Die Zusammenarbeit von Sinnesorganen und Nervensystem

Der Mensch tritt über das Nervensystem in Kontakt mit seiner Umwelt. Die Sinnesorgane wie Augen, Ohren, Nase, Zunge und Haut nehmen Reize aus der Umwelt wahr und leiten sie an das Zentralnervensystem weiter. Auch Informationen über den Zustand des eigenen Organismus, wie die Stellung des Körpers oder Hunger und Durst, werden registriert. Dieser Teil des Nervensystems wird als sensorisches Nervensystem bezeichnet. Dem gegenüber steht das motorische Nervensystem, mit dem der Organismus auf Signale aus seiner Umgebung oder vom Körper selbst reagiert. So steuert das motorische Nervensystem die Muskulatur und ermöglicht uns damit, Handlungen auszuführen und uns in der Umwelt zu bewegen.

Das Nervensystem: Eine komplexe Schaltzentrale

Das Nervensystem umfasst alle Nervenzellen des menschlichen Körpers und steuert vielfältige Mechanismen im Inneren. Es nimmt Sinnesreize auf, verarbeitet sie und löst Reaktionen wie Muskelbewegungen oder Schmerzempfindungen aus. Wer zum Beispiel auf eine heiße Herdplatte fasst, zieht die Hand reflexartig zurück - und die Nervenbahnen senden gleichzeitig ein Schmerzsignal ans Gehirn.

Das Nervensystem enthält viele Milliarden Nervenzellen, sogenannte Neuronen, allein im Gehirn sind es rund 100 Milliarden. Jede einzelne Nervenzelle besteht aus einem Körper und verschiedenen Fortsätzen. Die kürzeren Fortsätze (Dendriten) wirken wie Antennen: Über sie empfängt der Zellkörper Signale, zum Beispiel von anderen Nervenzellen.

Zentrale und Periphere Nervensystem

Nach der Lage der Nervenbahnen im Körper unterscheidet man zwischen einem zentralen und einem peripheren Nervensystem. Das zentrale Nervensystem (ZNS) umfasst Nervenbahnen in Gehirn und Rückenmark und befindet sich sicher eingebettet im Schädel und dem Wirbelkanal in der Wirbelsäule.

Willkürliches und Vegetatives Nervensystem

Das willkürliche Nervensystem (somatisches Nervensystem) steuert alle Vorgänge, die einem bewusst sind und die man willentlich beeinflussen kann. Dies sind zum Beispiel gezielte Bewegungen von Gesichtsmuskeln, Armen, Beinen und Rumpf.

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Das vegetative Nervensystem (autonomes Nervensystem) regelt die Abläufe im Körper, die man nicht mit dem Willen steuern kann. Es ist ständig aktiv und reguliert beispielsweise Atmung, Herzschlag und Stoffwechsel. Hierzu empfängt es Signale aus dem Gehirn und sendet sie an den Körper. In der Gegenrichtung überträgt das vegetative Nervensystem Meldungen des Körpers zum Gehirn, zum Beispiel wie voll die Blase ist oder wie schnell das Herz schlägt. Das vegetative Nervensystem kann sehr rasch die Funktion des Körpers an andere Bedingungen anpassen. Ist einem Menschen beispielsweise warm, erhöht das System die Durchblutung der Haut und die Schweißbildung, um den Körper abzukühlen.

Sowohl das zentrale als auch das periphere Nervensystem enthalten willkürliche und unwillkürliche Anteile. Zum vegetativen Nervensystem gehören das sympathische Nervensystem, das parasympathische Nervensystem und das Eingeweide-Nervensystem (enterisches Nervensystem).

Sympathikus und Parasympathikus: Gegenspieler im Körper

Das sympathische und parasympathische Nervensystem (Sympathikus und Parasympathikus) wirken im Körper meist als Gegenspieler: Der Sympathikus bereitet den Organismus auf körperliche und geistige Leistungen vor. Er sorgt dafür, dass das Herz schneller und kräftiger schlägt, erweitert die Atemwege, damit man besser atmen kann, und hemmt die Darmtätigkeit.

