Wie lange braucht das Gehirn, um sich etwas zu merken: Fakten und Einblicke

Unser Gehirn ist ein bemerkenswertes Organ, das ständig Informationen verarbeitet und speichert. Die Fähigkeit, sich Dinge zu merken, ist entscheidend für unser tägliches Leben, unser Lernen und unsere persönliche Entwicklung. Doch wie lange dauert es, bis das Gehirn Informationen speichert, und welche Faktoren beeinflussen diesen Prozess? Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Phasen der Gedächtnisbildung, von der ersten Wahrnehmung bis zur dauerhaften Speicherung im Langzeitgedächtnis.

Das sensorische Gedächtnis: Der erste Eindruck

Das sensorische Gedächtnis, auch bekannt als sensorisches Register oder Ultrakurzzeitgedächtnis, ist die erste Station der Gedächtnisbildung. Es fungiert als Schnittstelle zwischen Wahrnehmung und Gedächtnis. Hier werden Reize aus der Außenwelt unmittelbar nach der Aufnahme verarbeitet, meist unbewusst. Nicht jeder Reiz, den unsere Sinne aufnehmen, wird bewusst wahrgenommen. Das sensorische Gedächtnis speichert kurze, flüchtige Sinneseindrücke, z. B. was wir gerade gehört haben. Diese Reize werden kurz zwischengespeichert und bei Relevanz an das Kurzzeitgedächtnis weitergeleitet. Die einfließenden Informationen werden gefiltert, um eine Reizüberflutung zu verhindern. Die Dauer der Zwischenspeicherung variiert dabei.

Das Kurzzeitgedächtnis: Ein temporärer Speicher

Das Kurzzeitgedächtnis (KZG) ist der erste bewusste Teil des Gedächtnisses. Es empfängt Informationen aus dem sensorischen Gedächtnis und dient als Zwischenspeicher für Informationen, die aufrechterhalten, manipuliert oder weiterverarbeitet werden sollen. Ein Beispiel hierfür ist das Nachschlagen einer Telefonnummer im Telefonbuch und das anschließende Wiederholen auf dem Weg zum Telefon. Die Informationen werden aufrechterhalten, aber nach der Eingabe der Nummer oft nur noch teilweise erinnert. Das Kurzzeitgedächtnis hat eine begrenzte Kapazität von etwa 5 bis 9 Informationseinheiten, die gleichzeitig für einige Sekunden bis Minuten gespeichert werden können. Aufmerksamkeit spielt eine entscheidende Rolle für die Aufrechterhaltung von Informationen im KZG, das empfindlich auf Störungen wie Lärm reagiert.

Das Arbeitsgedächtnis: Aktive Informationsverarbeitung

Wenn Erinnerungen im KZG aufrechterhalten oder manipuliert werden, spricht man vom Arbeitsgedächtnis (AG). Eine Manipulation kann beispielsweise Kopfrechnen sein, bei dem einzelne Komponenten einer Rechenaufgabe miteinander verbunden werden müssen. Das Arbeitsgedächtnis ist in verschiedene Untersysteme unterteilt:

  • Die phonologische Schleife: Verantwortlich für die zeitlich begrenzte Speicherung von verbaler Erinnerung. Informationen werden durch inneres Sprechen wiederholt, ähnlich wie bei der Wiederholungsschleife eines Tonbandgeräts.
  • Der räumlich-visuelle Notizblock: Ein geistiger Zwischenspeicher für visuelle und räumliche Informationen, der beispielsweise beim Beschreiben von Wegen anhand von Straßenplänen oder beim Vorstellen und innerlichen Drehen von Gegenständen zum Einsatz kommt.
  • Die zentrale Exekutive: Eine Kontrollinstanz, die Informationen aus dem sensorischen Gedächtnis nach Wichtigkeit filtert und an die zuständigen Speicher weiterleitet. Sie lenkt die Aufmerksamkeit und ist für die Manipulation von Informationen zuständig.

Weitere Faktoren, die das Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigen können, sind Stress, Angst, Überlastung, Alkohol und bestimmte Krankheiten oder Medikamente.

