Schlaf ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, das weit mehr als nur Erholung bietet. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Schlafdauer und -qualität einen wesentlichen Einfluss auf die langfristige Gesundheit des Gehirns haben und möglicherweise das Risiko für Demenzerkrankungen beeinflussen können. Dieser Artikel beleuchtet die komplexen Zusammenhänge zwischen Schlaf, kognitiver Funktion und Demenzrisiko, basierend auf aktuellen Studien und Expertenmeinungen.
Einführung
Die alternde Gesellschaft sieht sich einem steigenden Risiko für neurodegenerative Erkrankungen wie die Alzheimer-Demenz gegenüber. Neben genetischen und vaskulären Faktoren gewinnen Lebensstil und Umweltfaktoren wie die Schlafqualität zunehmend an Bedeutung. Schlafstörungen sind ein charakteristisches Merkmal vieler Krankheiten, insbesondere auch von neurodegenerativen Erkrankungen und Demenzen. Ursächlich vermutet man eine pathophysiologische Fehlregulation im Schlaf-Wach-Rhythmus durch demenzbedingte Veränderungen im Hypothalamus und Hirnstamm. Bereits seit längerem bringen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Schlafstörungen mit Demenz in Verbindung. Frühere Studien lieferten widersprüchliche Ergebnisse über die Beziehung zwischen Schlafstörungen und Demenz. Ein Schlüsselaspekt könnte die Dauer der Beobachtung sein.
Aktuelle Studienlage: Der Zusammenhang zwischen Schlafdauer und Demenzrisiko
US-amerikanische Studie zu Schlafgewohnheiten und kognitiven Beeinträchtigungen
Eine Studie aus den USA untersuchte den Zusammenhang zwischen Schlafgewohnheiten und kognitiven Beeinträchtigungen. Im Zeitraum von 1993 bis 2012 wurden 826 Teilnehmende zu fünf bestimmten Zeitpunkten nach ihren Schlafgewohnheiten befragt. Zusätzlich wurden diese zwischen 1997 bis 2019 mehrfach neuropsychologisch untersucht. Zu Beginn der Studie lag das Durchschnittsalter bei rund 76 Jahren. Die Bewertung der erhobenen Daten lag ein bestimmtes Klassifikationssystem der Schlafdauer zugrunde. Wer im Median bis zu sieben Stunden täglich schläft, hat demnach einen kurzen Schlaf. Bezogen auf den Langzeitverlauf stieg bei Seniorinnen und Senioren, die auf Dauer weniger als sieben Stunden pro Nacht schliefen, das Risiko für eine kognitive Beeinträchtigung deutlich an. Das erhöhte Risiko galt auch für jene Teilnehmenden mit einer großen Variabilität in der Schlafdauer. Die Studienergebnisse legen dabei nahe, dass die „Variabilität der Schlafdauer, zusätzlich zur durchschnittlichen Schlafdauer allein, ein wichtiger Faktor für die Entwicklung kognitiver Beeinträchtigungen bei älteren Erwachsenen sein kann“, schreiben die Forschenden. Die beobachtete Schlafvariabilität führen die Autorinnen und Autoren auf unterschiedliche Gründe zurück, darunter altersbedingte Erkrankungen im neurologischen oder psychiatrischen Bereich wie etwa Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfall. Auch Schichtarbeit, Ruhestand oder Änderungen des Familienstands können damit verbunden sein.
Niederländische Langzeitstudie: Schlafstörungen und langfristige Demenzrisiken
Die Longitudinal Aging Study Amsterdam untersuchte 2.218 Personen über einen Zeitraum von bis zu 23,8 Jahren. Mithilfe standardisierter Fragebögen wurden Schlafprobleme wie kurze Schlafdauer (≤6 Stunden), lange Schlafdauer (≥9 Stunden), frühes Erwachen und unterbrochener Schlaf erfasst. Die Diagnose von Demenz erfolgte über ein Algorithmus-basiertes System, das kognitive Tests und andere relevante Daten berücksichtigte. Die Ergebnisse zeigen, dass Schlafstörungen das Demenzrisiko mit zunehmender Beobachtungsdauer signifikant beeinflussen:
- Kurze Schlafdauer (≤6 Stunden): Erhöhtes Risiko wurde besonders bei einer Latenz von ≥15 Jahren beobachtet (Odds Ratio [OR] bis zu 3,44 bei 19 Jahren).