Der Parasympathikus kümmert sich um die Körperfunktionen in Ruhe: Er aktiviert die Verdauung, kurbelt verschiedene Stoffwechselvorgänge an und sorgt für Entspannung.

Sinnesorgane: Die Fenster zur Welt

Über das Nervensystem tritt der Mensch in Kontakt mit seiner Umwelt. So nehmen beispielsweise Augen, Ohren, Nase, Zunge und Sensoren in der Haut, wie beispielsweise Temperatur- und Berührungssensoren, Reize aus der Umwelt wahr und leiten sie weiter zum Zentralnervensystem. Auch Informationen über den Zustand des eigenen Organismus, wie z.B. die Stellung des Körpers oder Hunger und Durst, werden registriert. Dieser Teil des Nervensystems wird als sensorisches Nervensystem bezeichnet. Dem gegenüber steht das motorische Nervensystem. Mit ihm reagiert der Organismus auf Signale aus seiner Umgebung oder vom Körper selbst. So steuert das motorische Nervensystem die Muskulatur und ermöglicht uns damit, Handlungen auszuführen und sich in der Umwelt zu bewegen.

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Ein Beispiel: Bewegen wir uns auf ein Hindernis zu, wird es vom Auge wahrgenommen. Das sensorische Nervensystem gibt diese Information an das Gehirn weiter. Hier wird die Information verarbeitet und die Entscheidung getroffen, dem Hindernis auszuweichen. Vieles von dem, was unser Nervensystem leistet, machen wir bewusst. Wir entscheiden über Zuschauen oder Wegsehen, Fortgehen oder Stehenbleiben, Sprechen oder Zuhören. Der daran beteiligte Teil unseres Nervensystems unterliegt unserer willkürlichen Kontrolle.

Daneben hat das Nervensystem aber auch Aufgaben, die wir nicht bewusst kontrollieren können. Jeder kennt die Situation: Beim Sport oder in Stresssituationen erhöht sich automatisch der Herzschlag, die Atmung wird schneller und man beginnt zu schwitzen. Verantwortlich dafür ist das vegetative Nervensystem, das auch als autonomes oder unwillkürliches Nervensystem bezeichnet wird, weil es nicht unserem Willen unterworfen ist. Das vegetative Nervensystem kontrolliert die Muskulatur aller Organe, regelt also lebenswichtige Körperfunktionen wie Herztätigkeit, Atmung, Kreislauf, Stoffwechsel, Verdauung, Ausscheidung, Schweißbildung, Körpertemperatur und Fortpflanzung. Außerhalb von Gehirn und Rückenmark besteht es aus dem Sympathikus und seinem Gegenspieler, dem Parasympathikus. Der Sympathikus sorgt für eine Erhöhung des Herzschlages und der Atemtätigkeit, verbessert die Durchblutung in der Muskulatur und fördert das Schwitzen. Durch den Parasympathikus hingegen schlägt das Herz langsamer, die Atmung wird ruhiger und die Verdauung wird gefördert.

Die Fünf Klassischen Sinne und Mehr

Der Mensch hat mehr als die fünf klassischen Sinne, die bisher beschrieben worden sind. Je nach Auslegung gibt es bis zu 13 verschiedene.