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Das Langzeitgedächtnis: Ein unendliches Archiv

Das Langzeitgedächtnis (LZG) ist unser Speicher für alle bisherigen Erfahrungen und gelernten Informationen. Es bildet das Tor zu unseren Erlebnissen, unserem Wissen und unseren Fähigkeiten. Es wird in das deklarative und das non-deklarative Gedächtnis unterteilt.

Das deklarative Gedächtnis: Bewusstes Wissen

Im deklarativen Gedächtnis werden Erinnerungen gespeichert, die bewusst zugänglich sind und mit Worten beschrieben werden können, wie z.B. selbsterlebte Ereignisse (episodisches Gedächtnis) und Faktenwissen (semantisches Gedächtnis). Es wird auch als explizites oder bewusstes Gedächtnis bezeichnet, da die gespeicherten Inhalte beschrieben (deklariert) und bewusst zugänglich sind.

  • Das episodische Gedächtnis: Speichert Erinnerungen an autobiografische Ereignisse mit detailliertem Wissen über Orte und Zeitangaben. Diese Erinnerungen können flexibel kommuniziert werden, d.h. man kann sich an eine Situation auch aus einer anderen Perspektive erinnern.
  • Das semantische Gedächtnis: Speichert Faktenwissen über Begriffe, Objekte und Tatsachen, meist ohne genaue Angaben, wann und wo wir dieses Wissen erlernt haben. Dieses Wissen erfordert in der Regel mehrmalige Wiederholung, bis es gespeichert ist.

Das non-deklarative Gedächtnis: Unbewusste Fähigkeiten

Das non-deklarative Gedächtnis umfasst Fertigkeiten, Habituation, Priming und Konditionierung, die im Folgenden näher erläutert werden:

  • Fertigkeiten: Handlungskompetenzen, die durch Üben verbessert werden können und ohne bewusste Anstrengung abgerufen werden. Sie umfassen motorische Fähigkeiten (sensumotorische Fertigkeiten wie Autofahren oder Tanzen) und kognitive Fertigkeiten (z.B. Schachspielen).
  • Habituation: Ein Gewöhnungsprozess, bei dem die Reaktion auf einen wiederholten Reiz abnimmt (z.B. das Ticken einer neuen Wanduhr).
  • Priming: Eine vorangehende Reizdarbietung verbessert die Fähigkeit, diesen Reiz wiederzuerkennen (z.B. Werbebotschaften, die uns unbewusst zum Kauf motivieren).
  • Konditionierung:
    • Klassische Konditionierung: Ein neutraler Reiz wird mit einem Reiz gekoppelt, der ein bestimmtes Verhalten auslöst (z.B. der Pawlowsche Hund).
    • Operante Konditionierung: Organismen lernen, bestimmte Verhaltensweisen zu zeigen oder zu unterlassen, um positive Konsequenzen zu erreichen oder negativen zu entgehen (z.B. ein Kind für ordentliches Essen mit Besteck loben).

Enkodierung, Konsolidierung und Abruf: Die Prozesse der Gedächtnisbildung

Die Gedächtnisbildung umfasst drei wesentliche Prozesse:

  • Enkodierung: Die Übersetzung von Informationen aus der Außenwelt in einen neuronalen Code, den das Gehirn "lesen" kann.
  • Konsolidierung: Prozesse im Gehirn, die zu einer dauerhaften Speicherung von Informationen führen. Dabei werden die Verbindungen zwischen den Nervenzellen, die zu einer Episode gehörenden Informationen verarbeiten, verstärkt.
  • Abruf: Das bewusste oder unbewusste Abrufen von gespeicherten Informationen aus dem Gedächtnis.

Enkodierungsprozesse beeinflussen den Behaltenserfolg und den Abruf von Informationen. Informationen werden besser gespeichert, wenn sie bedeutungsvoll sind, in eine Geschichte eingebettet oder mit bereits gelerntem Wissen verknüpft werden. Auch die Rahmenbedingungen beim Lernen beeinflussen den Abruf.