- Unterbrochener Schlaf: Die Odds Ratio erreichte 7,16 nach 23 Jahren, was auf eine starke Assoziation hinweist.
- Frühes Erwachen: Mit einer Verzögerung von 16 Jahren war das Risiko mehr als verdreifacht (OR = 3,45).
- Lange Schlafdauer (≥9 Stunden): Hier wurde das Risiko nur bei kurzen Beobachtungszeiten (ca. 3 Jahre) erhöht gemessen, was auf mögliche Rückkopplungseffekte durch die prodromale Phase der Demenz hinweist.
Die niederländische Langzeitstudie zeigt, dass bei kurzen Beobachtungszeiten ein sogenannter "reverse causation"-Effekt auftreten kann. Dies bedeutet, dass neurodegenerative Veränderungen bereits vor dem klinischen Auftreten einer Demenz die Schlafqualität beeinflussen können. Längere Beobachtungszeiträume, wie sie in dieser Studie angewandt wurden, mindern diesen Einfluss und erlauben eine genauere Einschätzung der kausalen Beziehungen zwischen Schlafstörungen und Demenz.
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Whitehall-II-Studie: Schlafdauer im mittleren Lebensalter und Demenzrisiko
Eine weitere wichtige Studie ist die Whitehall-II-Studie, eine prospektiv-longitudinale epidemiologische Kohortenstudie, die in London von 1985 bis 1988 begann. Von 10.308 Teilnehmenden waren von 7.959 Personen Daten zur Schlafdauer verfügbar. Anhand dieser Daten wurde die Assoziation zwischen Schlafdauer im mittleren Lebensalter (ab 50 Jahren) und der späteren Demenz-Inzidenz untersucht. 521 Teilnehmende (von 7.959) entwickelten über einen Beobachtungszeitraum von 25 Jahren eine Demenz. Das mittlere Alter bei der Diagnosestellung lag bei 77,1 ± 5,6 Jahren (Range 53-87 Jahre). Menschen mit einer normalen nächtlichen Schlafdauer (definiert als durchschnittlich sieben Stunden) hatten die niedrigste Demenz-Inzidenz. Bei Berücksichtigung soziodemografischer Faktoren war eine kurze Schlafdauer (≤ 6 Stunden) mit einem signifikant höheren Demenzrisiko in allen Altersgruppen assoziiert. Gegenüber einer normalen Schlafdauer war eine durchgehend kurze Schlafdauer im Alter von 50, 60 und 70 Jahren auch unabhängig von soziodemografischen Faktoren, dem Gesundheitsbewusstsein sowie kardiometabolischer und psychischer Faktoren mit einem um 30% erhöhten Demenzrisiko assoziiert. Assoziationen zwischen Demenzentwicklung und langen Schlafdauern (˃ 9 Stunden) gab es, anders als in früheren Studien nicht.