  • Auge: Unsere Augen ermöglichen uns das Sehen und damit die visuelle Wahrnehmung. Im Auge befinden sich dafür in der Netzhaut über 120 Millionen lichtempfindliche Sehsinneszellen. Die sogenannten Stäbchen sind für das Hell-Dunkel-Sehen verantwortlich und die Zapfen für das Farbsehen.
  • Ohr: Unsere Ohren sind für das Hören und die auditive Wahrnehmung verantwortlich. Schallwellen bringen das Trommelfell im Ohr zum Schwingen.
  • Nase: Beim Riechen spricht man auch von der olfaktorischen Wahrnehmung. Gerüche entstehen durch chemische Moleküle, die über Riechsinneszellen - in unserer Nase befinden sich etwa 20 bis 30 Millionen davon - wahrgenommen werden. Die große Anzahl an Sinneszellen bedeutet nicht, dass es auch 20 bis 30 Millionen verschiedene Duftmoleküle gibt. Vielleicht hast du schon einmal den Duft von frisch gebackenem Brot wahrgenommen und sofort Appetit bekommen. Unsere Nase und die darin befindlichen Geruchssinneszellen sind dafür verantwortlich. Sie nehmen die Duftstoffe aus der Luft auf und leiten die Informationen an dein Gehirn weiter. So kann dein Körper entscheiden, ob etwas gut riecht und ob es essbar ist.
  • Zunge: Die Zunge ermöglicht uns das Schmecken und die gustatorische Wahrnehmung. Dazu befinden sich auf der Zunge unzählige Geschmacksknospen, die uns die Geschmacksrichtungen süß, sauer, bitter, salzig und umami wahrnehmen lassen. Dass scharf eine Geschmacksrichtung ist, ist ein Irrglaube. Schärfe ist kein Geschmack, sondern ein Schmerz- bzw.
  • Haut: Das Sinnesorgan Haut ist vielleicht nicht direkt als Organ erkennbar, doch es ermöglicht unsere haptische und taktile Wahrnehmung. Es ist das größte Sinnesorgan und mit den Sinneszellen, die in der Haut liegen, können wir Druck, Schmerz und Temperatur wahrnehmen. Wir können zum Beispiel die Oberflächenstruktur eines Gegenstandes oder eines Lebewesens erfühlen. Deine Haut ist das größte Sinnesorgan deines Körpers! Als Schutzschild merkt sie, wenn etwas warm oder kalt, schmerzhaft oder angenehm ist. Sie ist mit Millionen von Nervenenden ausgestattet, die dir helfen, deine Umgebung zu fühlen und zu erleben.

Reiz-Reaktions-Schema

Du weißt nun, dass Reize aus der Umwelt, die über unsere Sinnesorgane aufgenommen und zur Verarbeitung an das Gehirn weitergeleitet werden, zu verschiedenen Reaktionen führen (Reiz-Reaktions-Schema). Du kannst dir somit sicher denken, dass Sinnesorgane eine wichtige Voraussetzung für unser Überleben darstellen. Das Beispiel mit dem Tiger hast du weiter oben bereits gelesen (wir rennen weg, wenn wir einen Tiger sehen). Es ist allerdings oftmals gar nicht so offensichtlich und passiert relativ unbewusst: Wir gehen zum Beispiel nicht über die Straße, wenn wir sehen und hören, dass ein Auto angefahren kommt. Wir ziehen unsere Hand zurück, wenn wir eine heiße Herdplatte anfassen usw. Wir schützen unseren Körper ständig, wenn wir wahrgenommene Reize als ungut für uns bewerten. Gleichermaßen nehmen wir auch Gutes für uns wahr: den appetitanregenden Duft von Omas Zimtschnecken, das Bild wunderschöner Natur, Vogelgeräusche, die wärmende Sonne und und und. Die Wahrnehmung eines Reizes aus der Umwelt führt oft zu einer Reaktion. Die fünf klassischen Sinnesorgane sind Auge, Ohr, Nase, Zunge und Haut.

