aufgrund des Sauerstoffmangels innerhalb weniger Minuten ab. Da sich diese Nervenzellen nicht wieder nachbilden, wird das Gehirn irreparabel geschädigt.

Das Ausmaß des hypoxischen Hirnschadens hängt unter anderem davon ab, wie lange die Sauerstoffversorgung des Gehirns unterbrochen war. Bei einer kurzen Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff können Symptome wie Koordinations-, Wahrnehmungs- oder Gedächtnisstörungen auftreten, die sich in der Regel wieder zurückbilden. Eine längere Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff von mehr als fünf Minuten führt zu einer tiefen Bewusstlosigkeit, dem Koma.

Selbst wenn im Zustand der Bewusstlosigkeit eine Rettung erfolgt, drohen irreversible Schäden. Eine zeitnahe Sauerstoffgabe kann in einzelnen Fällen schwere Schäden vermeiden.

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Diagnose von Sauerstoffmangel

Wenn ein Arzt oder eine Ärztin angesichts bestimmter Vorerkrankungen oder spezifischer Symptome eine Sauerstoffunterversorgung vermutet, wird er oder sie die Sauerstoffsättigung messen. Es gibt zwei Verfahren:

  • Pulsoxymetrie: Ein Clip wird an einer Fingerkuppe oder am Ohrläppchen angebracht und sendet Lichtstrahlen aus, die Finger oder Ohrläppchen durchdringen und auf der anderen Seite auf einen Detektor treffen. Dieser misst, wie viel Licht ankommt. Ein Computer berechnet anhand der Lichtdaten den Anteil an sauerstoffgesättigtem Hämoglobin. Als Referenzwerte für einen normalen Sauerstoffgehalt im arteriellen Blut gelten 95 bis 99 Prozent.
  • Blutgasanalyse (BGA): Dafür wird entweder arterielles Blut (zum Beispiel aus einer Arterie am Handgelenk) oder Kapillarblut aus den kleinsten Blutgefäßen, den Kapillaren (meist aus dem Ohrläppchen) entnommen und mit speziellen Messgeräten analysiert. Die Referenzwerte für einen normalen Sauerstoffpartialdruck (pO₂) sind 71 bis 104 mmHg.

Um die Ursache einer Hypoxie abzuklären, erkundigt sich der Arzt nach den Beschwerden, eventuellen Unfällen und Grunderkrankungen und untersucht den Patienten. Falls erforderlich, werden weitere Blutparameter wie der Säuregrad (pH-Wert) des Blutes, der Säure-Basen-Haushalt und der Hämoglobinwert ermittelt. Je nach Ursache der Hypoxie beziehungsweise entsprechendem Verdacht schließen sich weitere Untersuchungen an.

Bei Verdacht auf einen hypoxischen Hirnschaden wird ein interdisziplinäres Team aus Spezialisten aus Innerer Medizin, Anästhesie bzw. Notfallmedizin und Neurologie die vorliegende Schädigung genauer untersuchen. Insbesondere bei unbekannter Vorgeschichte müssen andere mögliche Erkrankungen der Gehirnfunktion (Enzephalopathien) ausgeschlossen werden, die durch eine Blutvergiftung (Sepsis) oder durch Medikamente ausgelöst oder stoffwechselbedingt (metabolisch) sein können.

Folgende bildgebende Verfahren können eingesetzt werden:

  • Ultraschall (Dopplersonografie, trans- und extrakranial): Zur Untersuchung der großen Arterien, die das Hirn versorgen.
  • Magnetresonanztomografie des Schädels (kraniale MRT, cMRT) mit Blutgefäßdarstellung (Angiografie): Zur Darstellung von Verengungen (Stenosen) oder Verschlüssen von Schlagadern.
  • Kraniale Computertomografie (cCT): Zur Darstellung von Gehirn, Hirnhäuten und knöchernen Schädel.
  • Thorax-CT: Zur Darstellung der Lunge in Schnittbildern.
  • CT-Angiografie und Koronarangiografie: Zur Darstellung der Blutgefäße sowie der Herzkranzgefäße.

Neurologische Untersuchungen geben Aufschluss darüber, ob und welche Nerven in welchem Ausmaß betroffen sind.