Séverine Sabia vom University College London und Mitarbeiter haben die Antworten in den Fragebögen und die Daten aus den Akzelerometern mit den späteren Demenzdiagnosen in Verbindung gesetzt. Eine Stärke der Studie ist, dass zwischen den Befragungen und dem Beginn der Demenzen teilweise mehr als 25 Jahre lagen, eine für Beobachtungsstudien ungewöhnlich lange Nachbeobachtungszeit. Außerdem wurden die Teilnehmer nicht nur 1 Mal, sondern über die Jahre immer wieder befragt, so dass wechselnde Schlafgewohnheiten berücksichtigt werden konnten. Die Teilnehmer waren zu Beginn der Studie zwischen 35 und 55 Jahre alt. Inzwischen haben sie ein Alter von 63 bis 86 Jahren erreicht. In dieser Zeit wurde bei 521 Teilnehmern eine Demenz diagnostiziert. Die Angestellten, die im Alter von 50 Jahren eine Schlafdauer von weniger als 6 Stunden angegeben hatten, waren zu 22 % häufiger erkrankt. Sabia ermittelt eine Hazard Ratio von 1,22, die mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,01 bis 1,48 signifikant war. Angestellte, die im Alter von 60 Jahren weniger als 6 Stunden in der Nacht schliefen, waren zu 37 % häufiger erkrankt (Hazard Ratio 1,37; 1,10 bis 1,72). Im Alter von 70 Jahren erhöhte der Kurzschlaf das Risiko um 24 % (Hazard Ratio 1,24; 0,98 bis 1,57). Am höchsten war das Risiko bei den Angestellten, die zu allen Terminen einen kurzen Schlaf angegeben hatten (Hazard Ratio 1,30; 1,00 bis 1,69). Die Auswertung der Akzelerometerdaten bestätigten den Zusammenhang: Die Hazard Ratio betrug 1,63 (1,04 bis 2,57).
Mögliche Mechanismen: Wie Schlafmangel das Demenzrisiko beeinflusst
Die genauen Mechanismen, durch die Schlafmangel das Demenzrisiko beeinflusst, sind noch nicht vollständig geklärt. Es gibt jedoch mehrere Theorien, die aufzeigen, wie Schlaf eine wichtige Rolle für die Gesundheit des Gehirns spielt.
Das glymphatische System und der Abbau von Beta-Amyloid
Eine Ursache für ein erhöhtes Demenzrisiko bei kurzer Schlafdauer könnte in der Funktionsweise des sogenannten glymphatischen Systems liegen, das wohl zum Abbau unter anderem von Eiweißen wie Beta-Amyloid beiträgt. Während des gesunden Schlafes erweitern sich die Räume zwischen den Nervenzellen im Gehirn und es können Giftstoffe ausgeschwemmt werden. Bei der Entstehung der Alzheimer-Erkrankung spielen schädliche Eiweißstoffe (beta-Amyloide) eine wichtige Rolle. Wenn wir schlafen, übernimmt das Gehirn also eine Art Reinigungsfunktion.
Schlaf und synaptische Plastizität
Schlaf hat eine wichtige Bedeutung für die Ausbildung und Aufrechterhaltung kognitiver Funktionen bzw. die synaptische Plastizität, beispielsweise für Gedächtnis und Lernvorgänge.
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Schlafapnoe und Demenzrisiko
Im letzten Jahr berichteten französische Forscher, dass Patienten mit obstruktivem Schlafapnoesyndrom, einer häufigen Schlafstörung, häufiger als andere Menschen Beta-Amyloid-Ablagerungen im Gehirn haben, auch wenn sie keine kognitiven Störungen aufweisen.
Präventive Maßnahmen: Was können wir tun, um unser Gehirn zu schützen?