Das Gehirn: Die Informationszentrale

Das Gehirn ist die Informationszentrale unseres Körpers. Hier werden Informationen aus der Umwelt und über den Zustand des Organismus zusammengetragen und zu Reaktionen weiterverarbeitet. Der am höchsten entwickelte Abschnitt des Gehirns ist das Großhirn mit der Großhirnrinde. Hier liegen die Verarbeitungszentren für Signale, die von den Augen (Sehrinde), den Ohren (Hörzentrum) und anderen Sinnesorganen kommen. Durch die Sehrinde beispielsweise erkennen wir einen Gegenstand als Auto, d.h. erst durch sie erhält das Gesehene eine Bedeutung. Auch Informationen von der Körperoberfläche werden in der Großhirnrinde verarbeitet. Dabei ist der Bereich der Großhirnrinde, der für eine bestimmte Region der Körperoberfläche zuständig ist, umso grösser, je wichtiger er für die Wahrnehmung der Umwelt ist. So ist das „Wahrnehmungsfeld“ für Informationen, die von den Händen kommen, deutlich grösser als das für die Füße. Auch das Wiedererkennen von Orten und Personen erfolgt in der Großhirnrinde. Andere Bereiche der Großhirnrinde sind für Sprache, Rechnen und Empfindungen zuständig. Der motorische Bereich der Großhirnrinde steuert und koordiniert Muskelbewegungen.

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Die weiteren Abschnitte des Gehirns sind Zwischenhirn, Mittelhirn, Kleinhirn und Nachhirn. Im Zwischenhirn werden beispielsweise vegetative Funktionen wie Körpertemperatur, das Hunger- und Durstgefühl sowie das Sexualverhalten gesteuert. Hier befindet sich auch die Hypophyse. Diese wichtige Hormondrüse, die auch als Hirnanhangsdrüse bezeichnet wird, produziert Wirkstoffe (Hormone), die in die Blutbahn abgegeben werden und dann über den Blutkreislauf zu ihren Wirkorten gelangen. Die Hormone der Hypophyse steuern beispielsweise das Längenwachstum vor der Pubertät, fördern das Wachstum der inneren Organe und haben Einfluss auf den Stoffwechsel. Zudem fördern sie die Reifung der Eizellen in den Eierstöcken der Frau und die Entwicklung der Spermien beim Mann.

Das Mittelhirn ist der kleinste Abschnitt des Gehirns. Es steuert u.a. den Wach-Schlaf-Rhythmus und kann die Aufmerksamkeit auf bestimmte Sinneseindrücke lenken. Verantwortlich für den richtigen Ablauf aller Körperbewegungen ist das Kleinhirn. Zudem ist es massgeblich an der Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes beteiligt. Bei einem Ausfall des Kleinhirns kommt es deshalb zu taumelnden, zielunsicheren oder zittrigen Bewegungen, wie sie bei Betrunkenheit auftreten. Auch schnell aufeinander folgende Bewegungen können nicht mehr ausgeführt werden.

Mit dem Nachhirn grenzt das Gehirn an das Rückenmark. Hier werden die Atmung, der Kreislauf und viele Abläufe in den Organen gesteuert. Das Nachhirn ist auch für den Lidschlussreflex, den Tränenfluss, den Schluckreflex, die Speichelproduktion sowie für Niesen, Husten und Erbrechen zuständig. Zudem gibt es Reflexe, an denen nur das Rückenmark beteiligt ist.

Nervenzellen und Synapsen: Die Signalübertragung

Die Aufgabe der Nervenzellen besteht darin, Signale aufzunehmen und an andere Nervenzellen oder Muskel- und Drüsenzellen weiterzuleiten. Entlang einer Nervenzelle werden die Signale elektrisch fortgeleitet. Die Geschwindigkeit solcher Signale kann bis zu 360 km pro Stunde erreichen (100 m/sec = 6000 m/min = 360 km/h). Solche hohen Geschwindigkeiten sind notwendig, wenn man bedenkt, dass beispielsweise die Signale vom Gehirn bis zu der Muskulatur der Beine eine relativ große Strecke zurücklegen müssen.

Die Kontaktstelle zwischen 2 Nervenzellen ist die Synapse. Hier erfolgt die Übertragung des elektrischen Signals von einer Nervenzelle zur nächsten mit Hilfe von Botenstoffen, die auch als Transmitter bezeichnet werden. Gelangt das elektrische Signal zum Axonende einer Nervenzelle, wird dort der jeweilige Botenstoff in den winzigen Spalt zwischen den beiden Zellen ausgeschüttet. Die Funktion von Gehirn und Nervensystem basiert somit nicht nur auf einer Weiterleitung von elektrischen Signale sondern auch biochemischen Prozessen, welche die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen erst ermöglicht.