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Die Rolle der Synapsen und Proteine

Unser Gehirn speichert täglich unzählige Informationen in den Synapsen, den Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Jede Zelle verfügt über bis zu 10.000 dieser winzigen Äste. Bei der Verarbeitung von Informationen verändern sich diese Synapsen. Für die Übertragung von Informationen in das Langzeitgedächtnis müssen sich die Synapsen dauerhaft verändern. Im Zellkern wird ein Mechanismus in Gang gesetzt, der über die dortigen Gene bestimmte Proteine ausschüttet. Diese Proteine verstärken die entsprechenden Synapsen dauerhaft. Die betroffenen Bereiche der Synapsen produzieren einen Marker ("tag"), der dafür sorgt, dass die notwendigen Proteine nur an diesen markierten Synapsen wirksam sind ("synaptic tagging"). Wichtige Informationen erzeugen komplexere Signale, die sicherstellen, dass diese Erinnerungen bleibende Speicherorte finden.

NogoA: Ein Protein zur Stabilisierung von Erinnerungen

Das Protein NogoA hemmt das Wachstum von Nervenzellen und kommt vor allem im Hippocampus vor, der für die Überführung von Informationen vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis verantwortlich ist. NogoA stabilisiert die Funktion und Struktur von Nervennetzen und hilft so, Erinnerungen zu speichern. Es schreibt die Funktionalität von neuronalen Netzen fest und schützt sie vor weiteren Änderungen.

Emotionen und Gedächtnis

Ereignisse, die starke Emotionen auslösen, verankern sich besonders gut in unserem Gedächtnis. Positive oder negative Emotionen aktivieren die Amygdala, die Signale an andere Hirnregionen sendet. Je sinnlicher und intensiver die Eindrücke sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns später noch an das Geschehen erinnern. Visuelle Eindrücke gelangen besonders leicht zum Hippocampus.

Gedächtnis und Lernen: Tipps und Tricks

Um das Gedächtnis zu verbessern und das Lernen zu erleichtern, können folgende Strategien angewendet werden:

  • Aufmerksamkeit: Achten Sie bewusst auf die Informationen, die Sie speichern möchten.
  • Emotionen: Verknüpfen Sie die Informationen mit positiven Emotionen oder machen Sie sie persönlich relevant.
  • Wiederholung: Wiederholen Sie die Informationen regelmäßig, um die Verbindungen im Gehirn zu stärken.
  • Verknüpfung: Verbinden Sie neue Informationen mit bereits vorhandenem Wissen.
  • Strukturierung: Ordnen Sie die Informationen in logische Einheiten oder Geschichten.
  • Eselsbrücken: Verwenden Sie Eselsbrücken, Reime oder Bilder, um sich Informationen besser zu merken.
  • Ruhe: Sorgen Sie für ausreichend Schlaf, da das Gehirn im Schlaf Informationen verarbeitet und speichert.
  • Bewegung: Regelmäßige körperliche Aktivität fördert die Durchblutung des Gehirns und verbessert die Gedächtnisleistung.
  • Abwechslung: Fordern Sie Ihr Gehirn mit neuen Aktivitäten und Herausforderungen heraus.

Wann Vergesslichkeit zur Krankheit wird

Vergesslichkeit ist im Alltag normal, kann aber auch ein Anzeichen für eine beginnende Demenz sein. Anzeichen dafür sind:

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  • Häufiges Wiederholen von Fragen, auch wenn die Antwort bereits genannt wurde.
  • Vergessen kompletter Abläufe (z.B. Kochen oder Anziehen).
  • Unsinniges "Aufräumen" von Gegenständen (z.B. Geldbeutel im Gefrierschrank).
  • Verlust der Fähigkeit zur Problemlösung.

Weitere Ursachen für Vergesslichkeit können schlecht eingestellter Diabetes mellitus, Depressionen oder Durchblutungsstörungen sein. Bei gehäufter Vergesslichkeit sollte ein Arzt aufgesucht werden, um die Ursache abzuklären.

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