Die Ergebnisse der Studien verdeutlichen, dass die frühe Erkennung und Behandlung von Schlafstörungen essenziell für die Prävention von Demenz sein könnte. Eine aktuelle Studie im Wissenschaftsmagazin Nature Communications hat jetzt Zahlen für einen Zusammenhang zwischen Schlaf und Demenzrisiko vorgelegt. Daten von fast 8.000 Menschen über eine Zeit von 25 Jahren wurden dazu ausgewertet. Das ist wichtig, weil sich eine Demenz meist über solche längeren Zeiträume entwickelt. Die Ergebnisse zeigten, dass Teilnehmende mit durchschnittlich sieben Stunden Nachtruhe im Alter die niedrigste Demenzrate hatten. Bei jenen mit kürzeren Schlafzeiten trat eine Demenz hingegen um 30 Prozent öfter auf. Gegen eine Demenz im Alter lässt sich einiges tun. Das zeigt eine große internationale Studie. Die Möglichkeiten reichen von gesundem Blutdruck und Bewegung bis hin zu einem aktiven Sozialleben. Die Reihe der Risikofaktoren für eine Demenz ist lang. Schlechtes Hören, Schädel-Hirn-Trauma und Bluthochdruck gehören genauso dazu wie Alkohol, Übergewicht und Rauchen. Depression, soziale Isolation, Bewegungsmangel, Diabetes und sogar Luftverschmutzung im höheren Lebensalter sind weitere Faktoren. Vermeidet man sie, lässt sich das Demenz-Risiko um bis zu 40 Prozent verringern.
Schlafhygiene: Tipps für einen gesunden Schlaf
Gute Schlafgewohnheiten (auch bekannt als "Schlafhygiene") umfassen alle Maßnahmen, die einen gesunden Schlaf ermöglichen beziehungsweise fördern. In ihrem Ratgeber für gesunden Schlaf im Alter empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM):
- Eine angenehme Schlafumgebung: Das Schlafzimmer sollte möglichst kühl (16°C bis 18°C), ruhig und dunkel sein.
- Abendroutinen: Gehen Sie möglichst immer zur selben Uhrzeit schlafen, auch am Wochenende.
- Einschlafhilfen: Baldriantropfen, Kräutertees mit Passionsblume, Melisse oder Lavendelblüten können beruhigend wirken.
- Sich Zeit geben: Schlaf lässt sich nicht erzwingen, achten Sie daher darauf, was Ihnen gut tut und Sie entspannt.
Ärztliche Abklärung bei Schlafproblemen
Wenn Sie häufig schlecht schlafen und sich dies negativ auf Ihren Alltag auswirkt, lassen Sie dies ärztlich abklären. So lässt sich feststellen, ob die Schlafprobleme durch äußere Umstände entstehen - oder ob körperliche oder seelische Ursachen dahinterstecken.
Behandlung von Schlafapnoe
„Es gibt viele Risikofaktoren und auch die Genetik spielt eine Rolle. Der Zusammenhang zwischen Schlafapnoe und Demenz ist ein Argument mehr, diese Schlaferkrankung in jedem Alter zu behandeln und somit auch das Risiko für eine Demenz weiter zu minimieren“, betont Prof. Robert Göder macht jedoch auch deutlich, dass selbstverständlich nicht jeder Schlafapnoe-Patient Demenz bekommen wird. „Aber wer sich bestmöglich gegen Demenz schützen möchte, der sollte eine diagnostizierte Schlafapnoe als zusätzlichen Risikofaktor in jedem Fall therapieren lassen“, rät Göder.
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Einschränkungen und Perspektiven
Es ist wichtig zu betonen, dass die vorliegenden Studien zwar Zusammenhänge zwischen Schlafdauer und Demenzrisiko aufzeigen, aber keine Kausalität beweisen. Ebenso könne der Zusammenhang andersherum sein und der kürzere Schlaf eine Folgeerscheinung der Demenz bei den untersuchten Personen. Ob der Schlaf der Auslöser ist, müssen weitere Studien erst klären. Prof. Dr. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung e. V., dämpft die Erwartung und betont, dass weitere Studien notwendig sind, um die genauen Zusammenhänge zu klären. Auch Prof. Dr. Kathrin Reetz, Vizepräsidentin der Deutschen Hirnstiftung, rät angesichts dessen, wer dauerhaft von Natur aus wenig schläft oder phasenweise unter Schlaflosigkeit leidet, „aber nicht in Panik verfallen“.
Dennoch deuten die Ergebnisse darauf hin, dass eine gute Schlafhygiene grundsätzlich der Gesundheit zuträglich ist - insbesondere auch der des zentralen Nervensystems.