Das Gehirn als "Vorhersagemaschine"

Auch damit wir uns nahtlos durch die Welt bewegen und sie als zusammenhängende Einheit erleben können, muss unser Gehirn permanent abschätzen, was im nächsten Augenblick geschieht. Unser Denkorgan ist also eine „Vorhersagemaschine“: Was wir wahrnehmen, liegt sozusagen in der Zukunft. Doch wo genau wird dieser lückenlose Bewusstseinsstrom erzeugt? Dieser Frage ist der Neuropsychologe Assaf Breska am Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik in Tübingen mit einer Art Computerspiel und Hirnstrommessungen auf der Spur. Eine Schlüsselrolle scheint das Cerebellum, das Kleinhirn, zu spielen. „Es ist ein geheimnisvoller Teil des Gehirns, der 80 Prozent aller Neuronen ausmacht“, sagt Breska, „dessen Funktion wir aber immer noch nicht vollständig verstehen.“

Das Gehirn macht uns Menschen zu dem, was wir sind! Denkenden, fühlenden, kreativen, bewussten Wesen. Doch das Allermeiste wissen wir immer noch nicht. Die Forschung wird noch lange Zeit mühsame Detektivarbeit leisten. „Und wer weiß, ob wir unser Gehirn jemals komplett erforschen und verstehen werden“, sagt Mai Thi Nguyen-Kim.

Zusammenspiel von Sinnesorganen und Nervensystem bei Tieren

Tiere sind häufig in Bewegung - auf der Suche nach Futter, Partnern oder Sicherheit. Dafür brauchen sie ein Nervensystem, das Sinneseindrücke und Verhalten gut aufeinander abstimmt. Wichtige Sinneseindrücke müssen schnell erkannt und korrekt interpretiert werden, um daraus angemessene Verhaltensbefehle für das motorische System zu entwickeln. In der einfachsten Variante reicht ein Reiz, um eine eindeutige Reaktion auszulösen. Manches Verhalten lässt sich daher bottom-up, von unten nach oben erklären, etwa manche Reflexe. Oft ist die Lage aber komplizierter. Dann beeinflussen höhere Netzwerke aufgrund von Erfahrungen, Erwartungen und multiplen sensorischen Informationen die Verarbeitung in den senso-motorischen Netzwerken - eben top-down.

Die Verarbeitung von Sinneseindrücken denken wir bisher als hierarchisches System, in dem unterschiedlich spezialisierte Zellen nacheinander verschiedene Informationen aus den Eingaben der ihnen vorgeschalteten Zellen herausfiltern. Neuere Forschungen zeigen, dass Informationen aber nicht nur in eine Richtung, sondern oft in komplizierten und dynamischen Rückkopplungen zwischen Sensorik, Motorik und assoziativen „höheren“ Netzwerken laufen. Solche Rückkopplungen reichen zurück bis zu den Sinnesorganen. Durch vorherige Erfahrungen und andere interne Informationen entstehen im Nervensystem Erwartungshaltungen, die sich auf die Wahrnehmung selbst auswirken. So reagiert man zum Beispiel besonders sensibel auf unerwartete Reize, und ist damit gut gewappnet für Überraschungen.

Die Welt wahrnehmen und auf sie reagieren - das kennzeichnet alles Leben, vom schlichtesten Einzeller bis zum komplexesten Primaten. Am virtuosesten interagieren Tiere mit ihrer Umwelt, denn sie sind im Gegensatz zu vielen anderen Organismen zumindest für einen Teil ihres Lebens in reger Bewegung: auf der Suche nach Nahrung, Partnern oder Sicherheit. So ein Lebensstil setzt die Fähigkeit voraus, schnell und flexibel auf die sich ständig verändernde Außenwelt zu reagieren - Chancen bestmöglich zu nutzen und Risiken möglichst zu umschiffen. Der Schlüssel zum Erfolg, geschmiedet in mehr als 500 Millionen Jahren der Evolution, ist ein Nervensystem, in dem Sinne und Motorik geschickt zusammenspielen.

