Polyneuropathie: Krankheitsverlauf, Ursachen, Symptome und Behandlung

Die Polyneuropathie ist eine häufige neurologische Erkrankung, bei der das periphere Nervensystem geschädigt ist. Das periphere Nervensystem umfasst alle Nerven außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks. Diese Nerven sind für die Steuerung der Muskeln, die Übertragung von Sinnesinformationen und die Regulation der Organfunktionen verantwortlich. Schäden an diesen Nerven können zu einer Vielzahl von Symptomen führen, die die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen können.

Was ist Polyneuropathie?

Der Begriff Polyneuropathie (PNP) stammt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt "Erkrankung mehrerer Nerven". Es handelt sich um eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, zu dem alle Nerven gehören, die außerhalb des Zentralnervensystems (Gehirn und Rückenmark) liegen. Das periphere Nervensystem besteht aus motorischen, sensiblen und autonomen Nerven mit den sie versorgenden Blut- und Lymphgefäßen.

Bei einer Polyneuropathie werden Reize zwischen Nerven, Rückenmark und Gehirn nicht mehr richtig weitergeleitet. Diese Funktionsstörung löst typische Beschwerden wie Schmerzen, Missempfindungen, Gefühlsstörungen oder Muskelschwäche aus.

Ursachen der Polyneuropathie

Es gibt über 300 bekannte Ursachen für Polyneuropathie. Die häufigsten Ursachen sind:

  • Diabetes mellitus: Ein dauerhaft erhöhter Blutzuckerspiegel kann die Nerven schädigen und zu einer diabetischen Polyneuropathie führen. Etwa jeder dritte Diabetiker ist davon betroffen.
  • Alkoholmissbrauch: Alkohol hat eine nervenschädigende Wirkung bei langjährigem hohem Konsum. Ca. 20 % der Polyneuropathien sind auf Alkoholkonsum zurückzuführen.
  • Entzündungen: Entzündungsprozesse im Körper, die durch Autoimmunerkrankungen oder Infektionen mit bestimmten Viren bzw. Bakterien verursacht werden, können die Nerven schädigen. Bekannte Erkrankungen sind Borreliose, Diphtherie oder Gürtelrose.
  • Vitaminmangel: Ein Mangel an bestimmten Vitaminen, insbesondere Vitamin B12, kann zu einer Polyneuropathie führen.
  • Weitere Ursachen: Erkrankungen der Leber, Nierenerkrankungen, Mangelernährung (z.B. bei Zöliakie), Autoimmunerkrankungen (z.B. Guillain-Barré-Syndrom, rheumatoide Arthritis), Einnahme bestimmter Medikamente (z.B. Antibiotika), Kontakt mit giftigen Substanzen (z.B. Schwermetalle), HIV-Infektionen, Krebserkrankungen, hormonelles Ungleichgewicht (z.B. Schilddrüsenunterfunktion), erbliche Veranlagung (hereditäre Neuropathien).

In etwa einem Viertel der Fälle kann die Ursache der Polyneuropathie nicht geklärt werden (idiopathische Polyneuropathie).

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Symptome der Polyneuropathie

Die Symptome einer Polyneuropathie können vielfältig sein und hängen davon ab, welche Nerven betroffen sind. Mediziner unterscheiden sensible, motorische und vegetative Polyneuropathien. Manche Menschen sind auch von mehreren Formen gleichzeitig betroffen. Die Symptome können sich akut, schnell verschlechternd oder chronisch entwickeln.

Typische Symptome sind:

  • Sensible Symptome: Empfindungsstörungen wie Kribbeln, Ameisenlaufen, Stechen, Elektrisieren, Taubheitsgefühl, Pelzigkeitsgefühl, Gefühl des Eingeschnürtseins, Schwellungsgefühle, vermindertes Temperatur- oder Schmerzempfinden, brennende Schmerzen (Burning-Feet-Syndrom). Oft beginnen die Symptome an den Füßen oder Händen und breiten sich socken- oder handschuhförmig aus.
  • Motorische Symptome: Muskelschwäche, Muskelschmerzen, Muskelzucken, Muskelkrämpfe, Muskelschwund, Gangunsicherheit, insbesondere im Dunkeln.
  • Vegetative Symptome: Schwindel, Blasenschwäche, Durchfall oder Verstopfung, verstärktes Schwitzen, Herzrhythmusstörungen, Blähgefühl und Appetitlosigkeit, Aufstoßen, Urininkontinenz, Stuhlinkontinenz, Impotenz, gestörtes Schwitzen, schlechte Kreislaufregulation mit Schwindel beim Aufstehen (Orthostase), Schwellung von Füßen und Händen (Wassereinlagerungen), mangelnde Regulation des Herzschlages bei Anstrengung.
  • Weitere Symptome: Erschöpfungszustände, kalte Füße, gestörtes Lageempfinden, Schwindel, Gangstörungen, Schmerzen (brennend, schneidend, stechend), erhöhte Schmerzempfindlichkeit, z.B. auf Berührung, Wärme oder Kälte.

Im weiteren Verlauf können auch innere Organe betroffen sein (autonome Polyneuropathie), was zu Blasenlähmung, Darmträgheit oder mangelnder Regulation des Herzschlages bei Anstrengung führen kann.