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Behandlung von Sauerstoffmangel und hypoxischem Hirnschaden

Die Behandlung einer zu niedrigen Sauerstoffsättigung im Blut richtet sich nach den Ursachen. Im akuten Notfall wird Sauerstoff zum Beispiel durch eine Nasensonde oder eine Atemmaske zugeführt. Bei einer Blutarmut kann beispielsweise eine Bluttransfusion durchgeführt werden. Bei einer Infektion der Lunge wird diese Infektion zielgerichtet behandelt. Bei einer chronischen Sauerstoffunterversorgung kann unter Umständen eine Dauertherapie mit Sauerstoff über eine Sonde notwendig sein.

Die Frührehabilitation bei einem hypoxischen Hirnschaden (HIE) beginnt in der Regel, sobald der Zustand der Patientin oder des Patienten stabil genug ist. Sie zielt darauf ab, die durch den Sauerstoffmangel verursachten Schäden zu minimieren und trägt entscheidend zur Wiederherstellung der körperlichen und geistigen Funktionen der Betroffenen bei.

Die Frührehabilitation umfasst:

  • Medizinische Stabilisierung: Sicherstellung der Atmung, Kreislaufstabilisierung und Überwachung der neurologischen Funktionen.
  • Umfassende Diagnostik: Bestimmung des Ausmaßes der Hirnschäden und Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs.
  • Frühmobilisation: Um die motorischen Fähigkeiten zu erhalten und unerwünschten Folgen wie Muskelatrophie (Muskelschwund) oder Gelenksteifigkeit vorzubeugen. Die Physiotherapie spielt hierbei eine zentrale Rolle. Moderne Therapien unterstützen diesen Prozess, zum Beispiel robotergestützte Trainingsgeräte wie der Lokomat® für das Gehen oder der Armeo® für Arm- und Handübungen.
  • Ergotherapie: Ziel ist, dass Patient:innen ihre Alltagskompetenz zurückerlangen und unabhängiger werden.
  • Neuropsychologische Therapie: Ziel ist, Gedächtnis, Aufmerksamkeit und exekutive Funktionen (für Kontrolle und Selbstregulation zuständig) zu verbessern.
  • Logopädische Therapie: Unterstützung bei der Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit, insbesondere bei Beeinträchtigung der Sprach- oder Schluckfunktion.
  • Einbindung der Angehörigen: Durch Schulungen und Anleitungen lernen sie, wie sie die Patient:innen im Alltag unterstützen können.

Die Frührehabilitation mündet in eine langfristige Rehabilitationsplanung, die ambulante Therapien, Nachsorgeangebote und gegebenenfalls Anpassungen im häuslichen Umfeld umfasst. Dadurch sollen die erzielten Fortschritte gesichert werden.

Irreversibler Hirnfunktionsausfall (Hirntod)

In schweren Fällen kann Sauerstoffmangel im Gehirn zu einem irreversiblen Hirnfunktionsausfall (Hirntod) führen. Der Hirntod bedeutet den Verlust aller Hirnfunktionen. Die Diagnose erfolgt durch eine umfassende neurologische Untersuchung.

Die Diagnostik des Hirntodes folgt einem dreischrittigen Vorgehen:

  1. Prüfung der Voraussetzungen: Dazu gehört auch das Stellen einer medizinischen Diagnose, die den Zustand des Patienten erklärt.
  2. Prüfung der Hirnstammreflexe: Diese Reflexe steuern wichtige Körperfunktionen, wie z. B. Schlucken, Augenbeweglichkeit oder Atmung.
  3. Nachweis der Irreversibilität dieser Symptome: Also der Unumkehrbarkeit.

In Deutschland gilt bei der Diagnose des Irreversiblen Hirnfunktionsausfalls das Vier-Augen-Prinzip. Zwei erfahrene Intensivmediziner, von denen mindestens einer ein neurologischer oder neurochirurgischer Facharzt sein muss, untersuchen den Patienten.

Nach Feststellung des Hirntodes müssen die intensivmedizinischen Maßnahmen beendet werden. Die Diagnose des Hirntodes ist gleichbedeutend mit der Todesfeststellung und wird auch entsprechend im Totenschein vermerkt.

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