Bottom-up vs. Top-down: Zwei Perspektiven auf die Verhaltenssteuerung

Einigen tierischen Verhaltensmustern kann man sich mit einem solchen schlichten Schema nähern. Schaltkreise mit klaren Bahnen, die von unten nach oben, von einem sensorischen Reiz zur Verarbeitung und dann weiter zur motorischen Reaktion verlaufen, gibt es beispielsweise bei Reflexen, mit denen ein Tier schnell und unwillkürlich in immer gleicher Weise auf bestimmte äußere Reize reagiert. Manche Reflexe sind angeboren. Mit dem Lidschlussreflex etwa reagiert der Körper auf plötzliche Reize oder Gefahrensignale, um das empfindliche Auge vor Schäden zu schützen. Andere Reflexe werden erst im Laufe des Lebens erworben, wenn ein Tier lernt, dass sich ein konkretes Verhalten in bestimmten Situationen bewährt. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist der Sabberreflex, mit dem die Hunde von Iwan Petrowitsch Pawlow auf einen Glockenton reagierten, der immer kurz vor der Fütterung erklang.

Mit derart starren Verhaltensmustern lässt sich aber längst nicht alles erreichen, was in einer wandelbaren Welt notwendig oder wünschenswert wäre. Das gilt erst recht, wenn es um komplexeres Verhalten geht, das viele Faktoren berücksichtigen muss und vielleicht sogar längerfristiger geplant wird. Wie ein Nervensystem solche Aufgaben löst und dabei die richtige Balance zwischen Reizwahrnehmung und Reaktionswahl findet, lässt sich besser top-down betrachten - also von oben nach unten. Denn Planung bezieht auch Erfahrungen mit ein und Erfahrung führt zu Erwartung. Höherliegende Schaltkreise beeinflussen entsprechend die Verarbeitung bestimmter Reize durch vorgeschaltete Netzwerke, indem sie wie ein Filter wirken. Eine solche Verschaltung ermöglicht ein deutlich komplexeres Verhalten.

Interaktion von Sensorik und Motorik

Die Realität liegt meist irgendwo zwischen beiden Extremen. Die Nervenbahnen von Sensorik und Motorik funken selten nur einspurig. Stattdessen gilt es schon für scheinbar schlichtes Verhalten, oft Informationen aus mehreren Quellen zu verrechnen und das Ergebnis dann wiederum an mehrere Empfängerregionen im Körper zurückzuspielen. Diese Integrations- und Verteilungsleistungen laufen auf unterschiedlichen Ebenen ab. Anfangs registrieren Sinneszellen bestimmte Reize. Die mit ihnen verknüpften Neurone und Netzwerke funktionieren dann wie eine Reihe von Filtern, die auf unterschiedliche Aspekte der Sinneseindrücke reagieren. Die extrahierten Informationen geben sie jeweils an die nächste Ebene zur Verrechnung weiter: Sie werden weiter gefiltert, und mit den Informationen aus anderen Sinnesorganen oder zentralen neuronalen Netzwerken integriert.

Fruchtfliegen zum Beispiel müssen sich in einer dreidimensionalen Welt zurechtfinden, wenn sie durch die Luft navigieren und dabei Hindernissen und Räubern ausweichen wollen. Die Fotorezeptoren in ihren Augen reagieren auf bestimmte Lichtintensitäten oder Wellenlängen, andere Sinneszellen auf die Position des eigenen Körpers oder Geräusche. Unterschiedlich spezialisierte Zellen auf der nächsten Ebene, filtern weitere Details aus den Informationen heraus, zum Beispiel die Richtung, aus der verschiedene Signale kommen, oder die Geschwindigkeit, mit der sie sich verändern. Auf einer noch höheren Ebene integrieren weitere Zellen die Komponenten zu raumzeitlichen Mustern, die einem Gesamtbild der aktuellen Situation und der Verhaltensmöglichkeiten entsprechen.