Diagnose der Polyneuropathie

Bei Verdacht auf Polyneuropathie sollte ein Neurologe aufgesucht werden. Die Diagnose umfasst in der Regel folgende Schritte:

  • Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte und der aktuellen Beschwerden. Der Arzt erkundigt sich nach Vorerkrankungen, Begleiterkrankungen, Medikamenteneinnahme, Alkoholkonsum und möglichen erblichen Vorbelastungen.
  • Klinisch-neurologische Untersuchung: Prüfung der Muskelkraft, Sensibilität (Berührung, Schmerz, Temperatur, Vibration), Reflexe und Koordination.
  • Elektrophysiologische Untersuchung: Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (Elektroneurographie, ENG) und der Muskelaktivität (Elektromyographie, EMG). Diese Untersuchungen helfen, die Art und das Ausmaß der Nervenschädigung festzustellen.
  • Laboruntersuchungen: Blutuntersuchungen zur Abklärung möglicher Ursachen wie Diabetes, Vitaminmangel, Entzündungen, Nierenerkrankungen oder Schilddrüsenerkrankungen. Gegebenenfalls werden auch Urin- oder Gehirnwasseruntersuchungen durchgeführt.
  • Weitere Untersuchungen: In einigen Fällen können weitere Untersuchungen erforderlich sein, z.B. genetische Tests, bildgebende Verfahren (MRT) oder eine Nervenbiopsie.

Behandlung der Polyneuropathie

Das Ziel der Behandlung ist es, die Ursache der Polyneuropathie zu beseitigen oder zu behandeln, das Fortschreiten der Nervenschädigung zu verhindern und die Symptome zu lindern.

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Die Behandlung umfasst in der Regel folgende Maßnahmen:

  • Behandlung der Grunderkrankung: Bei Diabetes mellitus ist eine optimale Blutzuckereinstellung entscheidend. Alkoholabhängige Menschen sollten eine Suchttherapie machen. Bei Vitaminmangel kann eine Ernährungsumstellung oder die Einnahme von Vitaminpräparaten helfen. Infektionen oder Entzündungen werden mit Antibiotika oder Kortison behandelt.
  • Schmerztherapie: Zur Linderung von Schmerzen kommen verschiedene Medikamente zum Einsatz, z.B. Antidepressiva, Antikonvulsiva (ursprünglich für Epilepsie entwickelt) oder Opioide. Opioide werden jedoch nur bei starken Schmerzen und für kurze Zeit verschrieben, da sie zu Abhängigkeit führen können. Auch lokale Schmerzmittel wie Lidocain oder Capsaicin können eingesetzt werden.
  • Physiotherapie und Ergotherapie: Diese Therapien können bei Muskelschwäche, Gleichgewichtsstörungen und Koordinationsproblemen helfen. Spezielle Übungen können die Muskelkraft stärken und die Beweglichkeit verbessern.
  • Weitere Maßnahmen: Spezielle Schienen (Orthesen) können bei Muskellähmungen helfen, Hände und Füße beweglich zu halten. Regelmäßige Fußpflege ist wichtig, um Druckstellen und Wunden zu vermeiden. Auch eine Anpassung des Lebensstils mit regelmäßiger körperlicher Betätigung (z.B. Aquagymnastik, Gehtraining) kann das Wohlbefinden steigern.
  • Neural-Akupunktur: Missempfindungen und Schmerzen können überdies mit einer Neural-Akupunktur behandelt werden.
  • Physikalische Therapie: In der physikalischen Therapie können vor allem sensible und motorische Symptome gelindert werden. Dazu werden Bäder, Elektrotherapie und Wärmeanwendungen genutzt.

Bei schweren Verläufen, insbesondere bei entzündlichen Polyneuropathien, kann auch eine Blutwäsche (Plasmapherese) durchgeführt werden.

Verlauf und Prognose

Der Verlauf einer Polyneuropathie ist je nach Ursache unterschiedlich. Es gibt akute Verläufe, bei denen sich die Symptomatik rasch bessert, aber auch chronische Verläufe, die sich langsam verschlimmern.

Die Prognose hängt von der Ursache und der Schwere der Erkrankung ab. Bei frühzeitiger Diagnose und Behandlung der Grunderkrankung kann das Fortschreiten der Nervenschädigung oft verlangsamt oder sogar gestoppt werden. In einigen Fällen ist auch eine Heilung möglich, insbesondere bei entzündlichen Neuropathien.

Eine pauschale Aussage zur Lebenserwartung bei Polyneuropathie ist nicht möglich. Die Lebenserwartung wird maßgeblich von der Ursache der Erkrankung beeinflusst. Sensible oder motorische Polyneuropathien verkürzen die Lebenserwartung in der Regel nicht. Autonome Neuropathien in sehr weit fortgeschrittenen Stadien können die Lebenserwartung mindern, da hier lebenswichtige Organe in ihrer Funktion gestört sind.

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Tipps für die Vorsorge und mehr Lebensqualität

  • Blutzucker kontrollieren: Menschen mit Diabetes sollten regelmäßig ihren Blutzucker kontrollieren und ärztlich verordnete Medikamente einnehmen.
  • Füße kontrollieren: Eine regelmäßige Kontrolle der Füße auf Wunden ist wichtig, um Fußgeschwüre zu vermeiden.
  • Bewegen: Regelmäßige Bewegung kann bei Schmerzen und Missempfindungen helfen.
  • Alkohol meiden: Auch wenn die Nervenschäden nicht durch übermäßigen Alkoholkonsum entstanden sind, sollte Alkohol möglichst gemieden werden.
  • Bequemes Schuhwerk tragen: Bequeme Schuhe und professionelle Fußpflege können Druckstellen vermeiden.
  • Regelmäßige ärztliche Kontrollen: Der Gesundheits-Check-up beim Hausarzt kann Risikofaktoren wie einen erhöhten Blutzuckerspiegel und frühe Symptome aufdecken.
  • Vorsicht im Alltag: Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten sollten gemieden werden. Beim Laufen auf unebenem Untergrund oder im Dunkeln ist Vorsicht geboten.

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