Sensorik und Motorik interagieren dabei nicht nur mehrspurig, sondern auch in beide Richtungen: Sie funken in einem regen Gegenverkehr vielfältige Rückmeldungen hin und her. Schon einfach gestrickte Nervensysteme können so Sinneseindrücke und Verhaltensbefehle virtuos aufeinander abstimmen.

Rückkopplungen und interne Kommunikation

Manche Rückkopplungen zwischen Sensorik und Motorik sind schon länger bekannt. So weiß man seit Mitte des 20. Jahrhunderts, dass Kopien motorischer Befehle (so genannte Efferenz-Kopien) an sensorische Areale geschickt werden, damit Informationen über die Bewegung des eigenen Körpers dort mit neuen Sinnesinformationen verrechnet werden können. Das ist nötig, um korrekt einzuschätzen, wie sich die Wahrnehmung der Umwelt durch eigene Bewegungen verändert. Andernfalls entstünden verzerrte Eindrücke.

Wie vielfältig und komplex sich die Interaktion von Sensorik und Motorik jedoch tatsächlich gestaltet, um Verhalten optimal an die Umwelt anzupassen, wird erst neuerdings richtig deutlich. „Nervensysteme funktionieren nicht nur als externe sondern auch als interne Kommunikationssysteme“, sagt Grothe: „Auf der Suche nach Regeln für die Informationsverarbeitung von Ebene zu Ebene haben wir zu oft nur in die eine Richtung geschaut und dann festgestellt, dass das nur die halbe Wahrheit ist.“

Im menschlichen Hörsystem zum Beispiel geht es entgegen ursprünglicher Erwartungen keineswegs darum, ein möglichst akkurates Abbild der Umwelt aufzubauen und etwa eine Schaltquelle genau zu orten. „Wir dachten, wir bauen ein Bild unserer Umgebung auf, aber das ist eine Illusion“, sagt Grothe. Stattdessen verrechnen Schaltkreise innerhalb von Millisekunden etliche lokale und systemweite Rückkopplungen und berücksichtigen dabei sowohl äußere Reize als auch interne Erfahrungen, Erwartungen und Reaktionen.

Predictive Coding und Active Sensing

Auf Grundlage solcher Erkenntnisse sind Konzepte wie predictive coding und active sensing entstanden, nach denen Sinneseindrücke im Cortex mit Erfahrungen, Erwartungen und Handlungsdispositionen integriert werden, die wiederum zu bestimmten Erwartungshaltungen führen. Diese schärfen das Sinnessystem besonders für Reize, die diesen Erwartungen gerade nicht entsprechen. Solche Überraschungen werden nun bevorzugt registriert und lösen Alarm aus. Die Vorteile eines derartigen Feintunings liegen auf der Hand: Wer im Alltagstrott feine Antennen für unerwartete Gefahren - oder Chancen - bewahrt, sichert sich so vielleicht den entscheidenden Überlebensvorteil.

Die Erkenntnis, dass Sensorik und Motorik nicht in fest verschalteten, hierarchischen Bahnen verlaufen, sondern hochdynamisch und flexibel miteinander und mit der Umwelt interagieren, bringt neue Herausforderungen für die Forschung mit sich. Die Fragen werden komplizierter und Experimente anspruchsvoller. Nun gilt es zu beobachten und zu verstehen, wie Gruppen verschiedener Zellen zusammenarbeiten, wenn ein Tier sich durch die Welt bewegt. Methodische Fortschritte wie die gleichzeitige Ableitung vieler Zellen, Virtual-Reality-Simulationen für Versuchstiere und Leistungssprünge in der Datenanalyse und Algorithmenentwicklung öffnen hier neue Perspektiven.

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